V.3.4 Kanonische Transformationen Es kann günstig sein Koordinatentransformationen im Phasenraum durchzuführen. V.3.4 a Koordinatentransformation im Phasenraum Wir betrachten eine allgemeine Koordinatentransformation im Phasenraum q α } p α } Q α } P α } Q α = Q α t q p mit für α = 1... s. P α = P α t q p V.31 Unter diese Transformation der Koordinaten ändert sich im Allgemeinen auch die funktionale Form der Phasenraum-Funktion welche eine gewisse physikalische röße ausdrückt. Das heißt eine Funktion f der alten Koordinaten q q α } p p α } soll durch eine Funktion F der neuen Koordinaten
108 Hamilton-Formalismus Q Q α } P P α } ersetzt werden. Die beiden Funktion stehen in Zusammenhang zu einander weil sie die Beziehung F t Qt q p Pt q p = ft q p erfüllen müssen. Bemerkung: Hier dürfen die Koordinatentransformationen nicht nur von den Koordinaten q } und der Zeit abhängen wie es bei den Punkttransformationen III.12 im Lagrange-Formalismus der Fall war sondern auch von den Impulsen p }. Somit sind weitere Transformationen möglich. Beispiel: Sei ein System mit einem einzigen Freiheitsgrad beschrieben durch kanonisch konjugierte Variablen q p mit der Hamilton-Funktion hq p = a 1 2 q 2 + b 2 p2 q 4 V.32 wobei a und b positiv sind. Die Hamilton schen Bewegungsgleichungen lauten q = h = bpq4 ṗ = h = a q 3 2bp2 q 3. Wird die erste leichung nach der Zeit abgeleitet bzw. nach p umgestellt so ergibt sich q = bṗq 4 + 4bpq 3 q bzw. p = q bq 4. Daraus folgt die Bewegungsgleichung q = abq + 2 q2 q deren Lösung auf erster Sicht nicht trivial aussieht. Führt man aber die Koordinatentransformation Q = pq 2 P = 1 q durch so nimmt die Hamilton-Funktion die bekannte Form HQ P = a 2 P 2 + b 2 Q2 V.33 entsprechend einem harmonischen Oszillator mit Masse m = 1/a und natürlicher Kreisfrequenz ω 2 = ab. Was aber noch nicht klar ist ist ob die Bewegungsgleichungen in den neuen Koordinaten Q P die gleiche Form wie in den alten erhalten mit Hamilton-Funktion HQ P statt hq p. V.3.4 b Kanonische Transformationen Sei nun g eine neue Funktion der alten Koordinaten q p und die damit assoziierte Funktion der neuen Koordinaten Q P: t Qt q p Pt q p = gt q p. Definition: Eine Koordinatentransformation V.31 im Phasenraum heißt kanonische Transformation wenn sie die Poisson-Klammer zweier beliebigen Funktionen unverändert lässt d.h. } qp = F } QP. V.34 Insbesondere sollen die fundamentalen Poisson-Klammern in den neuen Koordinaten Q α Q } QP = P α P }QP = 0 Q α } P QP = δα V.35 sein. Reziprok kann man zeigen dass wenn die fundamentalen Poisson-Klammern in den neuen Phasenraumvariablen die kanonische Form V.35 annehmen dann ist die Koordinatentransformation kanonisch.
