Der Begriff der Funktion oder Abbildung ist von zentraler Bedeutung für die gesamte Mathematik. Wir führen ihn in der nachstehenden Definition ein.

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Kapitel 2 Funktionen 2.1 Funktionen 2.2 Monotone Funktionen 2.3 Polynome 2.4 Rationale Funktionen 2.5 Abzählbarkeit von Mengen 2.1 Funktionen Der Begriff der Funktion oder Abbildung ist von zentraler Bedeutung für die gesamte Mathematik. Wir führen ihn in der nachstehenden Definition ein. Definition 2.1 Seien X, Y zwei gegebene Mengen. (a) Eine Vorschrift f, die jedem Element x X genau ein Element y = f(x) Y zuordnet, heißt Funktion oder Abbildung von X nach Y. Wir schreiben hierfür f : X Y. (b) Für eine Funktion f : X Y heißen X der Definitionsbereich, Y der Wertebereich und f(x) := {f(x) x X} der Bildbereich von f. (c) Zwei Funktionen f 1 : X Y und f 2 : X Y mit demselben Definitionsbereich heißen gleich, wenn f 1 (x) = f 2 (x) für alle x X gilt. (d) Die Menge Graph(f) := { (x, f(x)) x X } heißt der Graph von einer Funktion f : X Y. Als Warnung sei an dieser Stelle erwähnt, dass in der Literatur zwischen dem Bildbereich und dem Wertebereich einer Funktion manchmal nicht unterschieden wird. Bei der Angabe einer Funktion hat man stets den Definitionsbereich und den Wertebereich mit aufzuführen (sofern diese nicht aus dem jeweiligen Zusammenhang klar sind), während man den Bildbereich gegebenenfalls erst bestimmen muss. Wir geben als Nächstes einige Beispiele von Funktionen an. 39

40 KAPITEL 2. FUNKTIONEN Beispiel 2.2 (a) Für ein c R bezeichnet man die Abbildung f : R R mit f(x) := c als eine konstante Funktion. Definitions und Wertebereich sind jeweils R, der Bildbereich besteht nur aus dem einen Element {c}. (b) Die Abbildung f : R R mit f(x) := x wird als Identität bezeichnet. Definitions, Werte und Bildbereich ist ganz R, (c) Die Betragsfunktion ist definiert durch f : R R, f(x) := x. Der Definitionsbereich ist R, der Wertebereich R, der Bildbereich hingegen nur R + := {x R x 0}. (d) Die Quadratwurzel ist definiert durch f : R + R, f(x) := x. Der Definitionsbereich ist R +, der Wertebereich ist R. Wegen Satz 1.35 ist der Bildbereich gegeben durch R +. (e) Unter einem Polynom vom Grad n in R versteht man eine Abbildung der Gestalt f : R R, f(x) := a n x n + a n 1 x n 1 +... + a 1 x + a 0 mit gewissen Koeffizienten a 0, a 1,...,a n 1, a n R, wobei für den so genannten Leitkoeffizienten a n 0 gelte. Der Definitionsbereich ist R, ebenso der Wertebereich. Der Bildbereich hängt vom konkreten Aussehen des Polynoms p ab. Für f(x) := x 3 ist der Bildbereich der gesamte R, für f(x) := x 4 hingegen ist der Bildbereich lediglich R +. (f) Seien p(x) := a n x n +... + a 1 x + a 0 und q(x) := b m x m +... + b 1 x + b 0 zwei Polynome vom Grad n und m sowie X := {x R q(x) 0}. Dann bezeichnet man die durch r : X R, r(x) := p(x) q(x) definierte Abbildung als eine rationale Funktion. Der Definitionsbereich von r besteht also gerade aus allen reellen Zahlen mit Ausnahme der Nullstellen von q, der Wertebereich hingegen ist R. (g) Seien a < b zwei reelle Zahlen. Eine Abbildung f : [a, b] R heißt Treppenfunktion, wenn es eine Unterteilung a = t 0 < t 1 <... < t n 1 < t n = b des Intervalls [a, b] := {x R a x b} und Konstanten c 1, c 2,...,c n R gibt mit f(x) = c k für alle x (t k 1, t k ) := {x R t k 1 < x < t k } (1 k n). Die Funktionswerte f(t k ) in den Teilpunkten t k sind hierbei beliebig (aber endliche Werte aus R).

2.1. FUNKTIONEN 41 a = t 0 t 1 t 2 t 3 b = t 4 Abbildung 2.1: Beispiel einer Treppenfunktion (h) Die Abbildung f : R R mit f(x) := { 0, falls x Q, 1, falls x / Q ist etwas unangenehm und lässt sich graphisch nicht leicht veranschaulichen, da Q nach Satz 1.34 dicht in R liegt. Der Definitionsbereich dieser Funktion ist wieder ganz R, der Bildbereich hingegen besteht nur aus den beiden Punkten 0 und 1. Funktionen werden oft mit dem Symbol f bezeichnet. Liegen mehrere Abbildungen vor, nummeriert man sie häufig in der Gestalt f 1, f 2,.... Treten nur zwei Funktionen auf, nennt man diese häufig f und g, bei drei Funktionen wählt man gerne die Buchstaben f, g und h. Polynome hingegen tragen im Allgemeinen die Namen p oder q, rationale Funktionen dagegen die Bezeichnung r. Auch die entsprechenden Großbuchstaben werden gerne benutzt. In der folgenden Definition führen wir die Verknüpfung zweier Abbildungen ein. Definition 2.3 Gegeben seien drei Mengen X 1, X 2 und X 3 sowie zwei Abbildungen f 1 : X 1 X 2 und f 2 : X 2 X 3. Unter dem Kompositum (oder Verknüpfung oder Hintereinanderschaltung) von f 1 und f 2 verstehen wir die Funktion f : X 1 X 3, welche durch definiert ist. f := f 2 f 1 mit (f 2 f 1 )(x) := f 2 (f 1 (x)) für alle x X 1 Man beachte, dass man zwei Funktionen f 1 und f 2 natürlich nur dann miteinander verknüpfen kann, wenn der Bildbereich von f 1 im Definitionsbereich von f 2 liegt, da anderenfalls die Funktion f 2 im Punkte f 1 (x) eventuell nicht erklärt ist. Unser nächstes Resultat besagt, dass das Kompositum von Abbildungen stets assoziativ ist.

