Neuzuwanderer und Alteingesessene in Duisburg-Marxloh

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Transkript:

Nurec - INSTITUTE Neuzuwanderer und Alteingesessene in Duisburg-Marxloh Bulgarische und rumänische Zuwanderer und ihre Wahrnehmung durch die alteingesessene Bevölkerung

Duisburg-Marxloh

neuzuwanderer und alteingesessene Vorwort Das NUREC-Institute hat 2015 eine Feldstudie zur Zuwanderung von bulgarischen und rumänischen Staatsbürgern 1 in den Duisburger Ortsteil Marxloh durchgeführt. Die Studie ist finanziert worden von der Open Society Initiative for Europe und in enger Zusammenarbeit mit dem Kommunalen Integrationszentrum der Stadt Duisburg und der Entwicklungsgesellschaft Duisburg durchgeführt worden. Ihr Ziel bestand darin, aufklärungs- und handlungsrelevantes Wissen zur Situation der Zuwanderer selbst, zu ihrer Wahrnehmung durch die schon längere Zeit in Marxloh lebende Bevölkerung und zu den Sichtweisen von mit dieser Situation befassten Experten zu generieren. Neben qualitativen Interviews mit allen drei Gruppen sind Forschungsreisen in die Herkunftsregionen der Zuwanderer unternommen und umfangreiche statistische Auswertungen durchgeführt worden. Aufgrund der vorwiegend qualitativen Ausrichtung der Studie können die Ergebnisse nur begrenzt Repräsentativität für die befragten Gruppen in ihrer Gesamtheit beanspruchen. Die Ergebnisse der Studie sind im Ortsteil, in der Stadt Duisburg und überregional breit vorgestellt und diskutiert worden. Die Gesamtstudie wird im Frühjahr 2017 als Printpublikation und E-Book im Springer SV-Verlag veröffentlicht. 1 Zur besseren Lesbarkeit des Textes wird hier und im Folgenden ausschließlich die männliche Form der Personenbezeichnungen verwendet. 1

Duisburg-Marxloh Die Neuzuwanderer: zwei mehrfach benachteiligte Gruppen Die in Marxloh lebenden Neuzuwanderer setzen sich zusammen aus bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen, die Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede in Bezug auf ihre Situation im Herkunftsland, ihren Wanderungsprozess und ihre Lebensverhältnisse in Duisburg-Marxloh aufweisen. Gemeinsamkeiten Die Neuzuwanderer entstammen geographisch aneinander angrenzenden Ländern mit zum Teil ähnlichen historischen Prägungen und einer gemeinsamen schwierigen wirtschaftlichen Situation in der jüngeren Vergangenheit. Sie sind Mitglieder einer sozial und zum Teil auch ethnisch-kulturell in ihrem Herkunftsland benachteiligten Minderheit: die bulgarischen Zuwanderer gehören vorwiegend einer in Bulgarien lebenden türkischen Minderheit an, die rumänischen sind in der Mehrzahl Roma. Die Zuwanderer entstammen Gruppen mit einem niedrigen Bildungsstand, befinden sich in ihren Herkunftsländern in einer äußerst schwierigen Beschäftigungs- und/oder Einkommenssituation und sind von daher in beiden Ländern besonders von Armut betroffen. Ihre Zuwanderung nach Deutschland ist durch den EU-Beitritt beider Herkunftsländer und die damit verbundene Arbeitnehmerfreizügigkeit möglich geworden. Häufig haben die Zuwanderer vor ihrer Zuwanderung nach Deutschland und Duisburg-Marxloh schon in anderen europäischen Ländern und deutschen Städten Migrationserfahrungen gesammelt. Beide Gruppen besitzen in Marxloh in etwa dasselbe demographische Gewicht mit einer 2

neuzuwanderer und alteingesessene starken Dynamik in den letzten drei Jahren. Auch in Duisburg-Marxloh sind beide Gruppen benachteiligt: Sie leben häufig unter prekären Verhältnissen (schwierige Wohnsituation, fehlender Krankenversicherungsschutz, Arbeitslosigkeit), sind auch in Marxloh massiv von Armut bedroht und erfahren auch dort zum Teil starke Diskriminierungen von Seiten der alteingesessenen Marxloher. Unterschiede Entgegen der in Politik und Medien häufig einheitlichen Sichtweise beider Gruppen hat die Studie eine Fülle von Unterschieden erbracht, die ihre differenzierte Betrachtung notwendig macht: Wohnraum im Herkunftsland Beschäftigung im Herkunftsland Die bulgarischen Zuwanderer entstammen vorwiegend großstädtischen Kontexten und leben dort hochkonzentriert in Minderheitenquartieren; die rumänischen kommen meist aus ländlichen Gemeinden und leben dort stärker durchmischt mit der Mehrheitsbevölkerung. Die Wohn- und Arbeitssituation der rumänischen Zuwanderer im Herkunftsland ist deutlich schlechter als die der bulgarischen und sie erleben dort stärkere ethnisch-kulturelle Diskriminierung. 32

