Das vorsätzliche unechte Unterlassungs- und Erfolgsdelikt 1. TB obj: Erfolg Nichtvornahme der zur Erfolgsabwendung objektiv erforderlichen Handlung trotz physisch realer Erfolgsabwendungsmöglichkeit hypothetische Kausalität Garantenstellung gemäß 13 I StGB (objektive Zurechnung unter Einschluss des Pflichtwidrigkeits- und Schutzzweckzusammenhangs) Entsprechungsklausel gemäß 13 I StGB (Zumutbarkeit) subj: Vorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale; insbesondere Vorsatz bezüglich der Umstände, aus denen sich die Garantenstellung ergibt 2. Rechtswidrigkeit (Zumutbarkeit) 3. Schuld (Zumutbarkeit)
Das fahrlässige unechte Unterlassungs- und Erfolgsdelikt 1. TB Erfolg Nichtvornahme der zur Erfolgsabwendung objektiv erforderlichen Handlung trotz physisch realer Erfolgsabwendungsmöglichkeit hypothetische Kausalität Garantenstellung gemäß 13 I StGB die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei objektiver Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges (objektive Zurechnung unter Einschluss des Pflichtwidrigkeits- und Schutzzweckzusammenhangs) Entsprechungsklausel gemäß 13 I StGB (Zumutbarkeit) 2. Rechtswidrigkeit (Zumutbarkeit) 3. Schuld Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung bei subjektiver Vorhersehbarkeit des Erfolges (= Nichterfüllung der objektiven Sorgfaltspflicht trotz ausreichender persönlicher Fähigkeiten) (Zumutbarkeit)
Einteilung der Garantenstellungen nach ihrer Rechtsquelle! Gesetz! Vertrag! vorausgegangenes gefährdendes Tun! enge Lebensgemeinschaft
Einteilung der Garantenstellungen nach ihrer Funktion Beschützergarantenstellung Gefahr Gefahr Verantwortlichkeit für Rechtsgut Gefahr Gefahr
Wächtergarantenstellung Gefahr Gefah Verantwortlichkeit für Gefahrenquelle Gefahr Gefahr
Garantenstellungen Beschützergaranten Wächtergaranten! Natürliche, familiäre Verbundenheit! vorausgegangenes gefährliches Tun! enge Lebens- und Gefahrengemeinschaften! Herrschaft über gefährliche Sachen! tatsächliche, freiwillige Übernahme! Verantwortung für das Verhalten Dritter! Verpflichtung von Organen und Amtsträgern! Übernahme von Sicherungspflichten
Garantenstellung zwischen Ehegatten! erste Auffassung die Garantenstellung ergibt aus dem formalen Bestand der Ehe gemäß 1353 BGB (Jescheck, in: LK Vorauflage, 13, Rn. 22)! zweite Auffassung die Garantenstellung ergibt sich aus dem Bestehen der tatsächlichen Lebensgemeinschaft (Rudolphi, in: SK, 13, Rn. 22); Rechtsgrund der Garantenstellung ist die konkludente wechselseitige Hilfszusage, die ihr Fundament in der tatsächlich gelebten Ehegemeinschaft hat (Freund, NJW 2003, S. 3385)! dritte Auffassung die Garantenstellung ergibt sich aus 1353 BGB; Beendigung jedoch dann, wenn sich ein Ehegatte vom anderen Ehegatten in der ernsthaften Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herzustellen; 1565 I BGB; unter diesen Umständen Wegfall des Vertrauens auf den Beistand des anderen (BGHSt 48, 301 ff.).
Sonstige Garantenstellungen aus familiärer Verbundenheit:! Eltern gegenüber ihren Kindern (vgl. 1618a, 1626, 1626a, 1631 BGB) erste Ansicht: die Garantenstellung endet dann, wenn die Kinder aus dem Schutzbereich der Eltern ausscheiden; dies ist dann der Fall, wenn die volljährigen Kinder das Elternhaus verlassen (Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, 32, Rn. 39) zweite Auffassung: auf eine effektive Familiengemeinschaft kommt es nicht an; bei akuten Gefahren schulden die Eltern ihren Kindern weiterhin Beistand (Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 718)! Kindern gegenüber ihren Eltern (vgl. 1618a BGB) erste Auffassung: Voraussetzung einer familiären Lebensgemeinschaft und einer dadurch begründen Übernahme einer Schutzfunktion (Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, 32, Rn. 42 ff.)
