Nutzen der Traumapädagogischen Haltung für ethische Fragestellungen Fachtag «Quo Vadis» Traumapädagogik

Ähnliche Dokumente
Einleitung Traumapädagogik und Ethik Ethik der zwischenmenschlichen Begegnung (Gabe)

Nutzen der traumapädagogischen Haltung für ethische Fragestellungen bei der schulischen Integration von Flüchtlingen

Geschlossene Heimerziehung - ungeliebte Ultima Ratio oder wirkungsvolle Hilfe mit klarer Indikation?

BILDUNGSPROZESSE UND BEZIEHUNGSDYNAMIKEN BEI PSYCHOSOZIAL BELASTETEN KINDERN UND JUGENDLICHEN

Bindung schaffen in der IndividualPädagogik

Jugendhilfe macht Schule. ein Projekt stellt sich vor...

LERNEN, EMOTIONALE BELASTUNG UND DIE BEDEUTUNG DER SCHULE

Grundbegriffe klären, Themenfeld abstecken. Auseinandersetzng mit Kulturalität in der. Transkulturelle pflegeethische Prinzipien

Korrigierende Beziehungsgestaltung bei traumatisierten Kindern und Erwachsenen in Einrichtungen

Die Familie als sicherer Ort für Flüchtlingskinder?

Die Dimension der Ethik im REHAB Basel

Von ihren Behandlern erwarten die Patienten. 39 Item Fragebogen ( 1 sehr wichtig; 6 sehr unwichtig )

Traumapädagogik in der stationären Jugendhilfe ein Weg aus der Ohnmacht. Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen (Wilma Weiß, 41)

Kinderschutz - Arbeit in Zwangskontexten. Und bist Du nicht (frei-)willig dann brauch ich Gewalt? Fachtagung DKSB Remscheid, 27.

Macht der Begriff palliatives Vorgehen in der Psychiatrie Sinn?

Geflüchtete Kinder - Herausforderungen und Chancen kultureller Vielfalt in der frühen Bildung

Psychosoziale Beratung und Psychotherapie im Alter

Einleitung 11. Grundlagen 15

Traumapädagogische Gruppenarbeit. Jacob Bausum Zentrum für Traumapädagogik

DEM HILFE SUCHENDEN MIT WERTSCHÄTZUNG UND AKZEPTANZ BEGEGNEN

TRAUMAPÄDAGOGIK IN DER FRÜHEN KINDHEIT

Wir haben ein christlichhumanistisches. Menschenbild! Unsere 7 Grundsätze! 1. Grundsatz: Was unsere Arbeit leitet und woran wir uns messen lassen!

Kleine Kinder im Heim Herausforderungen für den stationären Alltag

Autonomie in Verbundenheit. Selbstbestimmt leben nach einem Auszug aus dem Elternhaus!?

Evaluation im Modellversuch Traumapädagogik. Dipl.-Psych. Claudia Dölitzsch (Evaluationsbeautragte)

Angehörigenarbeit in der. Psychiatrie

Fachvortrag 23. April 2015 KIM soziale Arbeit e.v.

Scham. Warum ist es so schwer, darüber zu reden? 25. März Frankfurt Diplom-Berufspädagogin (Pflege) Dorothea Meudt

Informationsveranstaltung Modellversuch Traumapädagogik Was ist «Traumapädagogik»? Brauchen wir diese?

RESPEKTVOLLER UMGANG MIT KINDERN. Copyright: K. Larondelle

Inhaltsverzeichnis. Teil A: Grundlagen

- Traumapädagogik in der Praxis

Lassen sich Lebensqualität und Behinderung überhaupt miteinander vereinbaren?

Ethische Aspekte von Qualität Wo beginnt der Etikettenschwindel?

ERZIEHUNG GELINGT. Wenn Sie diese 11 Punkte beachten. Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel. J.W.

Die Haltung macht den Unterschied der traumapädagogische Qualifizierungsprozess

Leitbild in leichter Sprache. Unser. Leit-Bild

Unterstützung von Angehörigen von Menschen mit Behinderungen

Fachschule für Sozialpädagogik BEURTEILUNGSBOGEN. Projekt - Praktikum. Studierende/r:... PraxisanleiterIn:... Einrichtung:...

WILLKOMMEN! Beziehung statt Erziehung. Christine Harzheim. Bern 3. September Bern 3. September 2015 C.Harzheim Familylab Schweiz

Borderline-Quiz. Wer wird Super-Therapeut?

Wie hättest Du entschieden?

Evangelisches Kinderheim - Jugendhilfe Herne & Wanne-Eickel ggmbh

Inhalt. 3 Soziale und individuelle Vorstellungen von Krankheit und

2. Selbstbild und Rolle klar(e) Haltung zeigen Zusammenarbeit mit Eltern Problemverhalten in Fähigkeiten verwandeln 8

Führungsverhaltensanalyse

Herzlich Willkommen an der DKSS Reinheim Thema: SOZIALES LERNEN

Traumapädagogik als Pädagogik der Selbstbemächtigung von jungen Menschen Wilma Weiß

Leitbild Pflege Uniklinik Balgrist Forchstrasse Zürich Tel Fax

Wie kann pädagogisches Handeln zur Unterstützung von traumatisierten Kindern beitragen?

Einführung in die (Medizin-)Ethik

Umgang mit Aggressionen. Ethische Aspekte. Authentizität

Sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe in elementaren Bildungseinrichtungen. Michaela Hajszan Graz, 26. Mai 2011

Traumapädagogik. im Kontext kultursensiblen Handelns

Schizoide Persönlichkeits. nlichkeits- IV-Kriterien. Beziehungsmotive: Beziehungsmotive. Schemata I

LEITBILD DER JUGENDARBEIT REGENSDORF

Gerontopsychiatrie. Wir pflegen. Das Wohlbefinden.