42 KAPITEL 2. FUNKTIONEN Satz 2.4 Seien X 1, X 2, X 3, X 4 gewisse Mengen und f 1 : X 1 X 2, f 2 : X 2 X 3 und f 3 : X 3 X 4 gegebene Funktionen. Dann gilt ( f3 (f 2 f 1 ) ) (x) = ( (f 3 f 2 ) f 1 ) (x) für alle x X1, d.h., die beiden Abbildungen f 3 (f 2 f 1 ) und (f 3 f 2 ) f 1 sind gleich. Beweis: Gemäß Definition 2.3 gilt einerseits ( f3 (f 2 f 1 ) ) (x) = f 3 ( (f2 f 1 ) ) (x) = f 3 ( f2 (f 1 (x)) ) und andererseits ( (f3 f 2 ) f 1 ) (x) = (f3 f 2 )(f 1 (x)) = f 3 ( f2 (f 1 (x)) ) für alle x X 1, womit die Behauptung auch schon bewiesen ist. Eine Abbildung f : X Y zwischen zwei Mengen X und Y war dadurch definiert, das jedem Element x X auf eindeutige Weise ein Wert y = f(x) Y zugeordnet wurde. Umgekehrt kann es aber vorkommen, dass es zu einem y Y entweder überhaupt kein x X mit f(x) = y gibt oder sogar zwei (bzw. mehr) verschiedene Elemente x 1, x 2 X existieren mit f(x 1 ) = y und f(x 2 ) = y. Will man diese Fälle ausschließen, so gelangt man zu den Begriffen einer surjektiven und einer injektiven Abbildung. Definition 2.5 Seien X, Y zwei beliebige Mengen und f : X Y eine gegebene Funktion. (a) f heißt surjektiv, wenn f(x) = Y ist, es also zu jedem y Y mindestens ein Element x X mit f(x) = y gibt. (b) f heißt injektiv, wenn für alle x 1, x 2 X mit f(x 1 ) = f(x 2 ) stets x 1 = x 2 folgt. (c) f heißt bijektiv, wenn f sowohl surjektiv als auch injektiv ist. Als Beispiel betrachten wir die einfache Abbildung f : R R, x f(x) := x 2. Diese Abbildung ist weder surjektiv noch injektiv, denn wegen f(x) 0 für alle x R ist der Bildbereich f(r) = R + von R verschieden, außerdem gilt f(x) = x 2 = ( x) 2 = f( x). Hingegen ist die Abbildung f : R R +, x f(x) := x 2 offenbar surjektiv, allerdings nach wie vor nicht injektiv. Dagegen ist f : R + R +, x f(x) := x 2 (2.1)

2.1. FUNKTIONEN 43 ganz offensichtlich sowohl surjektiv als auch injektiv, also bijektiv. Diese Ausführungen verdeutlichen noch einmal, warum man bei der Angabe einer Funktion f : X Y stets den Definitionsbereich X und die Menge Y mit erwähnen sollte. Später werden wir hierauf allerdings manchmal verzichten, wenn die Mengen X und Y aus dem Zusammenhang klar sind. Sei nun f : X Y eine injektive Abbildung. Betrachten wir f : X f(x) dann nur als Funktion von X auf ihrem Bildbereich f(x) Y, so ist f per Definition auch surjektiv und damit bijektiv. Also existiert zu jedem Element y f(x) genau ein Element x X mit f(x) = y. Auf diese Weise erhalten wir also eine Vorschrift, die jedem Element y f(x) auf eindeutige Weise ein x X zuordnet. Diese Vorschrift wird als Umkehrabbildung von f bezeichnet und als f 1 geschrieben. Wir führen diese jetzt allgemein für bijektive Abbildungen ein. Definition 2.6 Seien X, Y zwei Mengen und f : X Y eine bijektive Abbildung. Dann heißt die Abbildung die Umkehrfunktion von f. f 1 : Y X, y f 1 (y) := x, falls f(x) = y, Zum Beispiel besitzt die als bijektiv erkannte Abbildung f aus (2.1) die Umkehrfunktion f 1 : R + R +, x f 1 (x) := x. Speziell für eine bijektive Abbildung f : D R mit Definitionsbereich D R besitzt die Umkehrfunktion eine einfache geometrische Interpretation: Zunächst ist Graph(f) = { (x, f(x)) x D } Schreiben wir y := f(x) für x D, so erhalten wir als Graphen der Umkehrfunktion den Ausdruck Graph(f 1 ) = { (y, f 1 (y)) y f(d) } = { (f(x), x) x D }. Anschaulich ergibt sich der Graph der Umkehrfunktion somit aus dem Graphen der Ausgangsfunktion f durch Spiegelung an der Winkelhalbierenden. Die Abbildung 2.2 veranschaulicht diesen Sachverhalt. Die gerade Linie ist die Winkelhalbierende. Durch Spielgelung der Abbildung f(x) = x 2 an dieser Winkelhalbierenden erhält man die Wurzelfunktion f 1 (x) = x als Umkehrfunktion (und umgekehrt). Für die Umkehrfunktion gelten die nachstehend zusammengefassten Eigenschaften. Satz 2.7 ( Eigenschaften der Umkehrfunktion ) Seien X, Y zwei Mengen und f : X Y eine bijektive Abbildung mit der Umkehrfunktion f 1 : Y X. Dann gelten:

