Vergaberechtsreform - 10 wesentliche Änderungen
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- Beate Michel
- vor 6 Jahren
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1 Vergaberechtsreform - 10 wesentliche Änderungen Was das neue Vergaberecht für Ihre Praxis bedeutet. Executive Summary > Umbruch in der Regelungsstruktur > Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit > Erleichterungen bei Verfahrensarten > Verkürzte Fristen > Erweiterte Bekanntmachungspflichten > Einheitliche Europäische Eigenerklärung > Nachfordern von Unterlagen > Vertragsänderungen bleibt erhalten. Dies ist wohl auf die starke Baulobby zurückzuführen, die erfolgreich gegen die Abschaffung der VOB/A plädiert hat. Im Ergebnis bedeutet dies, dass für Lieferungen und Dienstleistungen eine abschließende Regelung auf der Gesetzesebene in GWB und VgV erfolgt. Für Bauleistungen wird darüber hinaus die VOB/A in einer neuen Fassung gelten. GWB, VgV und VOB/A werden komplett neu strukturiert und mit Inhalt gefüllt. Ab gilt in Deutschland ein neues Vergaberecht. Es setzt die in 2014 verabschiedeten neuen europäischen Vergaberechtsrichtlinien um. Welche Änderungen erwarten die Praxis? Umbruch in der Regelungsstruktur Die wohl wesentlichste Änderung im deutschen Vergaberecht ist der Umbruch in der Regelungsstruktur. Nach geltendem Recht sind die Regelungen zu europaweiten Ausschreibungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verankert, welches auf die Vergabeverordnung (VgV) und diese wiederum auf die VOL/A, VOF und VOB/A verweist. Bei dieser sogenannten Kaskade handelt es sich übrigens um ein rein deutsches Phänomen, das historisch bedingt ist und im europäischen Recht so gar nicht vorgesehen ist. Dementsprechend wird über Sinn und Unsinn der Kaskade schon immer gestritten. Umso überraschender ist die Lösung, die der deutsche Gesetzgeber im Zuge der Vergaberechtsreform gewählt hat. Danach wird die Kaskade aufgehoben, allerdings nur teilweise. Der für europaweite Ausschreibungen geltende Teil der VOL/A und die VOF entfallen. Lediglich die VOB/A Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit Erstmals werden im GWB Regelungen zur Inhousevergabe und zur interkommunalen Zusammenarbeit kodifiziert. Damit wird die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgesetzt und konkretisiert. Danach liegt eine vergaberechtsfreie Inhousevergabe vor, wenn der öffentliche Auftraggeber über den Auftragnehmer eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausübt, der Auftragnehmer mit mehr als 80 % seiner Tätigkeiten der Ausführung von Aufgaben für den Auftraggeber dient und am Auftragnehmer keine direkte private Kapitalbeteiligung besteht. Begrüßenswert ist insoweit die Klarstellung, dass Vergaben unter Schwesterunternehmen oder der Fall der umgekehrten Inhousevergabe (Tochter an Mutter) ebenfalls vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen werden. Interkommunale Kooperationen unterliegen nicht dem Vergaberecht, wenn die Beauftragung zwischen öffentlichen Auftraggebern zur Erreichung gemeinsamer Ziele erfolgt, die Zusammenarbeit ausschließlich von Erwägungen des öffentlichen Interesses bestimmt wird und die öffentlichen 1
2 Auftraggeber von den betroffenen Tätigkeiten weniger als 20 % auf dem Markt erbringen. Verfahrensarten Bei den Verfahrensarten stehen grundsätzliche Änderungen an, insbesondere was deren Anwendungsbereich anbelangt. Lose Es bleibt bei der bisherigen deutschen Regelung, dass die auszuschreibende Leistung grundsätzlich zwingend in Lose zu unterteilen ist. Eine Gesamtvergabe darf nur ausnahmsweise erfolgen, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Die europäische Vergaberichtlinie ist an dieser Stelle zwar weniger streng, erlaubt aber ausdrücklich strengere Regelungen. Fristen Dankenswerterweise sieht die Vergaberechtsreform eine Verkürzung vieler der in den Verfahren geltenden Fristen vor. Beim offenen Verfahren wird die Angebotsfrist von 52 auf 35 Tage herabgesetzt. Neu im deutschen Recht ist ein Wahlrecht des Auftraggebers zwischen offenem und nicht offenem Verfahren vorgesehen. Die bisherige Regelung, wonach das offene Verfahren vorrangig anzuwenden und das nicht offene Verfahren an bestimmte Anwendungsvoraussetzungen gebunden ist, entfällt. Eine erheblich erleichterte Anwendung sieht die Vergaberechtsreform für das Verhandlungsverfahren und den wettbewerblichen Dialog vor. Ihre Anwendungsvoraussetzungen werden insgesamt neu definiert. Sie sind in Zukunft für beide Verfahrensarten identisch. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Verhandlungsverfahren und wettbewerblicher Dialog unter anderem anwendbar sein werden, wenn der Auftrag objektiv nicht ohne vorherige Verhandlungen vergeben werden kann. Zudem legt der Entwurf der Vergabeverordnung als neue Verfahrensanforderung fest, dass die Bieter bereits in der ersten Verhandlungsrunde Erstangebote einreichen müssen. Eine Aufforderung zur Verhandlung, wie sie die VOF bislang vorsah, soll damit unzulässig sein. Als neue Verfahrensart wird schließlich die Innovationspartnerschaft eingeführt. Sie soll der Entwicklung und dem späteren Erwerb innovativer, bisher nicht auf dem Markt verfügbarer Leistungen dienen. Beim nicht offenen Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialog und der Innovationspartnerschaft gilt für Teilnahmeanträge in Zukunft eine Frist von 30 statt zuvor 37 Tagen. Im nicht offenen und im Verhandlungsverfahren beträgt die Angebotsfrist zukünftig 30 Tage; sie hatte zuvor beim nicht offenen Verfahren 40 Tage betragen. Beim Verhandlungsverfahren tritt insofern eine Verschlechterung ein, als es die in Zukunft geltende Frist für den Eingang der Erstangebote von 30 Tagen zuvor nicht gab. Wichtig ist noch der Hinweis, dass es die derzeit geltenden Verkürzungen der Fristen um 7 Tage für elektronische Bekanntmachungen und um 5 Tage bei elektronischer Verfügbarkeit der Unterlagen in Zukunft nicht mehr geben wird. Stattdessen bietet der Entwurf der Vergabeverordnung eine Verkürzung der Angebotsfrist um 5 Tage an, wenn die Angebote elektronisch übermittelt werden können. Bekanntmachung Neu ist die Regelung, wonach die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt mit der Auftragsbekanntmachung zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Pflicht zur Veröffentlichung beinhaltet ausweislich der Gesetzesbegründung alle 2
3 Angaben, die erforderlich sind, um interessierten Unternehmen eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen. Die Reichweite dieser Regelung ist noch unklar und wird durch die Rechtsprechung auszuformen sein. Das EEE-Formular wurde von der EU-Kommission erarbeitet. Die Inhalte sind im Einzelnen sehr umstritten. Die Unterlagen müssen im Internet abrufbar sein. Eine vorherige Registrierung ist seitens des Gesetzgebers ausdrücklich nicht gewollt. Das bedeutet, dass jeder die Vergabeunterlagen anonym abrufen kann. Diese Neuregelung wirft Probleme bei der Übermittlung von Bieterinformationen auf. Hier sieht der Gesetzgeber die Bieter in der Pflicht, sich zu informieren; die Auftraggeber müssen jedoch nicht dafür sorgen, dass [Änderungen] tatsächlich zur Kenntnis genommen werden. Eignung Hinsichtlich der Eignungsprüfung bringt die Vergaberechtsreform diverse Erleichterungen für Unternehmen. So darf zum Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Mindestjahresumsatz des Unternehmens maximal noch der zweifache Auftragswert angesetzt werden. Zudem wird hinsichtlich Eignungsmängeln aus der Vergangenheit erstmals eine Regelung zur Selbstreinigung kodifiziert. Danach können Unternehmen durch bestimmte Maßnahmen erreichen, dass sie trotz des Vorliegens eines Ausschlussgrundes nicht von künftigen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Darüber hinaus führt die Vergaberechtsreform einen Maximalzeitraum für Ausschlussgründe ein: Bei fakultativen Ausschlussgründen darf 3 Jahre nach dem Ereignis, bei zwingenden Ausschlussgründen 5 Jahre nach rechtskräftiger Verurteilung kein Ausschluss mehr vorgenommen werden. Eine weitere wesentliche Neuerung wird die einheitliche europäische Eigenerklärung (EEE) mit sich bringen. Hierbei