VORLESUNG ALLGEMEINMEDIZIN. Auswahl Folien allgemeinmedizinische Arbeitsweise

Durchhänger von Lernenden besser verstehen

Herzlich willkommen! 28. März 2019 Mutige Eltern mutige Kinder. Veranstalterin: Elternbildung Schule Wetzikon

Unser Leitbild. St. Josef-Krankenhaus Kupferdreh St. Elisabeth-Krankenhaus Niederwenigern Altenkrankenheim St. Josef Kupferdreh

Krebs gemeinsam bewältigen

Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen

Prinzip Nachhaltigkeit PädagogischeÜberlegungen zum professionellen Selbstverständnis von Jugendsozialarbeit an Schulen

Gemeinsam einen Weg finden!

Mathias Lohmer. Psychodynamik, Behandlungstechnik und therapeutische Settings. (D Schattauer Stuttgart. New York

Und wo bleibt da die Ethik?

Neue Elemente der gesellschaftlichen Integration im Kita- Programm Papilio. Katharina Hepke Dr. Charlotte Peter Prof. Dr. Herbert Scheithauer

in Psychiatrie und maximal 4 Psychotherapie Zeilen hoch

Beziehung in der Schule Die 4 Werte nach Jesper Juul

Kindertageseinrichtungen auf dem Weg

Verstehen - Lernen Lehren. Wie können traumabezogene (psycho)therapeutische Konzepte im pädagogischen Alltag genutzt werden?

4.7 Integration von Kindern mit Behinderungen

Nähe und Distanz als Herausforderungen professioneller Beziehungsgestaltung

Trauma und Gruppe. Zentrum für Traumapädagogik

Szenarien einer zukünftigen Gesundheitsversorgung Faktoren der Bedarfsänderung und Folgen für das Angebot an Versorgungsleistungen: Ethische Sicht

Heimunterbringung als Ultima Ratio Fluch oder Segen? Kinder- und Jugendpsychiatrisches Kolloquium

Unternehmensvision. Gemeinsam beständig weiter. Offenheit. Klarheit

Betreuungssettings für (komplex) traumatisierte Kinder: Konzepte und Strukturen optimieren

Zur Rolle der Angehörigen in der psychiatrischen Behandlung: Störenfriede, Co-Therapeuten oder?

Traumapädagogische Überlegungen zur Kooperation «Fachaustausch Kooperation» Marc Schmid, Basel, Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik

Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung

Mach s Dir selbst. Woran erkenne ich, dass mir Coaching helfen könnte? Wann besteht denn überhaupt Coaching-Bedarf?

Kontakt Grenze und Beziehung. die Pflege und das Familiensystem

1. Oberstufen Praktikum

Fairness im Arbeitsleben ethische Utopie oder Garant für ein gesundes Unternehmen?

1. Emotionale Belastung Grundannahme Für die meisten Angehörigen stellt sowohl das Erleben der Krankheit und Pflegebedürftigkeit ihres

Akademisches Lehrkrankenhaus der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Unser Leitbild

Ethik trifft auf Wirklichkeit

!"# # # $% # & '() '* ) ) '()

Einführung in die Interaktionsanalyse als Instrument der Fallreflektion und Teamberatung

Individuen Interessen Interaktion

Schlüsselkompetenzen für die psychiatrische Arbeit. Empowerment in der Psychiatrie aber richtig!

ÖKONOMIE UND ÄRZTLICHE ETHIK

Traumapädagogische Fallbesprechung und die Suche nach dem «guten Grund»

- INTERKULTURELLE KOMPETENZ IN DER GANZTAGSSCHULE

Wege zu einem entwicklungs- fördernden Miteinander von Erwachsenen und Kindern

Autonomie ein notwendig sperriger Kernbegriff der Psychiatrie

Schlüsselkompetenzen der Erzieherin (entnommen aus der Ausbildungskonzeption der Fachakademie für Sozialpädagogik Aschaffenburg)

Transkript:

Nutzen der Traumapädagogischen Haltung für ethische Fragestellungen Fachtag «Quo Vadis» Traumapädagogik Marc Schmid, Berlin, 21. November 2014 Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik

Einleitung Traumapädagogik und Ethik Ethik der zwischenmenschlichen Begegnung (Gabe) Es gibt kaum ein beglückenderes Gefühl, als zu spüren, dass man für andere Menschen etwas sein kann. Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) 2

Gliederung 1. Einleitung 2. Traumapädagogische Haltung 3. Ethik und Traumapädagogik 4. Denkanstöße: Die heutige Zeit, psychosoziale Hilfen, Schicksal und Trauma 5. Ethik der Gabe -Diskreditierung der Gabe in der heutigen Zeit 6. Was muss gegeben sein, um Geben zu können? 7. Die (Ab-)Gabe der Klienten - Macht, Gewalt und Beziehung 8. Scheitern in der Therapie und Pädagogik 9. Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Diskussion 3

Einführung Ethische Überlegungen Was soll ich tun? Immanuel Kant Ethik in der Traumapädagogik: Was soll ich wie, wann, warum, mit welcher Absicht mit einem Klienten tun? Was macht moralisches Handeln im Umgang mit unseren Klienten, unseren Kollegen und Mitarbeitern aus? 4

Ethische Themen Kategorischer Imperativ von Immanuel Kant «Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.» Immanuel Kant Metaphysik der Sitten (1797) 5

