Institutionalisierung von Ethikberatung im Krankenhaus: Klinische Ethik-Komitees Dr. Arnd T. May Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 1 Forschungsprojekt Klinische Ethik Komitees. Ihre Organisationsformen und ihr moralischer Anspruch in Theorie und Praxis Prof. Dr. M. Kettner / Dr. A. May Kulturwissenschaftliches Institut Essen im Wissenschaftszentrum NRW http://www.ethikkomitees.de Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 2 Entstehungsgeschichte Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 3
Selbstverständnis Klinischer Ethik-Komitee: Entscheidung oder Beratung? Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 4 Meilenstein der Entwicklung in Deutschland: 1997: Empfehlung der konfessionellen Krankenhausverbände Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 5 Empfehlung der konfessionellen Krankenhausverbände Das Klinische Ethik-Komitee ist in einem Krankenhaus angesiedelt, das ethische Konflikte kennt und bewusst angehen will Ziel eines Klinischen Ethik-Komitee ist die Besprechung und Begutachtung von Einzelsituationen Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 6
Empfehlung der konfessionellen Krankenhausverbände Der Vorsitzende eines Klinischen Ethik- Komitees sollte eine im Fachbereich Ethik kompetente Persönlichkeit sein, die die nötigen Instrumente einer professionellen Moderation beherrscht und für die medizinischen, pflegerischen und ökonomischen Fragestellungen offen ist Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 7 Empfehlung der konfessionellen Krankenhausverbände ein Bürger, der für die Fragestellungen aufgeschlossen ist, die Problemlage nicht mit seinem Fachwissen beurteilt, sondern seinen gesunden Menschenverstand aus seiner christlichen Grundhaltung heraus in das Komitee einbringt Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 8 Empfehlung der konfessionellen Krankenhausverbände Jeder betroffene Mitarbeiter und jeder Patient des Hauses kann sein ethisches Problem einbringen, um sich für seine eigene Entscheidung eine Gewichtung der Argumente und Gegenargumente in Form eines Votums als Orientierungshilfe einzuholen Voten des Ethik-Komitees können das Urteil der Entscheidungsträger wohl erhellen, aber nicht ersetzen Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 9
Aufgaben von KEKs 1. Schulung moralischer Urteilskraft innerhalb des Personals; Sensibilisierung zu Fragen der Medizinethik 2. Entwicklung von Leit- oder Richtlinien für die Institution als Ausdruck der gesammelten Erfahrungen mit wiederkehrenden moralisch problematischen Behandlungssituationen 3. Klinische Falldiskussionen Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 10 Eine Theorie Klinischer Ethik Komitees Regeln der Institutionalisierung Input Regeln Regeln der Deliberation Output-Regeln (Kettner / May) Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 11 Eine Theorie Klinischer Ethik Komitees I Regeln der Institutionalisierung Implementierungsregeln Rekrutierungsregeln (Mitgliederauswahl u.a.) Bestandsregeln (Sitzungsdauer, -frequenz u.a.) Regeln der Qualitätssicherung (Dokumentation, Weiterbildung, Evaluierung, u.a.) Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 12
Eine Theorie Klinischer Ethik Komitees II Input-Regeln Aktivierungsregeln Zuständigkeitsregeln Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 13 Eine Theorie Klinischer Ethik Komitees II Ein Problem überhaupt: Akteure finden, etwas läuft schlecht, und sind darüber/davon betroffen, und finden, es sollte besser laufen, wissen aber nicht, was hier zu tun ist. Ein Moralproblem: Akteure finden, etwas läuft schlecht, und sind darüber/davon betroffen, dass jemandem Unrecht geschieht; und finden, es sollte besser laufen, wissen aber nicht, was zu tun ist, damit niemandem (oder: möglichst wenig) Unrecht geschieht. Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 14 Eine Theorie Klinischer Ethik Komitees III Regeln der Deliberation Problemsortierungsregeln Nichtthematisierungsregeln Regeln der Integration normativer Grundlagen Ablaufregeln für Einzelfallberatung Ablaufregeln für Leitlinienentwicklung Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 15
Eine Theorie Klinischer Ethik Komitees IV Output-Regeln Darbietungsregeln für Stellungnahmen Anschlussregeln für Stellungnahmen Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 16 Ethikberatung in der Gruppe Möglichkeit zum Diskurs im KEK verschiedene Perspektiven und damit auch moralische Begründungsansätze Beratungsergebnisse als reflektierte Moralurteile Vorteile: Meinungsvielfalt im Sinne von verschiedenen Perspektiven Hierarchieübergreifende Besetzung Beitrag zum übergreifenden Gespräch Viele Ansprechpartner im Klinikum Nachteile: Zeitlicher Vorlauf Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 17 KEKs und Qualitätssicherung Zertifizierung nach KTQ (Version 4, 2002): Frage 5.4.1: 1. Durch welche organisatorischen Maßnahmen ist die Berücksichtigung ethischer Problemstellungen im Krankenhaus gewährleistet (z.b. durch die Einrichtung eines Ethikkomitees im Krankenhaus oder anderer Gruppen mit der gleichen Zielsetzung, ggf. unter Einbeziehung der Krankenhausseelsorge)? Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 18
