BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7038 21. Wahlperiode 02.12.16 Antrag der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, Katja Suding, Michael Kruse, Dr. Wieland Schinnenburg, Jens Meyer (FDP) und Fraktion Haushaltsplan-Entwurf 2017/2018 Einzelplan 2 Betr.: Qualität in der Resozialisierung durch innovative Ansätze verbessern Um die Befähigung zu einem selbstbestimmten und straffreien Leben geht es bei der Resozialisierung. Viele Strafgefangene benötigen hierzu besondere Hilfe, die nicht nur im Gefängnis beginnen muss, sondern nach der Entlassung fortgeführt werden soll. Hierzu ist die Bewährungshilfe mit ausreichend Mitteln auszustatten. Strukturell ist ein wesentlicher Mangel darin zu sehen, dass die drei tragenden Säulen der Resozialisierung Vollzug, Soziale Dienste der Justiz und Freie Straffälligenhilfe in unterschiedlicher Weise unterschiedlichen Behörden zugeordnet sind. Daher soll die Bewährungshilfe fachlich wieder der Justizbehörde zugeordnet werden, so wie die Sozialen Dienste der Justiz in allen anderen Bundesländern auch. Um die Resozialisierung aus einer Hand gewährleisten zu können, muss die Bewährungshilfe wieder an die Justizbehörde angegliedert werden. Das Konzept des rot-grünen Senats zur Wiedereingliederung von entlassenen Straftätern ist zudem veraltet. Ein neuer Ansatz kann das Angebot von Gründerkursen in den Justizvollzugsanstalten sein. Aus den Hamburger Haftanstalten werden jährlich etwa 1.500 Inhaftierte entlassen. Es ist an der Zeit, dass sich der Senat mit konstruktiven und vor allem innovativen Vorschlägen zur gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Wiedereingliederung in die Gesellschaft befasst. Dazu gehört auch das Modellprojekt Resozialisierung und soziale Integration (RESI), wonach eine durchgehende Betreuung von jugendlichen Strafgefangenen vor und nach ihrer Haftentlassung realisiert werden kann. Außerdem muss der Senat dringend mehr für den Opferschutz tun. Es fehlt an einem Resozialisierungs- und Opferschutzgesetz sowie an einem umfassenden Opferschutzbericht in Hamburg. I. Verlagerung der Sozialen Dienste der Justiz in die Justizbehörde Hamburg ist das einzige Bundesland, das eine äußerst ungewöhnliche Aufteilung hat. Die sozialen Dienste der Justiz, wie die Gerichts- und die Bewährungshilfe, sind, anstatt wie üblich bei der Justizbehörde, zentral beim Bezirksamt Eimsbüttel angegliedert. Die Fachaufsicht über die Gerichts-und die Bewährungshilfe wird von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration ausgeübt. Diese Zersplitterung der fachlichen Zuständigkeiten ist nicht geeignet, die Arbeit der sozialen Dienste der Justiz übersichtlicher zu gestalten und trägt dem gesetzlichen Auftrag der Soziale Dienste der Justiz nicht hinreichend Rechnung.
