Was ist Stress? Als Stress (Druck, Anspannung; lat. stringere: anspannen ) bezeichnet man durch spezielle äußere Reize hervorgerufene psychische und physische Reaktionen beim Menschen, die einerseits zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen, andererseits aber auch körperlich und geistig belasten. Aktuell kommt Stress eine immer größere Bedeutung durch die ständige Veränderung unseres grundlegenden Umfelds zu. Stress kann auch eine positive Wirkung haben: Belastungen werden besser ertragen oder letztlich durch eine entsprechende Toleranz neutralisiert (vgl. z. B. Hofmann 2010). Stress ist für viele Menschen ein alltäglicher Bestandteil des Arbeitslebens. Er ist vor allem eine biologische Reaktion auf unterschiedliche Reize und Belastungen ( Stressoren ) und löst im Körper eine Reihe von Veränderungen aus, die ein rascheres Handeln ermöglichen. Über die Sinnesorgane gelangen stressauslösende Reize in das Gehirn, wo wiederum die Ausschüttung von Stresshormonen gesteuert wird: Hormon Funktion Reaktion auf Dauer-Stress Adrenalin, Noradrenalin Cortisol Endorphine Steigert Blutdruck und Puls, setzt kurzfristig Energie frei durch Mobilisierung von Glukose, Fett und erhöhte Sauerstoffzufuhr Aktiviert Energiereserven, unterstützt Wirkung und Adrenalin, wirkt entzündungshemmend Unterdrücken Schmerzempfindung, Körpertemperatur steigt Kumulationseffekt führt zu Unkonzentriertheit, Nervosität, Unruhe und Schlafstörungen Erhöhte Infektanfälligkeit durch Immunsuppression Suche nach dem Kick 22
Positiver und negativer Stress Stressreaktionen können unterschiedliche Gefühle hervorrufen man spricht in diesem Zusammenhang auch von Eu-Stress (positiv) und Dis-Stress (negativ). Eu-Stress (angenehm) Herausforderung, Kick, Optimismus Zündender Funke Zeichen für Vitalität, Kraft und Leistungsbereitschaft Persönliche Entwicklung, Stärkung des Selbstvertrauens Stress Dis-Stress (unangenehm) Nervosität, Unruhe und Konzentrationsschwierigkeiten Vergesslichkeit, Fehler Schwierigkeiten auch schon bei einfachen Aufgaben Kann langfristig zu Krankheiten und Burn-out führen Stress wirkt sich also nicht nur auf unseren Körper aus, sondern ruft auch psychische Reaktionen hervor. Eu-Stress bewirkt häufig ein kraftvolles, nicht unangenehmes Gefühl, während Dis-Stress nicht selten frustrierend wirkt. Für uns selbst ist oft nicht so sehr der Stress selbst ein Problem, sondern die Art, wie wir ihn wahrnehmen. Stress lässt sich am Beispiel einer Saite eines Instrumentes beschreiben. Ist die Saite einer Geige zu locker (Langeweile), klingt sie verstimmt, es kommen nur Misstöne. Ist sie dagegen zu straff gespannt, reißt die Saite (negativer Stress). Für klangliche Harmonie braucht es eine passende Spannung (positiver Stress). (Hofmann 2010, S. 57) Akuter und chronischer Stress Akuter Stress ist eine vorübergehende Erregung, deren Anfang und Ende klar definiert werden können. 23
Chronischer Stress oder Dauer-Stress ist hingegen langanhaltend und nicht klar begrenzt. Betroffene haben das Gefühl, permanent überfordert zu sein, was auch körperlich zu einer andauernden biochemischen Reaktion führt Stresshormone werden nicht mehr ausreichend abgebaut, was in weiterer Folge gesundheitsschädlich wirkt. Zwei theoretische Modelle Wissenschaftliche Stressmodelle beschreiben verschiedene Reaktionsmuster, die auf körperlicher und psychischer Ebene auftreten. Zwei davon sollen hier vorgestellt werden: Das Modell von Selye konzentriert sich