Blick in internationale Zeitschriften

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Transkript:

in internationale Zeitschriften G. Schüßler Blick Blick in internationale Zeitschriften Gerhard Schüßler In der Reihe Blick in internationale Zeitschriften werden wichtige Beiträge aus den internationalen Zeitschriften kurz dargestellt. Eine vollständige Aufarbeitung eines Beitrags oder eine kritische Wertung ist dabei nicht angestrebt. Da der Umfang der Publikationen aus den Bereichen Psychosoziale Medizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie für jeden Einzelnen unüberschaubar ist, sind Anregungen und Hinweise jederzeit willkommen. Borderline-Persönlichkeitsstörung: Vom Beginn der Diagnose bis hin zur Therapie J. G. Gunderson: Borderline Personality Disorder: Ontogeny of a diagnosis. Am J Psychiatry, 2009, 166: 530 539. M. C. Zanarini, F. R. Frankenburg, D. B. Reich, G. Fitzmaurice: Time to attainment of recovery from borderline personality disorder and stability of recovery: A 10-year prospective follow-up study. Am J Psychiatry, 2010, 167: 663 667. G. O. Gabbard, M. J. Horowitz: Insight, transference interpretation, and therapeutic change in the dynamic psychotherapy of borderline personality disorder. Am J Psychiatry, 2009, 166: 517 521. S. F. McMain, P. S. Links, W. H. Gnam, T. Guimond, R. J. Cardish, L. Korman, D. L. Streiner: A randomized trial of dialectical behavior therapy versus general psychiatric management for borderline personality disorder. Am J Psychiatry, 2009, 166: 1365 1374. S. Doering, S. Hörz, M. Rentrop, M. Fischer-Kern, P. Schuster, C. Benecke, A. Buchheim, P. Martius, P. Buchheim: Transference-focused psychotherapy v. treatment by community psychotherapists for borderline personality disorder: randomised controlled trial. Br J Psychiatry, 2010, 196: 389 395. A. Bateman, P. Fonagy: Randomized controlled trial of outpatient mentalizationbased treatment versus structured clinical management for borderline personality disorder. Am J Psychiatry, 2009, 166: 1355 64. A. Bateman, P. Fonagy: Mentalization based treatment for borderline personality disorder. World Psychiatry, 2010, 9: 11 15. In der Mai-Ausgabe 2009 teilte das American Journal of Psychiatry mit, dass das Repräsentantenhaus den Monat Mai einstimmig als Monat der Borderline-Persönlichkeitsstörung bestimmt hatte. Hintergrund: die nach wie vor bestehende Stigmatisierung der Störung und das Leiden der Betroffenen und Angehörigen. Die klinische und wissenschaftliche Unterstützung ist im Vergleich zu den anderen psychischen Störungen gering: Wenn man vorsichtigerweise davon ausgeht, dass die Prävalenz der Borderline-Störung in der Allgemeinbevölkerung zwischen 1,5 % und Z Psychosom Med Psychother 56, 429 434, ISSN 1438-3608 2010 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

430 G. Schüßler 4 % und im klinischen Setting zwischen 15 % und 25 % liegt, bedeutet dies, dass die Störung mindestens zwei- bis fünfmal häufiger als die Schizophrenie beziehungsweise doppelt so häufig wie die bipolare Störung ist. Wenn man im Vergleich dazu die Summe an Fördermittel stellt, wird die Ungleichbehandlung überdeutlich! Historisch wurde der Begriff Borderline erstmals von Stern 1938 sowie Knight 1953 in der psychoanalytischen Tradition als Grenzland zwischen neurotischen Störungen und der Schizophrenie beschrieben. In dieser unklaren Form verblieb es bis Ende der Siebzigerjahre. Kernberg führte 1967 die Borderline-Persönlichkeitsorganisation als eine breite Form der Psychopathologie ein, die durch primitive Abwehrmechanismen (Spaltung, Projektivität, Identifikation), Identitätsdiffusion und Ausfälle der Realitätsprüfung bestimmt ist. Bereits damals entwickelte er die ersten Grundzüge der übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP). Masterson kämpfte ebenfalls für eine modifizierte psychoanalytisch-orientierte Behandlung, stellte jedoch die Verlassenheits-(Beziehungs-)Thematik und die Defizite der frühen Kindheit in den Vordergrund. Als gemeinsames Kennzeichen dieser psychoanalytischen Bestimmungen gilt Schmiedebergs bereits 1959 getroffene Kennzeichnung von stabile Instabilität : der starke Wunsch, sich an andere zu binden, das unstabile oft verzerrte Bild von sich selbst und anderen, das Vorherrschen von Spaltung und den Ängsten verlassen zu werden. Die 70er, 80er und 90er Jahre waren gekennzeichnet durch das Bemühen, von einer Persönlichkeitsorganisation zu einem phänomenologisch-psychopathologischen Syndrom zu gelangen. Grinker und vor allem Gunderson waren führend in der Erarbeitung von Kriterien: Defining borderline patients. Ihre Arbeiten führten dazu, dass die Borderline-Störung 1980 in das DSM-III aufgenommen wurde. Diese psychopathologische Abgrenzung und die folgenden Arbeiten zeigten, dass das Borderline-Syndrom keine klinische Überschneidung zur Schizophrenie besitzt. Aufgrund der hohen Komorbidität mit depressiven Störungen lag die Vermutung einer atypischen Spektrumsdepression nahe (Tab. 1). Eine Fülle von Studien (meist ohne öffentliche Förderung) zeigte, dass die klinische Beschreibung der Borderline-Persönlichkeitsstörung eine hohe interne Konsistenz besaß und ein kohärentes Syndrom beschreibt, das sich im Verlauf von der Schizophrenie, der Depression und der PTSD unterscheidet. Die Ergebnisse zeigten zwar eine familiäre Häufung, Schizophrenie und bipolare Störungen traten in den Familien von Borderline-Patienten hingegen nicht gehäuft auf. Eine Fülle von medikamentösen Be- Tabelle 1: Kennzeichen der Borderline-Störung und Überschneidungen mit anderen psychischen Störungen (nach Gunderson 2009) Kennzeichen Schizophrenie Depression PTSD Bipolare Störungen Deskriptiv ± ± Verlauf ± Familiäre Häufung ± Behandlungsansprechen ±