V.3 Poisson-Mechanik 109 Bemerkung: Anstatt der mathematisch korrekten Notation F für die Funktionen der neuen Variablen Q P einzuführen benutzen Physiker oft die gleiche Notation f und g auch wenn die mathematische Form nicht die gleiche wie in den alten Variablen q p ist. Dementsprechend wird } qp = } V.36 QP statt l. V.34 geschrieben. Transformation der Phasenraumkoordinaten für s = 1 Seien zwei Funktionen der Phasenraumkoordinaten q p eines Systems mit einem einzigen Freiheitsgrad. Unter einer Koordinatentransformation q p Q P werden sie durch neue Funktionen F ersetzt mit ft q p = F t Qt q p Pt q p gt q p = t Qt q p Pt q p. Die Ableitung der ersten dieser leichungen nach einer der Phasenraumvariablen zb q gibt d.h. unter Verwendung der Kettenregel f = df dq f = F + F. Ähnliche leichungen gelten für die Ableitung nach p oder für die Ableitungen von g so dass die Poisson-Klammer von f und g sich als }qp = f g f F = g + F + F + F + schreiben lässt. Beim Ausmultiplizieren des Terms auf der rechten Seite kommen acht Beiträge wovon vier sich kürzen während die vier übrigen Terme faktorisiert werden können. Insgesamt ergibt sich d.h. mit F }qp = F } qp = F } QP P p P p = det V.37a V.37b leichung V.37a zeigt dass die Koordinatentransformation q p Q P kanonisch ist wenn deren Jacobi-Determinante V.37b gleich 1 ist. Beispiel: Kommt man zurück zum Beispiel des V.3.4 a man prüft einfach nach dass die Transformation V.33 eigentlich kanonisch ist. Transformation der Phasenraumkoordinaten für s > 1 Wie betrachten nur eine Transformation q p Q P der Phasenraumkoordinaten für ein System mit s Freiheitsgraden wobei s > 1 ist. 47 Laut l. V.21 lässt sich die Poisson-Klammer 47 Eigentlich gilt die folgende Herleitung auch im Fall s = 1.
110 Hamilton-Formalismus zweier Funktionen der Variablen q p als }qp = 0 q f T p f T 1s q g q f T 1 s 0 p g p f T q g J 2s p g V.38 schreiben wobei die zweite leichung die antisymmetrische 2s 2s-Matrix J 2s definiert. Wie im Fall des Problems mit s = 1 Freiheitsgrad lassen sich die partiellen Ableitungen von nach den Variablen q α p α durch die Ableitungen von F nach den zugehörigen Variablen Q α P α ausdrücken; beispielsweise gelten und g α = d dq α = g = d = dp α s =1 α + α s + =1 sowie ähnliche leichungen mit g bzw. ersetzt durch f bzw. F. Führt man die vier folgenden s s-matrizen definiert durch ihre Elemente 48 q Q α = α q P α = α p Q α = p P α = V.39a ein so lassen sich die Beziehungen zwischen den partiellen Ableitungen von g und denen von in der kürzeren Matrix-Schreibweise q g q Q q P Q Q = Λ V.39b p g p Q p P P P schreiben. Dabei stellt die 2s 2s-Matrix Λ die Transformationsmatrix für die Koordinatentransformation unter Betrachtung dar. Die Transposition dieser Beziehung mit g bzw. ersetzt durch f bzw. F lautet q f T p f T = Q F T P F T Λ T. Dies kann im Ausdruck V.38 der Poisson-Klammer von f und g eingesetzt werden. Somit ergibt sich } qp = Q F T P F T Q Λ T J 2s Λ. P Andererseits gilt in den neuen Phasenraumkoordinaten } F QP = Q F T P F T Q J 2s. P Vergleicht man beide Ausdrücke man sieht dass die Transformation q p Q P kanonisch ist wenn die Anforderung Λ T J 2s Λ = J 2s V.40 an die Transformationsmatrix Λ erfüllt ist. Bemerkung: Eine Matrix welche die Beziehung V.40 erfüllt wird symplektische Matrix genannt. Man prüft einfach nach dass wenn Λ 1 Λ 2 zwei solche Matrizen sind dann ist das Produkt Λ 1 Λ 2 auch eine symplektische Matrix: anders gesagt ist das Hintereinanderausführen zweier kanonischer Transformationen wieder eine kanonische Transformation. 48 Hier ist die tief- oder hochgestellte Position der Indizes irrelevant. Wichtiger ist der Unterschied zwischen Zeilenund Spaltenindizes.
