Ethische Aspekte bei Schwerbrandverletzten 6. Hartmann Wundsymposium 2016 Dr. med. Timothy D. Collen, MA Co-Chefarzt Radioonkologie LUKS Master in Advanced Studies in Applied Ethics (MAE)
Ionisierende Strahlung : keine Verbrennung 1 Gy = 1 J/kg 50 Gy = letal = 0.01 C Temperaturerhöhung 1 Gy führt zu einer Temperaturerhöhung von 0,0002 C
Verbrennungsmedizin und Radioonkologie
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Leben Persönlichkeit Biographie Life-events Familie Geburt Leben Zeitraum x Freunde Lebensende 6
7 Same same but different
Leben mit malignen Erkrankungen Persönlichkeit Biographie Life-events Familie Point of no return Wie? Geburt Leben Zeitraum x Freunde End of life Sekunden, Tage, Wochen, Monate 8
Ethik Etymologie Sittenlehre, Moralphilosophie Ethice, ethicos, ethos Sittlich, moralisch, gebräuchlich Ethos auch im Sinne von moralisches Bewusstsein gebräuchlich
Was ist Ethik? Ethik ist die kritische Reflexion von Moral bzw. Nachdenken über sittliche Ausrichtung des Lebens und Handelns Ethik = Nachdenken über und Bewusstmachen von Problemen
Moral (Moral und Sitte) : Normativer Grundrahmen für das Verhalten zu Mitmenschen zur Natur und sich selbst. Bei Nichtbefolgen folgen soziale Sanktionen. Unterscheidet sich vom Brauch (mores majorum) der als Gewohnheit Antithese der Begründung ist («Wir machen das weil wir das schon immer so gemacht haben»)
Normen Ordnen menschliches Tun und sich selbst Handlungsregeln die das Tun einem Ordnungsschema unterstellt Werte füllen den Rahmen der Normen (z.b.man soll nicht töten Wert des menschlichen Lebens) Wert des menschlichen Lebens
Wo kommt Ethik her? Tugend : Ideal zur Selbsterziehung zu einer menschlich vortrefflichen Persönlichkeit, Verantwortung für sich selbst und Mitmenschen ein Leben lang zu haben 4 Kardinaltugenden (Platon) : Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit - (eudaimonia) Antike Ethik : Worauf ist das menschliche Leben bzw. wollend ausgerichtet (teleologisch)? Moderne Ethik : Was ist es, was ich mit Bezug auf die anderen soll (deontologisch)?
Mittelalter Aufklärung From ethics of virtue Singer misst der biologischen Zugehörigkeit eines Wesens zur menschlichen Spezies an sich selbst keine moralische Relevanz bei. Relevant werden nur Eigenschaften wie Schmerzempfinden und Selbstbewusstsein (welche bei manchen biologischen Menschen fehlen und andererseits bei manchen nichtmenschlichen Tieren vorhanden sind). Eine Bevorzugung allein auf Grund einer Spezieszugehörigkeit bezeichnet er als Speziesismus, der sich moralisch nicht rechtfertigen lasse. Als Personen versteht Singer Wesen, die sich ihrer selbst, in einem zeitlichen Kontinuum bewusst sind. Diesen schreibt er aufgrund der dadurch ausbildbaren weitergehenden Präferenzen mit Bezug auf diese besonderen Wert zu. Eudaemonia, virtue Timeline Towards all is possible -Ethics
Göttinger 7 1834 Angewandte Ethik Gegen Aufhebung der Hannoversche Verfassung Protest gegen Willkür der Obrigkeit Nürnberger Prozesse Civil-rights-movement/Frauenbewegung Technical progress Club of rome 1972 Die Göttinger Sieben (Göttinger 7 ) waren eine Gruppe Göttinger Professoren, die 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung im Königreich Hannover protestierten und deshalb entlassen wurden; manche wurden darüber hinaus des Landes verwiesen (Grenzen des Wachstums) Human Genome Projekt, intensivmedizinische Leistungen Reproduktionsmedizin Ethikkommissionen
Fundamentismus und Kohärentismus (Begründnungskonzepte) Fundamentismus : Ethische Theorien und abgeleitete Prinzipien Ethische Theorie = letztbegründetes Fundament Top-down Begründung Kohärentismus : Einbettung in Gesamtsystem der Überzeugungen Lebensweltliche Orientierung Bottom-up Begründung
Keine Antwort aber eine moralisch haltbare Begründung für eine Handlung Relevantes Problem Reflektion Antwort und Begründung
Angewandte Ethik Umweltethik Politische Ethik Wirtschaftsethik Feministische Ethik Medienethik etc... Medizinethik
Medizinethik Jaspers 1953: Das ärztliche Handeln steht auf zwei Säulen: einerseits der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und dem technischen Können (kann man als Dienstleistung bezeichnen), andererseits auf dem Ethos der Humanität (kann man schwer als Dienstleistung bezeichnen). was beinhaltet dieses Ethos?
