Das pragmatische Element in Meads Argumentation für eine gesellschaftliche Interpretation des Geistes

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Transkript:

Das pragmatische Element in Meads Argumentation für eine gesellschaftliche Interpretation des Geistes Fabian Hundertmark Matrikel-Nummer: 1769284 9. Oktober 2007 Inhaltsverzeichnis 1 Was werde ich tun? 1 2 Das Problem 2 3 Meads Lösungsvorschlag 2 4 Evolutionstheorie 3 5 Bezug zur Evolutionstheorie 3 5.1 Die Funktion des Geistes.................................. 4 5.2 Gesellschaften ohne Geist................................. 5 6 Pragmatismus 5 7 Pragmatismus durch Bezug auf Evolutionstheorie 6 8 Fazit 6 9 Quellen 6 1 Was werde ich tun? In folgendem Essay werde ich mich mit dem Text Gegenüberstellung von individualistischen und gesellschaftlichen Theorien der Identität von George Herbert Mead beschäftigen. Zu diesem Zweck werde ich kurz das Problem darstellen, welches Mead in seinem Text behandelt. Dann werde ich die Evolutionstheorie erörtern und zeigen, inwiefern sich Meads Theorie auf diese bezieht. Es folgt eine kurze Darstellung des Pragmatismus und eine Antwort auf die Frage, ob Meads Theorie alleine wegen ihres Bezugs auf die Evolutionstheorie pragmatisch genannt werden kann. 1

2 Das Problem Mead zeigt prinzipiell zwei verschiedene Möglichkeiten auf, die Beziehung zwischen dem Geist bzw. der Identität des Einzelnen und dem gesellschaftlichen Prozess zu verstehen. Die eine Möglichkeit sieht das Individuum als Vorraussetzung für die Gesellschaft an. Sie steht im Gegensatz zu einer anderen Theorie, nach der die Gesellschaft die logische/biologische Vorraussetzung für das Individuum ist. 1 Ist das Individuum die Vorraussetzung für die Gesellschaft, bleibt zu klären, warum die einzelnen Personen eine Gesellschaft gründen. Ein möglicher Ansatz wäre hier die Vertragstheorie, wie sie beispielsweise im Leviathan von Thomas Hobbes vertreten wird. Ist aber die Gesellschaft die Vorraussetzung für den Geist, wäre eine Vertragstheorie völlig überflüssig. Stattdessen müsste erklärt werden, wie es in einer Gesellschaft dazu kommen kann, dass sich der individuelle Geist entwickelt. Da die Behauptungen, dass sowohl Geist Gesellschaft, als auch Gesellschaft Geist bedingt zusammengenommen zum Schluss führt, dass es beides nicht gibt, muss man sich für eine der beiden Thesen entscheiden oder annehmen, dass Geist und Gesellschaft in keinem Abhängigkeitsverhältnis stehen 3 Meads Lösungsvorschlag Mead behauptet, dass der Geist niemals hätte Ausdruck finden und überhaupt zur Existenz kommen können, gäbe es keine gesellschaftliche Umwelt 2. Er hält also die Gesellschaft für die Vorraussetzung der Identität. Geist und Identität - bzw. mind und self - werden von Mead gleichbedeutend benutzt. Er verteidigt eine funktionale Interpretation dieser Begriffe und wendet sich damit gegen dualistische Ansätze. 3 Des Weiteren sieht er den Sitz des Geistes nicht im Gehirn. Vielmehr vertritt er die These, dass der Bereich des jeweiligen individuellen Geistes [sich] ebensoweit ersteck[t] wie die gesellschaftliche Tätigkeit oder der Apparat der gesellschaftlichen Beziehungen. 4 Es wird also ein Externalismus vertreten, auf dessen spezielle Ausprägung ich aber nicht weiter eingehen werde, da dies vom eigentlichen Thema wegführen würde. Stattdessen werde ich zeigen, welche Gründe Mead anführt, um seine These zu stützen. Doch zunächst folgt eine Darstellung der Evolutionstheorie: 1 vgl. Mead, George Herbert: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005. S. 266f. 2 Ebd. S. 268 3 Auf Seite 4 werde ich weiter auf die Funktion des Geistes eingehen. 4 Ebd. 2