zweite Auffassung: auf eine effektive Familiengemeinschaft kommt es nicht an; bei akuten Gefahren schulden die Kinder ihren Eltern Beistand (Kühl, Strafrecht AT, 18, Rn. 54 f.; siehe ebenfalls BGHSt 19, 167, der eine Garantenstellung unabhängig von dem Bestehen einer Hausgemeinschaft annimmt)! Kinder untereinander erste Auffassung: Voraussetzung des Zusammenlebens der Geschwister und einer dadurch begründeten Obhutsfunktion (Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, 32, Rn. 44; siehe auch LG Kiel, NStZ 2004, S. 157) zweite Auffassung: Geschwister sind aufgrund des Familienverbandes untereinander stets als Garanten zu betrachten (Stree, in: Sch/Sch, 13, Rn 19)
Garantenstellung des Bereitschaftsarztes:! erste Auffassung: generelle Annahme einer Garantenstellung des Bereitschaftsarztes (BGHSt 7, 211 ff.; Kühl, Strafrecht AT, 18, Rn. 74)! zweite Auffassung: Ablehnung einer Garantenstellung (Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 353)! dritte Auffassung: Übernahme einer Schutzfunktion, soweit die Patienten, die sich an den Bereitschaftsarzt wenden, schon bei einem anderen Arzt in Behandlung sind (Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, 32, Rn. 75)
Garantenstellung des Polizisten! herrschende Meinung: Bejahung einer Beschützergarantenstellung gegenüber den Rechtsgütern des Einzelnen, sofern dieser einen Anspruch auf Einschreiten der Polizei zum Schutz seiner Rechtsgüter besitzt; Voraussetzung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit und der Dienstausübung (BGHSt 38, 388 ff.; einschränkend Kühl, Strafrecht AT, 18, Rn. 87 ff.)! Gegenauffassung: Keine Garantenstellung, solange die Polizei noch keinen bestimmten Personen- oder Objektschutz übernommen hat (Mitsch, NStZ 1993, S. 394; Schünemann, GA 1985, S. 380)
Garantenstellung aus Ingerenz! erste Auffassung eine Garantenstellung aus Ingerenz ist stets ausgeschlossen (Schünemann, GA 1974, S. 231 ff.; Langer, Lange-FS, S. 243)! zweite Auffassung eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun setzt grundsätzlich voraus, dass das Vorverhalten im Hinblick auf die ausgelöste Gefahr pflichtwidrig ist (Brammsen, GA 1993, S. 109; Geppert, Jura 2001, S. 492)! dritte Auffassung für eine Garantenstellung aus Ingerenz reicht die adäquate Verursachung der Gefahr grundsätzlich aus (Herzberg, JuS 1971, S. 74 ff.; Freund, in: MK, 13, Rn. 124 ff.)
Garantenstellung des Wohnungsinhabers! Rechtsprechung: Bei Aufnahme einer Person in eine fremde Wohnung und Zurverfügungstellung ihres Schutzes Schaffung einer Vertrauensgrundlage Wer sich auf Einladung des Wohnungsinhabers in eine fremde Wohnung begibt, darf sich darauf verlassen, dass ihm dieser bei schwerwiegenden Gefahren in seinem Herrschaftsbereich zur Seite steht (BGHSt 27, 10 ff.) Garantenpflicht des Wohnungsinhaber dann, wenn die Wohnung wegen ihrer besonderen Beschaffenheit oder Lage eine Gefahrenquelle darstellt, die er zu sichern und zu überwachen hat, so dass sie nicht zum Mittel für die leichtere Ausführung von Straftaten gemacht werden kann (BGHSt 30, 391 ff.; BGH, StV 1993, S. 25).