44 KAPITEL 2. FUNKTIONEN 4.0 3.5 3.0 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 3.5 4.0 Abbildung 2.2: Veranschaulichung der Umkehrfunktion. (a) Es ist f 1( f(x) ) = x für alle x X. (b) Es ist f ( f 1 (y) ) = y für alle y Y. (c) f 1 ist bijektiv mit (f 1 ) 1 (x) = f(x) für alle x X, d.h., die Umkehrfunktion von f 1 ist wieder die Abbildung f. Beweis: (a) Sei x X beliebig. Setze y := f(x). Dann ist f 1( f(x) ) = f 1 (y) = x. (b) Sei y Y beliebig und setze x := f 1 (y), also f(x) = y. Dann ist f ( f 1 (y) ) = f(x) = y. (c) Sei x X beliebig. Setze y := f(x). Mit g := f 1 ist dann (f 1 ) 1 (x) = g 1 (x) = y = f(x) aufgrund der Definition der Umkehrfunktion. Das Symbol f 1 wird oft auch in einem anderen Zusammenhang verwendet. Bezeichnet f : X Y nämlich eine nicht notwendig bijektive Abbildung, so versteht man für ein gegebenes y Y unter der Menge f 1 (y) := {x X f(x) = y} das Urbild von y unter der Abbildung f. Im Falle einer bijektiven Abbildung ist dieses Urbild einelementig und ergibt gerade das Element im vorher definierten Sinne. Etwas allgemeiner definiert man für eine Menge M Y das Urbild von M unter der Abbildung f als f 1 (M) := {x X f(x) M}. Abschließend sei noch erwähnt, dass man für zwei Abbildungen f 1, f 2 : X Y die Summe, das Produkt und den Quotienten definiert durch (f 1 + f 2 )(x) := f 1 (x) + f 2 (x), (f 1 f 2 )(x) := f 1 (x) f 2 (x), ( f1 ) (x) := f 1(x) f 2 f 2 (x) für alle x X, wobei natürlich f 2 (x) 0 im Falle des Quotienten gelten muss.

2.2. MONOTONE FUNKTIONEN 45 2.2 Monotone Funktionen Die Klasse der (streng) monotonen Funktionen ist von einiger Bedeutung und wird in der nachstehenden Definition eingeführt. Definition 2.8 Sei D R gegeben. Eine Funktion f : D R heißt (a) monoton wachsend, wenn f(x 1 ) f(x 2 ) für alle x 1, x 2 D mit x 1 < x 2 gilt. (b) monoton fallend, wenn f(x 1 ) f(x 2 ) für alle x 1, x 2 D mit x 1 < x 2 gilt. (c) streng monoton wachsend, wenn f(x 1 ) < f(x 2 ) für alle x 1, x 2 D mit x 1 < x 2 gilt. (d) streng monoton fallend, wenn f(x 1 ) > f(x 2 ) für alle x 1, x 2 D mit x 1 < x 2 gilt. Häufig werden wir nur von einer monotonen Funktion sprechen, wenn diese entweder monoton wachsend oder monoton fallend ist, es aber vom Zusammenhang her nicht weiter wichtig ist, ob diese Funktion nun wächst oder fällt. Ebenso verwenden wir den Begriff einer streng monotonen Funktion, wenn die Funktion streng monoton wächst oder streng monoton fällt. Die Abbildung 2.3 enthält den Graphen dreier Funktionen, von denen eine in dem angegebenen Intervall [ 1, 3] strikt monoton wachsend ist, eine andere monoton (aber nicht strikt monoton) wächst und eine dritte Funktion strikt monoton fällt. 3 2 1 1 1 2 3 1 2 Abbildung 2.3: Der Graph einiger (strikt) monotoner Funktionen im Intervall [ 1, +3]. Wir zeigen als Nächstes, dass eine streng monotone Funktion stets injektiv ist. Satz 2.9 Seien D R und f : D R streng monoton (wachsend oder fallend). Dann ist f injektiv.

