S:\TRANSFER\Homepage\stottern_poltern_aphasien.rtf, Seite 1 von 7, Erstellt am 30.11.2004, zuletzt geändert am 30.11.2004 Einteilung von Sprachstörungen nach linguistischen Kriterien Artikulationsstörung = Stammeln = Dyslalie (Störung der Lautbildung) Dysgrammatismus = Agrammatismus (Störung im Wort- und Satzaufbau) Stottern (=Balbuties) und Poltern (Störung im Redefluss) Einteilung von Sprachstörungen nach neurophysiologischen Kriterien sekundäre Sprachstörungen: bei allg. zerebraler Funktionsstörung (IQ-Minderung, Autismus...) psychoreaktiv bei Konflikten (Stottern, Mutismus, Aphonie,...) zentrale Sprachstörungen (Aphasien) peripher-motorische Sprechstörungen (Dysarthrien) peripher-sensorische Sprachstörungen (Taubstummheit) ICD-10 Klassifikation von Sprech- und Sprachstörungen F80 umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache F80.0 umschriebene Artikulationsstörg. F80.1 expressive Sprachstörung F80.2 rezeptive Sprachstörung F80.3 erworbene Aphasie mit Epilepsie (LANDAU-KLEFFNER-Syndrom) F80.8 andere F94 Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend F94.0 elektiver Mutismus F98 andere Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend F98.5 Stottern F98.6 Poltern Sprachstörungen bei psychiatrischen Erkrankungen psychogene Aphonie bei Intelligenzstörungen bei Autismus bei Depressionen oder Schizophrenie u.s.w. Sprachstörungen bei organischen Erkrankungen Aphasien Dysarthrien Sprachstörungen bei Taubheit (Taubstummheit = Audimutitas) 1
S:\TRANSFER\Homepage\stottern_poltern_aphasien.rtf, Seite 2 von 7, Erstellt am 30.11.2004, zuletzt geändert am 30.11.2004 Ausbleiben der Sprachentwicklung Ursachen des Ausbleibens der Sprachentwicklung (mit 3 Jahren kein Sprechen sinnbezogener Wörter) umschriebene Sprachentwicklungsstörung Intelligenzstörung Autismus infantile Zerebralparese schwere hirnorganische Erkrankung Taubheit Stottern Symptomatik Stottern Unterbrechung des Redeflusses in Form von Spannungen und Wiederholungen sonstige Sprachauffälligkeiten spezifische Auffälligkeiten: Starter Zurückschnellen inneres Stottern Unspezifische Auffälligkeiten: Artikulationsstörungen Dysgrammatismus Mitbewegungen: primäre (Oralmotorik) und sekundäre (Rumpf, Extremitäten) Mitbe- wegungen Atemauffälligkeiten: Paradoxer Atemtyp inspiratorische Sprache Atemunregelmäßigkeiten in Verbindung mit Kloni und Toni Psychische Symptomatik: Vermeidungsverhalten Rückzug und Isolierung Vegetative Symptomatik: Schweißausbrüche Erröten Neigung zu psychosomatischen Erkrankungen Stottern Ätiologie Erbliche Faktoren Schwierigkeiten beim Erwerb der Lautsprache Somatische Befunde Ineffizienz motorischer Systeme Ineffizienz im Wahrnehmungsbereich Gestörte Hemisphärendominanz Konflikte Fixierung durch neurotische Fehlentwicklung 2
S:\TRANSFER\Homepage\stottern_poltern_aphasien.rtf, Seite 3 von 7, Erstellt am 30.11.2004, zuletzt geändert am 30.11.2004 Differentialdiagnostik: chronisches Stottern physiologische Sprachunflüssigkeiten Für ein chronisches Stottern sprechen: Blockierungen mit sichtbaren Anstrengungen Dehnungen mit Tonhöhen- und Lautstärkenanstieg von mehr als einer Sekunde Dauer Mitbewegungen Dauer der Sprechunflüssigkeit seit mehr als sechs Monaten Störungsbewusstsein, erkennbar am: Vermeiden bestimmter Wörter oder Sprechsituationen Abbruch des Sprechens beim Auftreten des Symptoms Abbruch des Blickkontakts beim Sprechen Weitere Sprachauffälligkeiten wie Stammeln oder Dysgrammatismus Familiäre Belastung mit Stottern Erheblich fixierte Befürchtungen der Eltern vor einem chronischen Stottern Stottern Therapieziele Besserung der Stottersymptomatik Abbau der Sprechangst Abbau der sozialen Isolierung Akzeptanz einer Restsymptomatik Überführung in eine Phase der Selbstbehandlung Stottern Therapie Sprechübungen Veränderung von Tempo, Lautstärke, Stimmeinsatz, Sprachmelodie Prolongiertes Sprechen Rhythmisches Sprechen Akzentuiertes sprechen Einsatz von Sprechhilfen Taktgeber zur Veränderung des Sprechrhythmus (metrisches Sprechen) Verzögerte Rückkopplung (Lee-Effekt) Therapie begleitender Sprachauffälligkeiten Atemübungen Veränderung der Einstellung zum Stottern Entspannungsverfahren Autogenes Training Hypnose Therapie der Sprechangst Medikamente Tranquilizer Neuroleptika Einbeziehen der Bezugsperson Selbsthilfegruppen 3
