Hajo Zeeb, Steffen Müller. BIPS Institut für Epidemiologie und Präventionsforschung Bremen

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Transkript:

Hajo Zeeb, Steffen Müller BIPS Institut für Epidemiologie und Präventionsforschung Bremen

Überblick 2 Risikobegriffe in Medizin und Epidemiologie CT und Risiko Aktuelle Studien Krebsrisiko-Schätzungen infolge von CT-Untersuchungen Kinder-CT Studie - Deutschland Fazit

Risiko in der Medizin/Epidemiologie 3 Generell: Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt dass eine Person erkrankt, verstirbt Medizin: Inzidenz Relatives und absolutes Risiko Relatives Risiko (RR, ~ HR): Vergleich Inzidenz bei Exponierten mit Inzidenz bei Nicht Exponierten RR = 2 = doppelt hohe Inzidenz bei Exp vs. Nichtexp. 0,0002/0,0001 = 0,2/0,1 RR = 2 Absolutes Risiko (AR)): Inzidenz per 1.000, 10.000, 100.000 (per Zeitperiode und definierte Personengruppe) Nur AR sagt etwas über die echte Häufigkeit in der Bevölkerung

Strahlenepidemiologie 4 Oft Verwendung von ERR = Excess Relative Risk per Dosis (z.b. 1 Gy) EAR = Excess Absolute Risk per Dosis Z.B. zusätzliche Anzahl von Krebsfällen per 10.000 Personen, die mit 1 Gy exponiert wurden Zusätzliches Risiko über Baseline hinaus ERR = RR-1 RR = 4 ERR = 3 analog für EAR Werte variieren mit Alter, Geschlecht, anderen Faktoren Dosis, Alter bei Exposition sehr bedeutsam

CT und Risiko 5 CT und Tumorrisiko im Kindesalter Bekannt: Steigender Beitrag von CT zur Gesamt -Strahlenexposition durch medizinische Diagnostik Aber Wenige empirische Studien zu Risiken Schätzungen verfügbar

Bisherige Abschätzungen 6 Brenner et al., 2001 USA: jährlich ca. 600.000 CT bei Kindern u. Jugendlichen Bei Nutzung des linearen Modells und Risikoschätzern aus Hiroshima-Nagasaki (LSS): ca. 500 zusätzliche Tumoren in der Lebenszeit (=0,25%) Basishäufigkeit: ca. 200.000 Tumoren

Risikoabhängigkeit von Alter und Art des CT 7 Brenner et al, 2001

Aktuelle Studien Berrington et al. 8 57 Mio. CT-Untersuchungen in den USA in 2007 ausgewertet (Alter: 0-85 Jahre) Risikoschätzung: 29.000 zusätzliche geschätzte Krebsfälle durch CTs bzw. 14.500 Krebstodesfälle (50% Mortalität angenommen) Attributales Risiko: ca. 2% an allen 1.4 Mio jährlich diagnostizierten Krebsfälle in den USA

Verteilung prognostizierte Krebsfälle 9 Größere Anteile bei Frauen in allen Altersgruppen Zahl am größten in mittleren Altersgruppen 35-54 Jahre Siehe Abb. 2 im Originalpaper

Risikofaktoren - Untersuchungsregionen 10 Scantyp und Anteil Kopf 33% Brustraum 12% Abdomen 32% Ca. 50% der prognostizierten Krebsfälle assoziiert mit CT Abdomen/Becken (größere Dosis)

Methodische Limitationen/Probleme 11 Multi-Slice vs. Single Slice CTs (Dosisvariationen) Nutzung des linearen bzw. linear quadratischen Dosis- Wirkungsmodells angemessen? Sensitivitätsanalysen Krebsneuerkrankungen bei Kindern und CT: trotz ggf. höherer Strahlensensitivität Beitrag geringer als bei Erwachsenen (höhere Scanzahlen) Noch fehlen direkte Studien in der Altersgruppe.