46 KAPITEL 2. FUNKTIONEN Beweis: Ohne Beschränkung der Allgemeinheit gehen wir davon aus, dass f streng monoton wächst. Seien dann x 1, x 2 D zwei gegebene Punkte mit f(x 1 ) = f(x 2 ). Wäre x 1 < x 2, so folgte f(x 1 ) < f(x 2 ) wegen der strengen Monotonie von f. Wäre hingegen x 1 > x 2, so wäre f(x 1 ) > f(x 2 ), und zwar ebenfalls wegen der strengen Monotonie von f. Also muss x 1 = x 2 sein, so dass f tatsächlich injektiv ist. Eine streng monotone Funktion f : D R muss natürlich nicht bijektiv sein. Beispielsweise ist die Abbildung f : [0, ) R, f(x) := x 2, streng monoton steigend, nimmt aber keine negativen Werte an. Allerdings ist eine injektive Funktion auf ihrem Bildbereich natürlich bijektiv. Eine streng monotone Funktion f : D R, aufgefasst als Abbildung f : D f(d) mit f(d) := {y R x D : y = f(x)} besitzt daher stets eine Umkehrfunktion f 1 : f(d) D. Für diese gilt das nachstehende Resultat. Satz 2.10 ( Monotonie der Umkehrfunktion ) Seien D R und f : D R streng monoton wachsend (fallend) mit Bildbereich f(d) := {y R x D : y = f(x)}. Dann ist die Umkehrfunktion f 1 : f(d) D ebenfalls streng monoton wachsend (fallend). Beweis: Die Existenz der Umkehrfunktion wurde schon im Vorwege begründet. Seien nun y 1, y 2 f(d) mit y 1 < y 2 beliebig gegeben. Dann existieren eindeutig bestimmte Elemente x 1, x 2 D mit f(x 1 ) = y 1 und f(x 2 ) = y 2. Setzen wir f ohne Einschränkung als streng monoton wachsend voraus, so müssen wir x 1 < x 2 zeigen. Wäre x 1 x 2, so würde y 1 = f(x 1 ) f(x 2 ) = y 2 gelten im Widerspruch zu y 1 < y 2. Damit ist bereits alles gezeigt. Wir betrachten noch ein einfaches Beispiel. Beispiel 2.11 Sei k N beliebig gegeben (wobei letztlich nur der Fall k 2 von Interesse ist). Die Funktion f : R + R, x x k, ist offenbar streng monoton wachsend und bildet R + auf R + ab. Die zugehörige Umkehrfunktion f 1 : R + R +, x k x, ist daher ebenfalls streng monoton wachsend und wird als k-te Wurzel bezeichnet. Ist k N ungerade, so ist die Funktion f : R R, x x k, sogar bijektiv als Abbildung von R in R. In diesem Fall kann die k-te Wurzel daher als Funktion f 1 : R R, x k x, auf ganz R definiert werden. 2.3 Polynome Bei den Polynomen handelt es sich um spezielle Abbildungen, denen in der Analysis eine besondere Bedeutung zukommt. Wir widmen ihnen daher einen eigenen Abschnitt. Dazu bezeichnen wir mit K im Folgenden stets den reellen oder komplexen Körper. Wir haben also K = R oder K = C.

2.3. POLYNOME 47 In der Analysis bezeichnet man eine Funktion der Gestalt p(x) := a n x n + a n 1 x n 1 +... + a 1 x + a 0 (2.2) als ein Polynom, wobei a 0, a 1,...,a n K gewisse Koeffizienten sind, vergleiche Beispiel 2.2 (e). Speziell für K = R spricht man von einem reellen Polynom. Die Menge aller solchen Polynome wird mit K[x] bezeichnet. Ist der so genannte Leitkoeffizient a n von Null verschieden, so handelt es sich bei der Abbildung (2.2) um ein Polynom vom Grad n. Dem Nullpolynom p 0 wird hierbei kein Grad zugeordnet. In der Definition (2.2) haben wir den Definitionsbereich des Polynoms nicht mit angegeben. In der Analysis wird dies im Allgemeinen R oder C sein, so dass die Unbekannte x eine reelle oder komplexe Zahl repräsentiert. In der Algebra werden für x aber häufig auch andere Objekte eingesetzt wie beispielsweise Matrizen. Bevor wir zu dem ersten Resultat dieses Abschnittes gelangen, wollen wir als Motivation zunächst an die aus der Schule (hoffentlich) bekannte Polynomdivision erinnern, die auch unter dem Namen Euklidischer Algorithmus in allgemeineren Zusammenhängen auftritt. Die Aufgabe besteht darin, ein gegebenes Polynom p durch ein anderes Polynon q (von meist kleinerem Grad) zu dividieren. Das Ergebnis sollte ein weiteres Polynom s sein, ggf. bleibt als Rest r übrig, bei dem es sich ebenfalls um ein Polynom handelt, welches sich nicht mehr durch q teilen lässt. Wir suchen also Polynome s und r mit p(x) q(x) = s(x) + r(x) q(x) Zunächst also das angekündigte einfache Beispiel. Beispiel 2.12 ( Polynomdivision ) Gegeben seien die beiden Polynome Polynomdivision liefert p(x) = s(x)q(x) + r(x). (2.3) p(x) := 4x 5 x 4 + 2x 3 + x 2 1 und q(x) := x 2 + 1. (+4x 5 4x 5 x 4 x 4 +x 4 +2x 3 4x 3 2x 3 2x 3 +2x 3 +x 2 +x 2 +2x 2 +2x 2 2x 2 1) : +2x +2x +2x (x 2 + 1 2 3 1) = 4x 3 x 2 2x + 2 Wir erhalten damit die gewünschte Zerlegung (2.3) mit s(x) := 4x 3 x 2 2x+2 und dem Restpolynom r(x) := 2x 3.

48 KAPITEL 2. FUNKTIONEN Ein erstes wichtiges Resultat für Polynome ist in dem nachfolgenden Resultat enthalten. Satz 2.13 ( Division mit Rest ) Seien g ein von Null verschiedenes Polynom. Dann gibt es zu jedem Polynom f eindeutig bestimmte Polynome q und r mit f = qg + r, (2.4) wobei r 0 oder Grad r < Grad g gilt. Beweis: Seien und f(x) = a n x n + a n 1 x n 1 +... + a 1 x + a 0 mit a n 0 g(x) = b m x m + b m 1 x m 1 +... + b 1 x + b 0 mit b m 0 die beiden gegebenen Polynome. Wir beweisen zunächst die Existenz einer Zerlegung der Gestalt (2.4). Gilt bereits Grad f < Grad g, so sind wir wegen f = 0 g + f fertig, indem wir q 0 und r f setzen. Sei daher n m vorausgesetzt. Subtrahieren wir von f das Polynom an b m x n m g(x), so erhält man mit f 1 (x) := f(x) a n x n m g(x) b m ein Polynom f 1 mit f 1 0 oder n 1 := Grad f 1 < n. Ist nun n 1 < m, so sind wir fertig, indem wir q := an b m x n m und r := f 1 setzen. Gilt dagegen n 1 m, so fahren wir auf diese Weise fort und subtrahieren von f 1 nochmals ein geeignetes Vielfaches von g, um ein Polynom f 2 mit f 2 0 oder n 2 := Grad f 2 < n 1 zu erhalten. Nach endlich vielen Schritten bricht dieser Prozess ab und wir gelangen zu einer Darstellung der Gestalt (2.4). Zum Nachweis der Eindeutigkeit der Zerlegung (2.4) nehmen wir an, dass wir eine weitere Darstellung f = q g + r mit q q (für q = q wäre zwangsläufig auch r = r) haben, wobei r 0 oder Grad r < Grad g gilt. Dann folgt (q q)g = r r und somit der Widerspruch Grad(g) Grad ( (q q)g ) = Grad(r r ) < Grad(g), }{{} 1 wegen q q womit alles bewiesen ist. Sei nun p(x) = a 0 + a 1 x +... + a n x n mit a n 0 ein Polynom vom Grad n. Sei ferner x 1 eine Nullstelle von p, also p(x 1 ) = 0. Dann lässt sich der Faktor x x 1 von p abdividieren. Genauer gilt wegen x k x k 1 = (x x 1) (x k 1 + x k 2 x 1 +... + xx1 k 2 + x1 k 1 ) = (x x }{{} 1 )q k (x) =:q k (x)