Drucksache 21/7038 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 21. Wahlperiode Durch die Verlagerung der Sozialen Dienste der Justiz in die Justizbehörde werden alle Zuständigkeiten unter einem Dach gebündelt. Dazu gehören Zuständigkeiten für die Führungsaufsicht und für die Bewährungshilfe und für die Gerichtshilfe. 1. Die Produktgruppe 215.05 Straffälligen- und Gerichtshilfe des Aufgabenbereichs 215 Soziales, Jugend und Gesundheit des Einzelplans 1.4 des Bezirksamts Eimsbüttel wird vollständig in den Aufgabenbereich 236 Justizvollzug des Einzelplans 2 der Behörde für Justiz und Gleichstellung verlagert und dort zur Produktgruppe 23602. 2. Der Aufgabenbereich 236 Justizvollzug wird umbenannt in Justizvollzug, Soziale Dienste der Justiz und Freie Straffälligenhilfe. 3. Die Fachaufsicht wird mitsamt der dafür benötigten Vollzeitäquivalente sowie der hierfür eingestellten Mitteln aus der Abteilung FS-JD der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration in die Justizbehörde übertragen. 4. Die sich aus den vorgenannten Petita ergebenden Veränderungen der Ergebnispläne und Finanzpläne auf Ebene des Teil-, Einzel- sowie des Gesamtplans erfolgen entsprechend. II. Bessere Ausstattung der Gerichts- und Bewährungshilfe Die Bewährungshilfe in Hamburg ist bereits seit langer Zeit defizitär ausgestattet. Dies wurde bereits im Jahr 2010 von der Fachkommission für Resozialisierung in ihrem Bericht festgestellt. So benötigt die Bewährungshilfe zusätzliches Personal, um dieses auch am Übergangsmanagement zu beteiligen und daher frühzeitig in die Betreuung der Haftentlassenen einzubinden. Diese Situation hat sich bislang nicht spürbar verbessert. Bis zum Jahr 2023 könnten 17 Vollzeitäquivalente für die Bewährungshilfe im Fachamt für Straffälligen- und Gerichtshilfe frei werden (vergleiche Drs. 21/6533 vom 08.11.2016). Durch ein gutes Übergangsmanagement und eine frühzeitig eingebundene sowie personell gut ausgestattete Bewährungshilfe kann ein Drehtürvollzug verhindert werden. Durch gute Betreuung werden die aus der Haft Entlassenen angehalten, straffrei zu leben und werden daher weniger rückfällig. Hierdurch kann auch die zukünftige Anzahl der Strafgefangenen gesenkt werden. Eine effektive Resozialisierung senkt daher insbesondere die Rückfälligkeit. Das ist auch unter dem Aspekt der Sicherheit und des Schutzes der Bevölkerung zu gewährleisten. 1. Im Rahmen der frei werdenden Kapazitäten im Justizvollzug werden in den kommenden zwei Haushaltsjahren bis zu zehn frei werdende Vollzeitäquivalente im Stellenplan inklusive der zugehörigen Personalkostenermächtigungen auf die Produktgruppe Straffälligen- und Gerichtshilfe, für den Bereich Bewährungshilfe, übertragen. Die sich hieraus ergebenden Veränderungen der Ergebnispläne und Finanzpläne auf Ebene des Teil-, Einzel- sowie des Gesamtplans erfolgend entsprechend. III. Gründerkurse in Justizvollzugsanstalten einführen Menschen, die aus der Haft entlassen werden, haben oft Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Die Justizvollzugsanstalten (JVAen) bieten dazu in der Regel einige berufsqualifizierende und -vorbereitende Maßnahmen an. In Hamburg ist es an der Zeit, sich mit konstruktiven und vor allem innovativen Vorschlägen zur gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Resozialisierung zu befassen. Die Teilnahme an einem Existenzgründerkurs im Gefängnis ermöglicht Straftäter, sowohl während als auch nach der Haft, Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen zu lernen. Seit 2011 können daher Straftäter in der JVA Landsberg und in der JVA München in Bayern vor ihrer Entlassung Gründer-Kurse belegen. Bayern hat es geschafft, neue Wege zu gehen und Perspektiven zu schaffen. Ein solches Engagement sucht man in Hamburg 2
