Vergaberechtsmodernisierung aus deutscher Sicht Hamburger Vergabetag Dr. Thomas Solbach Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Handelskammer Hamburg, 31. Januar 2014 1
Richtlinienpaket zur EU-Vergaberechtsmodernisierung Richtlinienpaket umfasst: klassische Auftragsvergabe (Modernisierung RL 2004/18/EG) Sektorenauftragsvergabe (Modernisierung RL 2004/17/EG) Vergabe von Konzessionen (Neu!) Nicht betroffen sind: Vergaben im Bereich Verteidigung und Sicherheit (RL 2009/81/EG) Rechtsmittelrichtlinien (Änderung zuletzt RL 2007/66 EG) Größte Reform des EU-Vergaberechts seit 2004 2
EU-Vergaberechtsmodernisierung: Zeitplan 20.12.2011 Vorschlag der EU-Kommission zu Richtlinienpaket 10.12.2012 Rat beschließt allgemeine Ausrichtung und erteilt Mandat für Verhandlungen mit EP und KOM (Trilog) März 2013 Beginn des informellen Triloges zwischen EP, Rat und KOM 25.6.2013 Einigung im Trilog-Verfahren zwischen EP, Rat und KOM 15.2.2014 Formale Verabschiedung durch EP Vsl. Februar 2014 Verabschiedung durch Rat vsl. März 2014 Inkrafttreten der Richtlinien vsl. Februar 2016 Umsetzung der Richtlinien ins nationale Recht 3
Klassische Richtlinie: Ziele Einfachere und flexiblere Vergabeverfahren (Verfahrenseffizienz) Mehr Rechtssicherheit (Kodifizierung der EuGH-Rechtsprechung) Möglichkeit zur stärkeren Berücksichtigung strategischer Ziele bei öffentlichen Vergaben Besserer Zugang von KMU zu öffentlichen Aufträgen Governance (Monitoring und Statistik) Zielkonflikte sind vorprogrammiert! 4
Ziel: einfachere und flexiblere Verfahren (1) Stärkung des Verhandlungsverfahrens (Art. 26) Elektronische Vergabe (Art. 22) Verbindliche Einführung der elektronischen Kommunikation Längere Umsetzungsfrist (54 Monate; zentrale Beschaffungsstellen 36 Monate) Aufbrechen der Prüfungsreihenfolge von Eignungs- und Zuschlagskriterien (Art. 56 Abs. 2) Gilt nur für offene Verfahren Umsetzung fakultativ Berücksichtigung von Organisation und Qualität der mit der Ausführung beauftragten Mitarbeiter als Zuschlagskriterium (Art. 67 Abs. 2) 5
Ziel: einfachere und flexiblere Verfahren (2) Stärkung von subzentralen Auftraggebern (Art. 26 Abs. 5 i.v.m. Art. 48 Abs. 2) Vorinformation als Aufruf zum Wettbewerb bei nicht offenem Verfahren und Verhandlungsverfahren Sonderregime für soziale und besondere Dienstleistungen (Art. 74 ff.) Neu: Einheitliche Europäische Eigenerklärung, Art. 59) Ersetzt ursprünglich von EP geforderten Europäischen Vergabepass Idee: EEE ersetzt zunächst Eignungsnachweise durch Eigenerklärung. KOM soll Formular entwickeln mit Inhalt: kein Vorliegen von Ausschlussgründen Eignungsvoraussetzungen werden erfüllt Versicherung, Dokumente vor Zuschlagserteilung unverzüglich vorzulegen Auftraggeber müssen EEE akzeptieren (obligatorisch) 6
Ziel Rechtssicherheit (1) Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit Erstmals Kodifizierung der EuGH-Rechtsprechung (Art. 12) Inhouse-Vergabe Kontrolle wie über eigene Dienststellen (s. EuGH Teckal ), Wesentlichkeitskriterium: mehr als 80 % Umsatz für öag und keine direkte private Beteiligung an der kontrollierten Einrichtung (Ausnahme, wenn private Beteiligung gesetzlich gefordert). Interkommunale Kooperation (horizontale Zusammenarbeit) Vertrag zwischen öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt eine Zusammenarbeit mit dem Ziel, dass öffentliche Dienstleistungen zur Erreichung gemeinsamer Ziele erbracht werden, Durchführung dieser Zusammenarbeit ausschließlich bestimmt durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse und beteiligte öffentliche Auftraggeber führen auf dem offenen Markt weniger als 20% der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten aus. 7