Blick in internationale Zeitschriften 431 handlungsversuchen (und dies verbleibt bis heute so) erbrachten symptomzentrierte Verbesserungen (z. B. der Depression), aber keine grundlegende Verbesserung der Kernsymptomatik. Die Diskussion einer gemeinsamen Herkunft von Borderline-Störungen und der Depression waren damit beendet. Überschneidungen zur posttraumatischen Belastungsstörung sind weniger vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Psychopathologie als wegen der ätiologischen Befunde entstanden: Bis zu 70 % der Borderline-Patienten zeigten Missbrauchsanamnesen in Kindheit und Jugend. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung hat eine komorbide Überschneidung mit der PTSD in etwa 30 %. Viele Störungen entwickeln sich jedoch ohne signifikantes Trauma, und die Betonung der Traumatherapie in der Borderline-Störungsbehandlung führt häufiger zur Verschlechterung als zur Aufarbeitung und Linderung. Der Missbrauch in Kindheit und Jugend findet sich also bei Borderline-Störungen häufig, ist jedoch für die Entstehung des Syndroms keine ätiologisch notwendige oder hinreichende Bedingung. Die Überschneidung zur bipolaren Störung (seitdem diese überwiegend als Bipolar-II-Störung verstanden wird) ist erheblich. Das Ansprechen der Borderline-Störung auf stimmungsstabilisierende Medikamente ist hingegen zu vernachlässigen. Die Behandlungsliteratur fand sich überwiegend in psychoanalytischen Monographien und schilderte die umfassenden Probleme und Schwierigkeiten einer Behandlung. Die Psychotherapie-Forschungsergebnisse dieser Dekade zeigten bei klassischpsychoanalytischer Behandlung hohe Abbruchraten und schlechte Erfolge, sodass deutlich wurde: modifizierte psychodynamische (psychoanalytische) Verfahren sind notwendig. Ein Übermaß an Abstinenz und Neutralität, Passivität, schlechter Grenzund Strukturwahrung und Gegenübertragungshandeln fügen dem Patienten und Therapeuten Schaden zu. Die zentrale Rolle von Empathie und Unterstützung (Strukturierung) wurde immer deutlicher. Die wechselnde Symptomatik kann auch im Zusammenhang zur Behandlung gesehen werden, ob sich der Patient gehalten (kooperativ und depressiv), zurückgewiesen (ärgerlich und selbstdestruktiv) oder alleine gelassen (impulsiv, grenzpsychotisch) fühlt. Multimodale Therapieansätze traten in den Vordergrund. Ab 1990 begann die biologische Psychiatrie zu dominieren; ein Forschungs- und Versorgungsbereich, der bis heute die Borderline-Persönlichkeitsstörung eher in Zweifel zieht, da es keine biologische Therapie und neurobiologische Theorie für die Borderline-Persönlichkeitsstörung gab (und gibt). Siever und Davis beschrieben 1991 zwei biopsychologische Muster die affektive Dysregulation und die Verhaltensdyskontrolle, mit denen die Borderline-Persönlichkeitsstörung als Impulsspektrumsstörung oder als emotionale affektive Dysregulationsstörung gesehen werden kann. Die jetzige Dekade des neuen Jahrtausends steht im Zeichen der erweiterten technischen Möglichkeiten, neurobiologische und genetische Untersuchungen durchzuführen. Die angloamerikanische Forschung hatte sowohl durch öffentliche Gelder, aber vor allem durch Stiftungen großen Input erhalten. Zu erwähnen sind zwei Verlaufsstudien: die in Harvard beheimatete McLean-Studie und die kollaborative Langzeitstudie zu Persönlichkeitsstörungen. Diese Studien belegten bis jetzt in der zehnjäh-