2.3. POLYNOME 49 für alle k 2 nämlich p(x) = p(x) p(x 1 ) = a 1 (x x 1 ) + a 2 (x 2 x 2 1 ) +... + a n(x n x n 1 ) = (x x 1 ) [ a 1 + a 2 q 2 (x) +... + a n q n (x) ] }{{} =:b 0 +b 1 x+...+b n 2 x n 2 +b n 1 x n 1 = (x x 1 )p 1 (x), =:p 1 (x) wobei das Polynom p 1 wegen b n 1 = a n 0 den Grad n 1 besitzt. Ist jetzt noch Grad p 1 1 und x 1 eine Nullstelle von p 1, so lässt sich x x 1 auch von p 1 abdividieren, und man erhält die Gleichung p(x) = (x x 1 ) 2 p 2 (x) mit einem Polynom p 2 vom Grad n 2. Indem man so fortfährt, gelangt man schließlich zu einer Darstellung p(x) = (x x 1 ) n 1 p n1 (x) mit einem Polynom p n1 vom Grade n n 1, für welches p n1 (x 1 ) 0 ist. Besitzt das ursprüngliche Polynom p eine weitere Nullstelle x 2 x 1, so ist x 2 natürlich auch eine Nullstelle von p n1. Also kann man eine möglichst hohe Potenz des Linearfaktors x x 2 abspalten. So fortfahrend, gelangt man zu dem nachstehenden Resultat. Satz 2.14 Ein Polynom p vom Grad n 1 besitzt höchstens m n verschiedene Nullstellen x 1, x 2,...,x m, mit deren Hilfe es sich schreiben lässt als p(x) = (x x 1 ) n1... (x x m ) nm q(x) mit einem Polynom q vom Grad n (n 1 +...+n m ), das seinerseits keine Nullstellen mehr besitzt. Als unmittelbare Konsequenz aus dem Satz 2.14 notieren wir ein wichtiges Resultat über die Gleichheit zweier Polynome. Satz 2.15 ( Identitätssatz für Polynome ) Stimmen zwei Polynome p(x) = a n x n +... + a 1 x + a 0 und q(x) = b n x n +... + b 2 x + b 0 an n + 1 verschiedenen Stellen überein, so gilt a k = b k für alle k = 0, 1,..., n und daher p(x) = q(x) für alle x K. Beweis: Aus a k = b k für alle k = 0, 1,...,n folgt natürlich p(x) = q(x) für alle x K, so dass nur noch die Gleichheit aller Koeffizienten bewiesen werden muss. Der Beweis geschieht durch Widerspruch. Angenommen, es gibt einen (größten) Index m {0, 1,..., n} mit a m b m und a k = b k für alle k = m + 1,...,n. Das Differenzpolynom r(x) := p(x) q(x) = m (a k b k )x k k=0

50 KAPITEL 2. FUNKTIONEN hat dann den Grad m und besitzt n + 1 > m Nullstellen. Im Fall m 1 liefert dies einen Widerspruch zum Satz 2.14, und im Fall m = 0 (konstantes Polynom 0) ist dies sowieso nicht möglich. Den Satz 2.14 kann man verschärfen, indem man komplexe Nullstellen zulässt. Dann besitzt jedes (reelle oder komplexe) Polynom vom Grad n genau n Nullstellen, die allerdings auch bei reellen Polynomen komplex sein können. Dies ist die Aussage des folgenden Satzes, den wir allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt beweisen werden, siehe Satz 5.26. Satz 2.16 ( Fundamentalsatz der Algebra ) Jedes Polynom p K[x] vom Grad n 1 hat eine Darstellung p(x) = a(x x 1 ) n1... (x x s ) ns mit einem Faktor a K und (eventuell komplexen) paarweise verschiedenen Nullstellen x i C, wobei x i eine n i -fache Nullstelle von p ist und n 1 +... + n s = n gilt. Für reelle Polynome können wir aus dem Satz 2.16 eine interessante Beobachtung herleiten. Sei dazu p(x) = a n x n +... + a 1 x + a 0 mit a i R für alle i = 0, 1,..., n ein beliebiges reelles Polynom. Ist z C dann ein Nullstelle dieses reellen Polynoms p, so folgt aus n n n p(z) = a k z k = a k z k = a k z k = p(z) = 0 = 0, k=0 k=0 dass die konjugiert komplexe Zahl ebenfalls eine Nullstelle von p ist. Die nicht reellen Nullstellen treten also in Paaren konjugiert komplexer Nullstellen auf. Durch Multiplikation der zugehörigen Linearfaktoren x z und x z erhalten wir ein reelles Polynom zweiten Grades: (x z)(x z) = x 2 2Re(z)x + zz. Daher kann jedes reelle Polynom als Produkt von reellen Polynomen vom Grad 1 (für die reellen Nullstellen) und vom Grad 2 (für die konjugiert komplexen Nullstellen) dargestellt werden. k=0 2.4 Rationale Funktionen Unter einer rationalen Funktion verstehen wir den Quotienten aus zwei Polynomen, also R(x) = p(x) q(x) (2.5)