Befragung Kettner/May (2002-2003) Einteilungen: a) Komitee, das Einzelfallberatung und Leitlinien machen möchte b) Komitee, das nur Einzelfallberatung machen möchte c) Komitee, das nur Leitlinienentwicklung machen will d) Kein institutionalisiertes Komitee, aber eine Arbeitsgemeinschaft oder Arbeitskreis zu Ethik e) Kein institutionalisiertes Komitee, aber eine Person oder mehrere Personen von Ethikberatern sind tätig. Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 19 Befragung Kettner/May (2002-2003) Befragung primär jener Häuser, die auf die Befragung von Simon/Gillen 2000 Interesse an der Einrichtung eines KEK angegeben haben, aber auch jene Häuser, die keinen Bedarf angaben. 71 konfessionelle Häuser haben institutionalisierte Formen der Ethikberatung, davon sind in 57 % KEKs für Einzelfallberatung und Leitlinienentwicklung (Form a) zuständig. In 7 % ist das KEK nur für Ethikberatung (Form b) zuständig und allein zur Leitlinienentwicklung wurden 6 % der KEKs eingerichtet (Form c). In 11 % ist eine Ethik-Arbeitsgemeinschaft oder ein Ethik- Arbeitskreis eingerichtet (Form d). Einen Ethikberater zu haben (Form e) geben 19 % konfessionelle Häuser an. Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 20 Befragung Kettner/May (2002-2003) Fazit: Zahlenmäßig sind KEKs weiterhin eine Rarität, aber in wachsender Anzahl 2000: 30 konfessionelle Häuser (Simon/Gillen) 2003: 71 konfessionelle Häuser, 7 nichtkonfessionelle Häuser Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 21
Befragung Kettner/May (2002-2003) Einige anekdotische Anmerkungen: Telefonzentrale ist ein KEK nicht bekannt, dem Geschäftsführer schon, aber konkrete Ansprechpartner können wegen laufender Neuorientierungen nicht genannt werden; Namen der ehemaligen KEK Mitglieder werden nicht genannt Soso, ein Forschungsprojekt machen Sie also. Dann senden Sie mir mal Infos, damit ich die Relevanz für unser Haus prüfen kann (GF) Notwendigkeit KEK wurde im Haus der Regelversorgung nicht gesehen. KEK ist doch eher was für Organstransplantation oder künstlicher Befruchtung und das machen wir nicht (ÄD) Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 22 Befragung Kettner/May (2002-2003) Einige anekdotische Anmerkungen: KEK liegt im Themenspeicher (GF) derartige Aktivitäten kann ich in unserem Haus nicht ausschließen (GF) wir hatten mal ein KEK, dann hat der Träger gewechselt und nun werden ethische Fragen von der Zentrale bearbeitet und entschieden Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 23 Befragung Kettner/May (2002-2003) Einige anekdotische Anmerkungen: Fast hätten wir das KEK eingestellt, da wir keine Anfragen mehr bekamen. Dann merkten wir, dass die Fallbesprechungen auf den Stationen liefen und nur bei Kommunikationsverweigerung der Beteiligten auf Station dann ans KEK weitergegeben wurden KEK ist fester Bestandteil unserer Arbeit. Gehört für uns zum Qualitätsmanagement KEK große Hilfe für uns alle KEK an der MHH seit 3 Jahren eingerichtet! Malteser Träger Gesellschaft Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 24
Offene Fragen Standards der Fallbesprechung unterschiedliche Bögen zur Strukturierung Ideale Organisationsform? Weiterbildung der KEK Mitglieder Evaluation der KEK Arbeit Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 25 Informationen, Literatur und Landkarte Klinischer Ethik Komitees http://www.ethikkomitees.de Kennen Sie weitere KEKs in Deutschland? Tel. 0700 BIOETHIK (24638445) May@Medizinethik.de Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 26 Ein Beispiel: Medizinische Hochschule Hannover (MHH) Präambel (MHH) Zielsetzung des Klinischen Ethik-Komitees Das KEK soll einen Beitrag zur Kultur der MHH und zum Klima und Stil in der Patientenversorgung leisten. Es trägt dazu bei, dass insbesondere Verantwortung, Selbstbestimmungsrecht, Vertrauen, Respekt, Rücksicht und Mitgefühl als gelebte moralische Werte die Entscheidungen und den Umgang an der MHH prägen. Das KEK ist unabhängig und dient der Beratung, Orientierung und Information. Damit trägt es einerseits zur Identitätsbildung innerhalb der MHH bei, andererseits dient es der Darstellung der MHH gegenüber der Öffentlichkeit. Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 27
Ein Beispiel: Medizinische Hochschule Hannover (MHH) Das KEK stellt ein Forum für schwierige und kontroverse moralische Entscheidungen bereit. Es bietet die Chance, in interdisziplinärer und systematischer Weise anstehende oder bereits getroffene Entscheidungen in den Bereichen Medizin, Pflege, Organisation und Ökonomie ethisch zu reflektieren und aufzuarbeiten. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses sowie den Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen gibt es die Zusage, dass Gewissensnöte oder das Leiden an nicht annehmbar erscheinenden Situationen und Strukturen im gemeinsamen Gespräch gehört werden und ein Beitrag zu deren Änderung geleistet wird. Damit soll sowohl die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten mit ihrer Versorgung als auch die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrer jeweiligen Arbeitssituation erhöht werden. Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 28 Ein Beispiel: Medizinische Hochschule Hannover (MHH) Das KEK soll vorrangig die moralische Kompetenz vor Ort verbessern helfen und somit verhindern, dass Entscheidungen an das Komitee delegiert werden. Der Stärkung des moralischen Bewusstseins und des Verantwortungsgefühls in der Patientenbetreuung dienen vor allem die Sensibilisierung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die moralische Dimension verschiedener medizinischer, pflegerischer, ökonomischer und institutioneller Aspekte, die Information und Weiterbildung in diesen Fragen, das konkrete Einüben ethischen Argumentierens, die Beratung in individuellen Konfliktsituationen und die Diskussion und Erarbeitung von Leitlinien für die MHH. Dr. Arnd T. May, Kulturwissenschaftliches Institut Essen 29