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 21. Wahlperiode Drucksache 21/7038 vergebens. Bisher werden keine Gründer-Kurse in Hamburger JVAs angeboten. Stattdessen hat die zuständige Behörde erst einmal nur Vorbehalte. Der Senat hat sich bisher mit diesem Thema nicht befasst. Dabei hat eine Studie der Technischen Universität München (TUM) und der Indiana University (USA) belegt, dass diese Kurse erfolgreich sind. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Teilnehmer am Ende des Programms ein gestärktes Selbstwertgefühl aufwiesen. Außerdem verringerte ihre Teilnahme die Hemmschwelle vor einer Reintegration in die Gesellschaft. Die Idee stammt ursprünglich aus den USA. In texanischen Gefängnissen gibt es seit 2004 ein ähnliches Programm. Die Resozialisierungspolitik des rot-grünen Senats ist leider nicht auf dem neuesten Stand. Mit einem Pilotprojekt in einer JVA in Hamburg kann dies geändert werden. Die Bürgerschaft möge daher beschließen, 1. in der Produktgruppe 236.01 Justizvollzug eine neue Kennzahl Anzahl Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Gründerkursen ab dem Haushaltsjahr 2017 einzufügen, 2. diese neu definierte Kennzahl dem Ziel Z 2: Differenzierte Behandlungs-/Betreuungsangebote bzw. Maßnahmen zur Erziehung und Förderung für die Gefangenen bereitzustellen bzw. auszuweiten zuzuordnen, 3. den Kennzahlenwert für die Haushaltsjahre 2017/2018 auf folgenden jährlichen Wert festzulegen: 15 (Einheit: ANZ); 4. das Pilotprojekt Gründer-Kurs für Inhaftierte in einer JVA in Hamburg einzuführen und zunächst mit entsprechenden Personal- und Sachmitteln in Höhe von 120.000 Euro für die Laufzeit von einem Jahr auszustatten, 5. die Kosten für Personal- und Sachbedarf in Höhe von 120.000 Euro aus den entsprechenden Kontenbereichen der Produktgruppe 236.01 Justizvollzug bereitzustellen und der Bürgerschaft die sachgerechten Aufteilungsfaktoren für den oben genannten Kennzahlenwert mitzuteilen. IV. Modellprojekt Resozialisierung und soziale Integration (RESI) Auf Initiative der früheren schleswig-holsteinischen Justizministerin und jetzigen Düsseldorfer Regierungspräsidentin Anne Lütkes finanzierte der Verein»wir helfen«in Zusammenarbeit mit dem Kölner Stadtanzeiger in den Jahren 2008 bis 2012 ein Projekt, in dem vieles realisiert werden konnte, was zwar fachlich gefordert, aber bisher in Deutschland so kompakt nicht verwirklicht wurde: eine durchgehende Betreuung von jugendlichen Strafgefangenen vor und nach ihrer Haftentlassung, eine Intensivbetreuung durch streetwork-erfahrene Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, ein Höchstmaß an individueller und situativer Betreuung und ein leistungsfähiges Verbundsystem stationärer und ambulanter Hilfen mit einem fallsteuernden Lotsen (Case- Management) sowie unbürokratischen Trägerstrukturen. Die wissenschaftliche Begleitung durch die Leuphana Universität Lüneburg ergab, dass Absolventen des RESI- Projekts eine Rückfallrate von 13 Prozent haben eine Quote, die bisher weder in Deutschland noch international durch ähnliche Projekte erreicht wurde. Für alle befragten Jugendlichen und Heranwachsenden war das Projekt von existenzieller Bedeutung. Sie bauten zu ihren Betreuern vertrauensvolle, belastbare und unbefristete Beziehungen auf. RESI hat nachgewiesen, dass Jugendkriminalität, auch von Intensiv- und Wiederholungstätern, in großem Umfang und Intensität reduziert werden. Auch im Stadtstaat Hamburg stellen sich die gleichen fachlichen und strukturellen Probleme mit ähnlichen Rückfallquoten und unzureichenden Finanzierungsstrukturen wie in Köln und in NRW, dies gilt auch bundesweit. Die Bürgerschaft möge daher beschließen, 1. in der Produktgruppe 236.01 Justizvollzug eine neue Kennzahl Anzahl Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Modellprojekt Resozialisierung und soziale Integration (RESI) ab dem Haushaltsjahr 2017 einzufügen, 3
Drucksache 21/7038 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 21. Wahlperiode 2. diese neu definierte Kennzahl dem Ziel Z 2: Differenzierte Behandlungs-/Betreuungsangebote bzw. Maßnahmen zur Erziehung und Förderung für die Gefangenen bereitzustellen bzw. auszuweiten zuzuordnen, 3. den Kennzahlenwert für die Haushaltsjahre 2017/2018 auf folgenden jährlichen Wert festzulegen: 15 (Einheit: ANZ]); 4. das Pilotprojekt RESI für Inhaftierte in Hamburg einzuführen und zunächst mit entsprechenden Personal- und Sachmitteln in Höhe von 100.000 Euro für die Laufzeit von einem Jahr auszustatten, 5. die Kosten für Personal- und Sachbedarf in Höhe von 100.000 Euro aus den entsprechenden Kontenbereichen der Produktgruppe 236.01 