Hannover, 01.12.2016 Beatrix Schwarzer Schulpsychologische Dezernentin Niedersächsische Landesschulbehörde Regionalabteilung Hannover, Außenstelle Syke Fachtag: Häusliche Gewalt früher sehen Forum 7: Häusliche Gewalt aus schulischer Perspektive
Gliederung Auswirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder Möglichkeiten der Intervention in Schule Möglichkeiten der Prävention in Schule Aufgaben der Schulpsychologie
Auswirkungen häuslicher Gewalt auf die Kinder
Ausmaß häuslicher Gewalt 12% der Jugendlichen geben an, mit elterlicher Gewalt konfrontiert zu werden. 25% der Frauen gaben an, schon einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch den Partner erlitten zu haben. 60% davon lebten mit Kindern zusammen. 5-10% der Männer geben an, Opfer von Gewaltakten durch die Partnerin gewesen zu sein. Jährlich flüchten bundesweit 40.000 Frauen und Kinder vor Gewalt in der Partnerschaft in ein Frauenhaus In Niedersachsen sind es ca. 2.800 Frauen mit ca. 3.000 Kindern
Die Folgen häuslicher Gewalt für Kinder Kinder hören (57%) und sehen (50%) die Gewalthandlungen. Geraten selbst in die Auseinandersetzung (21%) oder werden angegriffen (10%). Sie versuchen die Mutter (25%) oder den Vater (2%) zu schützen. (Angaben der Mütter in einer Studie des BMFSFG)
Folgen häuslicher Gewalt für Kinder Sie sehen: Der Vater schlägt die Mutter, stößt und boxt sie, reißt sie an den Haaren. Er bedroht die Mutter mit dem Messer oder einer anderen Waffe. Er vergewaltigt die Mutter. Sie geht auf ihn los, sie wehrt sich und kämpft. Sie blutet.
Folgen häuslicher Gewalt für Kinder Sie hören: Der Vater schreit, brüllt. Er bedroht die Mutter, er bedroht sie mit dem Tod. Er setzt sie herab, entwertet sie als Person, als Frau und als Mutter. Die Mutter schreit, weint, wimmert. Sie brüllt ihn an, beschimpft ihn, setzt sich zur Wehr.
Folgen häuslicher Gewalt für Kinder Sie spüren: Den Zorn des Vaters, die Heftigkeit seiner Zerstörungswut. Die Angst der Mutter, ihre Ohnmacht und Unterwerfung. Die Angst der Geschwister, vor allem der Kleinen. Die bedrohliche, unsichere Atmosphäre vor den Gewalttaten. Die eigene Angst und Ohnmacht.
Folgen häuslicher Gewalt für Kinder Sie denken: Er wird sie töten. Ich muss ihr helfen. Ich muss die Kleinen raushalten. Er wird mich schlagen. Er wird uns alle töten. Sie ist selbst schuld, warum widerspricht sie immer. Sie ist so schwach, ich verachte sie. Sie tut mir so leid, ich hab sie lieb. Ich will nicht, dass er weggeht.
Bericht Amela
Auswirkungen auf Kinder Schlafstörungen, Depressionen, psychosomatische Beschwerden, Konzentrationsprobleme Existentielle Ängste, ohnmächtige Wut, Trauer, Mitleid, innere Erstarrung Einsamkeit, Sprachlosigkeit Aggressivität, Selbstverletzendes Verhalten
Entwicklungsbeeinträchtigungen bei Kindern nach Partnergewalt 30 60% der Kinder zeigen deutliche Verhaltensauffälligkeiten Weniger als ein Fünftel erscheint unbelastet (Aus einer Befragung der Fachkräfte aus Frauenhäusern) Sie haben ein drei- bis sechsfach erhöhtes Risiko, behandlungsbedürftige Störungen zu entwickeln. (Kindler 2002)
Entwicklungsbeeinträchtigungen bei Kindern nach Partnergewalt Mädchen und Jungen reagieren gleichermaßen belastet. Mädchen zeigen externalisierende Auffälligkeiten eher im sozialen Nahfeld, während bei Jungen eine Chronifizierung externalisierender Auffälligkeiten höher ist.