Permanente (Selbst-)reflexion
Bioethische Prinzipien Hilfe und Fürsorge (Beneficience) Schadensvermeidung* (non-maleficience) Respekt vor Patientenautonomie Gleichheit und Gerechtigkeit * futility = Nutzlosigkeit = Schaden gleichzusetzen 21
Menschenwürde Die Würde des Menschen ist unantastbar (Art1. dgg) Inhärente Würde : Kommt Träger permanent zu, kann nicht erworben, verloren, wiedergewonnen werden. Kontingente Würde : Kann ungleich verteilt sein, angeeignet, verloren oder wiedergewonnen.
Was zählt man zur Schadensvermeidung? Tötungsverbot Experimente/Forschung Nutzlosigkeit (futility) Schaden durch Unterlassen?
Hilfe / Fürsorge Spezielle ärztliche Pflichten Wer bestimmt über das Wohl? Dienstleistung?
Autonomie Autonomie verändert Arzt-Patienten-Verhältnis Individualismus Objektives Wohl statt Selbstbestimmung Vorrang der Autonomie verkennt hilfsbedürftige Situation des Patienten Führt zur Anspruchshaltung der Patienten
Dilemmata Bei einem Dilemma stehen sich zwei gegensetzige Entscheidungen gegenüber und wechselseitig in einem Spannungsverhältnis was die Handlungsoption erschwert, oft führen beide Entscheidungen zu einem unerwünschten Ereignis z.b.: Wunsch auf Behandlungsbeginn trotz Aussichtslosigkeit der medizinischen Massnahmen
Deutsche Verbrennungszentren, Wien und Zürich 2013: 2050 stationär behandelt Mann : Frau = 70 : 30 Häusliche Unfälle: 66,8% Arbeitsunfälle: 20,8% Suizidversuche: 4,4% Verkehrsunfälle: 2,4% Sonstige Unfälle: 5,6% Internationaler Vergleich bei Selbstschädigung: abhängig von ethnischen, kulturellen, religiösen und Gendereffekten zwischen 0,37% und 40% Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin, Verbrennungsstatistik 2013, Patienten aus allen Verbrennungszentren des deutschsprachigen Raums Laloe V: patterns of deliberate selfburning in various parts ofbthe world, Burns 2004; 30: 207-215
Leben nach schwerer Brandverletzung Persönlichkeit Biographie Life-events Familie Geburt Zeitraum x Leben Freunde End of life End of life Plötzliches, mehrheitlich nicht absehbares Ereignis Oft kein autonomer Patientenwillen eruierbar Verbrennung und resultierende schwere Komplikationen (Sepsis, Multiorganversagen) Frage des Überlebens mit bleibenden Einschränkungen 29
Schwerbrandverletzten Frage nach dem Therapiebeginn nach Verbrennungsereignis bei entsprechend schwerer Verbrennung (medizinischer Nutzen, ähnlich wie bei Frühgeborenen) Fehlendes Bewusstsein des Patienten (Autonomer Entscheid) Sich ändernde Ausgangssituationen auf Grund einsetzender Komplikationen welche lebensbedrohlich sind Ethische Entscheidungen unterliegen hier anders als bei Patienten mit fortgeschrittenen Malignomen einem iterativem Prozess regelmässige Standortbestimmungen und evtl. Anpassen von Entscheidungen Wann ist Hilfe nicht mehr Hilfe sondern Leidensverlängerung? Angehörige und Behandlungsteam Erwartung und Realität können stark auseinandergehen
Ethische Aspekte Utilitarismus Paternalismus Kantscher Imperativ Fundamentismus Tugenethik Worauf ist das mescnschliche Leben ausgerichtet? Care Ethics Hilfe und Fürsorge Patientenautonomie Menschenwürde Prinzipienethik Normen und Werte Wahrhaftigkeit Empathie Gerechtigkeit Kohärentismus Partnerschaftliches Vertragsmodell Dilemma Was soll ich mit Bezug auf die anderen tun?
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Ethische Urteilsfindung 1. Problemfeststellung - Intuition 2. Analyse des Sachverhaltes 3. Erörtern der Verhaltensalternativen 4. Prüfung der Normen 5. Urteilsentscheid 6. Überprüfung der Angemessenheit des Urteils