2.4. RATIONALE FUNKTIONEN 51 für gewisse Polynome p, q K[x], wobei K {R, C} wieder den Körper der reellen oder komplexen Zahlen bezeichnet. Nun ist die Darstellung einer rationalen Funktion nicht eindeutig, beispielsweise ist R(x) = x 1 x 2 1 eine rationale Funktion, deren Definitionsbereich zunächst nur die Menge K\{±1} ist, da wir für x = 1 und x = 1 durch Null dividieren würden. Andererseits besitzt das Nennerpolynom wegen x 2 1 = (x + 1)(x 1) einen gemeinsamen Faktor mit dem Zählerpolynom, so dass wir nach Kürzung dieses Faktors R(x) = 1 x + 1 erhalten, wobei der Definitionsbereich jetzt K\{ 1} lautet. Wir können im Folgenden deshalb davon ausgehen, dass in der Darstellung (2.5) alle gemeinsamen Teilerpolynome von p und q bereits gekürzt sind. Der vollständige Definitionsbereich der rationalen Funktion (2.5) besteht dann aus der Menge aller x K, für die das (gekürzte) Nennerpolynom keine Nullstelle hat. Ein z K heißt n-facher Pol der rationalen Funktion (2.5), wenn p(z) 0 ist und z eine Nullstelle von q der Vielfachheit n ist. Wegen Satz 2.14 existiert dann ein Polynom h mit h(z) 0 und Die rationale Funktion R(x) = p(x) q(x) = 1 (x z) n p(x) (x z) n h(x). (2.6) heißt dann Partialbruch. Für einen solchen Partialbruch gibt es auch eine additive Zerlegung, die wir in dem folgenden Resultat beschreiben. Lemma 2.17 ( Zerlegung einer rationalen Funktion ) Sei z ein n-facher Pol der rationalen Funktion R. Dann gibt es genau eine Zerlegung mit den folgenden Eigenschaften: R(x) = H(x) + R 0 (x) (a) R 0 ist eine rationale Funktion, die in z keinen Pol mehr hat. (b) der so genannte Hauptteil H ist von der Gestalt mit a n 0. H(x) = a n (x z) n + a n 1 (x z) n 1 +... + a 1 x z

52 KAPITEL 2. FUNKTIONEN Beweis: Wir beginnen zunächst mit einer Vorbetrachtung: Da z nach Voraussetzung ein n-facher Pol von R ist, haben wir für die rationale Funktion R eine Darstellung der Form (2.6). Hieraus folgt p(x) h(x) p(z) h(z) = p(x)h(z) p(z)h(x) h(x)h(z) = (x z)p(x) h(x) mit einem Polynom P, dessen Existenz daraus folgt, dass das Zählerpolynom Q(x) := p(x)h(z) p(z)h(x) in x = z offenbar eine Nullstelle hat. Damit erhalten wir aus (2.6) R(x) = = = 1 (x z) p(x) n h(x) 1 (x z) n a n (x z) + P(x) n (x z) n 1 h(x) ( p(z) (x z)p(x) + h(z) h(x) ) mit a n := p(z) h(z). (2.7) Wir kommen nun zum eigentlichen Beweis und zeigen zunächst die Existenz der gewünschten Zerlegung. Dies erfolgt durch Induktion nach n. Im Fall n = 1 ist (2.7) bereits die gesuchte Zerlegung, da R 0 := P/h wegen h(z) 0 keinen Pol in z hat. In der Induktionsannahme können wir deshalb davon ausgehen, dass die Aussage für alle rationalen Funktionen richtig ist, die in x = z höchstens einen (n 1)-fachen Pol haben. Für den Induktionsschluss von (n 1) auf n betrachten wir nun die Zerlegung (2.7) und setzen hierzu P(x) R n 1 (x) := (x z) n 1 h(x). Auf die Funktion R n 1 können wir dann die Induktionsannahme anwenden, da diese in z keinen Pol oder höchstens einen (n 1)-fachen Pol hat. Im erstgenannten Fall wählen wir einfach R 0 := R n 1, ihm zweitgenannten Fall zerlege man R n 1 dagegen gemäß Induktionsannahme. Zusammenfassend ergibt sich eine Darstellung von R der gewünschten Gestalt. Zum Nachweis der Eindeutigkeitsaussage nehmen wir an, dass wir zwei Zerlegungen der Gestalt n k=1 a k (x z) k + R 0(x) = n k=1 b k (x z) k + S 0(x) (2.8) haben. Multiplikation beider Seiten mit (x z) n und anschließendes Einsetzen von x = z a liefert dann a n = b n. Nach Entfernen von n = bn auf beiden Seiten der Identität (x z) n (x z) n (2.8) zeigt man auf analoge Weise a n 1 = b n 1. So fortfahrend erhält man auch die Eindeutigkeitsaussage. Das Lemma 2.17 können wir natürlich auf jede Polstelle anwenden. Betrachte dazu die rationale Funktion R aus (2.5). Wegen des Fundamentalsatzes der Algebra lässt sich das Nennerpolynom schreiben als q(x) = (x z 1 ) n1 (x z 2 ) n2... (x z s ) ns