432 G. Schüßler Abbildung 1: Theoretisches Modell der Borderlinestörung (modifiziert nach Oldham 2009) rigen prospektiven Nachuntersuchung (Zanarini et al. 2010), dass nach zehn Jahren etwa 80 % der Patienten remittiert waren und nur noch 20 % die Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung erhielten. Vorsicht ist jedoch angebracht, da hier nur die klinisch-psychopathologischen Kriterien angewandt wurden. Betrachtet man die Wiederherstellung also die Remission der Symptome und zusätzlich ein gutes (mäßiges) soziales oder berufsmäßiges Funktionsniveau, so gelingt es nur höchstens der Hälfte der Patienten, dies zu erreichen. Jenseits der psychopathologischen Symptome verbleibt also für eine Fülle von Patienten trotz Behandlung die interpersonelle Kernsymptomatik mit erheblichen psychosozialen Defiziten. Zanarini et al. benennen dies als temperamental aspects mit intensivem Ärger und Wut, Verlassenheitsgefühl, Reizbarkeit, Stimmungsanfälligkeit und so fort. Durch diese interpersonelle Kernsymptomatik mit einer sich der biologischen Klassifikation entziehenden Vielgestaltigkeit ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung the major container for sustaining the relevance of the mind (Gunderson 2009). So bleiben psychotherapeutische Interventionen die wesentliche Behandlung, abzielend auf das einzigartige persönliche Geschehen, in dem die Erkrankung zum Ausdruck kommt. Im psychodynamischen Kontext wird traditionell als das Wesentliche der Borderline-Struktur die darunterliegende psychische Struktur und nicht die Oberflächenpsychopathologie gewertet. Schulenübergreifend umfasst die Psychotherapie heute einen aktiveren Therapeuten mit einer Fokussierung auf die Patient-Therapeut-Beziehung im Hier und Jetzt, eine therapeutische Arbeit im Erkennen und im Umgang mit den affektiven Reaktionen und ihren Auslösern, um sie mit Gedanken und Gefühlen in dem Selbst und anderen zu verbinden. Die Bedeutung von Einsicht und Übertragungsdeutungen diskutieren Gabbard und Horowitz (2009). Übertragungsdeutungen können viel mehr als andere Interventionen diese therapeutische Allianz stärken, aber auch zerstören. Übertragungsdeutungen sind damit eine high-risk-high-gain-intervention, die am besten wirksam werden, wenn im Vorfeld empathische validierende und supportive Interventionen eine holding environment für den Patienten geschaffen haben, damit er diese Übertragungsdeutung annehmen kann (Gabbard u. Horowitz 2009).