auf die biologisch-organische Ebene, jenes von Lazarus beschreibt psychologische Phänomene. Physiologische Stressforschung: Hans Selye Hans Selye (1907 1982) ist ein Pionier der Stressforschung, auch der Begriff Stress geht auf ihn zurück. Er beschreibt, dass jede Stressreaktion dem Körper eine bestimmte Anpassungsenergie abverlangt, die in Ruhepausen wieder aufgebaut werden muss. Diesen Vorgang fasste Selye als Allgemeines Anpassungssyndrom (AAS) zusammen. Dieses Modell unterscheidet mehrere Phasen: Alarmphase: kurzzeitiger Stress, ausgelöst durch einen Stimulus, zeigt sich in spontaner physiologischer Körperreaktion (Stressreaktion), die sich bei Entwarnung komplett zurückbildet. Resistenzphase: Reaktion bei anhaltendem Stress, wenn es keine oder zu kurze Erholungsphasen gibt. Die körperliche Stressre- 24
aktion kann nicht oder nicht mehr hinreichend abgebaut werden, es kann zu manifesten Erkrankungen kommen. Erschöpfungsphase: bei anhaltend langem und intensivem Stress; zwar tauchen noch einmal die Alarmreaktionssignale auf, aber sie sind weitgehend ausgereizt der Körper hat keine Möglichkeit einer adäquaten Reaktion mehr, es kann zum tödlichen Verlauf kommen (z. B. Sekundenherztod). Dauerstress: entsteht durch zu seltene oder zu kurze Regenerationsphasen. Es entsteht ein Defizit, das über kurz oder lang zur Erschöpfung der Kräftereservoirs führt. Stresseffekte häufen sich nicht nur an (mehrere Stressoren gleichzeitig), sondern sie summieren sich im Zeitverlauf (Stressoren nacheinander). Ein oft auftretendes Symptom von Dauerstress ist der bei vielen Menschen ab dem mittleren Alter auftretende Bluthochdruck, der primär auf keine organische Ursachen zurückzuführen ist, sekundär aber zu Organschäden führen kann. (Hofmann 2010, S. 62) Psychologische Stressforschung: Richard Lazarus Richard Lazarus (1922 2002) entwickelte das transaktionale Erklärungsmodell zum Phänomen Stress. Seine psychologische Theorie sieht Stress als höchst individuellen Vorgang: Im Vordergrund steht nicht (wie bei Selye) der Stressor, sondern die Art, wie ein Individuum eine erregende Situation gedanklich verarbeitet. Stress entsteht demnach, wenn ein Mensch eine bestimmte Anforderung als nicht mehr bewältigbar erlebt. So eine Situation wird als schädigend, bedrohlich oder herausfordernd eingeschätzt. 25
Lazarus beschreibt drei Bewertungskategorien, die ausschlaggebend für den Umgang mit der Situation sind: Primäre Bewertung (einer möglichen Bedrohung): Der Reiz wird wahrgenommen und nach den Kriterien unwichtig, günstig / positiv oder negativ/stressend beurteilt. Sekundäre Bewertung (des Bewältigungsvermögens): In der zweiten Phase werden die persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten ( ) eingeschätzt, mit den möglichen Ergebnissen: Die Ressourcen sind ausreichend, es ist zu bewältigen. Oder: Die Ressourcen sind ausgeschöpft, es ist nicht zu schaffen. Neubewertung: Die Ausgangssituation wird aufgrund dieser weiteren neuen Informationen neu bewertet, es folgt die Anpassung an die Veränderung. Empfindet die Person die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten als ausreichend, wird der Stress in positive Energie umgewandelt. Scheinen dagegen die Ressourcen subjektiv als nicht hinreichend, dann steigt der negative Stress. (Hofmann 2010, S. 63) Stressfaktoren Soziale bzw. emotionale Ereignisse, die bei Menschen Stress auslösen können, sind sehr vielfältig. Speziell im Bereich der Arbeitswelt sind dies: Zeitmangel Termindruck Lärm Fehlende Gestaltungsmöglichkeiten Mangelndes Interesse am Beruf Große Verantwortung 26