2.4. RATIONALE FUNKTIONEN 53 für gewisse Nullstellen z 1,...,z s von q mit den Vielfachheiten n 1,...,n s (der in q eventuell auftretende konstante Faktor kann als Teil des Zählerpolynoms p genommen werden). Da gemeinsame Teilpolynome von p und q bereits rausgekürzt sind, handelt es sich bei z 1,...,z s dann um keine Nullstellen des Zählerpolynoms p. Folglich sind die z i Polstellen der rationalen Funktion R mit der Vielfachheit n i (i = 1,...,s). Anwendung des Lemmas 2.17 auf diese Polstellen liefert gewisse Hauptteile H 1,...,H s von R und somit insgesamt eine Darstellung der Form R(x) = H 1 (x) +... + H s (x) + Q(x). Dabei handelt es sich bei Q um eine rationale Funktion ohne irgendwelche Pole. Nach dem Fundamentalsatz der Algebra ist Q somit der Quotient aus einem Polynom und einer Konstanten, folglich ein Polynom. Man bezeichnet Q als den Polynom Anteil von R. Insgesamt haben wir damit das folgende Resultat bewiesen. Satz 2.18 ( Partialbruchzerlegung ) Jede rationale Funktion ist die Summe ihrer Hauptteile und ihres Polynom Anteils. Die Partialbruchzerlegung wird später eine wichtige Rolle bei der Integration von rationalen Funktionen spielen. Dabei ist es wichtig, dass man die Partialbruchzerlegung einer rationalen Funktion auch konkret durchführen kann. Den Polynom Anteil erhält man hierbei aus der Division mit Rest, die Partialbrüche aus der Linearfaktorzerlegung der verbleibenden rationalen Funktion, die Koeffizienten der Hauptteile schließlich durch einen Koeffizientenvergleich. Wir illustrieren das allgemeine Vorgehen kurz an einem Beispiel. Beispiel 2.19 Wir betrachten die rationale Funktion R(x) := x + 1 x(x 1) 2. (2.9) Hier ist der Grad des Zählerpolynoms bereits kleiner als der des Nennerpolynoms, so dass wir keinen Polynom Anteil erhalten. Das Nennerpolynom ist außerdem schon in seine Linearfaktoren zerlegt mit den beiden Nullstellen z 1 := 0 und z 2 := 1 mit den zugehörigen Vielfachheiten n 1 := 1 und n 2 := 2. Der Ansatz für die Partialbruchzerlegung lautet somit R(x) := a x 0 + b 2 (x 1) 2 + b 1 x 1 (2.10) für gewisse a, b 2, b 1 R. Zur Bestimmung von a, b 1 und b 2 multiplizieren wir die beiden Darstellungen (2.9) und (2.10) jeweils mit dem Nennerpolynom x(x 1) 2 und erhalten somit die Identität x + 1 = x(x 1) 2 R(x) = a(x 1) 2 + b 2 x + b 1 x(x 1). Sortieren nach den Potenzen von x ergibt die Gleichheit x + 1 = ax 2 2ax + a + b 2 x + b 1 x 2 b 1 x = (a + b 1 )x 2 + (b 2 b 1 2a)x + a.

54 KAPITEL 2. FUNKTIONEN Wegen Satz 2.15 können wir jetzt einen Koeffizientenvergleich durchführen und erhalten auf diese Weise das lineare Gleichungssystem a + b 1 = 0, b 2 b 1 2a = 1, a = 1. Dieses hat offenbar die eindeutig bestimmte Lösung a = 1, b 1 = 1, b 2 = 2, so dass wir für R die Partialbruchzerlegung erhalten. R(x) = 1 x + 2 (x 1) 2 1 x 1 2.5 Abzählbarkeit von Mengen Wir untersuchen in diesem Abschnitt die so genannte Mächtigkeit von Mengen. Dazu ist die nachstehende Definition von zentraler Bedeutung. Definition 2.20 Eine nichtleere Menge A heißt (höchstens) abzählbar, wenn eine surjektive Abbildung f : N 0 A existiert. Eine nichtleere Menge heißt überabzählbar, wenn sie nicht abzählbar ist. Wir geben als Nächstes einige Beispiele von (höchstens) abzählbaren Mengen an. Beispiel 2.21 (a) Jede endliche Menge A = {a 0, a 1,..., a m } ist (höchstens) abzählbar. Dazu definiere man beispielsweise f : N 0 A durch { an, falls 0 n m, f(n) := a m, falls n > m. Offenbar ist f dann surjektiv (allerdings nicht bijektiv). (b) Die Menge A := N 0 der natürlichen Zahlen (mit Null) ist abzählbar, denn die identische Abbildung f : N 0 N 0, f(n) := n, ist natürlich surjektiv (und selbstverständlich auch injektiv). (c) Die Menge A := Z der ganzen Zahlen ist ebenfalls abzählbar. Um dies einzusehen, werde f : N 0 Z definiert durch f(0) := 0, f(1) := +1, f(2) := 1, f(3) := +2, f(4) := 2,... Allgemein gilt also f(0) := 0, f(2n 1) := n und f(2n) = n für alle n N. Die so definierte Abbildung f ist offenbar surjektiv (sogar bijektiv). Teilmengen von abzählbaren Mengen sind offenbar wieder (höchstens) abzählbar. Wegen Beispiel 2.21 (b) ist damit die Menge N der natürlichen Zahlen (ohne Null) abzählbar. Ein manchmal sehr nützliches Resultat über die Abzählbarkeit von Mengen ist in dem nächsten Satz enthalten.