Ethische Dilemmata Woran können sich Fachkräfte orientieren? Anwendung von Freiheitsentzug als Schutz vor Fremd- und Selbstgefährdung. Wann kann jemand bewusst entscheiden, sich selbst zu gefährden? Wann kann/muss ich eine Entlassung eines/er Jugendlichen vornehmen? Abwägung von Leid des Klienten und der Belastung für seine/ihre Mitbewohner und die Fachkräfte? Soll ich der abnehmenden Einrichtung und dem Jugendamt genau sagen, welche Probleme wir mit XY hatten, oder einfach ein paar Aspekte vergessen oder etwas beschönigen? Versorgungsgerechtigkeit: Warum darf ein Kind in eine traumapädagogische Wohngruppe und so viele andere nicht? Wann sind Eltern gut genug und es kann eine Rückführung eingeleitet werden?.. 6

Ethische Überlegungen Wonach richten wir in der traumapädagogischen Praxis unser Handeln aus? An fachlichen Standards An moralischen Werten Am Wohl des Klienten Am Wohl aller unserer Klienten Am Wohl unser Mitarbeiter und Kollegen An der Zufriedenheit der zuweisenden Behörden An unserem Wohlsein An der Belegung und Anfragesituation Am ökonomischen Erfolg unserer Einrichtung 7

Ethische Theorien menschlichen Handelns Wichtige Unterscheidung Unterscheidung von Max Weber (1864-1920) Gesinnungsethik (deonotologische Ansätze) vs. Verantwortungsethik (teleologische Ansätze) Orientiert sich unser Handeln an der Gesinnung oder an den antizipierten Folgen unserer Entscheidungen bzw. unseres Verhaltens. 8

Ethische Theorien menschlichen Handelns Unterscheidung in Gesinnungs- vs. Verantwortungsethik Lehne ich geschützte/freiheitentziehende Unterbringung ab, weil ich prinzipiell gegen geschlossene Unterbringung bin oder wäge ich im Einzelfall ab, was die Folgen einer geschlossenen Unterbringung und von weiteren gescheiterten offenen Hilfeformen für die Jugendliche sind und wie diese im Vergleich zu den Folgen des Freiheitsentzugs zu gewichten sind? Wie lange halte ich ein Kind, das die Gruppe massiv belastet, aus, weil ich als traumapädagogische Einrichtung belastende Abbrüche vermeiden möchte? Wie gewichte ich die Interessen/die Belastung der Mitbewohner und Mitarbeiter im Vergleich zum Leid des Kindes, über dessen Verbleib entschieden werden muss? 9

Gliederung 1. Einleitung 2. Traumapädagogische Haltung 3. Ethik und Traumapädagogik 4. Denkanstöße: Die heutige Zeit, psychosoziale Hilfen, Schicksal und Trauma 5. Ethik der Gabe -Diskreditierung der Gabe in der heutigen Zeit 6. Was muss gegeben sein, um Geben zu können? 7. Die (Ab-)Gabe der Klienten - Macht, Gewalt und Beziehung 8. Scheitern in der Therapie und Pädagogik 9. Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Diskussion 10

Korrigierende Beziehungserfahrungen Ableitung der traumapädagogischen Haltung Traumatisierendes Umfeld Unberechenbarkeit Einsamkeit Nicht gesehen/gehört werden Geringschätzung Kritik und Entmutigung Bedürfnisse werden missachtet Ausgeliefert sein andere Bestimmen absolut über mich Leid Traumapädagogisches Milieu Transparenz /Berechenbarkeit Beziehungsangebote/Anwaltschaft Beachtet werden/wichtig sein Wertschätzung (Besonderheit) Lob und Ermutigung Bedürfnisorientierung (Individualität) Mitbestimmen können - Partizipation Freude 11

Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Überspitzt das klassische Modell Erziehungsmassnahmen zur Veränderung 12

Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Überspitzt das klassische Modell Kind muss sich verändern Erziehungsmassnahmen zur Veränderung 13

Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Die Beziehungsfähigkeit des Kindes soll sich verbessern? Wie können wir gemeinsam unsere Ziele erreichen und die Entwicklungsaufgaben des Kindes erfüllen? Interaktion pädagogische Begegnung 14

Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Interaktion pädagogische Begegnung 15

Neue Beziehungserfahrungen führen zu Veränderung 16

Haltung korrigierende Beziehungserfahrung Sicherer Orte für Klienten und Mitarbeiter Sicherer Ort = Äussere Sicherheit + Innere Sicherheit 17

Schmid (2010/2011) Institution administrative, fachliche, emotionale Unterstützung Leitung Versorger Fachdienst Gruppenpädagogen Kind Externe Hilfen: Kollegiale Intervision/ Supervision/ Coaching/ Verband

Gliederung 1. Einleitung 2. Traumapädagogische Haltung 3. Ethik und Traumapädagogik 4. Denkanstöße: Die heutige Zeit, psychosoziale Hilfen, Schicksal und Trauma 5. Ethik der Gabe -Diskreditierung der Gabe in der heutigen Zeit 6. Was muss gegeben sein, um Geben zu können? 7. Die (Ab-)Gabe der Klienten - Macht, Gewalt und Beziehung 8. Scheitern in der Therapie und Pädagogik 9. Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Diskussion 19

Medizinethische Prinzipien Respekt der Autonomie Nichtschädigung Fürsorge Gleichheit/Versorgungsgerechtigkeit (Beauchamp & Childress, 1989) 20