S:\TRANSFER\Homepage\stottern_poltern_aphasien.rtf, Seite 4 von 7, Erstellt am 30.11.2004, zuletzt geändert am 30.11.2004 Stottern Therapie: 4-Phasenprogramm nach RIPERS 1. Selbstbeobachtung und Selbstexploration 2. Thematisierung der Ängste 3. Identifikation und Desensibilisierung 4. Sprachtherapie und Stabilisierung, Verfestigung und Generalisierung Poltern Definition Poltern Poltern ist eine Redeflussstörung, die durch eine überstürzte, undeutliche Sprechweise gekennzeichnet ist und mit einer Beeinträchtigung der Sprechverständlichkeit einhergeht. Die Störung liegt in der gedanklichen Vorbereitung, nicht im Sprechvorgang selbst. Poltern Symptomatik Unregelmäßiges Sprechen mit Pausen und Sprechausbrüchen Hohe Sprechgeschwindigkeit Auslassungen und Verschlucken von Silben und Wörtern Ruckartige, schnelle Sprechansätze Stolpern bei Konsonantenhäufungen und langen Wörtern Fehlerhafte Satzmuster Monotonie der Sprechmelodie Besserung bei bewusstem und langsamen Sprechen Stottern / Poltern - Differentialdiagnostik Stottern Poltern Störungsbewusstsein vorhanden fehlt Leidensdruck vorhanden fehlt Therapiemotivation vorhanden fehlt Aufmerksamkeitslenkung auf die Artikulation bewirkt Verschlechterung bewirkt Besserung Vor Fremden wird schlechter gesprochen besser gesprochen Bei ungezwungener Rede wird die Sprache besser schlechter Wiederholungen bewirken eher Verschlechterung Besserung in der Therapie Ablenken von der Hinlenken auf die Artikulation Artikulation 4
S:\TRANSFER\Homepage\stottern_poltern_aphasien.rtf, Seite 5 von 7, Erstellt am 30.11.2004, zuletzt geändert am 30.11.2004 Mutismus - Definition Mutismus funktionelle Sprachstörung mit einem teilweisen oder völligen Verzicht auf sprachliche Kommunikation = Verstummen nach Abschluss der Sprachentwicklung bei erhaltenem Sprachvermögen (mutus = still, stumm) Mutismus - Einteilung nach der Ätiologie: - psychogener Mutismus - Mutismus bei Psychosen - Mutismus bei hirnorganischen Erkrankungen nach der Symptomatik - totaler Mutismus - (s)elektiver Mutismus (F 94) Elektiver Mutismus (F94.0 Diagnostische Leitlinien nach ICD-10 (nahezu) normales Niveau des Sprachverständnisses für eine soziale Kommunikation ausreichende sprachliche Kompetenz Beleg dafür, dass in einigen Situationen (fast) normal gesprochen wird (oder gesprochen werden könnte) Elektiver Mutismus Symptomatik Verweigerung des Sprechens in fast allen sozialen Situationen (Kind spricht zu Hause und/oder mit engen Freunden, aber nicht mit Fremden, im Kindergarten/Schule aber auch umgekehrtes Verhalten und andere Muster sind möglich) (vorhersehbar und chronisch = mindestens einige Monate) erhaltenes Sprachverständnis und Sprechfähigkeit Fehlen einer anderweitigen körperlichen oder psychischen Störung (nicht durch hirnorganischen Antriebsmangel oder Psychose bedingt) häufige Zusatzsymptome sind: - Sprachretardierung (meist Stammeln, Dysgrammatismus, selten Stottern) - Intelligenzminderung (1/3 lernbehindert) - psychische Auffälligkeiten (kontaktarm/ängstlich, selbstunsicher, sozialer Rückzug, enge Mutterbindung, eigenwilligoppositionell, übernachhaltig) - Kinderfehler (Einnässen, Nägelknappern, Daumenlutschen) und andere Verhaltensauffälligkeiten Beginn meist in der Kindheit (Maximum bei Kindergarten- bzw. Schuleintritt) Häufigkeit ca. <1/1.000, gleiche Häufigkeit bei Jungen und Mädchen 5