2.5. ABZÄHLBARKEIT VON MENGEN 55 Satz 2.22 Die Vereinigung (höchstens) abzählbar vieler abzählbarer Mengen ist wieder abzählbar. Beweis: Seien M n (n N 0 ) die abzählbaren Mengen. Wir bezeichnen die Elemente von M n mit x nm, m N 0, also M n = { x nm m N0 } = {x n0, x n1, x n2,... } (n N 0 ). Die Elemente der Vereinigungsmenge M := n N 0 M n schreiben wir in Form eines quadratisch unendlichen Schemas: M 0 : x 00 x 01 x 02 x 03 ւ ր ւ ր M 1 : x 10 x 11 x 12 x 13 ր ւ ր M 2 : x 20 x 21 x 22 x 23 ւ ր M 3 : x 30 x 31 x 32 x 33 ր. x 40 Die durch die Pfeile angedeutete Abbildung f(0) := x 00, f(1) := x 01, f(2) := x 10, f(3) := x 20, f(4) := x 11,... liefert offenbar eine Bijektion von N 0 in die Vereinigungsmenge M. Also ist M abzählbar. Eine unmittelbare Folgerung des Satzes 2.22 ist die Abzählbarkeit der rationalen Zahlen. Korollar 2.23 Die Menge Q aller rationalen Zahlen ist abzählbar. Beweis: Für jedes n N sind die beiden Mengen A n := { k } k N0 und n Bn := { k n offenbar abzählbar. Nach Satz 2.22 ist dann auch C n := { k } k Z = An B n n k N0 } abzählbar für jedes n N. Erneut wegen Satz 2.22 ist somit Q = n N C n eine abzählbare Menge. Wir beweisen als Nächstes, dass die Menge der reellen Zahlen hingegen nicht abzählbar ist.

56 KAPITEL 2. FUNKTIONEN Satz 2.24 Die Menge R aller reellen Zahlen ist überabzählbar. Beweis: Zum Beweis verwenden wir das so genannte Cantorsche Diagonalverfahren. Dazu beweisen wir, dass das offene Intervall (0, 1) überabzählbar ist, was die eigentliche Behauptung offenbar impliziert. Angenommen, (0, 1) ist abzählbar. Dann existieren reelle Zahlen {x n } n N0 mit (0, 1) = {x n n N 0 } (hierbei ist x n = f(n) für eine geeignete surjektive Abbildung f : N 0 (0, 1) gesetzt worden). Die Dezimalbruchentwicklungen der Zahlen x n seien x 1 = 0.a 11 a 12 a 13... x 2 = 0.a 21 a 22 a 23... x 3 = 0.a 31 a 32 a 33.... Wir definieren nun eine Zahl c (0, 1) durch die Dezimalbruchentwicklung wobei c k := c = 0.c 1 c 2 c 3...,. { 5, falls akk 5, 4, falls a kk = 5. Insbesondere gilt c k a kk für alle k N. Nach Annahme existiert ein n N mit c = x n. Daraus folgt aber c n = a nn im Widerspruch zur Konstruktion von c. Also ist (0, 1) überabzählbar. Zwei Mengen M 1 und M 2 haben die gleiche Mächtigkeit, wenn es eine bijektive Abbildung f : M 1 M 2 gibt. Offenbar hat eine endliche Menge dann niemals die gleiche Mächtigkeit wie die Menge N 0. Hingegen hat N 0 wegen Beispiel 2.21 (c) die gleiche Mächtigkeit wie die Menge der ganzen Zahlen Z, obwohl N 0 eine echte Teilmenge von Z ist. Dagegen folgt aus dem Satz 2.24, dass weder N noch Z die gleiche Mächtigkeit wie die reellen Zahlen R haben können. Es seien noch einige weitere Beispiele erwähnt. Beispiel 2.25 (a) Die Abbildung f : (0, 1) R, f(x) := x ist offenbar bijektiv. 1 x Also hat das Intervall (0, 1) die gleiche Mächtigkeit wie R und ist daher ebenfalls überabzählbar. (b) In Verallgemeinerung von Beispiel (a) hat auch jedes Intervall (a, b) die gleiche Mächtigkeit wie R und ist daher überabzählbar, denn die Abbildung h(x) := g(f(x)) mit f wie in (a) und g : (a, b) (0, 1), g(t) := t a b a ist als Kompositum von bijektiven Abbildungen wieder bijektiv. Hieraus folgt beispielsweise die Aussage, dass zwischen zwei reellen Zahlen x, y R mit x < y stets

2.5. ABZÄHLBARKEIT VON MENGEN 57 eine irrationale Zahl liegt, denn sonst bestünde das gesamte Intervall (x, y) aus rationalen Zahlen, so dass Q insbesondere überabzählbar wäre im Widerspruch zum Korollar 2.23. (c) Die Menge R \ Q der irrationalen Zahlen ist überabzählbar. Denn anderenfalls wäre R = Q (R \ Q) ebenfalls abzählbar wegen Satz 2.22, so dass wir einen Widerspruch zum Satz 2.24 erhalten. (d) Eine Zahl x R heißt algebraisch, wenn sie Nullstelle eines Polynoms p(x) := a n x n +... + a 1 x + a 0 mit Koeffizienten a 0, a 1,...,a n Q (wir könnten sogar a 0, a 1,...,a n Z fordern) ist. Wegen Satz 2.14 hat jedes solche Polynom höchstens n Nullstellen. Sei A n := { x x ist Nullstelle eines Polynoms p Q[x] vom Grad n }. Aufgrund des Satzes 2.22 ist jedes A n und damit auch die Menge aller algebraischen Zahlen A := A 1 A 2 A 3... abzählbar. (e) Sei A wieder die Menge aller algebraischen Zahlen. Die Elemente von T := R \ A bezeichnet man dann als transzendente Zahlen. Wegen (d) und Satz 2.24 ist T überabzählbar.

58 KAPITEL 2. FUNKTIONEN