Duisburg-Marxloh Bevölkerungsentwicklung in Marxloh 2006-2015 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Marxloh 2012-2015 Bei den bulgarischen Zuwanderern reist häufig der Familienvater zunächst alleine ein, um dann später seine Familie nachzuholen. Die rumänischen Familien wandern meist direkt mit der gesamten Familie zu. Dies ist einer der Gründe für die deutlich höhere Kinderzahl in dieser Gruppe. Mehr als die Hälfte aller in Marxloh lebenden rumänischen Zuwanderer ist jünger als 15 Jahre. Die bei beiden Gruppen starke Fluktuation im Ortsteil ist bei den rumänischen Zuwanderern deutlich ausgeprägter. Viele bleiben nur für kurze Zeit im Ortsteil, um dann ihr Glück andernorts zu versuchen. Auch in Duisburg-Marxloh leben die rumänischen Zuwanderer in deutlich schwierigeren Verhältnissen: Sie haben schlechtere Wohnungen, leben weitgehend von Schwarzarbeit, Kindergeld und Betteln und befinden sich häufig in extremen Armutssituationen. Sie erleben darüber hinaus auch deutlich stärkere Diskriminierung durch die alteingesessenen Marxloher. Besonders ins Gewicht für die Besserstellung der bulgarischen Zuwanderer fallen ihre guten Türkischkenntnisse, die ihnen in einem Ortsteil mit einer großen türkeistämmigen Minderheit 4

neuzuwanderer und alteingesessene Studie 2016 einen problemloseren Zugang zu wichtigen Informationen und Ressourcen bieten. Die Roma-Zugehörigkeit Die Mehrzahl der rumänischen Zuwanderer bekennt sich offen zu ihrer Roma-Zugehörigkeit, und diese Zugehörigkeit führt auch zu gewissen Unterschieden innerhalb der rumänischen Gruppe. Die rumänischen Befragten mit Roma-Hintergrund weisen eine deutlich höhere Zahl von Kindern auf als die Befragten ohne einen solchen Hintergrund. Sie gehören allerdings häufig auch der freikirchlichen Gemeinschaft der Pfingstler an, die generell überdurchschnittliche Geburtenraten aufweist. Weiterhin hat sich bei den rumänischen Befragten mit Roma-Hintergrund (und hierbei insbesondere den Frauen) ein besonders niedriger Bildungsstand ergeben: Ein beträchtlicher Teil von ihnen hat nie eine Schule besucht und ist in der Folge Analphabet. Die Bildungsbenachteiligung auf Seiten der Eltern schlägt sich aber nicht in einer geringen Bildungsaspiration für ihre Kinder nieder: deren angemessene Bildung stellt ein hohes Gut auch für Eltern mit Roma-Hintergrund dar. Insgesamt hat sich also eine starke Differenzierung zwischen und innerhalb der Zuwanderergruppen ergeben, wobei sich politisch-territoriale, religiöse und soziale mit ethnisch-kulturellen Unterschieden überlagern. 5

Duisburg-Marxloh Die Alteingesessenen: eine überforderte Gemeinschaft Die Einstellungen und Verhaltensweisen der alteingesessenen Marxloher sind vor dem Hintergrund der Geschichte und der aktuellen Situation des Quartiers zu sehen. Der altindustrielle Ortsteil Duisburg-Marxloh ist seit den 1970er Jahren von einem kontinuierlichen wirtschaftlichen und sozialen Niedergang betroffen, der durch Stadtteilentwicklungsmaßnahmen und die Eigeninitiative seiner Bewohner zum Teil aufgehalten werden konnte. Marxloh ist seit den 1960er Jahren ein multi-ethnischer Stadtteil mit einer starken Präsenz türkeistämmiger Zuwanderer und einer Vielzahl anderer Herkunftsgruppen. Die erhebliche Zuwanderung von bulgarischen und rumänischen Staatsbürgern seit 2011 hat das soziale und ethnische Gefüge des Quartiers weiter unter Druck gesetzt. Die alteingesessenen Marxloher schreiben die Hauptverantwortung für die schwierige Situation im Quartier den staatlichen und städtischen Institutionen zu. Vorherrschend ist das Gefühl des Allein-gelassen-Werdens von Seiten dieser Institutionen. Eine Teilverantwortung für die Verschlechterung der Situation im Quartier wird auch bei den Neuzuwanderern gesehen. Ein beträchtlicher Teil der alteingesessenen Marxloher berichtet dementsprechend von vielfältigen Belastungen, die die Präsenz und das Verhalten bulgarischer und rumänischer Zuwanderer für das Zusammenleben im Quartier mit sich bringen. Weder die verbliebende deutschstämmige Mehrheitsbevölkerung noch die türkeistämmige Community ist in der Lage, die Funktion einer empfangenden Gesellschaft gegenüber den Neuzuwanderern zu übernehmen. Diese werden häufig von beiden Gruppen gleichermaßen ausgegrenzt und zum Teil auch ausgebeutet und diskriminiert. Die Haltung der alteingesessenen Marxloher gegenüber den Zuwanderern ist mehrheitlich von Benachteiligungsängsten, Desinteresse, Vorurteilen und negativen Bewertungen geprägt. Eine Zuordnung dieser negativen Sicht- 6

