Gesundheitsförderung und Gesundheitskompetenz Eine Herausforderung für die psychiatrische Pflege in Praxis Management Ausbildung Forschung Vorträge, Workshops und Posterpräsentationen 9. Dreiländerkongress Pflege in der Psychiatrie in Wien Herausgeber: Sabine Hahn, Harald Stefan, Christoph Abderhalden, Ian Needham, Michael Schulz, Anna Hegedüs, Udo Finklenburg Susanne Schoppmann Verlag Abt. Forschung/Entwicklung Pflege und Pädagogik, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern, Bolligenstrasse 111, CH-3000 Bern 60 Oktober 2012
Gesundheitsförderung und Gesundheitskompetenz Eine Herausforderung für die psychiatrische Pflege in Praxis Management Ausbildung Forschung Vorträge, Workshops und Posterpräsentationen 9. Dreiländerkongress Pflege in der Psychiatrie in Wien Hrsg.: Sabine Hahn, Harald Stefan, Christoph Abderhalden, Ian Needham, Michael Schulz, Anna Hegedüs, Udo Finklenburf, Susanne Schoppmann Verlag Abteilung Forschung/Entwicklung Pflege und Pädagogik, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern, Bolligenstrasse 111, CH-3000 Bern 60 Oktober 2012 ISBN 978-3-033-03615-4 Druck und Verarbeitung: resch druck - Thomas Resch KG, Rosinagasse 19, A-1150 Wien, office@resch-druck.at
27. Auswirkungen körperlicher Aktivität auf psychosoziale und gesundheitsbezogene Faktoren von Menschen mit Depressionen eine Literaturübersicht Anna Hegedüs, Katharina Glavanovits, Fabiane Albrecht, Stephan Witjes, Bernd Kozel Einleitung Die Depression ist eine der häufigsten Erkrankungen des 21. Jahrhunderts [1]. Zur Behandlung von depressiven Erkrankungen bei Erwachsenen hat das National Institute for Health and Clinical Excellence eine Leitlinie veröffentlicht [2]. Sie empfiehlt die medikamentöse Behandlung, psychosoziale Interventionen (z.b. kognitive Verhaltenstherapie) aber auch körperliche Bewegung zur Behandlung depressiver Symptome [2]. Die Frage nach der Wirkung von Sport- und Bewegungsprogrammen auf depressive Symptome wurde in mehreren Studien untersucht. Die Ergebnisse solcher Studien wurden in einigen Reviews oder Meta-Analysen zusammengefasst. Krogh et al. [3] stellten beispielsweise fest, dass die Teilnehmenden von Bewegungsgruppen (z.b. Joggen, Walken, Krafttraining) weniger depressive Symptome hatten, als die Teilnehmenden in den Kontrollgruppen. Dieser Effekt war jedoch nur gering und es konnte keine langanhaltende Wirkung festgestellt werden. Einen stärkeren positiven Effekt stellten Mead et. al. [4] fest. Körperliche Bewegung führte zu einer signifikant größeren Reduktion der depressiven Symptomatik, als keine Behandlung. Als jedoch nur qualitativ gute Studien in die Analyse eingeschlossen wurden, war der Effekt nur noch moderat. Im Vergleich zu Behandlungen mit Antidepressiva oder kognitiver Verhaltenstherapie war körperliche Aktivität gleich effektiv [4]. 133
In Reviews und Meta-Analysen werden fast ausschließlich Outocmes gemessen, die sich auf depressive Symptome beziehen. Pflegerelevante Outcomes werden nicht oder nur sehr oberflächlich untersucht. Dies obwohl körperliche Aktivität sich auch gerade auf diese psychosozialen und gesundheitsbezogenen Faktoren (z.b. Lebensqualität, Selbstbewusstsein) auswirken können, die besonders wichtig für den Umgang mit der Erkrankung sind. Für die bessere Beurteilung der Evidenz von Bewegungsprogrammen zur Behandlung von Menschen mit depressiven Erkrankungen, sollte auch deren Einfluss auf psychosoziale und gesundheitsbezogene Faktoren untersucht werden. Eine Literaturübersicht bietet die Möglichkeit, bereits vorhandene Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet zusammenfassend darzustellen. Das Ziel unserer Arbeit