4 Evolutionstheorie Die Evolutionstheorie, die vor allem auf Charles Darwin zurückgeht, geht davon aus, dass sich alle Lebewesen aus primitiven, einzelligen Urtieren entwickelt haben. Diese Entwicklung läuft nicht, wie es beispielsweise Aristoteles und heutzutage die Intelligent Design Anhänger behaupten würden, auf ein Ziel hin. Stattdessen findet Entwicklung durch Mutation und natürliche Selektion statt. 5 Mutation Unter einer Mutation versteht man eine spontane, vererbliche Änderung des Erbguts. 6 Eine solche Änderung beeinflusst den Körper eines Lebewesens teilweise nur leicht, teilweise sehr stark. Da solche Varianten im Erbgut einer Spezies für das betreffende Wesen nicht immer vorteilhaft sind, funktioniert die Evolutionstheorie nur durch natürliche Selektion. natürliche Selektion Die natürliche Selektion sorgt dafür, dass sich die Lebewesen durchsetzen, die am besten an die herrschenden Umstände angepasst sind. So würde eine Gazelle in der Savanne, die durch eine Mutation ein verkümmertes Bein hat, vermutlich schnell von einem Raubtier gefressen werden, da sie nicht schnell genug fliehen kann. Eine Gazelle, die stärkere Beine hätte und somit schneller rennen könnte, wäre vor Raubtieren sicherer. Es ist also so, dass sich die Mutationen durchsetzen, die das Überleben und die Fortpflanzung fördern, während Lebewesen ohne diese Mutation, bei gleichbleibenden Umweltbedinungen, im Laufe der Zeit verdrängt werden. 5 Bezug zur Evolutionstheorie Während Gegner Meads Vertragstheorien anführen, um zu zeigen, wie sich Individuen zu einer Gesellschaft vereinen, kann Mead mit einer evolutionstheoretischen Begründung für die Gegenthese aufwarten: Geist entsteht nur, wenn der Einzelne in seine eigene Erfahrung als Objekt eintreten kann. 7 Dass sich aber eine solche Fähigkeit entwickelt und durchsetzt, ist jedoch nur in gesellschaftlichen Prozessen wahrscheinlich. Denn nur hier bestehen genug Wechselwirkungen durch Fortpflanzung oder Zusammenarbeit, und nur hier ist ein gedanklicher Positionswechsel in die Situation eines anderen Wesens sinnvoll. Wären die Menschen hingegen isoliert, wäre die Sicht auf das Selbst als Objekt aufgrund von fehlenden Wechselwirkungen schwierig und es bestünde zudem keine Notwendigkeit, einen solchen Positionswechsel zu vollziehen. Die Eigenschaft einen Geist zu haben trägt also in gesellschaftlichen Prozessen zum Erhalt dieser bei. Solche Prozesse bieten widerum einen evolutionären Vorteil, da die Menschen in ihnen kooperieren um gemeinschaftliche Ziele wie Überleben, Nachkommen zeugen und versorgen zu erreichen. Folglich bietet ein Geist einen evolutionären Vorteil, jedoch nur, wenn er in gesellschaftlichen Prozessen genutzt wird. 5 vgl. Armstrong, D. M.: The Mind-Body Problem. Boulder: Westview Press 1999. S. 108 6 vgl. Brockhaus in Text und Bild 2006. (Daraus der Artikel: Mutation) 7 vgl. Mead, George Herbert: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005. S. 270 3