Aktuelle Studien Pearce et al. 12 Pearce et al (Lancet, 7 June 2012) Lancet, 7 June 2012 Ca. 180.000 Kinder und junge Erwachsene (<22 Jahre) - 1985-2002 Dosisabschätzung: U-Protokolle survey-basiert berechnet Follow-Up 1985-2008 (NHS Central Registry): 74 Leukämie-Fälle (n=178604, 283.919 CT-Scans), 135 Gehirntumore (n= 176587, 279.824 CT-Scans)

Pearce et al.: Exposition 13 Effektive Organdosis (rotes Knochenmark u. Gehirn) Geschätzt auf der Basis typischer Anlagen und Einstellungen (1989-2003) Ergänzt mit Phantomen, Transportalgorithmen Abhängig von: Alter, Geschlecht, Untersuchungstyp, Jahr der Untersuchung 2-3 fach höhere Dosen vor 2001

Zentrale Ergebnisse Pearce et al. 14 Risikoschätzungen: Leukämie (74 Fälle): ERR per mgy: 0,036 (0,005-0,120), (= 3,6% per mgy) Gehirntumor (135 Fälle): ERR per mgy: 0,023 (0,010-0,049) (= 2,3% per mgy)

Zentrale Ergebnisse Pearce et al. 15 Höhere Dosisgruppen: (Referenz < 5 mgy Organdosis) Leukämie 30mGy RR= 3,18 (1,46-6,94) Gehirntumor 50-74 mgy RR= 2,82 (1,33-6,03) Gehirntumor 50mGy RR= 3,32 (1,84-6,42)

Zentrale Ergebnisse Pearce et al. 16 Excess Absolute Risk (EAR) 10 Jahre nach Exposition zwischen 0-20 Jahre kumulative Dosis: 10mGy durch CT Scan Leukämie 0,83 (0,12-2,77) zusätzliche Leukämiefälle/ 10.000 Pat. Gehirntumore 0,32 (0,14-0,69) zusätzliche Gehirntumore/ 10.000 Pat. ~ ca. 1 zusätzlicher Fall Hirn-Tu/Leukämie per 10.000 Patienten

Kinder-CT Studie - Deutschland 17 Zusammenstellung der Kohorte in großen deutschen (Universitäts-) Kliniken Einschluss: < 15 Jährige mit CT-Diagnostik Dosisabschätzung (München) Abgleich mit Deutschem Kinderkrebsregister Studienzentren (D): Mainz, München, Bremen IARC-Koordination Vergleichbares Studiendesign wie Pearce et al. 2012

Benötigte Informationen: Kohortenrekrutierung Eindeutige Personen bei Exposition < 15 Jahre Kein Endpunkt vor Exposition Wohnsitz in Deutschland Expositionserhebung Expositionsdatum Anzahl Körperteile Dosis Endpunktbestimmung Krebsentität Erkrankungsdatum Störfaktoren confounding by indication Datenquellen Radiologie, Neuroradiologie, Kinderradiologie RIS (Radiologisches Informationssystem) Elektronische Patientenakte Informationsdatenbank PACS (Picture Archiving and Communication System) Bilder mit Metainformationen Bilddatenbank - Spezialsoftware nötig Deutsches Kinderkrebsregister Krebsregister Informationsdatenbank 18

Rekrutierte Kliniken in Norddeutschland 19 Klinik System -Verfügbarkeit (min. 10 Jahre RIS) CT-Untersuchungen (min. 200CT/a) RIS PACS RIS PACS Klinikum Bremen-Mitte 2004 x (7) 2007 380/a 310/a UKSH, Standort Lübeck 2001 (10) 2008 250/a 250/a MHH, Hannover 1999 (12) 2005 210/a 210/a UM Göttingen 1994 (17) 2006 240/a 240/a Klinikum Oldenburg 1997 (14) 2008 131/a 163/a x 10 Kliniken Süd-Westdeutschland, Studienzentrum Mainz

RIS Erhebung 20 aktuelle Zahlen - erhobene Patienten UKSH Lübeck: UM Göttingen: MHH, Hannover: 1.007 Patienten 3.607 Patienten 9.525 Patienten Klinikum Bremen: Klinikum Oldenburg: Studienzentrum Nord Kohortenbeitrag: 14.139 Patienten (März 2012)

Fazit 21 Bisher: zumeist Extrapolationen zum Risiko durch CT auf der Basis von strahlenepidemiologischen Modellen Neu: epidemiologische Studien zur Abschätzung des Risikos einer CT sind machbar aber aufwändig Erste Ergebnisse aus Großbritannien: signifikant erhöhte Risiken per mgy Für Leukämie: nahe an Risikoschätzungen für LSS Für Hirntumor: höher Deutscher Beitrag (Ki-CT) zur IARC-Studie läuft

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! www.bips.uni-bremen.de