Ziel Rechtssicherheit (2) erlaubte Vertragsänderungen Erstmals umfassende Regelungen zu erlaubten Vertragsänderungen ohne erneute Ausschreibung (Art. 72) Mehr Flexibilität für Auftraggeber Neue Ausschreibung nur bei wesentlichen Änderungen erforderlich (z.b. Änderung Bewerberkreis, Umfang des Auftrags) De-Minimis-Regel: keine erneute Ausschreibung, wenn Änderung unterhalb des allgemeinen Schwellenwertes ist und max. 10 % des ursprünglichen Auftragswertes bei Dienstleistungen und Lieferungen (15 % bei Bauleistungen) Keine wesentliche Änderung z.b. bei klaren, präzisen und eindeutigen Vertragsklauseln (keine Obergrenze) unvorhergesehenen Ereignissen (max. 50% des Auftragswertes) zusätzlichen Arbeiten: Auftragnehmerwechsel bringt erhebliche Nachteile oder Mehrkosten mit sich (max. 50% des Auftragswertes) 8
Ziel: Berücksichtigung strategischer Ziele Art. 18 Abs. 2: MS sollen angemessene Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass bei Ausführung der öffentlichen Aufträge die sozialen, arbeits- und umweltrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden [Zentrale Forderung des EP] Kontrolle erfolgt an verschiedenen Stellen im Vergabeverfahren Auswahl der Teilnehmer (Art. 56 Abs. 1) Ausschlussgründe (Art 57 Abs. 4 lit.a) Bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten (Art. 69 Abs. 2) Überprüfung über Vertragsbedingungen Wichtig: soziale, arbeits- und umweltrechtliche Vorgaben müssen mit EU- Recht vereinbar sein (insb. Arbeitnehmerentsende-RL) 9
Ziel: Besserer Zugang von KMU zu öffentlichen Aufträgen Stärkung der Losvergabe (Art. 46) Aufteilung in Lose weiterhin fakultativ, aber nun Begründungspflicht, wenn keine Aufteilung in Lose erfolgt Entscheidung über Losaufteilung nicht justiziabel MS können über Anforderungen in RL hinausgehen Vorgaben weniger weitreichend als in DEU Direkte Bezahlung von Unterauftragnehmern (optional für MS) Erleichterte Informationspflichten (z.b. Einheitliche Europäische Eigenerklärung) Eignungskriterien Anforderungen an Mindestjahresumsatz werden auf das Zweifache des Auftragswertes beschränkt Ausnahmen bei besonderem Risiko 10
Klassische Richtlinie: Verfahrensarten Verfahrensarten Offenes Verfahren Nicht offenes Verfahren In RL gleichrangige Verfahren! Verhandlungsverfahren mit/ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb Wettbewerblicher Dialog (Art. 30) NEU: Innovationspartnerschaft (Art. 31) Alle Verfahren sind zwingend umzusetzen (anders KOM-Entwurf) Kürzere Fristen innerhalb Vergabeverfahren Offenes Verfahren: Mindestfrist für Angebotsabgabe 35 Tage (derzeit 52 Tage). Übrige Verfahren: Mindestfrist für Teilnehmerantrag 30 Tage (derzeit 37 Tage). Bei Vorinformation Kürzung auf 10 Tage möglich. Bei Elektronischer Vergabe Kürzung um weitere 5 Tage möglich. 11
Klassische RL: Ausnahmen vom Anwendungsbereich (insbes. Art. 10) Neu: Bestimmte juristische Dienstleistungen (bislang B-Dienstleistungen) Neu: Zivil- und Katastrophenschutz Erbringung durch gemeinnützige Organisation Vorliegen bestimmter CPV-Codes Insb. auch Rettungsdienstleistungen mit Ausnahme reiner Krankentransporte Übrige Fälle fallen unter das Sonderregime auch Kredite (entgegen KOM-Vorschlag) 12
Neu: Sonderregime für soziale und andere spezifische DL Wegfall der Unterscheidung zwischen A- und B-Dienstleistungen Einführung eines Sonderregimes für soziale und sonstige Dienstleistungen (Art. 74 ff.) Besonderheit: Vorabbekanntmachung Schwellenwert: EUR 750.000 Vereinfachtes Vergabeverfahren Umfasste Dienstleistungen sind in Anhang XIV gelistet Unterscheidung Ausnahmen, Art. 10 Sonderregime Normales Vergabeverfahren 13