! ältere Gegenauffassung Generelle Pflicht des Wohnungsinhabers, jede in seiner Wohnung befindliche Person gegen Straftaten anderer Personen zu schützen (Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten, S. 68 ff.)! neuere Gegenauffassung Auch bei geladenen Gästen besteht keine Obhutsgarantenstellung des Wohnungsinhabers (so Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, 32, Rn. 121)
Garantenstellung des Wohnungsinhabers! Rechtsprechung: Bei Aufnahme einer Person in eine fremde Wohnung und Zurverfügungstellung ihres Schutzes Schaffung einer Vertrauensgrundlage Wer sich auf Einladung des Wohnungsinhabers in eine fremde Wohnung begibt, darf sich darauf verlassen, dass ihm dieser bei schwerwiegenden Gefahren in seinem Herrschaftsbereich zur Seite steht (BGHSt 27, 10 ff.) Garantenpflicht des Wohnungsinhaber dann, wenn die Wohnung wegen ihrer besonderen Beschaffenheit oder Lage eine Gefahrenquelle darstellt, die er zu sichern und zu überwachen hat, so dass sie nicht zum Mittel für die leichtere Ausführung von Straftaten gemacht werden kann (BGHSt 30, 391 ff.; BGH, StV 1993, S. 25).
! ältere Gegenauffassung Generelle Pflicht des Wohnungsinhabers, jede in seiner Wohnung befindliche Person gegen Straftaten anderer Personen zu schützen (Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten, S. 68 ff.)! neuere Gegenauffassung Auch bei geladenen Gästen besteht keine Obhutsgarantenstellung des Wohnungsinhabers (so Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, 32, Rn. 121)
Versuchsbeginn beim Unterlassungsdelikt I) Problem: Formel des 22 StGB ihrer Formulierung nach auf Begehungsdelikte zugeschnitten; herrschende Auffassung: Beginn des Unterlassungsversuchs setzt mit Verletzung der Garantenpflicht ein (Eser, in: Sch/Sch, 22 Rn. 50; Rudolphi, in: SK, 22 Rn. 51) II) Theorien:! erste Auffassung: Versuchsbeginn schon dann, wenn der Garant die erste Erfolgsabwendungsmöglichkeit, die sich ihm bietet, verstreichen lässt (Maihofer, GA 1958, S. 297 f.; Schröder, JuS 1962, S. 68; Herzberg, MDR 1973, S. 89 ff.)! zweite Auffassung: Beginn des Versuchs erst dann, wenn der Unterlassende die allerletzte Eingriffschance verstreichen lässt (Armin Kaufmann, Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 215; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 22 f.)
! dritte Auffassung: Beginn des Versuchs, wenn der Garant trotz des akuten Vorliegens einer konkreten Gefahr, die jederzeit in einen Schaden umschlagen kann, mit dem Willen untätig bleibt, den tatbestandsmäßigen Unrechtserfolg eintreten zu lassen; Pflicht, die Rettungshandlung vorzunehmen, die die größte Rettungschance in sich birgt, wenn dem Täter zeitlich mehrere Rettungshandlungen zu Gebot stehen (Rudolphi, in: SK, 22 Rn. 51)! vierte Auffassung: Tatherrschaftslehre: mangelnde Eignung der Lehre von der Gefahrerhöhung in den Fällen, in denen der Unterlassende das Kausalgeschehen schon vorher aus der Hand gibt; in diesen Fällen Versuchsbeginn dann, wenn sich der Täter von der Gefahrenquelle entfernt und den Bedrohten seinem Schicksal überlässt, das Geschehen also aus seinem Herrschaftsbereich entlässt (Roxin, JuS 1979, S. 12)
Rücktritt vom Versuch des unechten Unterlassungsdelikts! Erste Auffassung (Einheitstheorie) Beim Unterlassungsdelikt gibt es keine Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch, weil der Täter auf jeden Fall verpflichtet ist, den Erfolg abzuwenden (Freund, Strafrecht AT, 8, Rn. 67)! Zweite Auffassung (Differenzierungstheorie) Ein unbeendeter Versuch liegt dann vor, wenn der Täter davon ausgeht, durch schlichtes Nachholen der unterlassenen Rettungshandlung den Erfolgseintritt noch verhindern zu können; Konsequenz: Täter trägt nicht das Erfolgsabwendungsrisiko Ein beendeter Versuch liegt dann vor, wenn der Täter davon ausgeht, den Erfolg nur noch durch außergewöhnliche Rettungsmaßnahmen abwenden zu können, Konsequenz: Täter trägt das Erfolgsabwendungsrisiko (Eser, in: Sch/Sch, 24, Rn. 27 ff.)