Einführung in die Algebraische Geometrie Erich Selder
KAPITEL 1 Einführung 1.1. Algebraische Geometrie und verwandte Gebiete Wie der Name andeutet hat die algebraische Geometrie ihre Wurzeln einerseits in der Algebra, andererseits in geometrischen Disziplinen. Wir wollen mit einige Bemerkungen zu Verwandtschaften mit anderen mathematischen Bereichen und zur Abgrenzung diesen gegenüber beginnen. Algebra Algebraische Gleichungen, insbesondere Polynomgleichungen P (x) = a 0 x n + a 1 x n 1 +... + a n 1 x + a n = 0 Lösungsverfahren, insbesondere geschlossene Formeln für die Lösung. Beispiel: Quadratische Gleichungen, Gleichungen dritten und vierten Grades (Formeln von Cardano und Tartaglio) Wichtiges Resultat (E. Galois, N.-H. Abel, Ruffini): Für n 5 gibt es keine solche Lösungsformel Algebraische Strukturen, insbesondere Körper und Ringe Galois-Theorie: Beziehung zwischen Körpererweiterungen und Gruppen Lineare Algebra und analytische Geometrie Lineare Gleichungssysteme und ihre Lösungsmengen Lineare Abbildungen Quadratische Formen über den reellen und komplexen Zahlen, Kegelschnitte, Quadriken Elementare Geometrie Geometrische Ortslinien Konstruktionen mit Zirkel und Lineal Projektive Geometrie Mathematische Präzisierung von Perspektive, Horizont, unendlich fernen Punkten Perspektivische Abbildungen Differentialgeometrie Parametrisierte Kurven, Flächen im reellen Zahlenraum Innere Metrik, Krümmung Riemannsche Mannigfaltigkeiten Differentialtopologie, Topologie, Analysis Abstrakte Mannigfaltigkeiten und ihre Geometrie 3
4 1. EINFÜHRUNG Komplexe Analysis, Funktionentheorie, komplex-analytische Geometrie Riemannsche Flächen, komplexe Mannigfaltigkeiten, komplexe Räume Einbettung komplexer Mannigfaltigkeiten in projektive Räume 1.2. Begriffsbildungen in der algebraischen Geometrie 1.2.1. Erste Beispiele. Lineare Gleichungssysteme und affin-lineare Räume Beispiel: 2x + 4y + z 3w = 1 x + 2y + z 2w = 0 x 2y + w = 1 Lösungsmenge: L = {( 1, 0 1 0) + λ( 2, 1, 0, 0) + µ(1, 0, 1, 1) λ, µ R} Beobachtung: Lösungsverfahren und Struktur der Lösungsmenge ist unabhängig von der Qualität des zugrundeliegenden Körpers. Elementare geometrische Konstruktionen Aufgabe 1: Bestimme eine algebraische Gleichung, die die Menge aller Punkte P = (x, y) R 2 charakterisiert, deren Abstandssumme von zwei gegebenen Punkten R = (x R, y R ) und S = (x S, y S ) den konstanten Wert c > 0 hat. Wir legen das Koordinatensystem so, dass die Gerade durch R und S die x-achse ist und der Mittelpunkt zwischen R und S der Nullpunkt ist. Die Senkrechte durch den Nullpunkt zur Geraden RS ist dann die y-achse. Mit diesen Vorgaben ist R = ( a, 0), S = (a, 0) mit a = RS /2. Lösung: 4x2 c + 4y2 2 c 2 4a 1 = 0 2 Aufgabe 2: Gegeben sei eine Gerade g in der Ebene und ein fester Punkt S = (x S, y S ), ferner eine Konstante c > 0. Die Konchoide von S bezüglich der Geraden g besteht aus allen Punkten P = (x, y) R 2 für die folgende Eigenschaft gilt: Ist l die Gerade durch S und P und schneidet l die Gerade g im Punkt R, so hat die Strecke P R die Länge c. Bestimme eine algebraische Gleichung für diese Konchoide. Lösung: Wir legen das Koordinatensystem so, dass S der Ursprung ist und die Gerade g gegeben ist durch {x = a}. Ist P = (x, y) ein Punkt der so definierten Konchoide, so gilt für den Schnittpunkt R = (a, y R ) der Geraden SP mit g: SR = λsp, ferner SR = SP + P R = SP ± c, also folgt: (1 λ)sp = ±c Dabei ist SP = x 2 + y 2 und es gilt (a, y R ) = λ(x, y), also λ = a x. Damit ergibt sich insgesamt als Gleichung (durch Quadrieren): c 2 = (1 λ) 2 (x 2 + y 2 ) = 1 x 2 (x a) 2 (x 2 + y 2 ) und schließlich 0 = (x a) 2 (x 2 + y 2 ) c 2 x 2 Parametrisierte Kurven