war, den Einfluss körperlicher Aktivitäten auf psychosoziale und gesundheitsbezogene Outcomes von Menschen mit einer depressiven Erkrankung zu ermitteln. Methode Wir haben eine Literatursuche in den Datenbanken Medline, Embase und Cochrane Library durchgeführt. Eingeschlossen wurden alle in und nach 2005 publizierten, randomisiert kontrollierten Studien (RCT), die als Intervention eine körperliche Aktivität (z.b. Ausdauer-/ Krafttraining) bei erwachsenen Menschen mit einer depressiven Erkrankung untersuchten. Weiterhin wurden nur Studien eingeschlossen, in denen psychosoziale und gesundheitsbezogene Outcomes (z.b. Hoffnung, Lebensqualität, Angst, Selbstbewusstsein) gemessen wurden. Ausgeschlossen wurden alle Studien im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder einer somatischen Erkrankung (z.b. Karzinome, Diabestes). Die interne Validität der eingeschlossenen Studien beurteilten 3 Personen unabhängig voneinander anhand des Beurteilungsschemas von Behrens und Langer [5]. Im Konsens wurde jeweils eine abschließende Beurteilung vorgenommen (1=sehr gut bis 6=sehr schlecht). 134
Ergebnisse Unsere Literatursuche ergab 1313 Treffer. 7 RCTs entsprachen den Einschlusskriterien und wurden in die Literaturübersicht eingeschlossen. Die Qualität von 2 Studien wurde nur als ausreichend (Note 4) beurteilt. 135
Tabelle 1: Eingeschlossene Studien Qualität IG KG Intervention Kontrollgruppe Follow-up Ergebnisse 4 Stichprobengröße Autor/Jahr Bartholomew 2005 [6] 20 20 30min auf Laufband gehen 30min ruhig sitzen 60min danach signifikante Verbesserungen 1 : psychisches Wohlbefinden, Lebenskraft nicht signifikant: Anspannung, Depression, Ärger, Fatigue, Verwirrtheit, Leid 3 Knapen 2005 [7] 104 101 psychomotorisches Fitness Training (Ausdauer + Krafttraining), 45min, 3x/Woche, 16 Wochen Psychomotoriktherapie: 2x körperliche Aktivität (Tanz, Spiele), 1x progressive Muskelrelaxation, je 45min, 16 Wochen nach Intervention nicht signifikant: physische Selbstwahrnehmung, Selbstwertgefühl, Angst 2 Hoffman 2008 2 [8] 104 49 3x/Woche, 16 Wochen eigenständiges oder geführtes Training Sertralin 49 Placebo nach Intervention signifikante Verbesserung: exekutive Funktionen (z.b. Anpassung an neue Arbeitssituationen, Aufmerksamkeitssteuerung, Fehleraufdeckung) nicht signifikant: (Arbeits-)Gedächtnisleistung, Wortflüssigkeit nicht signifikant: exekutive Funktionen, (Arbeits- )Gedächtnisleistung, Wortfluss 1 p<0.05 2 dreiarmige Studie (1 Intervention-, 2 Kontrollgruppen) 136
Qualität Stichprobengröße Autor/Jahr IG KG Intervention Kontrollgruppe Follow-up Ergebnisse 1 Krogh 2009 3 [9] 55 55 55 Krafttraining 4 Monate, 2x/Woche, je 90min Ausdauertraining 4 Monate, 2x/Woche, je 90min Entspannungsgruppe, 4 Monate 2x/Woche, je 90min 12 Monate signifikante Verbesserung: weniger Tage abwesend von Arbeit nicht signifikant: kognitive Fähigkeiten nicht signifikant: weniger Tage abwesend von Arbeit, kognitive Fähigkeiten 4 Oeland 2010 [10] 27 21 90min Ausdauer + Kraft im Fitnessstudio, 2x/Woche, 20 Wochen Standardbehandlung 12 Wochen signifikante Verbesserungen: Lebensqualität 2 Schuch 2011 [11] 15 11 16kcal/kg/Woche, 3x wöchentlich, individ. ausgeführt Standardbehandlung Austritt aus Klinik signifikante Verbesserungen: Lebensqualität (psychische Komponente) nicht signifikant: Lebensqualität (physische Komponente) 3 Callaghan 2011 [12] 22 21 12x Laufband (3x/Woche), bevorzugte Intensität 12x Laufband (3x/Woche), vorgeschriebene Intensität keine Angaben der Autoren signifikante Verbesserungen: Selbstwertgefühl, Lebensqualität 3 dreiarmige Studie (2 Interventionen, 1 Kontrollgruppe) 137
