Stockholm-Syndrom Das Stockholm-Syndrom, das fälschlich auch als "Helsinki-Syndrom" bezeichnet wird, beschreibt einen Prozess, in dem die Geiseln eine positive emotionale Beziehung zu ihren Geiselnehmern aufbauen. Wenn Entführte sich mit ihren Geiselnehmern solidarisieren, sich im Extremfall sogar verlieben, spricht man vom "Stockholm-Syndrom". Ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, das unterschiedliche Stadien durchläuft und vielfältige Ausprägungen aufweisen kann. Wissenschaftlich untermauert ist dieses Syndrom allerdings nicht. Hintergrund: Am Donnerstag, den 23. August 1973 überfiel ein schwerbewaffneter Mann eine Bank in Stockholm, Schweden und nahm vier junge Geiseln. "The party has just begun", soll er geschrien haben und mit einem ohrenbetäubenden Feuer aus seiner Maschinenpistole, die mehr als 60 Kunden und Angestellten der Bank in Angst und Schrecken versetzt haben. Die "Party" dauerte mehr als 131 Stunden und wurde für die vier Geiseln alles andere als lustig. Die vier Geiseln, drei Frauen und ein Mann, wurden im Tresorraum festgehalten. Der Fall erlangte damals viel Aufmerksamkeit der Medien, nicht zuletzt deshalb, weil - damals für die Medien neu - die Angst der Geiseln in den Medien so offen gezeigt wurde. Man glaubte, ein bisher nie da gewesenes psychologisches Phänomen zu beobachten, denn es wurde berichtet, dass die Geiseln mehr Angst vor der Polizei gehabt hätten als vor dem Täter. Noch Wochen nach ihrer Freilassung hätten sie Alpträume gehabt, ohne jedoch Gefühle der Wut oder des Hasses zu entwickeln. Sie glaubten, der Geiselnehmer hätten ihnen ihr Leben zurückgegeben und waren ihm für diese Großzügigkeit sehr dankbar.
Folgende Aspekte charakterisieren das Stockholm-Syndrom: - Eine Art "Notgemeinschaft" (Kriterium der Ausweglosigkeit resp. Kontrollverlust, Angst um das eigene Leben) zwischen Geiselnehmern und Geiseln entwickelt sich. - Die Geiseln identifizieren sich mit den Handlungen der Täter. Die Geiseln zeigen in ihrem Handeln und ihrer Sprache Verhaltensweisen, die nicht mit Logik, sondern ausschließlich mit psychologischen Grundlagen zu erklären sind. Es entwickeln sich starke emotionale Bindungen. - Da die Opfer keine Kontrolle über ihre Situation haben, versuchen sie sich möglichst so zu verhalten, wie sie glauben, dass es die Entführer wünschen und vermeiden alles, was ihre Situation verschlimmern könnte.
Wissenschaftliche Erklärungsansätze - Es handelt sich um einen Selbstschutzmechanismus, mit dem die Angst um das eigene Leben in Situationen mit Kontrollverlust abgewehrt werden soll. Schutz des Ichs gegenüber einer Gefahr, die vom Geiselnehmer ausgeht. Man greift auf die Strategie zurück, die in frühen Entwicklungsphasen (in der Kindheit) zielführend war. - Nach Aussagen von unterschiedlichen Autoren zum Stockholm- Syndrom haben die Opfer und Täter in einer solchen Situation ähnliche Interessen und Motive (Überleben sichern), die verbinden. So entstünden Bündnisse, die im Nachhinein nicht mehr verständlich seien. - Aufgrund der extremen Stressbelastung in einer lebensbedrohlichen Situation müssen neue Formen der Anpassung praktiziert werden oder die Betroffenen fallen in frühe Stadien der Ich-Entwicklung zurück (Regression), um zu überleben. Dieses Phänomen betrifft Geiselnehmer und Geiseln gleichermaßen. - Durch gruppendynamische Phänomene verbünden sich Geiseln und Geiselnehmer gegen "die da draußen", gegen die Polizei. Diese emotionale Bindung scheint sich außerhalb der bewussten Kontrolle der Geiseln und Geiselnehmer abzuspielen.
- Ein weiterer Aspekt ist, dass die Geiseln gegenüber ihren Befreiern oft die Vorwurfshaltung einnehmen, dass man sie nicht schnell genug befreit hätte. - Der Verlauf der psychischen Traumatisierung der Geiseln lässt sich in einer Art Zeitraffer darstellen. Das Besondere daran ist, dass sich diese Phasen wiederholen können. Einer ersten Schockphase folgt eine Einwirkungsphase, während der das Erlebte eingeordnet und begriffen wird, danach kommt es zu einer Art Erholungsphase. Die einzelnen Phasen wiederholen sich im Verlauf der Geiselnahme abhängig von den Umständen und von der Dauer. Erzwungene Nähe und paradoxe Dankbarkeit gegenüber den Geiselnehmern scheinen sich bei allen untersuchten Geiselnahmen durchzuziehen.
Anmerkungen zum Stockholm-Syndrom: - Vom wissenschaftlichen Standpunkt her handelt es sich beim Stockholm-Syndrom nicht um ein Syndrom im eigentlichen Sinne. Unter Syndrom wird das Auftreten bestimmter Phänomene / Symptome also einheitlicher Kriterien verstanden. - Nicht jedes Geiselopfer entwickelt das Stockholm-Syndrom, jedoch alle bisher beobachteten Geiseln zeigten einzelne Symptome. - Spezifische Behandlungsverfahren wurden bisher noch nicht publiziert und auch die einschlägige Literatur, die von einem einheitlichen Verlauf und einer durchgängigen Phänomenologie berichtet, fehlt. - Bisher gibt es aber noch keine eindeutige Kriseninterventionsmaßnahme, die allen Geiselopfern gleich hilft und auch präventiv die Entstehung eines Stockholm-Syndroms verhindert.