Ethische Überlegungen Versorgungsgerechtigkeit: Wer kommt in eine traumpädagogische Institution? In Anbetracht der Tatsache, dass Traumatisierungen bei fremdplatzierten Kindern und Jugendlichen die Regel und nicht die Ausnahme sind. Viele traumapädagogischen Wohngruppen haben im Jahr über 100 Anfragen denen sie absagen müssen. Wegen der geringen Fluktuation können gute Wohngruppen in der Regel auch nur wenige Kinder und Jugendliche versorgen. Deshalb stellt sich natürlich der Frage der Versorgungsgerechtigkeit: Nach welchen Indikationen wird entschieden, welche Kinder/Jugendlichen angefragt/aufgenommen werden? Was passiert mit den Abgewiesenen? An den Scheidewegen des Lebens, gibt es keine Wegweiser. Charlie Chaplin 21

Ethische Überlegungen Versorgungsgerechtigkeit: Wer kommt in eine traumpädagogische Institution Traumapädagogische Aspekte sollten, um der Versorgungsgerechtigkeit genüge zu tun, in möglichst vielen Wohngruppen implementiert werden. Es sollten aber auch gezielt besonders intensive Angebote für die Systemsprenger entwickelt werden traumpädagogische und traumapädagogische plus (Sucht, Störung des Sozialverhaltens mit psychopathischen Persönlichkeitseigenschaften) etc. Spezialisierte, besser ausgestatte Wohngruppen benötigt man auch, um die Traumapädagogik weiterzuentwickeln und zu erforschen (Gahleitner & Schmid 2014, Wiesinger et al. 2009). 22

Reminder Ethische Überlegungen Was soll ich tun? Immanuel Kant Ethik in der Traumapädagogik: Was soll ich wie, wann, warum, mit welcher Absicht mit einem Klienten tun? Was macht moralisches Handeln im Umgang mit unseren Klienten, unseren Kollegen und Mitarbeitern aus? 23

Soziale Kompetenz Personale Kompetenz Fachkompetenz Methodenkompetenz Ethische Kompetenz Ethische Themen in psychosozialen Handlungsfeldern Die fünf Säulen der beruflichen Handlungskompetenz Quelle: Schuhmacher 2013 Handlungskompetenz 24

Ethische Themen in der Sozialpädagogik Ethische Dilemmata führen zu unsichere Orten Es gibt kaum etwas, was ein Team/eine Institution stärker verunsichert als grundlegende andere moralische Vorstellungen über das was und wie man etwas tut. Wenn mich mein Gewissen belastet, weil Kinder und Jugendliche unvorstellbare Dinge tun, und wir das zukünftig nicht sicher verhindern können. Die Leitung nicht korrekt mit mir, meinen Kollegen oder den Kindern umgeht Ich ethisch/moralisch nicht hinter dem Konzept/meinen Kollegen stehen und ihnen meine Position nicht ausreichend verdeutlichen kann. Meine Gewissensnöte nicht gehört werden und keine Möglichkeit besteht, diese einzubringen und mit Kollegen und der Leitung zu diskutieren. verstärkt sich Unwohlsein, Unsicherheit und pädagogische Selbstunwirksamkeitserwartung. 25

Haltung Sicherer Ort und ethische Themen Sicherer Ort = Äussere Sicherheit + Innere Sicherheit Institutionelle Verhältnisse und eigenes Handeln stimmen mit meinen eigenen moralischen Werten überein. 26

Sicherer Orte und ethische Themen Ein Teufelskreis Sichere Orte Diskussion von ethischen Themen Echte Diskussion von Einstellungen und (Wert-)Haltungen sind nur über Partizipation und in vertrauten Beziehungen möglich. 27

Ethischer Diskurs in der Versorgungskette Fallreflektion Fallreflektion Leitung Versorger Fachdienst Gruppenpädagogen Kind Handlungssicherheit durch gemeinsame ethische Überlegungen 28

Ethisches Handeln als Dreischnitt auf drei Ebenen Traupädagogisches Fallverstehen Ebene des Kindes/des Klienten: Wille/Motiv Handlung Folge(n)/Nutzen Fallverständnis und Interaktionsanalyse Ebene der pädagogische Fachkräfte: Wille/Motiv Handlung Folge(n)/Nutzen Nicht lachen, nicht urteilen 29

Ethische Dilemmata Balance zwischen den Bedürfnissen der Gruppe und den einzelnen Bewohnern Optimale Ausgestaltung der Hilfe für das einzelne Kind und seine psychische Belastungen - Individualisierung Optimale Ausgestaltung der Hilfe für alle Kinder einer Wohngruppe - Orientierung an Bedürfnissen der Gruppe 30

Zum Verständnis von Gerechtigkeit («Klassische Dreiteilung») (iustitia legalis) Gerechtigkeit bedeutet allgemein das Einhalten von Regeln Gerechte Regeln aber bestimmen sich über den Gleichheitsgrundsatz Erste Form: Gerechte Verteilung Zweite Form: Gerechter Ausgleich Schuhmacher 2013 31

Die Klammerfunktion des Bedürfnisprinzips im Gerechtigkeitsverständnis Individualisierung in der Traumapädagogik Equality-Norm Gleichheitsprinzip iustitia commutativa Equity-Norm Bedürfnisprinzip Beitragsprinzip iustitia distributiva Schuhmacher 2013 32

Individualisierung Gleiche Ausgangslage für alle? Im Sinne einer gerechten Auslese lautet die Prüfungsaufgabe für alle gleich: Klettern Sie auf einen Baum! 33

Gliederung 1. Einleitung 2. Traumapädagogische Haltung 3. Ethik und Traumapädagogik 4. Denkanstöße: Die heutige Zeit, psychosoziale Hilfen, Schicksal und Trauma 5. Ethik der Gabe -Diskreditierung der Gabe in der heutigen Zeit 6. Was muss gegeben sein, um Geben zu können? 7. Die (Ab-)Gabe der Klienten - Macht, Gewalt und Beziehung 8. Scheitern in der Therapie und Pädagogik 9. Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Diskussion 34