Mobbing am Arbeitsplatz Ständige Konzentration auf die Arbeit Perfektionismus Reizüberflutung Unterschwellige Konflikte Schwerwiegende Ereignisse Unterforderung Langeweile Gesundheitsschädigender Arbeitsstress kann gravierende Folgen haben, die Arbeit als solche spielt dabei eine große Rolle. Bei manchen Dingen werden sich viele Menschen kaum vorstellen können, selbst je von ihnen betroffen zu sein, andere Stressfaktoren werden Sie aus eigener Erfahrung gut kennen. Ursachen von Stress Es gibt wohl keinen Beruf, der nicht auch stressfördernde Momente mit sich bringt. Im Bereich der Pflege kann man verschiedene Arbeitsebenen unterscheiden, die vor allem in ihrer Kombination als stressig wahrgenommen werden können. Typisch für Pflegeberufe ist, dass immer wieder alle Wahrnehmungsund Reaktionsebenen gleichzeitig aktiviert werden. Generell wird unterschätzt, wie belastend es sein kann, emotionale Leistung unter Zeitdruck zu erbringen. Positive Aspekte des Pflegeberufs ( abwechslungsreich, anspruchsvoll etc.) können rasch auch zu Überforderung führen. Auch Hierarchien können Konflikte generieren: Das Pflegepersonal untersteht zumeist der Pflegedienstleitung, aber auch Ärzte sind in 27
vielen therapeutischen Aspekten weisungsbefugt. Diese Überschneidungen können auch zu (stressauslösenden) Widersprüchen führen. Die Ursachen für Stress sind also sehr unterschiedlich, und sehr häufig ist es nicht eine einzelne Situation, die belastend ist, sondern ein komplexes Zusammentreffen mehrerer Umstände. Sind gestellte Anforderungen über eine längere Zeit nur schwer zu bewältigen, sollte man Maßnahmen ergreifen, um dies zu ändern, bevor Energie und Kraft aufgebraucht sind. Stressvermeidung Vor der Stressbewältigung sollte die aktive Vermeidung krankmachender Parameter absolute Priorität haben, und zwar anhand professioneller Ansätze für die Problemlösung. Neben individuellen Strategien, die einzelne Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen betreffen, stehen kollektiv wirksame Methoden, die strukturelle Stresserzeugung in Betrieben und Organisationen ausschalten oder kontrollieren sollen. In den nachfolgenden Kapiteln beschreibe ich spezielle Fallsituationen für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Gesundheitsberufen. Kollektive Lösungsansätze werden leicht verständlich beschrieben und mit praktischen Beispielen veranschaulicht. Dazu zählen: Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich Selbstmanagement Selbstcoaching Motivation Zielfindung Teamarbeit 28
Sicherlich gäbe es noch viele andere Ansätze zur Stressvermeidung, die ebenfalls erfolgversprechend sind. Dieses Buch soll allerdings vor allem aufzeigen, wie leicht es sein kann, den Umgang mit potenziellem Stress aktiv anzugehen. Der Ausbau bzw. die Steigerung persönlicher Kompetenzen ist oberstes Ziel. Stressmanagement Stressmanagement ist ein Sammelbegriff für Methoden, die Stress verringern oder abbauen können (vgl. Buchwald, Schwarzer, Hobfoll 2004, S. 60 73). Stressmanagement-Methoden können hilfreich sein, um das persönliche Gleichgewicht zwischen Belastung und Entlastung zu halten. Sie zeigen aber auch auf, wo Stress beginnt und wie man bereits präventiv Interventionen setzen kann. Die Auseinandersetzung mit diesen Methoden vergrößert aber nicht zuletzt auch unsere individuellen Ressourcen, mit denen wir professionelle Stressbewältigung ausüben. Ziel ist es, durch persönliches Stressmanagement belastenden Stress zu verringern bzw. gänzlich zu vermeiden. Die in diesem Buch beschriebenen Methoden entspringen einem praxisorientierten Ansatz, sie sind vielfach erprobt und mit einfachem bzw. geringem Aufwand umsetzbar. In ihrer Gesamtheit und miteinander kombiniert, stellen sie eine einfache, aber höchst effiziente Form von persönlichem Stressmanagement dar. 29