handelt es sich um ein einheitliches Formular, in dem Ausschlussgründe und Eignungskriterien abgefragt werden. Dies soll Erleichterung für Bieter und Auftraggeber bringen. Der öffentliche Auftraggeber muss die EEE anerkennen. Der deutsche Gesetzgeber hat zugesichert, dass die EEE ergänzend zu den bestehenden Präqualifikationssystemen und dem ULV gelten soll. Nachfordern von Erklärungen und Unterlagen Beim Nachfordern von Erklärungen und Unterlagen bringt die Vergaberechtsreform im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen Änderungen mit sich. Derzeit gilt die deutsche Regelung, dass lediglich fehlende Erklärungen und Unterlagen nachgefordert werden können. Bei der Vergabe von Bauleistungen sind diese sogar zwingend nachzufordern. Bei der Auslegung dieser Regelung achtet die Rechtsprechung streng darauf, ob eine Erklärung oder Unterlage tatsächlich als fehlend im Sinne des Vergaberechts anzusehen ist. Nur in diesem Fall kann sie nachgefordert werden. Fehlen Erklärungen und Unterlagen hingegen nicht, sondern liegen fehlerhafte Erklärungen oder Unterlagen vor, dürfen diese nicht nachgefordert werden. Die Rechtsprechung hierzu ist äußerst kleinteilig und unübersichtlich. Für Bauleistungen bleibt die Regelung unverändert bestehen. Für Liefer- und Dienstleistungen hingegen trifft der deutsche Gesetzgeber eine Unterscheidung in unternehmensbezogene und leistungsbezogene Unterlagen. Danach können fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen nachgefordert, vervollständigt oder korrigiert werden. Fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen können nachgefordert oder vervollständigt werden. Neu ist also eine fakultative Nachforderung auch bei fehlerhaften Eignungsunterlagen; klargestellt wird, dass eine fakultative Nachforderung auch bei unvollständigen Angebotsunterlagen erfolgen kann. 3
4 Zuschlagkriterien Der Zuschlag hat nach wie vor auf das wirtschaftlichste Angebot, also das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis, zu erfolgen. Jedoch bleibt es auch zulässig, den Preis als alleiniges Wertungskriterium anzusetzen. Daneben wird die Wertung sozialer und ökologischer Kriterien ausdrücklich zugelassen, soweit ein Auftragsbezug besteht. Nach dem Lebenszyklusansatz können dabei auch der Produktionsprozess und die Entsorgung Berücksichtigung finden. Voraussetzung ist in all diesen Fällen, das bestimmte Wertgrenzen eingehalten werden. Fazit Ziel der europäischen Vergaberechtsreform ist die Vereinfachung und Entbürokratisierung des Vergaberechts. Festzustellen ist, dass durch einige Regelungen die Rechtssicherheit erhöht wird, wie beispielsweise die Kodifizierung der Vertragsänderungen. Allerdings bedeutet die deutsche Lösung der Kaskade und deren teilweise Aufhebung noch nicht absehbare Herausforderungen für die Praxis. Vertragsänderungen Die Vergaberichtlinie und in der Folge die deutschen Regelungen enthalten erstmals eine Regelung zu Vertragsänderungen, also Änderungen der vertraglich vereinbarten Leistung oder die Beauftragung zusätzlicher Leistungen nach Zuschlagserteilung. Dies ist enorm praxisrelevant. Nach dem GWB besteht bei wesentlichen Änderungen eine Pflicht zur Neuvergabe. Jedoch regelt der GWB-Entwurf ausdrücklich, wann eine Ausnahme von dieser Pflicht vorliegt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Auftragnehmerwechsel unverhältnismäßig schwierig ist, oder die Änderung unvorhersehbar ist und der Gesamtcharakter des Auftrags unverändert bleibt, oder eine Umstrukturierung beim Auftragnehmer geschieht, oder bis zu 10 % zusätzliche Liefer- bzw. Dienstleistungen beziehungsweise 15 % zusätzliche Bauleistungen vergeben werden sollen. Zusätzliche Dr. Jenny Mehlitz Rechtsanwältin Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht jenny.mehlitz@gsk.de Dr. Christian R. Schmidt Rechtsanwalt und Notar christian.schmidt@gsk.de Dr. Wolfgang Würfel Rechtsanwalt Fachanwalt für Verwaltungsrecht Standort München wolfgang.wuerfel@gsk.de Hendrik Stamm Rechtsanwalt hendrik.stamm@gsk.de 4
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