Der gesellschaftliche Wandel die heutige Zeit Bedeutung für psychosoziale Hilfen Bis zum 18. Jahrhundert gingen die heutige Kernfamilien in Dorfgemeinschaften und Sippen auf reiche und adlige gaben früher die Erziehung ihrer eigenen Kinder weitgehend ab. Durch die mobilere und technisierte Gesellschaft und den steigenden Wohlstand gewinnt die Kernfamilie zunehmend an Bedeutung - basierend auf romantischer Liebe- immer bedeutsamer wenn deren Zusammenleben belastet ist braucht es psychosoziale Hilfen von Außen. Die Vorläufer der heutigen Hilfen zur Erziehung wurden von hoch motivierten Personen als Gabe an Bedürftige gegeben. Es waren in der Regel ehrenamtliche Wohltäter, die sich bedürftiger Menschen annahmen ihre Arbeit wurde in der Regel mit hohem Sozialen Ansehen und der Reduktion des Leids und der Dankbarkeit der Geholfenen aber kaum finanziell honoriert. 35

Der gesellschaftliche Wandel, die heutige Zeit Bedeutung für psychosoziale Hilfen Soziale Leistungen wurden eigentlich erst mit wachsendem gesellschaftlichem Wohlstand zum Beruf. Die meisten psychosozialen Berufe stehen vor dem Dilemma zwischen Beruf und/oder Berufung sie brauchen beides, was in Zeiten des Fachkräftemangels und eines immer noch wachsenden sozialen Bereichs aber auch Herausforderungen mit sich bringt (Crashkurse zur Erzieherausbildung in Hessen, Schleckerfrauen als Erzieherinnen ). Im medizinischen Bereich schlägt die Ökonomisierung bereits voll zu. Fallpauschalen, DRG-Honorierungen und Dokumentationsaufgaben steigen immens an, was sich an Zeiten für die Patienten niederschlägt (MW = 8 Min/pro Patient im Krankenhaus weniger). Der medizinische Fortschritt signalisiert, dass alles möglich und kontrollierbar ist - Wandel der Medizin. 36

Gesellschaftliche Veränderungen Abschaffungen des Schicksals Der medizinische Fortschritt führt dazu, dass das Leid sehr weit aus unserer Gesellschaft herausrückt kranke, hilfsbedürftige, behinderte, alte Menschen werden zumeist außerhalb unserer Gesellschaft betreut. Man kann, wenn man nicht gerade im medizinischen oder psychosozialen Bereich tätig ist, durchs Leben kommen, ohne viel Leid zu sehen! In der heutigen Zeit soll alles planbar, kontrollierbar und koordinierbar sein, so dass Schicksale in den Medien stattfinden, weitgehend aus der unmittelbaren gesellschaftlichen Wahrnehmung. Boom der Psychotraumatologie im deutschsprachigen Raum, in einer Zeitspanne in der weniger Menschen als jemals zuvor traumatisiert wurden. Alles scheint planbar und koordinierbar: Wann Kinder kommen, welchen Beruf man wählt, welche Karriere man machen möchte 37

Abschaffung des Schicksals Inwiefern sind auch die psychosozialen Hilfen betroffen? Vielleicht unterstützt die Faszination und die Angst vor dem Unkontrollierten das große Interesse/den Boom an der Psychotraumatologie. Auch in sozialpädagogischen und psychotherapeutischen Kontexten gibt oder gab es eine Tendenz, die Dinge nicht explizit zu benennen, auch wenn die psychosozialen Belastungen implizit im Raum stehen. Traumafolgestörung wurden trotz der Verbreitung in der Jugendhilfe wenig beachtet und auch heute noch viel zu häufig übersehen. Das Sprechen über traumatische Erfahrungen wird gerne zuerst an Psychotherapeuten und dann an spezialisierte «TraumatherapeutInnen» übertragen. Diskrepanz zwischen der Vielzahl der evidenzbasierten Traumatherapieverfahren und der Behandlungsrealität. Nur wenige traumatisierte Jugendliche erhalten eine evidenzbasierte Traumatherapie. Verschiebebahnhöfe zwischen stationären und ambulanten Therapeuten. Wer macht die Expositionsbehandlung (Rosner et al. 2012).? 38

Traumapädagogische Konzepte Anerkennung und Wertschätzung des Schicksals «Übrigens alles was mir zustösst, ist meins «Jean-Paul Sartre Die Anerkennung der biographischen Belastungen eines Kindes für sein heutiges Erleben ist ein großer Verdienst der Traumapädadgogik. Die Identität eines Menschen wird durch das traumapädagogische / traumatherapeutische Vorgehen und die Biographiearbeit gefördert. Das Konzept der Selbstbemächtigung greift diese Überlegungen auf und hilft traumatisierten Kindern, sich selbst besser zu verstehen und sich ihr Leben und ihre Teilhabe zurückzuerobern. 39

Gliederung 1. Einleitung 2. Traumapädagogische Haltung 3. Ethik und Traumapädagogik 4. Denkanstöße: Die heutige Zeit, psychosoziale Hilfen, Schicksal und Trauma 5. Ethik der Gabe -Diskreditierung der Gabe in der heutigen Zeit 6. Was muss gegeben sein, um Geben zu können? 7. Die (Ab-)Gabe der Klienten - Macht, Gewalt und Beziehung 8. Scheitern in der Therapie und Pädagogik 9. Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Diskussion 40

Der Kern psychosozialen Handelns und von Heilung Das Konzept der Gabe Die Gabe ist einerseits das Zwischenmenschliche und Liebevolle, Selbstlose, das unsere Gesellschaft zusammenhält. Andererseits aber auch die Achtung der Autonomie des Patienten, seiner Selbstheilungskräfte und Anerkennung dessen Leids. Maio (2013) Geissen (2013) Hénaff (2009) 41