V.3 Poisson-Mechanik 111 Aus der Beziehung V.40 und det J 2s = 1 0 folgt det Λ 2 = 1 49 so dass jede symplektische Matrix invertierbar ist; eigentlich gilt Λ 1 = J 1 2s ΛT J 2s. V.41 Da die Einheitsmatrix 1 2s offensichtlich symplektisch ist bilden symplektische 2s 2s-Matrizen eine ruppe die sog. symplektische ruppe Sp2s. V.3.5 Poisson-Klammer und Symmetrien Sei q p eine mindestens zwei mal kontinuierlich differenzierbare Funktion auf dem Phasenraum eines Systems die nicht explizit von der Zeit abhängt. Anhand dieser Funktion lassen sich infinitesimale Koordinatentransformationen der Form q α Q α = q α + δq α V.42a p α P α = p α + δp α mit δq α q p ɛ = ɛ q α q p } q p δp α ɛ α = ɛ p α q p } V.42b generieren wobei ɛ ein kleiner reeller Parameter ist. Die Funktion wird oft Erzeugende der Transformation genannt. Zuerst kann man zeigen dass eine solche Koordinatentransformation immer kanonisch ist unabhängig von der Wahl der Funktion. Die zugehörige Transformationsmatrix V.39 lautet Λ = 2 + ɛ α ɛ α 2 ɛ δ α ɛ 2 δ α 2 wobei die Matrixelemente der s s-subblocks angegeben wurden. Dann gilt 2 ɛ δ α ɛ 2 J 2s Λ = δα 2 ɛ α ɛ 2 α. Nach einer zweiten Matrixmultiplikation findet man Λ T J 2s Λ = J 2s + ɛ 2 M wobei die Matrixelemente von M von den zweifachen Ableitungen von abhängen. Zur Ordnung ɛ ist dies genau die charakteristische Beziehung V.40 einer symplektischen Matrix d.h. die Koordinatentransformation V.42 ist kanonisch. Sei nun ft q p eine beliebige Funktion der Phasenraumkoordinaten und möglicherweise der Zeit. Anhand einer Taylor-Entwicklung kann man die Variation dieser Funktion zwischen dem transformierten Phasenraumpunkt q + δq p + δp und q p: δft q p ft q + δq p + δp ft q p = s α=1 f α δqα + f δp α 49 Man kann sogar zeigen dass die Determinante einer symplektischen Matrix det Λ = 1 ist. Ein elementarer Beweis wird in Ref. [27] gegeben..
112 Hamilton-Formalismus Unter Verwendung der expliziten Form V.42b von δq α δp α kommt δft q p = ɛ ft q p q p } qp. V.43 Das heißt die Änderung der Funktion f unter der infinitesimalen Transformation V.42 ist einfach durch die Poisson-Klammer von f und der Erzeugenden der Transformation gegeben. Beziehung V.43 gilt insbesondere wenn f die Hamilton-Funktion H des Systems ist. Sei angenommen dass eine Konstante der Bewegung ist. Laut l. V.30 ist die Poisson-Klammer H } gleich der partiellen Ableitung von nach der Zeit d.h. hier Null. Somit gilt für ein Integral der Bewegung δh = ɛ H } = 0. V.44 Anders gesagt ändert sich die Hamilton-Funktion nicht unter der infinitesimalen kanonischen Transformation die durch eine Konstante der Bewegung generiert wird: eine solche Koordinatentransformation ist eine Symmetrietransformation des Systems und wir finden den im Abschn. III.3 diskutierten Zusammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungsgrößen wieder. Beispiel 1: Invarianz unter Raumtranslationen und Impulserhaltung Sei zuerst angenommen dass die Erzeugende einer der Impulse ist q p = p. Dann wird die dadurch generierte infinitesimale Koordinatentransformation V.42 zu q Q = q + ɛ q α Q α = q α für α p α P α = p α für alle α. Das heißt die kanonische Transformation ist eine Translation entlang q. Nun wenn die Physik des Systems charakterisiert durch dessen Hamilton-Funktion nicht von q anhängt sollte sich H unter der Translation nicht ändern: δh = 0. Aus l. V.43 mit f = H und = p folgt dann H p } was laut l. V.30 bedeutet dass p erhalten ist wie in III.3.1 b schon gefunden wurde. Beispiel 2: Invarianz unter Zeittranslationen und Energieerhaltung Wenn die Erzeugende die Hamilton-Funktion selber ist q p = Hq p lautet die zugehörige Koordinatentransformation V.42 q α Q α = q α + ɛ H = q α + ɛ q α p α P α = p α ɛ H α = p α + ɛṗ α für alle α. Wenn die Phasenraumkoordinaten entlang einer Trajektorie betrachtet sind erkennt man dabei eine infinitesimale Zeittranslation: Q α t = q α t + ɛ P α t = p α t + ɛ. Da die Poisson-Klammer H H } Null ist ändert sich H laut l. V.43 nicht unter einer Zeittranslation: das heißt dass die Hamilton-Funktion die Erzeugende der Zeittranslationen ist und dass sie darunter erhalten bleibt entsprechend der Erhaltung der esamtenergie III.3.1 a.