Prof. Dr. R. Singer Wintersemester 2009/10 (19.1.2010, 7/Teil 1) Vorlesung Arbeitsrecht 7 Haftung des Arbeitnehmers I. Haftung gegenüber dem Arbeitgeber: 1. Haftungsbeschränkung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit Fall 19: Kaufmann 900 R 611: 300 A Bewachung Firmen-Pkw Schaden: 1.000 Lohnabzug: Juni, Juli je 100 R A Anspruchsgrundlage: 611 Erloschen? Aufrechnung durch R mit Gegenforderung 387, 389 [ 394 i.v.m. 850 c ZPO] 1
I. Gegenansprüche wegen fahrlässiger Sachbeschädigung: - 280 I, 611 ( + ) - 823 I, II i.v.m. 1 StVO ( + ) II. Bedenken: Schadensentstehung im Rahmen betrieblicher Tätigkeit - im Interesse des Arbeitgebers - in dessen Organisationsbereich (Direktionsrecht) 1. Früher: nur bei gefahrgeneigter Arbeit 2. Seit 1993: Großer Senat jede betrieblich veranlasste Tätigkeit (BAGE 78, 56) abgestufte Haftung: a) leichte Fahrlässigkeit: keine Haftung Arbeitnehmer b) mittlere ( normale ) Fahrlässigkeit: Teilung nach Billigkeit; Kriterien: - Grad des Verschuldens - Gefahrgeneigtheit der Tätigkeit - Höhe des Schadens - Versicherbarkeit - Stellung des AN im Betrieb - Höhe des Arbeitsentgelts (Risikoprämie) c) grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz: volle Haftung 3. Dogmatische Begründung: 254 (Berücksichtigung des Betriebsrisikos des AG) 4. Fallbezogen: a) Verschulden: mittlere Fahrlässigkeit; Folge: Schadensteilung b) Versicherung: wenn KfZ versichert wäre, müsste AG nur Selbstbeteiligung tragen (300 ) c) Gegen weitergehende Haftung des A sprechen: geringes Gehalt, Nebenbeschäftigung Ergebnis: Haftung des A nur in Höhe potentieller Selbstbeteiligung (300 ) 2
5. Weitere Beispiele a) BAG NZA 2007, 1230: Mitarbeiter einer Bank missachtete bei Verwaltung eines Aktiendepots Verkaufsauftrag des Kunden, falls Aktienkurs bestimmte Marke unterschreitet ( Stop-Loss-Order ), und verursachte dadurch Vermögensschaden in Höhe von über 20.000 Euro. Keine Haftungserleichterung, da AN Pflichtverletzung vorsätzlich und Schaden grob fahrlässig herbeigeführt hat. Kein Missverhältnis zwischen Schaden und Gehalt (3,5 : 1); keine besonders große Schadenswahrscheinlichkeit (bei anderen Mitarbeitern kein vergleichbarer Schaden). Kein Versicherungsschutz, da bestehende Versicherung vorsätzliche Pflichtverletzung nicht deckt bzw. beim Angestellten Rückgriff nimmt. b) Blutgruppenverwechslung durch junge Narkoseärztin BAG NZA 1998, 310: gröbste Fahrlässigkeit, wenn Ärztin gleich mehrfach die üblichen Sicherheitsmaßnahmen bei Bluttransfusion missachtet und der später an den Folgen des Kunstfehlers verstorbenen - Patientin Blut der falschen Blutgruppe verabreicht volle Haftung der Ärztin (110.000.- DM). -------------------------------------------------------------------------- 2. Mankohaftung (Fall 20) B 611 A Spielbank 1.000 Geldsäcke - Geldwechsel: Automat - Drehkreuz bedienen Mai: Manko 156 Juni: 256 Lohnabzug; außerdem: Abmahnung 3
A. 611 A B: Lohnanspruch entstanden B. Erloschen durch Aufrechnung ( 387, 389, 394) mit Gegenforderung I. Schadensersatz wegen Unmöglichkeit der Herausgabe: 280 I, III; 283 S. 1 i.v.m. 667, 695 1. Schuldverhältnis A/B: 611 2. Pflichtverletzung: 280 I ivm 667, 695 3. Vertretenmüssen: Wenn AN Herausgabepflicht gem. 667, 695 träfe, bestünde Pflichtverletzung in der Nichterfüllung dieser Pflicht (Erfolgsunrecht) Vor der Schuldrechtsreform traf dann den AN gem. 282 af die Beweislast, dass er die Unmöglichkeit der Herausgabe nicht zu vertreten hat im Arbeitsrecht nur schwer akzeptabel, da dann AN regelmäßig für ein Manko im Waren- und Kassenbestand verantwortlich wäre; daher schränkte BAG Anwendbarkeit der 667, 695 erheblich ein: a) 667, 695 setzen Besitz des AN voraus; im Normalfall ist AN jedoch Besitzdiener ( 855) b) BAG: Besitz des AN setzt dessen alleinigen Zugang zur Sache und selbständige Verwaltung voraus Selbständige Verwaltung nur anzunehmen, wenn AN wirtschaftliche Überlegungen anzustellen hat und selbständig über Verwendung des Geldes entscheiden darf (BAG NZA 2000, 715, 716) Hier: ( - ), AN soll nur Geld wechseln 4. Seit 1.1. 