Zwischenmenschliche Begegnung als Wirkfaktor «Jeder wahre Lehrer, Arzt, Therapeut, aber auch Seelsorger kennt den eigentümlichen Sprung, der sich in jeder Beziehung zu dem ihm aufgegebenen Menschen vollzieht, in dem Augenblick, in dem er nicht anders kann, als sich dem Anderen gegenüber selbst zu öffnen und nun durch sein Amtskleid hindurch als ganzer Mensch hervortritt und so dem Anderen als selbst begegnet. Bei allen Gefahren, die damit verbunden sind, er weiss und spürt es. Erst jetzt erreicht er den Anderen wirklich von Person zu Person.» Karlfried Graf Dürckheim 42

Faktoren des Therapieerfolgs Erfolgsbeeinflussende Faktoren nach Lambert (1992) 30% 40% Klientenfaktoren Technikfaktoren Plazebofaktoren Beziehungsfaktoren 15% 15% 43

Definition der Gabe Was zeichnet eine Gabe aus? Die Gabe ist eine freiwillige, absichtslose Handlung. Es wird nicht gegeben, um etwas zu erreichen sie ist Ausdruck des Wohlwollens und kein Tausch. Die Gabe ist unverfügbar ein Geschenk sie kann nicht eingefordert und bestellt werden. Sie ist unbestimmt, kein pflichtgemäßes Handeln, und kann daher kaum mit einem System von Prozessen und Abläufen erfasst werden - sie entzieht sich jeder Regelanwendung. Eine Gabe ist immer, das Überfließende, Großzügige, das mehr als erwartet werden kann. 44

Definition der Gabe Was zeichnet eine Gabe aus? Eine Gabe ist Ausdruck einer Anerkennung und einer Wertschätzung und stiftet eine Beziehung. Eine Gabe geschieht mit einem Gefühl der Genugtuung und der Wertschätzung des Menschen und seiner Würde in seinem Leid. Eine Gabe ist frei von Machtausübung, Selbsterhöhung und Hierarchie, selbst wenn jemand gibt und der andere empfängt sind alle Beteiligten gleichwürdig. Die Qualität der menschlichen Gabe spiegelt sich nicht in dem wieder Was sondern Wie und welcher Art und Weise etwas gegeben wird. 45

Definition der Gabe Was zeichnet eine Gabe nach Maio aus? Geschenkte Zeit Geschenkte Aufmerksamkeit Geschenkte Hingabe emotionales Engagement Geschenkte Begegnung Geschenktes Wohlwollen Geschenkte Ermutigung Geschenkte Wertschätzung Traumapädagogische Haltung? 46

Ethik der Gabe Gabe im professionellen Kontext Die Bedeutung der Gabe wird bei besonders schwierigen Fällen besonders bedeutsam. Die Betrachtung als Handel und Austausch geht nicht mehr auf? Die Fälle rechnen sich nicht mehr? Die Fälle gehen unter die Haut - können emotional belasten? Die Fälle fordern uns heraus und machen uns selbstunwirksam? 47

Die Gabe in unserer Zeit Menschliche Begegnung und ökonomischer Druck Diskreditierung der Gabe in unserer Zeit: Unökonomisch Unprofessionell 48

Definition von Gabe Balance zwischen Gabe und professioneller Leistung «Mehr als bloss seinen Job machen» «Sind es nicht gerade die Momente, der echten Begegnung und des besonderen emotionalen Engagements, die nachhaltig wirken?» Professionelle Hilfe Persönliche Gabe 49

Gabe trotz Achtsamkeit auf pers. Grenzen Mittlerer Abstand in der Beziehungsgestaltung Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen. Aber das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen. Joseph Joubert Emotionales Engagement Reflektierende/ professionelle Distanz Dammann 2006, Schmid 2007 50

Voraussetzung für die Gabe: Persönlichkeit Die Gabe der Gabe bzw. der Fähigkeit geben zu können Fragen: Was macht persönliche Eignung für pädagogische und therapeutische Berufe aus? Was ist der Hintergrund der Fähigkeit zu geben ohne sich zu überlasten? Was macht die persönliche innere Sicherheit aus, was die äußere Sicherheit? Hypothesen: Empathiefähigkeit und Sensitivität Soziale Kompetenzen Selbstreflexionsfähigkeit Sichere Bindung Emotionale Belastbarkeit Respekt vor Grenzen, den eigenen und denen des Klienten Fähigkeit, sich Hilfe zu holen Demut 51

Voraussetzung für die Gabe: Strukturen Was muss gegeben sein, um geben zu können? Welche institutionellen Strukturen braucht es, um geben zu können? In dieser Frage spiegelt sich, die Forderung der traumapädagogischen Trias von sicheren Strukturen, sicheren Mitarbeiter und sicheren Klienten wider. In diese Frage fließen aber auch sehr persönliche Reflektionen ein: Wann kann ich viel geben, wann weniger? Darf ich mich melden, wenn ich an meine Grenzen stoße? Welche Rahmenbedingungen und welche Formen von Unterstützung brauche ich? Sind die Strukturen für meine emotionale Versorgung verlässlich? Welche Konzepte von versorgenden Strukturen und Möglichkeiten zur Förderung von Resilienz und Psychohygiene hält eine Einrichtung vor? 52