neuzuwanderer und alteingesessene weisen zur Roma-Zugehörigkeit eines Teils der Neuzuwanderer findet nur begrenzt statt. In ihrem Verhalten gegenüber den Neuzuwanderern gehen die alteingesessenen Marxloher stark auf Distanz. Nachbarschaftliche Kontakte bestehen selten und sind auch nur ausnahmsweise gewünscht. Alle befragten Gruppen berichten darüber hinaus von Diskriminierungen von Seiten der Alteingesessenen, die von verbalen Invektiven über Ausgrenzungen bis hin zu direkter Gewaltanwendung reichen. Insgesamt ergibt sich so das Bild einer Alteingesessenengemeinschaft, die sich durch die inzwischen schon traditionell schwierige Situation im Quartier und durch die neuen Herausforderungen im Zuge der Neuzuwanderung in ihrer Lebenssituation stark bedrängt fühlt und die daraus entstandene Überforderung die weitaus bedrängteren Gruppen der Neuzuwanderer massiv spüren lässt. 7

Duisburg-Marxloh Vielfache Herausforderungen und komplexe Handlungsbedarfe Die Studie hat die Größe und Vielfalt der Herausforderungen gezeigt, vor denen die Stadt Duisburg und der Ortsteil Marxloh stehen. Genauso sind die mehrdimensionalen Handlungsbedarfe deutlich geworden, die sich aus diesen Herausforderungen ergeben. Herausforderungen Seit 2012 hat sich die Anzahl der in Marxloh lebenden bulgarischen und rumänischen Zuwanderer vervierfacht. Das bedeutet, dass Ende 2015 ein Fünftel der gesamten Marxloher Bevölkerung eine der beiden Staatsangehörigkeiten besitzt. Wohndauer von Zuwanderern seit 2006 Unter 15-jährige in Marxloh 2006 2015 Die Fluktuation insbesondere in der rumänischen Gruppe ist hoch, was die Einleitung langfristiger Integrationsmaßnahmen erschwert. Die schon in ihren Herkunftsländern stark benachteiligten Zuwanderergruppen befinden sich in Duisburg-Marxloh in zentralen Lebensbereichen (Arbeit, Wohnung, Gesundheit) in einer äußerst prekären Situation. Ihre Lebensverhältnisse sind auch in Marxloh häufig von Unsicherheit, Armut und Diskriminierung geprägt. Besondere Herausforderungen stellt der hohe Anteil an Kindern und Jugendlichen unter den 8

neuzuwanderer und alteingesessene Neuzuwanderern an die Bildungsinstitutionen im Quartier. Die mit der Neuzuwanderung verbundenen vielfältigen Herausforderungen gewinnen eine besondere Brisanz angesichts der schwierigen Finanzsituation der Stadt Duisburg und der laut Aussage eines relevanten Teils der Experten qualitativ und quantitativ nicht immer bedarfsgerechten Unterstützung durch den Bund (und zum Teil auch durch das Land Nordrhein-Westfalen). Handlungsbedarfe Umfang und Vielfalt der Herausforderungen schaffen ein komplexes Geflecht von Bedarfen, die für eine Stabilisierung des Quartiers im Rahmen eines integrierten Vorgehens erfüllt werden müssten. Notwendig sind eine von städtischer Politik und Verwaltung gemeinsam getragene gesamtstädtische und quartiersbezogene strategische Ausrichtung und Koordinierung der Vielzahl der bereits existierenden Maßnahmen sowie eine enge Kooperation der beteiligten Akteure. Die Auskünfte eines Teils der befragten Experten legen nahe, dass trotz der Bemühungen der beteiligten Institutionen in dieser Hinsicht noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht. Immer wieder stellen die Experten auch die Passgenauigkeit und Nachhaltigkeit der durchgeführten Projekte (und der für sie in Anspruch genommenen Förderprogramme) in Frage. Als Querschnittsanforderung ist dem Bereich der Verständigung besondere Bedeutung zuzuschreiben. Hierbei geht es nicht nur um die Schaffung der Voraussetzungen für eine 9