Die pflegerische Tätigkeit Viele Menschen glauben, dass pflegerische Tätigkeiten ganz einfach auszuüben sind. Da Pflege für die meisten Menschen eine selbstverständliche Dienstleistung ist, sind sie der Meinung, dass die dazu Berufenen sie mit derselben Selbstverständlichkeit ausüben. Kaum jemand macht sich darüber Gedanken, dass auch Pflegende Menschen mit Gefühlen und Bedürfnissen sind, die nicht alles aushalten und wegstecken können, womit sie in ihrem Beruf konfrontiert werden. Das öffentliche Bewusstsein für Pflegeberufe hat sich zwar schon deutlich gewandelt, dennoch besteht weiterhin Informationsbedarf. Nicht jeder Mensch ist dazu geeignet, diesen anspruchsvollen Beruf auszuüben. Neben fachlichen Kenntnissen braucht es auch ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und ein neutrales Menschenbild, um im Pflegeberuf Verantwortung zu übernehmen. Auch in diesem Buch wird die große Bedeutung sozialer Kompetenz beschrieben. Die Arbeit im Nahebereich von Menschen muss auch Freude machen, um pflegerische Aufgaben und Ziele in hoher Qualität erfüllen zu können. Neben dem guten Umgang mit Nähe ist in der Pflege aber auch die Fähigkeit zur Abgrenzung eine wichtige Voraussetzung. Merkmale professioneller Pflege Anhand welcher Kompetenzen kann man den Pflegeberuf beschreiben, was sind seine besonderen Merkmale? Friedrich Heubel hat dies sehr treffend beschrieben: Das Alleinstellungsmerkmal professioneller Pflege ist das individuell angepasste Ersetzen oder Kompensie- 30
ren des vorübergehend oder dauerhaft unmöglich Gewordenen. Das bezieht sich nicht nur auf die praktischen Alltagsverrichtungen, sondern auch auf die durch die Rationalität der Institution Krankenhaus (Pflegeheim) verfremdete sozial-kommunikative Situation. Dabei reduziert Pflege die Hilfestellung nicht auf einen rein funktionalen Ersatz, sondern begleitet die Betroffenen in ihrer emotional belasteten Situation mit empathischer Anteilnahme. (Agbih u. a. 2010, S. 75 84) Diese Darstellung bringt es sehr gut auf den Punkt Pflegepersonen selbst tun sich manchmal schwerer, ihre eigene Tätigkeit spezifisch zu beschreiben. Nicht jeder kann pflegen! Auch wenn viele Menschen glauben, dass es anders ist: Nicht jeder kann den Pflegeberuf ausüben. Vor allem die Altenpflege stand lange Zeit im Ruf, dass sie ja nicht so schwer sein kann, doch diese Annahme ist falsch: Wie in allen anderen pflegerischen Spezialbereichen braucht es auch für die Altenpflege ein hohes Maß an Fachwissen und Kompetenzen, um Menschen adäquat versorgen und begleiten zu können. Besonders die Pflege alter Menschen stellt hohe Ansprüche an die Ausführenden, und nicht jeder ist in der Lage, in diesem Beruf tätig zu sein. Pflege erfordert ein hohes Maß an Qualifikation. Je nach Berufsbild dauern die notwendigen Ausbildungen mehrere Monate bzw. Jahre und vermitteln ein breites Spektrum an Fachwissen. Längerfristig ist es neben dem Sammeln von Berufserfahrungen auch sinnvoll, weitere Zusatzausbildungen zu absolvieren. 31