Eignungskriterien Ausschlussgründe (Art. 57) Fakultative/obligatorische Ausschlussgründe Obligatorisch: u.a. Korruption, Geldwäsche, Betrug, Menschenhandel Nicht-Bezahlen von Sozialbeiträgen Fakultativ: Verletzung der Vorgaben in Art. 18 Abs. 2 Fakultativ: u.a. Insolvenz, schweres berufliches Fehlverhalten, Fehlverhalten in Vergabeverfahren, Absprachen etc. Neu: Erstmals Vorgaben zur Selbstreinigung Heilungsmöglichkeiten von Ausschlussgründen Voraussetzungen für Ausschlüsse (z.b. Dauer) und Anforderungen an Selbstreinigungsmaßnahmen sind festzulegen Umsetzung obligatorisch (Einführung eines nationales Korruptionsregisters?) 14
Klassische RL: Zuschlagskriterien Wirtschaftlich günstigstes Angebot als Oberbegriff ( Art. 67) Preis-Leistungs-Verhältnis Niedrigste Kosten oder niedrigster Preis Fakultativ: Unterkriterien zu Qualitäts-, Umweltund/oder sozialen Aspekten (auch Qualifizierung/ Erfahrung Personal) Preis oder Kosten müssen berücksichtigt werden Auch isoliert anwendbar (Einschränkung möglich) Verbindung zum Auftragsgegenstand erforderlich Aufhebung der strikten Trennung zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien Bei Kosten: Lebenszykluskosten (Art. 68) 15
Klassische Richtlinie Unterauftragsvergabe (Art. 71) Neu in Vergabe-RL (zentrale Forderung des EP) Idee: Unterauftragnehmer strenger kontrollieren (z. B. zu Art. 18 Abs. 2) Kritik: richtiges Anliegen, aber Vergaberecht ist falscher Ort (Vertragsrecht) Umsetzung größtenteils nur fakultativ. Ausnahme: Transparenz der Unterauftragnehmer bei Bauaufträgen sowie bei DLen, die direkt bei Auftraggeber erbracht werden. Governance (Art. 83 ff.) Monitoring-Vorgaben für Mitgliedstaaten Alle drei Jahre Monitoring-Bericht des MS Statistikanforderungen insb. auch für Unterschwellenbereich! 16
Konzessionsrichtlinie Kernziele Besser Zugang zu Konzessionsmärkten für Wettbewerber aus anderen MS Rechtsschutz Wesentliche Regelungen: Definition (Dienstleistungs-)Konzession und wirtschaftliches Risiko EU-weite Veröffentlichungspflicht bei Konzessionen ab 5 Mio. Euro Kein spezifisches Vergabeverfahren, aber Einhaltung gewisser Verfahrensgarantien Rechtsschutz 17
Konzessionsrichtlinie - Anwendungsbereich Bau- und Dienstleistungskonzessionen klassische Konzessionsvergaben und solche im Sektorenbereich Explizite Ausnahmen u.a.: Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit Erwerb / Pacht von Grundstücken Öffentliche Personenverkehrsdienste VO Nr. 1370/2007 Luftverkehrsdienste VO Nr. 1008/2008 Bereichsausnahme für Wasser 18
Konzessionsrichtlinie Auswahlkriterien weniger restriktiv als bei öffentlichen Aufträgen betreffen die wirtschaftliche, finanzielle und technische Leistungsfähigkeit der Bieter müssen mit dem Vertragsgegenstand im Zusammenhang stehen Zuschlagskriterien Ziel: Willkür ausschließen objektiv, transparent und nicht-diskriminierend vorab zu veröffentlichen zu gewichten im Zusammenhang mit Vertragsgegenstand 19
Umsetzung Umsetzungsfrist nur zwei Jahre Größtes vergaberechtliches Gesetzgebungsverfahren der letzten 10 Jahre Offene Fragen, zum Beispiel : RLen geben teils detaillierte Vorgaben, lassen aber auch in bestimmten Bereichen Spielräume bei der Umsetzung Umsetzung der neuen Konzessions-RL? Welche zusätzlichen Regelungen brauchen wir? Korruptionsregister? Statistik Wo soll umgesetzt werden? Gesetz, VO, Vergabe- und Vertragsordnungen? 20
Zur Erinnerung: Struktur im Oberschwellenbereich EU-Recht Allgemeine Vergabe- Richtlinie RL 2004/17 Sektoren- Richtlinie RL 2004/18 Verteidigung und Sicherheit RL 2009/81 Anforderungen des EU-Primärrechts GWB, Vierter Teil, 97 ff. 97 Abs. 6 & 127 GWB Landesvergabegesetze gemäß 97 Abs. 4 GWB Vergabeverordnung, VgV Sektoren ve rordnung (SektVO) VSVgV Verteidigung und Sicherheit VOL/ A VOF VOB/ A VSVGV VOB-VS 21
Herzlichen Dank! thomas.solbach@bmwi.bund.de 22