2002 überflüssig; zwar hat Schuldner das Nicht-Vertretenmüssen zu beweisen ( 280 I 2), doch gilt diese Vorschrift nicht zu Lasten des AN ( 619a). ErfK/Preis: Anwendung der 667, 695 abzulehnen, da AN niemals selbständig tätig ist; deshalb kommt nur Haftung des AN gem. 280 I 1 ivm 619a in Betracht. 4
II. Schadensersatzanspruch wegen einfacher Pflichtverletzung ( 280 I, 611 BGB) 1. Schuldverhältnis: 611 2. Pflichtverletzung (Verhaltensunrecht): a) Pflicht, weder Eigentum noch Vermögen des Arbeitgebers zu schädigen b) ( + ) arg.: AN hat Vermögensschaden des AG verursacht 3. Verschulden: a) nicht bewiesen c) Beweislast: aa) nach allg. Grundsätzen: Anspruchsteller (=Arbeitgeber) bb) 280 I 2: Verschuldensvermutung zu Lasten des Schuldners (= AN)? cc) 619 a: Vermutung gilt im Arbeitsrecht nicht zu Lasten des Arbeitnehmers, weil Arbeitgeber wegen seiner Organisationsmöglichkeiten eher Gefahren und Risiken beherrscht dd) Prima-facie-Beweis: Schluss vom Manko auf Fehlverhalten nur gerechtfertigt, wenn - A alleinigen Zugriff auf Kassenbestand hatte und - andere Drittursachen ausgeschlossen Hier fraglich, weil Geldsäcke gelegentlich Fehlbeträge enthielten; außerdem wohl nicht vereinbar mit 619a. ee) Hinzu kommt, dass Arbeitgeber mindestens mittlere Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers nachweisen muss arg.: Bei leichter Fahrlässigkeit gelten die Grundsätze der Haftungsbeschränkung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit. Hier: allenfalls leichte Fahrlässigkeit Manko von 400 = 0,003 % des Umsatzes von A ~ 13 Mio. III. Vertragliche Mankohaftung: 1. Grundsätze des betrieblichen Schadensausgleichs = zwingendes Arbeitnehmer-Schutzrecht 2. Mankoabreden nur zulässig, wenn a) Arbeitgeber angemessenes Mankoentgelt zahlt und 5
d) Haftung des AN vereinbarte Mankovergütung nicht übersteigt (BAG NZA 1999, 1049, 1052; 2000, 715) AN verliert also aufgrund Mankoabrede allenfalls Mankovergütung (reine Erfolgsprämie) Bsp.: BAG NZA 2000, 715: Filialleiterin erhielt 0,5 % des Umsatzes als Mankovergütung Ausgleichszeitraum: Vereinbarung (max. 1 Jahr) Hier: kein Mankogeld; nur Verzicht auf Ausgleich von Klein-Mankos (10 ) Ergebnis: A haftet nicht für die geringfügigen Fehlbeträge. B. Anspruch A B auf Entfernung der Abmahnung aus Personalakte? I. Anspruchsgrundlage: 1004, 242 BGB (analog) - Verletzung APkR durch unzutreffende Behauptung einer Pflichtverletzung II. Rechtsfolge: Entfernung Abmahnung aus Personalakte - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - II. Haftung des AN gegenüber Dritten: U Kran K P verletzt 1. Ansprüche P K: Haftung des K gem. 823 I, II (ivm 230 StGB), 253 II BGB auf Schadensersatz und Schmerzensgeld 6
2. Bedenken: würde K haften, würde innerbetrieblicher Schadensausgleich entwertet Freistellungsanspruch AN AG (K U) gem. 670 BGB bei Insolvenz des U allerdings wertlos; BGHZ 108, 305: Haftungsprivileg hat ihren Grund im Verhältnis zwischen AG und AN; Abwälzung des Insolvenzrisikos auf Dritte daher nicht gerechtfertigt. 7