Marco Walg Gerhard W. Lauth. Erziehungsschwierigkeiten gemeinsam meistern. Informationen und Übungen für gestresste Eltern

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Transkript:

Marco Walg Gerhard W. Lauth Erziehungsschwierigkeiten gemeinsam meistern Informationen und Übungen für gestresste Eltern

18 Informationskapitel 1 andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig ( 1631). Von juristischer Seite wird Erziehung also über Ziele und Unzulässigkeiten bestimmt. Eine genaue Definition von Erziehung bleibt jedoch aus. Was sagen die Sachverständigen? Geht es vor Gericht um die Frage einer Kindeswohlgefährdung, wird vom Familiengericht häufig ein sogenanntes Sachverständigengutachten zur Prüfung der Erziehungsfähigkeit in Auftrag gegeben. Der Begriff der Erziehungsfähigkeit ist vom Gesetzgeber nicht genauer gefasst. Die ernannten Sachverständigen prüfen jedoch in der Regel vier Gesichtspunkte (Kindler et al., 2006): Pflege und Versorgung, Bindung, Vermittlung von Regeln und Werten, Förderung des Kindes. Die vier Aspekte werden im Folgenden kurz erläutert. 1. Pflege und Versorgung: Dieser Aspekt bezieht sich auf die Grundversorgung eines Kindes. Es soll gewährleistet sein, dass das Kind nicht hungert und nicht durstet. Das Kind soll an einem angemessenen Wohnort aufwachsen. Es braucht ein Dach über dem Kopf, einen Schlafplatz, Schutz vor Kälte, Nässe, Krankheiten. Eltern müssen medizinische Versorgung und Hygiene gewährleisten. 2. Bindung: Eltern sollen eine stabile und liebevolle Beziehung zu ihrem Kind aufbauen. Sie sollen ihrem Kind eine unterstützende Vertrauensperson sein. Dazu ist es notwendig, dass die Eltern Zeit mit ihrem Kind verbringen, mit ihm spielen, es bei Aufgaben unterstützen, Hilfe und Ermutigung bei Schwierigkeiten geben, fürsorglich sind. Das Kind sollte darauf vertrauen können, dass die positive Beziehung zu seinen Eltern Bestand hat, also stabil ist und die liebevolle Beziehung auch nach einem Streit fortbesteht. 3. Vermittlung von Regeln und Werten: Kinder sollen die in ihrer Gesellschaft geltenden Regeln und Werte erlernen. Die Eltern haben die Aufgabe, diese Regeln und Werte zu vermitteln und auf deren

Definition der Erziehung 19 Einhaltung zu achten. Eltern leben beispielsweise vor, wie man sich in Gesellschaft verhält oder Konflikte löst. 4. Förderung: Dieser Aspekt bezieht sich auf die kognitive oder geistige Förderung des Kindes. Es soll also die Entwicklung des Kindes gefördert werden. Hierzu sollen Eltern beispielsweise ihren Kindern eine anregungsreiche Umgebung bieten, die viele Lernchancen eröffnet. Die Eltern sollen Vorbild sein und ihrem Kind altersangemessene Fähigkeiten beibringen. Auch die Einhaltung der Schulpflicht gehört zur Förderung. Falls ein Kind in seiner Entwicklung Defizite oder Verzögerungen aufweist, z. B. eine Lese- und Rechtschreibschwäche, sollten die Eltern eine entsprechende Förderung ermöglichen. Zur Förderung gehört auch, das Kind in seiner Identitätsentwicklung und später in seinen Selbstständigkeitsbestrebungen, bei der Ablösung vom Elternhaus, zu unterstützen. Personen gelten als erziehungsfähig, wenn sie die vier Kriterien der Erziehungsfähigkeit erfüllen. Die Vermittlung von Regeln stellt also nur einen Aspekt der Erziehungsfähigkeit dar und darf nicht mit Erziehung gleichgesetzt werden. Erziehung ist viel mehr! Wenn sich Ihr Kind also öfter nicht an Regeln hält, heißt das noch lange nicht, dass Sie Ihr Kind nicht erziehen können. Es mag sein, dass dieser Aspekt der Erziehung für Sie und Ihr Kind zeitweise schwerer zu erreichen ist als die anderen Kriterien. Gut, wenn Sie trotzdem an Ihren Zielen festhalten und diese Schwierigkeiten überwinden wollen. Das ist sehr lobenswert und vorbildlich. Betrachten Sie doch einmal alle vier Kriterien der Erziehungsfähigkeit und schauen Sie, welche Aspekte Sie leicht erreichen können, welche Kriterien Sie gut erfüllt haben. Was sagen Pädagogen und Psychologen? Im Rahmen der Erziehung sollen Eltern erwünschte Verhaltensweisen ihrer Kinder fördern. Ziel ist es, dass aus Kindern selbstständige, verantwortungsvolle und leistungsfähige Individuen werden. Hurrelmann formuliert in seiner Definition von Erziehung, dass Erwachsene versu-