Risikopfade Beeinträchtigung der Lernbereitschaft bzw. der Konzentrationsfähigkeit Rückstände in der kognitiven Entwicklung Geringerer Schulerfolg
Risikopfade Weniger Fähigkeiten für eine konstruktive Konfliktbewältigung Höhere Bereitschaft zum Einsatz oder zum Erdulden von Gewalt Schwierige Gleichaltrigenbeziehungen
Möglichkeiten der Intervention in Schule
Häusliche Gewalt ist eine Form von Kindeswohlgefährdung
KKG 4 Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (1) Werden [ ] Lehrerinnen oder Lehrern an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten Schulen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind der Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
KKG 4 (2) Die Personen nach Absatz 1 haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren.
KKG 4 (3) Scheidet eine Abwendung der Gefährdung nach Absatz 1 aus oder ist ein Vorgehen nach Absatz 1 erfolglos und halten die in Absatz 1 genannten Personen ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich, um eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen abzuwenden, so sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren; hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird. Zu diesem Zweck sind die Personen nach Satz 1 befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten mitzuteilen.
8b Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (1) Personen, die beruflich in Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen stehen, haben bei der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung im Einzelfall gegenüber dem örtlichen Träger der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft.
8b Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (2) Träger von Einrichtungen, in denen sich Kinder oder Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten, und die zuständigen Leistungsträger, haben gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien 1. zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt sowie 2. zu Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung sowie zu Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten
Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung Träger der öffentlichen Jugendhilfe Träger des staatlichen Wächteramtes Garantenstellung Fachliche Beratung und Begleitung von Personen, die beruflich im Kontakt mit Kindern /Jugendl. stehen Einleitung von Maßnahmen zum Schutz des Kindes / Jugendlichen Kinderschutz gesetz 4 KKG Lehrerinnen und Lehrer Sind verpflichtet, bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung, tätig zu werden Eigene aktive Risikoeinschätzung und Hilfsangebote Ggf. Information des Jugendamtes
Die Vereinbarungen enthalten: - Vereinbarungen - Handlungsleitfaden - Beobachtungsbögen - Adressen der örtlichen insoweit erfahrenen Fachkräfte - Erreichbarkeit der Jugendamtsmitarbeiter
Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung Ersteinschätzung durch Lehrkraft, Schulleitung, erf. Fachkraft Anhaltspunkte unbegründet Keine Gefährdung aber Hilfebedarf Gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung ja Mit eigenen Mitteln lösbar? nein Konkretisierung der Gefährdungseinschätzung durch zusätzliche Information (Team, Leitung, erfahrene Fachkraft) Exit Motivierung und Hinwirkung auf Inanspruchnahme einer Hilfe Familie nimmt Hilfe an oder will keine Hilfe Bei Verschlechterung der Situation nein Kindeswohlgefährdung? Gespräch mit Eltern und Jugendl./ Kind über Risikoeinschätzung / Aufforderung zum Kontakt mit ASD Eltern nehmen Kontakt auf ja ja nein Eigene Meldung an ASD Übergabe an das Jugendamt