5.1 Die Funktion des Geistes Personen, die sich in der geforderten Weise als Objekt und nicht nur als Subjekt sehen, haben im gesellschaftlichen Prozess beispielsweise den Vorteil, dass sie ihr eigenes Verhalten aus einer anderen Position und somit selbstreflektierter sehen können. Hier ein Beispiel: Es ist ein kalter Winter. Eine Gemeinschaft von Höhlenmenschen hungert schon seit Tagen. Einer der Jäger ist in den Wald gegangen um zu jagen und in der Tat fängt er einige kleine Hasen. Nun hat der Mensch zwei Möglichkeiten: 1. Er isst die Hasen selber und bringt der Gemeinschaft nichts mit. 2. Er geht zurück zur Gemeinschaft und teilt die Hasen mit dieser. Hat der Mensch einen Geist, kann er sich selbst aus der Position der anderen sehen und sein Verhalten kritisch beurteilen. Tut er dies und versetzt sich in die Mitglieder seiner Gemeinschaft, kommt er wahrscheinlich zu dem Schluss, dass diese sehr erfreut über die Hasen wären. Zudem könnte er eine soziale Belohnung, wie beispielsweise höheres Ansehen oder mehr Geschlechtspartner bei den Höhlenmenschen erwarten. Es ist wahrscheinlich, dass er in diesem Fall die Handlungsoption zwei wählt. In diesem Fall ist er zwar selbst nicht komplett gesättigt, dafür hat die gesamte Gemeinschaft eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit. Hat er keinen Geist, sind seine Entscheidungsgrundlagen auf das subjektive Empfinden beschränkt und unreflektiert. Er würde in diesem Fall seinen eigenen Hunger spüren und sich für die erste Möglichkeit entscheiden. Tut er dies, ist er zwar selbst satt und kommt vielleicht auch alleine durch den Winter. Dafür ist aber, aufgrund mangelnder Nahrung, die Überlebenswahrscheinlichkeit der anderen Höhlenmenschen relativ gering, sodass der Höhlenmensch den nächsten Winter nicht alleine überlebt. Tut er es doch, so ist zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass er sich fortpflanzen kann, um seine Gene weiter zu verbreiten, sehr gering, da er keine Partnerin findet. Auch wenn das vorliegende Beispiel nur mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet, ist anzunehmen, dass sich ein solcher Geist aufgrund vieler solcher Effekte am Ende durchgesetzt hat. Der Geist, wie er von Mead beschrieben wird, bietet also einen evolutionären Vorteil für das Überleben der Gemeinschaft. Dieser Vorteil ist die Funktion, die der Geist erfüllt. Einem Einzelgänger bietet diese Funktion keine Vorteile und von daher ist es unwahrscheinlich, dass sie sich durchgesetzt hätte. Geht man von einer Schöpfung durch einen allmächtigen Gott aus, wäre im Gegensatz zu einer evolutionären Konzeption des Geistes und der Gesellschaft auch eine gleichzeitige Erschaffung von Identität und Gesellschaft möglich. Es wäre in diesem Fall nicht zu entscheiden, welches von beiden vom anderen vorausgesetzt wird, da sich auch beide gegenseitig bedingen könnten. 4

Es lässt sich also sagen, dass Meads These die Evolutionstheorie voraussetzt und beispielsweise mit einer kreationistischen Sicht der Dinge nicht zusammenpasst. 8 5.2 Gesellschaften ohne Geist Eine weitere Begründung für seine These, dass Gesellschaft die Voraussetzung für Geist ist, liefert Mead mit dem Hinweis auf Bienen, Ameisen und andere Tiere, die anscheinend auf einer rein instinktiven und von Reflexen bestimmten Grundlage funktionieren und nicht im geringsten die Existenz von Geist oder Bewußtsein in den einzelnen Organismen voraussetzen. 9 Auch in dieser These wird implizit Bezug auf die Evolutionstheorie genommen: Ein entscheidender Unterschied zwischen der Evolutionstheorie und kreationistischen Erklärungen besteht darin, dass die Evolutionstheorie davon ausgeht, dass alle Arten verwandt sind. Ohne eine solche Verwandtschaft wäre aber ein Vergleich zwischen Insekten und Menschen nicht angebracht. Denn in einer möglichen Schöpfung könnte Gott die Bienen, Ameisen etc. so geschaffen haben, dass sie Gesellschaften bilden können, auch ohne einzeln einen Geist zu besitzen. Dies würde noch lange nicht heißen, dass ähnliches auch für Menschen gilt. Die Möglichkeit, dass ab einer bestimmten Stufe der Entwicklung plötzlich die Gesellschaft vom bisher unnötigen Faktor Geist abhängen könnte schließt Mead aus, da dies kaum sinnvoll 10 sei. Auch hier wird offensichtlich Bezug auf die Evolutionstheorie genommen. Nun da ich gezeigt habe, dass Meads Theorie ohne die Annahme der biologischen Evolution nicht auskommt, werde ich der Frage nachgehen, ob dies seine Theorie schon zu einer pragmatischen macht. Zu diesem Zweck werde ich kurz darstellen, was man unter Pragmatismus versteht. 6 Pragmatismus Charles Sander Peirce, der als Begründer des Pragmatismus gilt, formuliert die pragmatische Maxime folgendermaßen: Consider what effects, which might conceivably have practical bearings, we conceive the object of our conception to have. 11 Es sollen also nur die möglichen praktischen Effekte betrachtet werden, die das betrachtete Objekt hat. Das Wort Pragmatismus leitet sich von dem griechischen pragma ab, was sich mit Handlung übersetzen lässt. Der Pragmatismus ist also ein handlungsorientierter Ansatz in der Erkentnisstheorie. Dementsprechend lässt sich die These des Pragmatismus auch wie folgt ausdrücken: Wahr ist, was nützlich ist. Nun werde ich zeigen, wie der evolutionstheoretische Ansatz Meads Theorie zu einer pragmatischen macht. 8 Unter Kreationismus versteht man den Glauben an die Biblische Schöpfungsgeschichte. 9 Ebd. S. 269 10 Ebd. 11 Peirce, Charles Sanders: How to Make Our Ideas Clear, Artikel in: Pragmatism : a reader, hg. von Louis Menand, New York : Vintage Books 1997. S. 36 5

7 Pragmatismus durch Bezug auf Evolutionstheorie Betrachtet man den Geist aus evolutionstheoretischer Sicht, vertritt man einen evolutionären Funktionalismus. Das heißt, dass nur die Effekte des Geistes betrachtet werden, die in der Evolution Vorteile bringen können. Solche Effekte sind notwendigerweise praktischer Natur. Diese Sicht der Dinge steht in deutlichem Widerspruch zu einem Epiphänomenalismus, wie er beispielsweise von T.H. Huxley vertreten wird. Dieser nimmt an, dass das Bewußtsein eines Wesens nur eine Begleiterscheinung der Vorgänge im Gehirn ist. In dieser Konzeption wird dem Bewußtsein also keine Funktion zugeordnet, da es keine Möglichkeit hat, die physikalische Welt zu beeinflussen. 12 Aus evolutionstheoretischer Sicht sind solche Epiphänomene von Gehirnvorgängen sinnlose Zusatzannahmen, da die Gehirnvorgänge ohne sie die gleiche Funktion erfüllen würden. Wie man sieht, ist ein Funktionalismus, wie ihn Mead durch seinen evolutionstheoretischen Ansatz impliziert, geradezu ein Musterbeispiel für die Anwendung der pragmatischen Maxime, da nur betrachtet wird, welche Funktionen des Geistes evolutionäre Vorteile bringen. 8 Fazit Die Begründung Meads für seine These, dass der Geist Gesellschaft voraussetzt und nicht umgekehrt, bezieht sich stark auf die Evolutionstheorie. Diese wiederum impliziert einen evolutionären Funktionalismus, welcher notwendigerweise pragmatisch ist. Meads These kann also allein durch ihren Bezug auf die Evolutionstheorie als pragmatisch eingestuft werden. 9 Quellen Armstrong, D. M.: The Mind-Body Problem. Boulder: Westview Press 1999. Beckermann, Ansgar. Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. 2. Auflage. De Gruyter, Berlin 2001. Brockhaus in Text und Bild 2006. (Daraus der Artikel: Mutation) Mead, George Herbert: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005. Peirce, Charles Sanders: How to Make Our Ideas Clear, Artikel in: Pragmatism: a reader, hg. von Louis Menand, New York: Vintage Books 1997. 12 vgl. Beckermann, Ansgar. Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes. 2. Auflage. De Gruyter, Berlin 2001. S. 46f. 6