Duisburg-Marxloh bessere sprachliche Verständigung und Information, sondern auch um eine Verbesserung des wechselseitigen Verständnisses zwischen Neuzuwanderern und Alteingesessenen für die schwierigen Lebensverhältnisse der jeweils anderen Gruppe. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Schaffung der Voraussetzung für eine eigenständige Lebensführung durch die Integration in den formellen Arbeitsmarkt zu. Erforderlich sind hierzu umfangreiche zielgruppenspezifische arbeitsmarktspolitische Maßnahmen. Kurz- und mittelfristig anzugehen sind die Probleme der Neuzuwanderer in Bezug auf die Absicherung grundsätzlicher Lebensbedarfe wie zumutbarer Wohnraum und Krankenversicherungsschutz. Langfristig werden die Neuzuwanderer und ihre Kinder einen Weg aus der Armut nur finden, wenn bei ihnen die bildungsmäßigen Voraussetzungen für ihre Integration in den Arbeitsmarkt geschaffen werden. Für die Neuzuwanderer im erwerbsfähigen Alter bedeutet dies das Angebot umfangreicher nachqualifizierender Bildungsangebote. Für eine regelmäßige und erfolgreiche Teilnahme an solchen Angeboten wurde immer wieder auf die Notwendigkeit einer ihren Lebensunterhalt sichernden Förderung hingewiesen. Entscheidend für eine erfolgreiche Integration der Neuzuwanderer werden allerdings signifikante Investitionen in die Bildung der nachfolgenden Generationen der Zuwanderer sein eine gigantische und bis heute nur partiell angegangene Herausforderung. 10

neuzuwanderer und alteingesessene 11

Duisburg-Marxloh Ausblick: zukünftige Entwicklungen in Marxloh und wissenschaftliche Herausforderungen Für die Zukunft zeichnen sich in Marxloh eher schwierigere Bedingungen ab. Die dortige Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien hat sich auch 2016 weiter fortgesetzt. Inzwischen besitzen ca. 22% der Marxloher Wohnbevölkerung die bulgarische oder die rumänische Staatsangehörigkeit. Darüber hinaus ist seit geraumer Zeit eine zweifache Überlagerung dieser Zuwanderung mit der neuen Zuwanderungsbewegung der Flüchtlinge fassbar: mit seinem preisgünstigen Wohnraumangebot und seiner Zuwandererinfrastruktur war Marxloh zum Jahresende 2016 derjenige Duisburger Ortsteil, in dem mit Abstand die größte Anzahl der in Duisburg lebenden anerkannten Asylbewerber ihren Wohnsitz genommen hat. die signifikante Flüchtlingszuwanderung in 2015 hat die Aufmerksamkeit auf Seiten von Politik und Verwaltung deutlich abgezogen von den weiterhin mit der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien verbundenen und sich zum Teil sogar intensivierenden Herausforderungen. Ob die sich in jüngerer Vergangenheit abzeichnende erneute Hinwendung zu diesen Herausforderungen im Sinne einer schrittweisen Entspannung der Situation im Quartier wirksam werden kann, bleibt angesichts der Größe dieser Herausforderungen abzuwarten. 12

neuzuwanderer und alteingesessene Impressum Wissenschaftliche Herausforderungen Für die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit der Situation in Duisburg-Marxloh und den mit ihr verbundenen Herausforderungen bestehen sowohl analytisch-erklärende als auch eher handlungsorientierte Perspektiven. Im Rahmen einer quantitativ ausgerichteten Repräsentativstudie könnten die qualitativen Befunde der vorliegenden Studie methodisch abgesichert und inhaltlich vertieft werden. Im Rahmen einer begleitenden Evaluierungsstudie zu den in Marxloh bereits durchgeführten und geplanten Maßnahmen könnte ein wissenschaftlicher Beitrag zur Verbesserung der strategischen Orientierung und Koordinierung der Maßnahmen geleistet werden in Richtung auf ein alle Akteure einbeziehendes integrierendes Umgehen mit den Herausforderungen im Quartier. 13

Impressum NUREC-Institute Duisburg e.v. Mercatorhaus Königstr. 61 47051 Duisburg Telefon: 0203 73 99 77 82 b.beyersdorff@nurec.de www.nurec.de Autoren/innen: Stefan Böckler, Margarita Gestmann, Thomas Handke Fotos: EG DU Entwicklungsgesellschaft Duisburg mbh Grafiken: Stabsstelle für Wahlen, Europaangelegenheiten und Informationslogistik der Stadt Duisburg (auf Basis von Daten aus dem Einwohnermelderegister der Stadt Duisburg und Daten der Bundesagentur für Arbeit) Gestaltung: Sandra König