Blick in internationale Zeitschriften 433 Die ersten therapeutischen, empirisch überprüften Durchbrüche sind in Studien aus Australien (Meares), England (Fonagy) und den USA (Linehan) beschrieben. Fonagy stellte die Mentalisierungsfähigkeit (und ihre Defizite) in den Vordergrund. Die mentalisierungsbasierte Therapie (vor allem im teilstationären Kontext) ist gut etabliert und überprüft. In RCT-Studien haben folgende Therapien ihre Wirksamkeit bei Borderline-Störungen bis heute nachweisen können: mentalisierungsbasierte Therapie, dialektischbehaviorale Therapie, übertragungsfokussierte Therapie, schemafokussierte Therapie, psychodynamisch-supportive Therapie und Problemlösetherapie (STEPPS). Die mentalisierungsorientierte Therapie und auch die dynamisch-supportive Therapie sind mit Übertragungsdeutung zurückhaltend, ja sehen eher die Gefahr, dass durch Übertragungsdeutungen ungünstige therapeutische (emotionale) Reaktionen ausgelöst werden. Alle psychodynamischen Therapien (auch die DBT) teilen jedoch das therapeutische Ziel der Affekt- und Impulskontrolle und zielen darauf, dieses durch Erkennen, Klären und die therapeutische Beziehung zu erreichen. Der Patient erhält durch Selbstbeobachtung die Fähigkeit, Affekte/Objektanteile besser zu erkennen und zu steuern. Alle therapeutischen Ansätze schaffen damit konzeptuelle Rahmenbedingungen, die es den Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung ermöglichen, das innere Chaos zu ordnen, um Sinn und Struktur zu geben. Die gute therapeutische Allianz (und bei Borderline-Patienten eben das Erreichen derselben) ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Therapie. Die mentalisierungsbasierte Therapie zielt aufbauend auf entwicklungspsychologischen Erkenntnissen darauf ab, eine intensive Arbeitsbeziehung aufzubauen, um den Patienten in den Prozess des Erkennens mentaler Zustände einzubinden, um damit kohärente Repräsentanzen und Gefühle und Gedanken zu entwickeln, sodass der Patient in der Lage ist, sich als klar fühlend und handelnd auch im Zusammenhang von starken interpersonellen Bindungen und Gefühlen zu erleben. Ursprünglich in einem teilstationären Setting an randomisiert kontrollierten Untersuchungen über eine Katamnese von bisher acht Jahren nachverfolgt, erschien 2009 eine RCT zur ambulanten MBT-Behandlung im Vergleich zu einem strukturierten Clinical Management (Bateman u. Fonagy 2009). Beide Behandlungsbedingungen verbesserten Borderline-Patienten. Die MBT-Behandlung zeigte einen deutlich höheren Behandlungsgewinn. 1993 führte Linehan die dialektisch-behaviorale Behandlung ein; im Mittelpunkt steht die Selbstbeschädigung und die Suizidalität des Borderline-Patienten. Verdienstvolle Schwerpunkte dieser Therapie sind die Aufteilung in Einzel- und Gruppentherapie mit einer klaren Vereinbarung von Behandlungszielen, die Betonung der Validierung und des Skill-Trainings sowie der Hier-und-Jetzt-Interventionen. Die dialektisch-behaviorale Therapie gehört zu der am besten empirisch untersuchten Behandlung bei Borderline-Patienten, beginnend mit der ersten Studie von Linehan 1991. In fünf Studien konnte die Überlegenheit von DBT gegenüber TAU (treatment as usual) gezeigt werden. Im Vergleich zur übertragungsfokussierten Therapie (TFP) zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden therapeutischen Verfahren.

434 G. Schüßler In der neuesten Studie (McMain et al. 2009) wurden 180 Patienten randomisiertkontrolliert mit DBT oder psychiatrisch-psychodynamischer Management-Therapie behandelt. Dieser psychodynamische Ansatz baut auf den APA-Leitlinien von Gunderson auf. Die DBT umfasst eine einwöchentliche Einzelsitzung und eine wöchentliche zweistündige Skills-Gruppe sowie telefonisches Coaching im Umfang von bis zu zwei Stunden wöchentlich. Die allgemeine psychodynamisch-psychiatrische Management-Therapie bestand aus einer wöchentlichen Sitzung inklusive Medikationsverabreichung. Die Dosis der Einzelsitzungen unterschied sich mit 31 beziehungsweise 32 Sitzungen nicht, während die Patienten mit DBT natürlich noch die Gruppen und Telefonkontakte erhielten. Die Ergebnisse zeigen ein übereinstimmendes positives Ansprechen auf beide therapeutische Methoden! Die übertragungsfokussierte Therapie wurde in zwei randomisiert kontrollierten Studien überprüft. In einer Einjahresuntersuchung wurden TFP, DBT und die psychodynamisch-supportive Therapie verglichen, alle drei Gruppen zeigten ein signifikant positives Behandlungsergebnis (siehe oben). In einer holländischen Studie (van Asselt 2008) wurden schemafokussierte Therapie (SFT) und übertragungsfokussierte Therapie (TFP) bei 44 beziehungsweise 42 Patienten über drei Jahre verglichen. Beide Therapien waren wirksam. Im dritten Behandlungsjahr zeigten mehr SFT-Patienten eine klinisch reliable Verbesserung; weiterhin verblieben mehr SFT- Patienten in der Behandlung und zeigten dadurch eine höhere Kosten-Nutzen-Wirksamkeit. In der Studie von Doering et al. (2010) wurde TFP (n = 43) mit allgemeiner Psychotherapie (überwiegend psychoanalytisch orientiert, n = 19 und Verhaltenstherapie, n = 18) verglichen. Die TFP-Gruppe erhielt innerhalb eines Jahres 48, die allgemeine Psychotherapiegruppe 18 Einzelsitzungen; diejenigen, die die Behandlung abschlossen, erhielten 72 TFP-Sitzungen versus 39 allgemeine Psychotherapiesitzungen. Beide Gruppen verbesserten sich in den wesentlichen Bereichen Angst und Depression signifikant, die TFP-Gruppe im Bereich der allgemeinen Psychopathologie. Anschr. d. Verf.: Prof. Dr. med. Gerhard Schüßler, Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie, Schöpfstraße 23a, A-6020 Innsbruck.