S:\TRANSFER\Homepage\stottern_poltern_aphasien.rtf, Seite 6 von 7, Erstellt am 30.11.2004, zuletzt geändert am 30.11.2004 Prognose 50 % weitgehendes Abklingen innerhalb einiger Jahre 50 % deutliche Besserung aber anhaltende Sprechscheu und soziale Ängstlichkeit Elektiver Mutismus - Ätiologie phasenspezifische Neigung zu mutistischen Reaktionen (1. Trotzphase) Persönlichkeitsbesonderheiten: (kontaktarm selbstunsicher / eigensinnig übernachhaltig) Konflikt (z. B. strenger, unnachgiebiger Vater, Überforderung bei niedrigem IQ; bei plötzlichem Beginn: akuter Konflikt) Frustrationen durch Sprachentwicklungsstörung Konfliktintoleranz durch hirnorganische Vorschädigung familiäre Besonderheiten (z. B. autistische, eigenbrötlerische, kontaktarme Familienatmosphäre und damit unzureichendes soziales Lernen, kontaktarme Wohngegend, familiäre Disharmonie, psychiatrische Erkrankungen der Eltern) Elektiver Mutismus - mehrdimensionale Therapie persönlichkeitszentrierte Psychotherapie zur Angstreduktion und Kontaktförderung Verhaltenstherapie zur Symptomdurchbrechung (operante Konditionierung) Elternberatung/Elterntherapie Soziotherapie (Kindergarten, Schule, Freizeitaktivität, Kontakt zu Gleichaltrigen) (Psychopharmaka) Dysarthrien Typ Lokalisation Besonderheiten myogene Dysarthrie Muskulatur progressive Muskeldystrophie, Polymyositis, Myasthenie peripher-neurogene D. Hirnnerven Paresen von Hirnnerven (V/3, VII, IX, X, XII) bulbäre Dysarthrie spinale Muskelatrophie, Poliomyelitis, Enzephalitis, Tumoren, Syringobulbie, Gefäßste- motorische Kerne im Hirnstamm nosen suprabulbäre Dysarthrie motorische Kortex und/oder Pyramidenbahn Teilsymptom einer Spastik athetotisch Basalganglien choreatisch extrapyramidale D. hypoton-hyperkinetisch Hirnstamm (N. niger) hyperton-hyperkinetisch zerebellare Dysarthrie Kleinhirn Symptome: Ataxie Tremor Asynergie Arhythmie 6
S:\TRANSFER\Homepage\stottern_poltern_aphasien.rtf, Seite 7 von 7, Erstellt am 30.11.2004, zuletzt geändert am 30.11.2004 Aphasien des Kindesalters vor dem 6. 8. Lbj.: bei lokalisierten Hirnerkrankungen treten eine Sprachregression bzw. ein Verstummen ein mit guter Rückbildungstendenz über die üblichen Stufen der Sprachentwicklung, nach dem 6. 8. Lbj.: aphasische Bilder wie im Erwachsenenalter, Landau-Kleffner-Syndrom F 80.3 erworbene Aphasie mit Epilepsie (Landau-Kleffner-Syndrom) Verlust der rezeptiven und nachfolgend der expressiven Sprache bei erhaltener Intelligenz Spitzenpotentiale (vorwiegend perisylvisch) im EEG mit und ohne epileptische Anfälle (meist fokal komplexe Anfälle und/oder atypische Absencen) Erkrankungsbeginn im Alter von 3 bis 7 Jahren Fakultativ Verhaltens- und emotionale Störungen Häufigkeit: bislang etwa 200 Fälle beschrieben, oft unerkannt, Jungen/Mädchen = 2/1 Ursache: ungeklärt (evtl. Störung der Hirnreifung während der für die Sprachentwicklung sensiblen Phase durch epileptische Entladungen?) Verlauf: wechselhaft mit Remissionen und Rezidiven, Rückbildung der Epilepsie spätestens in der Pubertät, nicht selten Persistenz der Sprachstörung Prognose: ungünstig bei frühem Beginn (vor dem 5. Lbj.) und spät einsetzender Therapie Therapie logopädische Behandlung Antiepileptika (Mittel der 1. Wahl Sultiam) bei Therapieresistenz ACTH oder Cortikoide Literaturhinweise Suchodoletz, W. v., Warnke, A. & Amorosa, H.: Stottern (Stammeln) (F98.5), Poltern (F98.6). In: Leitlinien zu Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, (2003), 2. überarb. Aufl., 669-376. Suchodoletz, W. v.: Sprach- und Sprechstörungen. In: H.-C. Steinhausen (Hrsg.): Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter Ein interdisziplinäres Handbuch. Kohlhammer, Stuttgart, (2001) 88-113 Suchodoletz, W. v.: LANDAU-KLEFFNER-Syndrom. Kinderärztliche Praxis 60 (1992) 294 296 7