Gliederung 1. Einleitung 2. Traumapädagogische Haltung 3. Ethik und Traumapädagogik 4. Denkanstöße: Die heutige Zeit, psychosoziale Hilfen, Schicksal und Trauma 5. Ethik der Gabe -Diskreditierung der Gabe in der heutigen Zeit 6. Was muss gegeben sein, um Geben zu können? 7. Die (Ab-)Gabe der Klienten - Macht, Gewalt und Beziehung 8. Scheitern in der Therapie und Pädagogik 9. Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Diskussion 53

Machtbegriff von Hannah Arendt Anwendung auf den sozial-pädagogischen Bereich Hannah Arendt differenziert klar zwischen Macht und Gewalt. Hannah Arendt analysierte die Entstehung und das Scheitern von totalitären Systemen. Wahre Macht entsteht zwischen Menschen mit gemeinsamen Zielen/Werten, indem Macht von einem Menschen an andere Menschen abgegeben wird. Menschen geben gerne Macht freiwillig ab, wenn sie anderen Menschen vertrauen und sie ihnen mit ihren Talenten helfen, gemeinsame Ziele effektiver zu erreichen. Wenn viele Menschen ihre Macht an andere charismatische Menschen abgeben, akkumulierten diese Macht, was helfen kann, gemeinsam mehr zu erreichen. 54

Machtbegriff von Hannah Arendt Anwendung auf den psychosozialen Bereich Macht, die auf Unterdrückung und Sanktionen beruht, produziert Misstrauen und reduziert die Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen. Gewalt untergräbt somit letztlich die wahre Macht, was zu Gewaltexzessen und dem Verlust von Werten und zwischenmenschlichem Vertrauen führt. Ohne Legitimation durch andere Menschen führt Macht zu Gewalt und Isolation. In der Übertragung auf den pädagogischen Bereich bedeutet dies, dass unsere Klienten uns die Macht abgeben, indem sie zu uns eine Vertrauensbeziehung eingehen und uns zutrauen, sie wirkungsvoll bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützen. Wenn Patienten dieses nicht tun, werden wir scheitern. Über die Anwendung von Gewalt und Sanktionen können wir keine echte Macht über Klienten erlangen und ihnen kaum effektiv helfen. 55

Machtbegriff bei Hannah Arendt Übertragung auf die Therapie und Pädagogik Jede therapeutische-pädagogische Beziehung weist ein Macht- Ungleichgewicht auf. Therapeuten und Pädagogen werben um das Vertrauen in unsere Fachlichkeit und das Bemühen, um von einer Person die Macht übertragen zu bekommen. Baut sich eine vertrauensvolle und kooperative Beziehung auf, können Probleme gemeinsam gelöst werden. Bei der misslingenden Hilfen und der Notwendigkeit, Zwangsmaßnahmen einzuleiten, sind die Autonomiebedürfnisse derart ausgeprägt und Bindungsbedürfnisse fast völlig unterdrückt, dass es nicht möglich ist, ausreichend Vertrauen aufzubauen, um freiwillig Macht übertragen zu bekommen. Mit diesem Verständnis wird deutlich, dass jede Sanktionierung, die die pädagogische Beziehung belastet, letztlich zu einem Verlust von wahrer Macht führt und immer neue Sanktionen und letztlich Machtverlust in der Institution nach sich zieht. 56

Traumapädagogische Haltungen im Zwangskontext Haltungselemente Unbedingte Wertschätzung "Guter Grund" Individualisierung Transparenz Partizipation Zukunftsorientierung- Entwicklungsförderung Freiheitsentzug und Zwangsmaßnahmen Wertschätzung der Besonderheit, der Überlebensleistung und des ausgeprägten Autonomiestrebens/Widerstands des/der Jugendlichen. Jede Anwendung von Zwangsmassnahmen muss begründet werden können. Der gute Grund für jede Zwangsmassnahmen (Gründe des Kindes, Gründe der Helfer) sollte in der anschliessenden Reflektion von beiden Seiten verstanden werden, auch wenn man nicht damit einverstanden ist und dies nicht sein muss/kann. Gemeinsames Narrativ zu jeder Zwangsmassnahme erarbeiten Jedes Kind benötigte eine andere Förderung und es darf nicht über- und unterfordert werden. Auf die Bedürfnisse der Kinder wird individuell eingegangen. Die Individualität der Kinder wird auch im Zwangskontext gefördert Kleidungsstil und Zimmer sollen individuell, aber heil(-sam) gestaltet sein. Transparenz über die Anwendung und den Ablauf des pädagogischen Alltages und insbesondere des Ablaufes von Zwangsmaßnahmen, d.h. antizipieren und durchgehen von Szenarien möglichen Zwangsmaßnahmen und alternativen Handlungsmöglichkeiten. Dies kann zur Reduktion der damit verbundenen Ängste, Belastung und traumatischen Wiedererinnerungen führen, sehr zur Deeskalation beitragen und diese im Idealfall unnötig machen. Gerade weil die Partizipationsmöglichkeiten des/r Jugendlichen durch die Zwangsmassnahmen stark eingeschränkt sind, sollten diese im pädagogischen Alltag besonders betont werden. Es sollten möglichst viele Möglichkeiten der Kontrolle und Mitbestimmung geschaffen werden. Die Zwangsmaßnahme ist als möglichst kurzer Übergang zu definieren, und es wird schon sobald wie möglich/bei der Aufnahme darauf geachtet, dass das gemeinsame Ziel, eine gute Anschlusslösung zu finden, gemeinsam entwickelt wird.