Phasenmodell: Normal - Zustand Schwelle Latente Krise Schwache Signale Schwelle Akute Krise bzw. Verfestigung
Schulleiter und Lehrkräfte... - kennen die Vereinbarung zur Umsetzung des Schutzauftrages - richten ihr Verhalten und Entscheidungen danach aus - schätzen das Gefährdungsrisiko ein - ziehen bei der Abschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzu - unterstützen die Eltern darin, sich Hilfe zu holen - schalten das Jugendamt ein, wenn diese Hilfen nicht ausreichen, um die Gefahr abzuwenden - wenden sich direkt an das Jugendamt oder die Polizei bei akuter Gefährdung
Weil sie dann etwas Falsches tun Die Überwindung von Zugangsbarrieren zu Hilfe und Unterstützung gehört zu den Kernproblemen des gesellschaftlichen Umgangs mit häuslicher Gewalt. (Seith, Corinna)
Kinder und Jugendliche sollten über Gewalt zwischen den Eltern sprechen weiblich männlich total 37,7 28,3 33,1 48,1 31,1 39,3 52,6 36,1 44,3 9 bis 11 12 bis 14 15 bis 17
Warum sprechen Kinder und Jugendliche nicht über häusliche Gewalt? Weil man die Eltern nicht gerne schlecht macht vor anderen Leuten. (Mädchen, 16 Jahre) Weil man Angst hat, dass man von den Eltern weggenommen wird oder was dann mit den Eltern passiert. (Mädchen, 15 Jahre) Weil sie dann die Eltern fragen, ob das stimmt. Dann wissen die Eltern, dass das Kind erzählt hat. Vielleicht wollen die Eltern nicht, dass das andere wissen. (Junge, 12 Jahre)
Mit wem können Kinder und Jugendliche über Gewalt zwischen Eltern reden? Geschwister Großeltern FreundInnen Sorgentelefon Mutter Vater Polizei Lehrer Nachbarn 0% 20% 40% 60% 80% 100% einfach nicht so einfach schwierig
Warum könnte es schwierig sein, mit Verwandten darüber zu sprechen? N=1197 Unberechenbarkeit der Reaktion (würden es weitererzählen) weibl. (%) männl. (%) Total (%) 28.1 29.2 28.6 würden schlecht über Familie denken, Scham 21.3 21.5 21.4 Wissen um Loyalität in der Familie 24.0 17.3 20.9 würden es nicht glauben 19.4 11.1 15.5 würden Problem nicht verstehen 12.2 12.7 12.4 würden nicht helfen 5.9 4.8 5.4 geht sie nicht an 3.9 4.0 4.0 Nicht-Verfügbarkeit (zeitlich, geographisch) 2.0 4.4 3.1 haben das gleiche Problem 3.6 2.1 2.9 unerwünschtes Mitleid 1.1 1.3 1.2 (Nationales Forschungsprogramm der Schweiz: Häusliche Gewalt aus Sicht von Kindern und Jugendlichen unter der Leitung von Corinna Seith 2003-2006)
Warum könnte es schwierig sein, mit der Lehrperson darüber zu sprechen? N=1215 weibl. (%) männl. (%) Total (%) Rolle der Lehrperson (keine Vertrauensperson) 32.8 28.5 30.8 ist Privatsache, geht Lehrperson nichts an 27.2 31.3 29.1 Unberechenbarkeit der Reaktion, würde es weitererzählen 22.9 15.6 19.5 würde schlecht über die Familie denken, Scham 13.3 12.7 13.0 würde Problem nicht verstehen 9.4 10.9 10.1 Lehrperson kann keine Hilfe bieten 5.2 4.4 4.8 Angst, Lehrperson verändert Verhalten gegenüber SchülerIn 3.5 3.0 3.2 würde es nicht glauben 2.3 1.2 1.8 (Nationales Forschungsprogramm der Schweiz: Häusliche Gewalt aus Sicht von Kindern und Jugendlichen unter der Leitung von Corinna Seith 2003-2006)
Schwierigkeiten in der Praxis Vorbehalte und Ängste im Umgang mit häuslicher Gewalt bei den Lehrkräften. Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen als Personen mit eigenem Recht. Unsicherheiten im Führen schwieriger Elterngespräche. Einstellungen zur betreffenden Familie: Gespür für die Ängste der Eltern, Interesse an der familiären Situation, Abneigung oder Aggressivität.
Öffnung bei Kindern wird gefördert durch: Gelegenheit zum vertrauten Gespräch (4-Augen) Klare unterstützende Haltung Benennung der erlittenen Gewalt als Unrecht Orientierung über weitere Schritte Thematische Anstöße
Möglichkeiten der Prävention in Schule
Handlungsebenen und Themenschwerpunkte in der Prävention häuslicher Gewalt mit Kindern und Jugendlichen Handlungsebene Themen Akteure Primäre Prävention - Geschlechterrollen erweitern und Rollenvorbilder anbieten - Gewaltfreie Kommunikation und konstruktive Konfliktbewältigung lernen - Respektvoller Umgang mit anderen Menschen einüben - Gewalttätiges Verhalten sanktionieren - Menschen- und Kinderrechte vermitteln - Häusliche Gewalt enttabuisieren - Selbstwertgefühl und Selbstbehauptungsfähigkeiten steigern - Sexualpädagogik betreiben Schulen Jugendhilfe Frauenunterstützungseinrichtungen
Handlungsebenen und Themenschwerpunkte in der Prävention häuslicher Gewalt mit Kindern und Jugendlichen Handlungsebene Themen Akteure Sekundäre Prävention - (Proaktives) Hilfesystem für betroffene Frauen, Kinder und Jugendliche - Kinder- und jugendgerechte Informationen über Hilfsangebote / über Folgen von Hilfen - Krisenbewältigung / Entlastung der Opfer von Schuldgefühlen - Begleitung durch erwachsene Bezugspersonen Schulen Jugendhilfe Frauenunterstützungseinrichtungen Polizei Justiz
Handlungsebenen und Themenschwerpunkte in der Prävention häuslicher Gewalt mit Kindern und Jugendlichen Handlungsebene Themen Akteure Tertiäre Prävention - Gespräche / Beratung für Kinder / Jugendliche - Stärkung der Erziehungsfähigkeit der Mütter - Täter- / Väterarbeit - Umgangsregelungen - Empowerment / Neuorientierung - Sozialpädagogische Einzel- und Gruppenangebote für Kinder - Psychotherapie - Strafrechtliche Sanktionen Jugendhilfe Kinder- und Jugendpsychologie und -psychiatrie Frauenunterstützungseinrichtungen Täterberatungsstellen Justiz
Präventionsprogramme in Schule Regionale Berater für Prävention und Gesundheit Informieren über und koordinieren bestehende Präventionsprogramme zum Thema Gewalt Feste Angebote der RPGs: Lions Quest, MIT, PAC, buddy (10 Lehrkräfte)
Präventionsprogramme in Schule Programme und Projekte zur Gewaltprävention Frauenunterstützungseinrichtungen, Polizei, Jugendhilfeeinrichtungen Z.B. Materialien der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e.v.)
Aufgaben der Schulpsychologie
Niedersächsische Landesschulbehörde Organisation: Dezernat 1 Finanzen, Recht, Personal, Service und frühkindliche Entwicklung Dezernat 2 Grund-, Ober-, Haupt-, Real- und Förderschulen Dezernat 3 Allgemeinbildende Gymnasien und Gesamtschulen Dezernat 4 Berufliche Bildung Dezernat 5 Schulpsychologie
Dezernat 5 Schulpsychologie RA Hannover ~ 300.000 Schüler ~ 700 Schulen Ca. 15 000 Schüler pro Dezernent Ca. 35 Schulen pro Dezernent
Arbeitsprinzipien Verschwiegenheit Freiwilligkeit Neutralität / Allparteilichkeit / Unabhängigkeit Verantwortungsstruktur
Aufgaben der Schulpsychologie Auf das System bezogene Arbeit Personenbezogene Beratung Notfallpsychologie
Auf das System bezogene Arbeit Die Schulpsychologin oder der Schulpsychologe wirkt bei der Gestaltung von Schule mit durch Beratung und Unterstützung der Lehrkräfte sowie der Schulleiterinnen und Schulleiter.
Auf das System bezogene Arbeit BuddY-Projekt: Aufeinander achten. Füreinander da sein. Miteinander lernen. BeratungslehrerInnen Klassenlehrerprogramm Kommunikation Interaktion Kooperation (KIK) Schulinterne Lehrerfortbildungen (SchiLf)
Personenbezogene Beratung Schulpsychologische Beratung für alle, die mit Schule zu tun haben: Lehrkräfte Eltern Schüler Schulsozialarbeit
Fragen?