1.2. BEGRIFFSBILDUNGEN IN DER ALGEBRAISCHEN GEOMETRIE 5 1. Steinersche Hypozykloide Diese Kurve ist in Parameterform gegeben durch (x(t), y(t)) = 1 3 (2cos(t) + cos(2t), 2sin(t) sin(2t)) Aufgabe: Zeige, dass diese Kurve durch eine algebraische Gleichung beschreibbar ist. Lösungsstrategie: a) Darstellung von cos(2t) und sin(2t) als algebraische Ausdrücke in sin(t), cos(t) 3x(t) = 2cos(t) + 2cos 2 (t) 1 (1) 3y(t) = 2sin(t)(1 cos(t)) (2) b) Eliminination von cos 2 (t) aus der ersten der Gleichungen Einsetzen ins Quadrat der zweiten Gleichung 2cos 2 (t) = 3x + 1 2cos(t) (3) 9y 2 = 4sin 2 (t)(1 cos(t)) 2 = (2 2cos 2 (t))(2 4cos(t) + 2cos 2 (t)) = = 3(1 3x + 2cos(t))(1 + x 2cos(t)) (4) c) Eliminieren von cos(t) und Einsetzen (z. B. ) in die Gleichung (3) 4(1 + 2x)cos(t) = 3y 2 + 3x 2 + 1 + 8x (5) 16(1 + 2x) 2 cos 2 (t) = 8(1 + 2x) 2 (3x + 1 2cos(t)) [8(1 + 2x) 2 (3)] (3y 2 + 3x 2 + 1 + 8x) 2 = 8(1 + 2x) 2 (3x + 1) 4(1 + 2x)(3y 2 + 3x 2 + 1 + 8x) d) ggf. Vereinfachen 0 = 3(3(x 2 + y 2 ) 2 8x(x 2 3y 2 ) + 6(x 2 + y 2 ) 1) Übungsaufgabe: Zeige, dass sich die Steinersche Hypozykloide parametrisieren lässt durch rationale Funktionen. Hinweis: Mit s = tan(t/2) wird (cos(t), sin(t)) = ( 1 s2 2s 1+s, 2 1+s ). 2 2. Gewöhnliche Zykloide Diese ebene Rollkurve ist gegeben durch die Parameterdarstellung (x(t), y(t)) = (t sin(t), 1 cos(t)) Diese Kurve kann nicht als Nullstellenmenge eines Polynoms F R[X, Y ] beschrieben werden. Denn die Nullstellenmenge von F hat (z. B.) mit der Geraden {x = 0} nur endlich viele Schnittpunkte gemeinsam (Einsetzen ergibt ein Polynom in einer Variablen mit nur endlich vielen Nullstellen). Aber die Zykloide hat mit dieser Geraden die unendlich vielen Punkte (2kπ, 0), k Z, gemeinsam. 3. Newton-Knoten Diese Kurve ist gegeben durch V = {(x, y) R 2 y 2 x 3 x 2 = 0} Diese Kurve lässt sich durch polynomiale Funktionen parametrisieren. Betrachte dazu alle Geraden durch den Punkt (0, 0) mit Steigung t, also g t = {(x, y) y = tx} Jede dieser Geraden schneidet die Kurve V in genau zwei Punkten, wovon der eine der Nullpunkt ist. Der zweite Schnittpunkt ergibt sich aus der Gleichung 0 = y 2 x 3 x 2 = t 2 x 2 x 3 x 2 = x 2 (t 2 1 x) x = t 2 1, y = t(t 2 1) Also hat man die Parametrisierung (x(t), y(t)) = (t 2 1, t(t 2 1))
6 1. EINFÜHRUNG 4. Getwistete kubische Raumkurve. Gegeben sei die parametrisierte Kurve im R 3 : (x(t), y(t), z(t)) = (t, t 2, t 3 ) Dann ist leicht zu sehen, dass die Menge dieser Punkte gegeben ist durch die folgenden beiden Gleichungen Y X 2 = 0, Z X 3 = 0 Wir werden diesem Beispiel später wieder begegnen. Reelle Quadriken in R n und in C n Eine Quadrik im K n ist gegeben durch eine Gleichung der Gestalt 0 = xax t + bx t + c mit einer symmetrischen Matrix A K n n, einem Vektor b K n und einer Konstanten c K. Beispiele: K = R, n = 3 i) Kegel: x 2 + y 2 z 2 = 0 ii) Zylinder: x 2 + y 2 = 1 (unabhängig von z) iii) Einschaliges Hyperboloid: x 2 + y 2 z 2 = 1 iv) Zweischaliges Hyperboloid: x 2 y 2 z 2 = 1 etc. etc. Aufgabe: Klassifiziere alle reellen 3-dimensionalen Quadriken bis auf affine Äquivalenz Erinnerung: Sylvesterscher Trägheitssatz Über K = C werden viele der über R verschiedenen Quadriken äquivalent. Beobachtung: In allen Beispielen (mit Ausnahme der gewöhnlichen Zykloide) lassen sich die geometrischen Gebilde durch Polynomgleichungen (in zwei oder drei Variablen) darstellen. Die Frage ist, inwieweit die Gleichungen mit den geometrischen Gebilden zusammenhängen. Natürlich ist die Menge der geometrischen Punkte durch das Gleichungssystem bestimmt. Inwiefern gilt auch die Umkehrung? Singuläre Kurven und Flächen Wir setzen voraus, dass der Grundkörper die Charakteristik 0 hat. Definition: Ist die Menge V K n durch eine differenzierbare Gleichung F (x) = 0 gegeben, so heißt ein Punkt x V singulär, wenn der Gradient grad(f) = ( f/ X 1,..., f/ X n ) im Punkt x verschwindet. 1. Cartesisches Blatt f(x, Y ) = X 3 + Y 3 3XY = 0 Hier ist f/ X = 3X 2 3Y, f/ Y = 3Y 2 3X Einzige gemeinsame Nullstelle von f(x, Y ), f/ X und f/ Y ist (x, y) = (0, 0) In allen übrigen Punkten ist (nach dem Satz über implizite Funktionen) diese Kurve glatt, d. h. lokal parametrisierbar durch differenzierbare Funktionen.
1.2. BEGRIFFSBILDUNGEN IN DER ALGEBRAISCHEN GEOMETRIE 7 2. Kegel f(x, Y, Z) = X 2 + Y 2 Z 2 = 0 Einzige Singularität: (0, 0, 0) Exotische Gleichungen über R und anderen Körpern 1. Gleichungen für {(0, 0)} R 2 f(x, Y ) = AX 2 + BY 2 = 0 mit A, B > 0 oder g(x, Y ) = C(X Y ) 2 + D(X + Y ) 2 = 0 mit C, D > 0 oder... 2. Darstellungen der leeren Menge im R n : Jede Gleichung der Gestalt f(x) = f 2 1 (X) + f 2 2 (X) +... + f 2 k (X) + c = 0 mit c > 0 und f 1,..., f k R[X], X = (X 1,..., X n ) 3. Gleichungen für die leere Menge in K n für einen endlichen Körper K = {k 0, k 1,..., k m } f(x) = 1 oder f(x) = (X 1 k 0 )(X 1 k 1 )...(X 1 k m ) + 1 oder... Anzahl beschreibender Gleichungen über R Ist V R n gegeben durch die Gleichungen f 1 (x) = f 2 (x) =... = f k (x) = 0 mit x = (x 1,..., x n ), f 1,..., f k R[X 1,..., X n ] so gilt x V f 2 1 (x) + f 2 2 (x) +... + f 2 k (x) = 0 d. h. jede Menge in R n, die durch (endlich) viele Polynome beschrieben werden kann, ist schon darstellbar als Nullstellenmenge eines einzelnen Polynoms. 1.2.2. Folgerungen für die Begriffsbildungen. Alle Beispiele aus 1.2.1 (bis auf die gewöhnliche Zykloide) lassen sich darstellen als Nullstellenmengen von Polynomen. Dies wird die Grundlage für den wichtigsten elementaren Begriff der algebraischen Geometrie werden. Bemerkungen: a) Für K = R oder für endliche Körper oder allgemeiner für nicht algebraisch abgeschlossene Körper lässt sich offenbar aus der Menge der geometrischen Punkte kein vernünftiger Zusammenhang herstellen zu den beschreibenden polynomialen Gleichungen. b) Über dem Körper der komplexen Zahlen C (oder über anderen algebraisch abgeschlossenen Körpern) sind Darstellungen der leeren Menge oder einer einelementigen Menge wie oben nicht möglich. Dies wird Gegenstand des tiefen Hilbertschen Nullstellensatzes sein, den wir später diskutieren werden. Zunächst folgende einfache Charakterisierung von Nullstellenmengen von Polynomen in einer Variablen über einem algebraisch abgeschlossenen Körper:
8 1. EINFÜHRUNG Satz: Es sei K ein algebraisch abgeschlossener Körper, f K[X] ein Polynom in einer Variablen X. Dann gilt: {x K f(x) = 0} = {ξ 1,..., ξ m } f(x) = (X ξ 1 ) r1 (X ξ 2 ) r2...(x ξ m ) rm mit r 1, r 2,..., r m > 0 In diesem Fall ergibt sich also ein enger Zusammenhang zwischen der Menge der Nullstellen und der beschreibenden Gleichung. Aber wir erinnern uns, dass es im allgemeinen nicht möglich ist, die Nullstellen eines Polynoms (vom Grad 5) explizit (d. h. durch Radikalausdrücke) zu bestimmen. Wir erinnern uns: Im Falle linearer Gleichungssysteme heißt Lösen eines Gleichungssystems die Darstellung der Lösungsmenge in parametrisierter Form. Lässt sich die Lösungsmenge jedes polynomialen Gleichungssystems in vernünftig parametrisierter Form darstellen? Was kann dabei vernünftig heißen? Zunächst wären vernünftige Parametrisierungen sicherlich solche durch polynomiale oder rationale Funktionen. Im Sinne der Analysis wären auch Parametrisierungen durch Potenzreihen sinnvoll; dieser Ansatz ist vor allem in der Theorie der Singularitäten von großer Bedeutung (Stichwort: Puiseux-Entwicklung). Zunächst aber ein weiteres Beispiel. Die allgemeine kubische Kurve ist nicht rational parametrisierbar Satz: Wir betrachten die folgende kubische Kurve C = {(x, y) C 2 y 2 = x(x 1)(x λ)} C 2 mit t C, λ 0, 1 Dann gibt es keine nichtkonstanten rationalen Funktionen f, g C(T ), sodass gilt (f(t), g(t)) C für alle t aus dem gemeinsamen Definitionsbereich der Funktionen f, g. Beweis: Wir nehmen an, dass f = P Q und g = R S rationale Funktionen sind mit Polynomen P, Q, R, S C[T ], wobei wir annehmen dürfen, dass P, Q und R, S zwei teilerfremde Paare sind, die die Gleichung der Kurve C erfüllen, also g 2 = f(f 1)(f λ). Dann gilt (nach Multiplikation mit Q 3 S 2 ) auch R 2 Q 3 = S 2 P (P Q)(P λq) (*) Nun sind P, Q teilerfremd, also sind auch P Q, Q und P λq, Q teilerfremde Paare. Da Q 3 die rechte Seite teilt, muss Q 3 ein Teiler von S 2 sein. Umgekehrt ist S 2 ein Teiler von R 2 Q 3 und R, S sind teilerfremd, also muss S 2 ein Teiler von Q 3 sein. Insgesamt folgt Q 3 = αs 2 mit α C ; dabei dürfen wir annehmen, dass α = β 2 selbst ein Quadrat ist (denn C ist algebraisch abgeschlossen). Insgesamt ist damit aber Q 3 ein Quadrat, also ist auch Q ein Quadrat. Die Gleichung (*) wird mit obiger Betrachtung zu β 2 R 2 S 2 = S 2 P (P Q)(P λq) und nach Kürzen durch S 2 ergibt sich: β 2 R 2 = P (P Q)(P λq) Nun ist die linke Seite ein Quadrat und die Faktoren der rechten Seite sind paarweise teilerfremd. Daher sind die drei Faktoren P, P Q, P λq selbst Quadrate. Bisherige Folgerung: P, Q, P Q, P λq sind Quadrate in C[T ]. Hilfssatz: Sind A, B C[T ] teilerfremde Polynome und gibt es ein µ, ν C, µ, ν 0, µ ν, sodass A, B, A µb, A νb Quadrate sind, so sind A, B C (konstant). Beweis des Hilfssatzes: Wir nehmen an, dass die Aussage des Hilfssatzes falsch ist und wählen ein Gegenbeispiel nichtkonstanter teilerfremder Polynome A, B, sodass der Grad minimal gewählt ist