Gliederung 1. Einleitung 2. Traumapädagogische Haltung 3. Ethik und Traumapädagogik 4. Denkanstöße: Die heutige Zeit, psychosoziale Hilfen, Schicksal und Trauma 5. Ethik der Gabe -Diskreditierung der Gabe in der heutigen Zeit 6. Was muss gegeben sein, um Geben zu können? 7. Die (Ab-)Gabe der Klienten - Macht, Gewalt und Beziehung 8. Scheitern in der Therapie und Pädagogik 9. Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Diskussion 58

Abbrüche in der stationären Jugendhilfe Rien ne va plus? Ethische Überlegungen zum Abbruch in der Heimerziehung 59

Balance: Zum richtigen Zeitpunkt aufgeben oder gemeinsam durchhalten Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als solche die scheitern. Henry Ford Einen schwierigen Verlauf beenden, um neue Chancen an einem anderen Ort zu eröffnen. ( Spezialeinrichtung ) Krisen gemeinsam durchstehen neue Beziehungserfahrungen ermöglichen 60

Dilemma: Zum richtigen Zeitpunkt aufgeben Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als solche die scheitern. Henry Ford Belastung der Mitbewohner und Mitarbeiter Einen schwierigen Verlauf beenden, um neue Chancen an einem anderen Ort zu eröffnen. ( Spezialeinrichtung ) Wohl des IP Zufriedenheit der Zuweiser und Kooperationspartner Krisen gemeinsam durchstehen neue Beziehungserfahrungen ermöglichen 61

Ethische Dilemmata Scheitern in Psychotherapie und Pädagogik Die ethische Haltung, das Selbstvertrauen und die Qualität einer pädagogisch-therapeutischen Einrichtung zeigt sich besonders dann, wenn Institutionen an ihre Grenzen stossen und manchmal auch bei ihrem Bemühen um Klienten scheitern. Warum gibt es so wenig Auseinandersetzung mit dem Scheitern in der Sozialpädagogik, obwohl ein Sechstel der Hilfen im Abbruch endet? Wer ist für eine erfolgreiche Jugendhilfemaßnahme verantwortlich, wer für eine gescheiterte? Wer versorgt die Jugendlichen und Mitarbeiter nach einem Abbruch? Warum werden viele Abbrüche über Ultimaten oft derart gestaltet, dass sich die Jugendlichen schuldig fühlen und scheinbar die Verantwortung für das Scheitern alleine tragen man hat ihnen ja noch eine faire Chance gegeben. 62

Scheitern als Chance Wie kann jeder im Scheitern seine Würde behalten? Können wir im Abbruch die Verantwortung übernehmen und unsere Enttäuschung, Frust und Wut auf den Klienten und sein System containen und die (Mit-)Verantwortung für das Scheitern übernehmen? Gelingt es mit dem Jugendlichen einen würdigen Abschied gestalten? Werden die Probleme, die sich mit dem Jugendlichen ergaben, rechtzeitig und offen an die zuweisenden Behörden kommuniziert sind wir hier ehrlich und transparent? Wird nur die Frage Entlassung «Ja oder Nein» diskutiert oder stellt sich ein Team/eine Institution der Frage, was brauchen wir, um XY halten zu können ernsthaft? Es wäre eigentlich wünschenswert und notwendig, dass abgebende und die aufnehmende Einrichtung den Fall gemeinsam ausgiebig reflektieren, um Beziehungsfallen und schwierige Situationen antizipieren zu können. 63

Schlussfolgerungen und Diskussion Ethik in psychosozialen Handlungsfeldern Die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung, auch zu ethisch heiklen Themen, ist essentiell, da diese den Fachkräften innere Sicherheit vermittelt. Das Problem ist, dass es einen sicheren Ort braucht, um diese Unsicherheit und das Unwohlsein mit ethischen Fragen thematisieren zu können. Der sichere Ort ist Voraussetzung und Folge für den ethischen Dialog. Einrichtungen, in denen die ethische Bedenken und das Unwohlsein von Mitarbeitern nicht angesprochen werden kann und ernstgenommen wird, können keine befriedigende pädagogische Arbeit leisten und weisen ein hohes Risiko für Grenzverletzungen auf. Traumapädagogische Haltungen korrespondieren hervorragend mit dem Konzept der Gabe viele der in der Traumapädagogik entwickelten Strukturen unterstützen die Möglichkeit, ethische Fragen zu diskutieren. Traumapädagogische Berufspolitik kann helfen, die Ressourcen für diese Strukturen zu begründen und einzufordern. 64

Schlussfolgerungen und Diskussion Ethik in psychosozialen Handlungsfeldern Einrichtungen sollen feste Strukturen und Gefässe schaffen, in denen solche Themen diskutiert werden können. Die persönlichen und strukturellen Voraussetzungen für eine beziehungsorientierte Pädagogik sollten besser erforscht werden. Die persönlichen Voraussetzung sollten unbedingt in die Ausbildung von psychosozialen Fachkräften integriert und dort stärker gefordert und gefördert und werden. Ähnlich wir in der Medizin (z.b. Reiter-Theil & Dittmann 2014, Maio 2013) sollte es in sozialpädagogischem Kontext Möglichkeiten der externen Ethikberatung geben. Auch die BAG sollte sich den ethischen Themen mehr annehmen und im Vorstand und in Arbeitsgruppen Positionen und Stellungnahmen zu ethischen Themen anbieten. Vielleicht könnten sich BAG Mitglieder auch gegenseitig unterstützen. 65

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Auf die Haltung kommt es an! Haltung ist eine kleine Sache, die einen grossen Unterschied macht. Sir Winston Churchill Slides unter www.equals:ch http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=datei:c hurchill_v_sign_hu_55521.jpg&filetimestamp=2 0080414235020 66

Kontakt und Literatur Marc Schmid Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik Schanzenstrasse 13, CH-4056 Basel +41 61 265 89 74 marc.schmid@upkbs.ch, www.upkbs.ch www.equals.ch www.ipkj.ch 67