Justizvollzug bereitzustellen und der Bürgerschaft die sachgerechten Aufteilungsfaktoren für den oben genannten Kennzahlenwert mitzuteilen. V. Freie Straffälligenhilfe In Hamburg beruht die Einbindung von freien Trägern in die Straffälligenhilfe nicht auf einem behördlich bewusst gestalteten Konzept. Dabei belegen gerade Studien, dass die freien Träger eine größere Nähe zu den Straffälligen haben und eine größere Akzeptanz bei ihnen genießen als staatliche Dienste. Freie Träger der Straffälligenhilfe sollten in Hamburg zum Beispiel das Übergangsmanagement für Entlassene mit Endstrafe nach Prüfung durch die Fachstellen übernehmen, wenn der freie Träger schon im Vollzug Kontakt zu dem Inhaftierten hatte und die weitere Betreuung nach der Entlassung aus fachlichen Gründen entsprechend der Aufgabe des Trägers sinnvoll erscheint. In Schleswig-Holstein hat das Justizministerium ab 1991 eine gezielte Strategie der Umsteuerung aus dem stationären in den ambulanten Bereich betrieben und zunehmend freie Träger mit Aufgaben der Straffälligenhilfe beauftragt. In Hamburg besteht großer Entwicklungsbedarf in der konzeptionellen und finanziellen Stärkung der Freien Straffälligenhilfe. Insgesamt kann die Resozialisierung als soziale Integration erheblich effizienter und effektiver gestaltet werden durch die Mitwirkung freigemeinnütziger Organisationen. 1. durch ein Konzept die freien Träger in die Lage zu versetzen, mehr Aufgaben der Straffälligenhilfe zu übernehmen. Dazu soll ein leistungsfähiges Übergangsmanagement in Kooperation des Fachamtes für Straffälligen- und Gerichtshilfe mit der Freien Straffälligenhilfe etabliert werden und 2. der Bürgerschaft bis zum 30.09.2017 zu berichten. VI. Rückfallstatistik und Opferschutzbericht erstellen Um den Erfolgswert der Resozialisierung zu messen, bedarf es der Erhebung und Auswertung von Rückfallstatistiken. Bislang gibt es für die Arbeit der Bewährungshilfe in Hamburg keine messbaren Ergebnisse. In 2014 gab es 622 nach Strafrecht verurteilte Jugendliche. Darunter waren 609, über die Angaben zu früheren Strafen bekannt sind. Eine auf Hamburg bezogene Rückfallstatistik wird aber in Hamburg weder geführt noch ausgewertet und demzufolge auch nicht veröffentlicht. Dagegen werden Statistiken in anderen Ländern, wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen, veröffentlicht und sind Grundlage für justizpolitische Entscheidungen. Selbst eine von der Resozialisierungskommission vorgeschlagene Fachanweisung, die die Arbeit der Bewährungshilfe und Gerichtshilfe vereinheitlichen und messbar machen sollte, wurde bislang nicht erlassen. Was jedoch für den Strafvollzug gilt, muss erst Recht für die Resozialisierung insgesamt und damit auch für die Bewährungshilfe und gelten. Daher ist neben der Verlagerung auch eine Fachanweisung für die Arbeit der Bewährungshilfe und Gerichtshilfe zu erstellen als auch deren Evaluation durchzuführen. 4
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 21. Wahlperiode Drucksache 21/7038 Die bessere Verzahnung aller Akteure im Prozess der Resozialisierung ist auch für den Opferschutz von größter Bedeutung. Opfer benötigen bestmögliche Betreuung, um Folgeschäden zu verhindern. Dafür ist eine umfassende Verarbeitung der Geschehnisse notwendig. Jedoch fehlt in Hamburg immer noch ein umfassender Opferschutzbericht. Während in anderen Bundesländern, wie etwa Schleswig-Holstein, nahezu 1.000 Berichte zur Situation der Opfer jährlich erstellt werden, wurden in Hamburg im Jahr 2016 gerade einmal acht Fälle berichtet. 1. einen umfassenden Opferschutzbericht zu erstellen und dabei die Erfahrungen aus Schleswig-Holstein einfließen zu lassen. 2. mithilfe bereits regulär erhobener Daten wie zum Beispiel Rückfalluntersuchungen eine strukturierte, auf Hamburg bezogene Rückfallstatistik jugendlicher und erwachsener Straftäter zu führen, auszuwerten und zu veröffentlichen. 3. Die Arbeit der Bewährungshilfe und Gerichtshilfe für die Dauer von zwei Jahren mit der Maßgabe der Erfolgsmessung zu evaluieren. 4. Der Bürgerschaft über die Auswertung der Rückfallstatistik, über den Opferschutzbericht und die Evaluation der Bewährungshilfe und Gerichtshilfe bis zum 31.12.2018 zu berichten. 5