1.2. BEGRIFFSBILDUNGEN IN DER ALGEBRAISCHEN GEOMETRIE 9 (d. h. M ax{grad(a), grad(b)} > 0 ist kleinstmöglich). Nun sind A, B teilerfremde Quadrate, etwa A = C 2, B = D 2 mit teilerfremden Polynomen C, D. Sicherlich ist dann M ax{grad(c), grad(d)} < M ax{grad(a), grad(b)} Ferner gilt: A µb = C 2 µd 2 = (C ϱd)(c + ϱd) A νb = C 2 νd 2 = (C σd)(c + σd) mit µ = ϱ 2, ν = σ 2, und diese Ausdrücke sind nach Voraussetzung ebenfalls Quadrate. Da C, D teilerfremd sind, sind die Faktoren der rechten Seiten jeweils teilerfremd, also sind C ϱd, C + ϱd, C σd, C + σd Quadrate. Wir setzen A = C ϱd, B = C + ϱd Dann sind A, B wieder Quadrate ; ferner gilt: C = 1 2 (A + B ), D = 1 2ϱ (B A ) C σd = ( ϱ+σ 2ϱ )A ( σ ϱ 2ϱ )B = ( ϱ+σ 2ϱ )(A ( σ ϱ σ+ϱ )B ) C + σd = ( ϱ σ 2ϱ )A + ( σ+ϱ 2ϱ )B = ( ϱ σ 2ϱ )(A ( σ+ϱ σ ϱ )B ) und diese Ausdrücke sind Quadrate. Dann sind auch A ( σ ϱ σ+ϱ )B und A ( σ+ϱ σ ϱ )B Quadrate. Damit hat man ein Beispiel mit A, B, wobei die Grade der Polynome kleiner sind als die der gegebenen Polynome. Dies steht im Widerspruch zur Minimalität der Grade der gewählten Polynome. Damit ist der Hilfssatz bewiesen. Aus dem Hilfssatz ergibt sich nun sofort die Aussage des Satzes: P und Q sind konstant, also auch R und S. Damit ist auch die rationale Abbildung (f, g) konstant. Bemerkungen: a) In der Argumentation des obigen Beweises wird entscheidend davon Gebrauch gemacht, dass der Polynomring C[T ] faktoriell ist, also Faktorzerlegungen jeweils vergleichbar sind (vgl. Anhang). b) Die Argumentation des Hilfssatzes benutzt eine Technik, die auf Pierre de Fermat (ca. 1600-1665) zurückgeht und Prinzip des unendlichen Abstiegs genannt wird ( descente infinie ). Vom heutigen Standpunkt aus sieht man natürlich, dass sich hierhinter eine Variante des Induktionsprinzips verbirgt ( Jede nichtleere Menge natürlicher Zahlen hat ein Minimum ). Fassen wir die Erkenntnisse aus den vorigen Abschnitten zusammen. 1. Eine Klasse von sinnvollen Objekten der algebraischen Geometrie sind Nullstellenmengen von Polynomen über einem festen Körper K. Wir werden solche Gebilde algebraische Mengen (genauer affin-algebraische Mengen) nennen. 2. Einen sinnvoller Zusammenhang zwischen den Gleichungen und der zugehörigen algebraischen Menge kann man höchstens erwarten, wenn der Grundkörper K algebraisch abgeschlossen ist. 3. Eine wichtige Frage wird sein, ob sich die Gleichungen, die eine algebraische Menge definieren, in einem algebraisch beschreibbaren Gebilde wiederfinden. 4. Man wird nicht erwarten können, beliebige algebraische Mengen in parametrisierter Form darstellen zu können. In diesem Sinn wird es nicht möglich sein, polynomiale Gleichungssysteme zu
10 1. EINFÜHRUNG lösen. Aufgabe kann es nur sein, qualitative Charakterisierungen für algebraische Mengen zu geben, Invarianten zu bestimmen, die es gestatten, algebraische Mengen zu unterscheiden, etc.... 5. Singuläre Punkte in algebraischen Mengen sind nicht störend (u. U. sogar im Gegenteil, vgl. spätere Bemerkungen zu algebraischen Kurven). Dies unterscheidet die algebraische Geometrie von der Differentialtopologie und der Differentialgeometrie. 6. Punktmengen im K n, die sich durch rationale Funktionen parametrisieren lassen, stellen eine wichtige Klasse von algebraischen Mengen dar. 7. Welche Abbildungen zwischen algebraischen Mengen führen zu sinnvollen Morphismen, insbesondere Isomorphismen. Wann werden wir algebraische Mengen als nicht wesentlich unterscheidbar auffassen. In dieser Frage werden wir im Rahmen der algebraischen Geometrie zwei sehr unterschiedliche Konzepte kennenlernen, die zu unterschiedlichen Klassifikationsproblemen führen werden (Stichworte: (bi-)reguläre Abbildungen und (bi-)rationale Abbildungen).