Diskussion & Schlussfolgerung Wir haben nur 7 Studien gefunden, die auch psychosoziale und gesundheitsbezogenen Outcomes untersucht haben. Dies lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass medizinische und psychologische Studien eher symptombezogene Outcomes fokussieren. Studien bei gesunden Menschen zeigen, dass körperliche Aktivitäten, wie zum Beispiel Joggen, vielfältige Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben (z.b. besserer Schlaf, bessere Stressbewältigung, mehr Selbstbewusstsein, weniger Angst) [13]. In diese Arbeit eingeschlossenen Studien untersuchten vor allem die Outcomes Lebensqualität, Selbstwertgefühl und kognitive Fähigkeit. Viele Bereiche in denen gesunde Menschen durch körperliche Bewegung Verbesserungen zeigten, wurden in Studien mit Menschen mit einer Depression nicht erhoben. Die Ergebnisse unserer Literaturübersicht zeigen, dass sich die Lebensqualität durch Ausdauer-/Krafttraining verbessern kann. Positive Wirkung treten allerdings kurz nach der körperlichen Betätigung auf, wobei andauernde Verbesserungen nur durch längerfristige Interventionen zu erwarten sind. Zusammenfassend können wir sagen, dass körperliche Bewegung sich positiv auf psychosoziale und gesundheitsbezogenen Outcomes (vor allem Lebensqualität und Selbstwertgefühl) von Menschen mit einer depressiven Erkrankung auswirken kann. Um dieser Aussage mehr Gewicht zu verleihen, müssten jedoch mehr qualitativ hochwertige Studien zur Verfügung stehen, die auch entsprechende Outcomes beurteilen. Literatur 1. WHO. Depression. [abgefragt am 2.7.2012]; Erhältlich unter: http://www.who.int/mental_health/management/depression/definition/en/. 2. National Institute for Health & Clinical Excellence, Depression. The treatment and management of depression in adults2010: The British Psychological Society and The Royal College of Psychiatrists. 138
3. Krogh, J., et al., The Effect of Exercise in Clinically Depressed Adults. The Journal of Clinical Psychiatry, 2011. 72(04): p. 529-538. 4. Mead, G.E., et al., Exercise for depression. Cochrane Database Syst Rev, 2009(3): p. CD004366. 5. Behrens, J. and G. Langer, Evidence-based Nursing an Caring2010, Bern: Hans Huber Verlag. 6. Bartholomew, J.B., D. Morrison, and J.T. Ciccolo, Effects of Acute Exercise on Mood and Well-Being in Patients with Major Depressive Disorder. Medicine & Science in Sports & Exercise, 2005. 37(12): p. 2032-2037. 7. Knapen, J., et al., Comparison of Changes in Physical Self-Concept, Global Self- Esteem, Depression and Anxiety following Two Different Psychomotor Therapy Programs in Nonpsychotic Psychiatric Inpatients. Psychotherapy and Psychosomatics, 2005. 74(6): p. 353-361. 8. Hoffman, B.M., et al., Exercise Fails to Improve Neurocognition in Depressed Middle-Aged and Older Adults. Medicine & Science in Sports & Exercise, 2008. 40(7): p. 1344-1352. 9. Krogh, J., et al., The DEMO Trial: A randomized, parallel-group, observer-blinded clinical trial of strength versus aerobic versus relaxation training for patients with mild to moderate depression. J Clin Psychiatry, 2009. 70(6): p. 790-800. 10. Oeland, A.M., et al., Impact of exercise on patients with depression and anxiety. Nord J Psychiatry, 2010. 64(3): p. 210-7. 11. Schuch, F.B., et al., Exercise and severe depression: Preliminary results of an add-on study. Journal of Affective Disorders, 2011. 133(3): p. 615-618. 12. Callaghan, P., et al., Pragmatic randomised controlled trial of preferred intensity exercise in women living with depression. BMC Public Health, 2011. 11(1): p. 465. 13. Bartmann, U., Laufen und Joggen für die Psyche. Ein Weg zur seelischen Ausgeglichenheit.2009, Tübingen: dgtv-verlag. 139