20 Informationskapitel 1 chen, das erwünschte Verhalten zu fördern und die Persönlichkeitsentwicklung positiv zu beeinflussen. Seine Wortwahl macht deutlich, dass es in der Erziehung keine Erfolgsgarantie gibt. Erziehungspersonen müssen sich also auf Misserfolgserlebnisse und Rückschritte einstellen. Definition der Erziehung nach Hurrelmann (1994) Erziehung ist die soziale Interaktion zwischen Menschen, bei der ein Erwachsener planvoll und zielgerichtet versucht, bei einem Kind unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und der persönlichen Eigenart des Kindes erwünschtes Verhalten zu entfalten oder zu stärken. Erziehung ist ein Bestandteil des umfassenden Sozialisationsprozesses; der Bestandteil nämlich, bei dem von Erwachsenen versucht wird, bewusst in den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern einzugreifen mit dem Ziel, sie zu selbstständigen, leistungsfähigen und verantwortungsvollen Menschen zu bilden. Auf den Aspekt möglicher Misserfolgserlebnisse weist auch die Psychologin Gudrun Görlitz (2010, S. 179) hin: Erziehung heißt also Einüben, Wiederholen, Trainieren, Auffrischen. Sie betont, dass auch Erziehung den Lerngesetzen unterliegt. So wie Vokabeln nach einmaligem Lesen nicht dauerhaft im Gedächtnis bleiben und so wie man das Auto fahren nicht an einem Tag, sondern mühevoll und zeitaufwändig erst in Theorie und dann in Praxis erlernen muss, so ist auch Erziehung ein Prozess, in dem nicht alles sofort gelingt. Es gehört daher zum Erziehungsalltag, Kinder immer wieder, vielleicht sogar täglich an bestimmte Regeln zu erinnern und die Regeleinhaltung einzufordern. Sie sollten sich dadurch nicht frustrieren lassen und schon gar nicht an Ihren Qualitäten als Erziehungsperson zweifeln. Machen Sie sich bewusst, dass Erziehung auch Lernen bedeutet. Wiederholungen und Übungen gehören dazu das gilt sowohl für Ihr Kind als auch für Sie als Erziehungsperson. Auch Sie dürfen lernen, Fehler machen, wiederholen und üben. Es wird zwischen verschiedenen Erziehungsstilen unterschieden. Viele Studien zeigen, dass Kinder von einem autoritativen Erziehungsstil am meisten profitieren. Der autoritative Erziehungsstil ist gekennzeichnet durch eine Kombination von elterlicher Wärme und Kontrolle. Autoritative Eltern begegnen ihren Kindern liebevoll, verständnisvoll und ein

Definition der Erziehung 21 fühlsam; gleichzeitig werden Grenzen gesetzt, Regeln aufgestellt und die Einhaltung der Regeln konsequent durchgesetzt. An das Kind werden Erwartungen gestellt und Aufgaben erteilt, die dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes entsprechen, um Über- und Unterforderung zu vermeiden. Die Kinder erhalten ihrem Alter entsprechend ausreichend Freiheiten, um die Entwicklung einer Persönlichkeit mit eigenen Einstellungen und ihre Selbstständigkeit zu fördern. Von einem autoritativen Erziehungsstil profitieren Kinder und Jugendliche. Autoritativ erzogene Menschen erreichen im Durchschnitt bessere Schulleistungen, sind vergleichsweise selbstständiger, selbstbewusster und sozial kompetenter, vergleichsweise seltener depressiv sowie seltener aggressiv und sozial auffällig. Das Wichtigste in Kürze: 1. Erziehung ist deutlich mehr als die Vermittlung von Regeln. Zur Erziehung gehören auch die Versorgung des Kindes, der Aufbau einer liebevollen Beziehung und Förderung. 2. Ziel von Erziehung ist es, dass aus Kindern selbstständige, verantwortungsvolle und leistungsfähige Persönlichkeiten werden. 3. Erziehung ist ein langer Lernprozess, zu dem auch Misserfolgserlebnisse und Rückschritte gehören. Wiederholen von Regeln, Erinnerungen, Übungen sind ein ganz normaler Bestandteil des Lernens. 4. Kinder und Jugendliche profitieren von einem Erziehungsstil, der durch eine Kombination von elterlicher Wärme und Kontrolle gekennzeichnet ist.

22 Informationskapitel 1 Eigene Notizen: