5 HOT TOPIC: GERINNUNGSMANAGEMENT

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Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 1 5 HOT TOPIC: GERINNUNGSMANAGEMENT 5.1 Pathophysiologie der Hämostase: TIC ist nicht gleich DIC! 5.1.1 Das Zell-basierte Modell der Hämostase 5.1.2 Klinische Bedeutung der Trauma-induzierten Koagulopathie (TIC) 5.1.3 Pathophysiologie der Trauma-induzierten Koagulopathie (TIC) 5.1.4 Abgrenzung der TIC zur disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) 5.2 Koagulopathie bei Leberversagen 5.2.1 Definition des akuten Leberversagens 5.2.2 Pathophysiologie der hepatischen Koagulopathie 5.2.3 Konventionelle Gerinnungsdiagnostik 5.2.4 Vollblut Gerinnungs- und Thrombozytenfunktionstests 5.2.5 Blutungen bei Leberversagen 5.2.6 Thrombosen bei Leberversagen 5.2.7 Therapie der hepatischen Koagulopathie 5.3 Zielgerichtete Gerinnungstherapie 5.3.1 Implementierung von Behandlungsalgorithmen / Standard Operating Procedures (SOPs) 5.3.2 Turnaround-Time von konventionellen und Point-of-Care-Gerinnungsanalysen 5.3.3 Universal Haemostatic Agents Gibt es das? 5.3.4 Spezifische Gerinnungsfaktorkonzentrate 5.3.5 Einfluss einer zielgerichteten Gerinnungstherapie auf den perioperativen Transfusionsbedarf und das Outcome der Patienten in unterschiedlichen klinischen Settings 5.4 Literatur

Seite 2 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger 5.1 Pathophysiologie der Hämostase: TIC ist nicht gleich DIC! 5.1.1 Das Zell-basierte Modell der Hämostase (1) Das klassische Kaskadenmodell der plasmatischen Gerinnung hilft zwar bei der Interpretation konventioneller Gerinnungsparameter, wie z.b. der aptt, TPZ (Quick) und der TZ, insbesondere im Rahmen des Monitorings der Therapie mit klassischen Antikoagulantien (unfraktioniertes Heparin oder orale Antikoagulantien vom Typ der Vitamin K-Antagonisten), ist aber nicht in der Lage, die Physiologie und Pathophysiologie der Hämostase in vivo widerzuspiegeln. Erst mit der Entwicklung des Zell-basierten Modells der Hämostase durch Hoffman und Monroe (1) vor 10 Jahren gelang es, die komplexe und enge Verknüpfung zwischen zellulären und plasmatischen Komponenten des Gerinnungssystems darzustellen und damit wichtige pathophysiologische Zusammenhänge zu erklären. In diesem Modell stehen primäre (zelluläre) und sekundäre (plasmatische) Hämostase nicht nebeneinander, sondern sind eng miteinander verknüpft dargestellt. Zelluläre Oberflächen (Gewebefaktortragende Zellen des Subendothels, aktivierte Thrombozyten, aktivierte Monozyten und Endothelzellen) fungieren hier als essentielle Reaktionsplattform für die Konzentrationsanreicherung und Aktivierung enzymatischer Gerinnungsfaktoren, die letztendlich in der Thrombingeneration und Bildung eines Gerinnsels, bestehend aus Fibrin und Thrombozyten, mündet. Der Gerinnungsprozess wird hier in drei überlappenden Phasen mit positiven Feedbackmechanismen dargestellt: 1. Initiationsphase: Initiierung des Gerinnungsprozesses an der Gefäßläsion auf der Oberfläche Gewebefaktor-tragender Zellen (Subendothel) unter Vermittlung von Gerinnungsfaktor VIIa und Bildung geringer Mengen an Faktor Xa und Thrombin (IIa). 2. Amplifikationsphase: Aktivierung von Thrombozyten und weiterer Gerinnungsfaktoren durch Thrombin und Verlagerung der Thrombingeneration auf die Oberfläche aktivierter Thrombozyten. 3. Propagationsphase: Generation großer Thrombinmengen ( Thrombin Burst ) auf der Oberfläche aktivierter Thrombozyten durch positive Feedbackmechanismen (Aktivierung von Faktor XI, VIII und V durch Thrombin) und Entstehung eines mechanisch stabilen Fibrin- Thrombozyten-Gerinnsels zur Abdichtung des Gefäßwanddefektes. Gleichzeitig wird die Aktivierung der Gerinnung durch negative Feedback- Mechanismen (Thrombin-Thrombomodulin-Komplex, Aktivierung des Protein C und Fibrinolysesystems), Gerinnungsinhibitoren (Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI), Antithrombin) und die antikoagulativen Eigenschaften des intakten Endothels (kontinuierliche Freisetzung von tissue Plasmin-Akivator (tpa) und Prostacyclin) auf den Ort der Gefäßläsion lokalisiert. Diesem Gleichgewicht zwischen Gerinnung und Fibrinolyse wird im Clot Lifespan Model Rechnung getragen (2). Die Lokalisation der Gerinnung auf den Ort der Gefäßläsion ist ein essentieller und lebenswichtiger Regulationsmechanismus des Hämostasesystems, der unter bestimmten Bedingungen zur Entgleisung des Systems und damit zu koagulopathischen Blutungen und/oder zur Thrombose, disseminierten intravasalen Gerinnung und Multiorganversagen führen kann. Bei bestimmten Krankheitsbildern, wie z.b. der Leberzirrhose, Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 3 befindet sich das Hämostasesystem erneut in einem labilen Gleichgewicht auf niedrigem Gesamtniveau (3). Dies erklärt, dass Patienten mit einer Leberzirrhose sowohl zu Thrombosen, als auch zu Blutungskomplikationen neigen. Dieses Risiko korreliert allerdings nicht mit den Ergebnissen klassischer plasmatischer Gerinnungstests (Quick/INR) (4-6). Kommentar: Das Zell-basierte Modell der Hämostase ist besser geeignet als das klassische Kaskadenmodell, um physiologische und pathophysiologische Hämostaseprozesse im Rahmen von Blutungen, Thrombosen, Inflammation und Sepsis verstehen und behandeln zu können. Plasmatische Gerinnungstests wurden entwickelt, um die Therapie mit klassischen Antikoagulantien (unfraktioniertes Heparin und orale Antikoagulantien vom Typ der Vitamin K- Antagonisten) überwachen und steuern zu können, sind aber wenig zur Prädiktion und Therapiesteuerung perioperativer Blutungen geeignet. 5.1.2 Klinische Bedeutung der Trauma-induzierten Koagulopathie (TIC) Unkontrollierte Blutungen sind auch heute noch für etwa 50 % der Traumabedingten Frühmortalität (in den ersten 48 Stunden nach dem Trauma) verantwortlich (7,8,9) und eine verstärkte Blutungsneigung ist auch in der Herzchirurgie und Kardiologie mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden (10-12). Unabhängig von der Blutung selbst wird die Morbidität und Mortalität auch durch die Transfusion von allogenen Blutprodukten (EK, FFP und Thrombozyten) erhöht, insbesondere wenn diese unangemessen erfolgt (13-22). Kommentar: Beides, Blutungen und Transfusionen, ist mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert. Dies gilt sowohl für herzchirurgische und kardiologische, als auch für nicht-herzchirurgische und traumatologische Eingriffe. Ein Viertel bis ein Drittel der Traumapatienten weist bei Aufnahme in den Schockraum eine TIC auf (7,23). Häufigkeit und Ausmaß der TIC sind dabei abhängig von der Verletzungsschwere und dem Schweregrad des Schocks, korrelieren aber auch mit der präklinisch verabreichten Volumensubstitution, insbesondere in Form von Kolloiden (23,24-27,28). 5.1.3 Pathophysiologie der Trauma-induzierten Koagulopathie (TIC) Die TIC, auch Acute Traumatic Coagulopathy (ATC) oder Acute Coagulopathy of Traumatic Shock (ACoTS) genannt, ist ein eigenständiges Krankheitsbild, dem ein schwerer Gewebeschaden, ein Blutungs-bedingter Schock und schwere Störungen der Mikrozirkulation zugrunde liegen (23,24,28,29). Die Frühphase der TIC ist charakterisiert durch eine Hypoperfusions-bedingte Aktivierung des Protein C-Systems und einer Hemmung des Plasmin-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1), was wiederum zu einer systemischen Antikoagulation (Inaktivierung der Gerinnungsakzeleratoren Faktor V und VIII), sowie zu einer Hyperfibrinolyse führen kann (23,24,28,29-32). Das Auftreten einer Hyperfibrinolyse nach einem schweren Trauma ist mit einer sehr hohen Mortalität (> 70 %) assoziiert (33,34). Trotzdem ist der frühzeitige Einsatz von Tranexamsäure (in den ersten 3 Stunden nach Trauma) zwar mit einer signifikanten, aber nur geringen Reduktion der Mortalität (von 16,0 auf 14.5 %)

Seite 4 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger bei Traumapatienten verbunden (35). Ein Beginn der Therapie mit Tranexamsäure später als 3 Stunden nach Trauma war sogar mit einer signifikanten Steigerung der Mortalität verbunden (36). Dies spricht dafür, dass nach diesem Zeitpunkt Tranexamsäure nicht mehr blind, sondern nur bei Nachweis einer Hyperfibrinolyse verabreicht werden sollte. Darüber hinaus ist die TIC funktionell durch einen frühzeitigen Abfall der Gerinnselstabilität (EXTEM A5 35 mm in der ROTEM -Analyse) charakterisiert (37), wobei die Fibrinogenkonzentration im Plasma häufig schon in der Prähospitalphase signifikant abfällt während die Thrombozytenzahl noch längere Zeit stabil bleiben kann (38,39). Demzufolge scheint der frühzeitigen Fibrinogensubstitution bei traumatischen, sowie auch bei perioperativen schweren Blutungen, eine zentrale Rolle zuzukommen (40-47). Außerdem können frühe Festigkeitsparameter viskoelastischer Tests (FIBTEM und EXTEM A5 bzw. A10 in der ROTEM -Analyse oder rapid-teg G-Wert), neben klinischen Score-Systemen (z.b. dem TASH-Score) die Notwendigkeit einer Massivtransfusion sowie die Mortalität vorhersagen (48-54). Neben den bereits erwähnten Faktoren spielen Hämodilution, Hypothermie und Azidose weitere wichtige Rollen im Rahmen der TIC und müssen daher im Hämostasemanagement entsprechend berücksichtigt werden (55-61). Kommentar: Die TIC ist ein eigenständiges Krankheitsbild mit deutlichen Einflüssen auf das Überleben. Pathophysiologisch spielt hier in der Frühphase eine Trauma- und Hypoperfusions-bedingte Aktivierung des Protein C-Systems mit nachfolgender Hyperfibrinolysis und Hypofibrinogenämie eine entscheidende Rolle. Abb. 1: Pathophysiologie der Trauma-induzierten Koagulopathie (TIC). Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 5 5.1.4 Abgrenzung der TIC zur disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) Auch bei der Sepsis und DIC spielen Interaktionen zwischen zellulären und plasmatischen Faktoren des Hämostasesystems eine entscheidende Rolle. Hier kommt es durch inflammatorische Prozesse zu einer Delokalisation des Gerinnungssystems durch Gewebefaktor-Expression auf inflammatorisch aktivierten Endothelzellen und zirkulierenden Monozyten und Mikropartikeln. Diese Prozesse können durch Endotoxin, aber auch durch den Kontakt mit Fremdoberflächen, z.b. durch die Herz-Lungen-Maschine oder andere extrakorporale Organunterstützungssysteme, ausgelöst werden (62-67,68). Die Gewebefaktor-Expression auf zirkulierenden Zellen lässt sich durch eine Verkürzung der Clotting Time (CT) im nativen ROTEM -Test (NATEM ) nachweisen, entzieht sich jedoch dem Nachweis in konventionellen plasmatischen Gerinnungstests (Quick, PTT), da hier alle Zellen vor der Analyse per Zentrifugation entfernt werden. Kommentar: Gewebefaktor-Expression im Gefäßsystem (Monozyten, Endothelzellen, Mikropartikel) ist ein Schlüsselmechanismus der DIC und kann mittels Thromboelastometrie/-graphie (ROTEM /TEG ) im Vollblut nachgewiesen werden. Im Gegensatz zur TIC kommt es allerdings in der Frühphase der DIC nicht zu einer Aktivierung, sondern sogar zu einer Hemmung des Protein C- und Fibrinolysesystems (69-72). Dementsprechend lassen sich Patienten mit Sepsis anhand des Clot Lysis Index 60 (NATEM CLI60 Cut-Off > 96,5 %) mit einer Sensitivität von 84,2 % und einer Spezifität von 94,2 % mit einer Odds- Ratio von 85,3 (CI 22-335) hochsignifikant (p < 0,001) am ersten Tag einer potentiellen Sepsis von Nicht-Septikern differenzieren (73). Im Vergleich dazu liegt die Odds-Ratio für Procalcitonin bei 6,3 (CI 2,7-14,4) mit einer Sensitivität von 70,2 % und einer Spezifität von 75,0 %. Die AUC in der ROC-Kurve liegt dementsprechend für den CLI60 bei 0,901 und für das Procalcitonin bei 0,756. Demnach ist der ROTEM -Parameter CLI60 der derzeit beste Bioparameter zur Diskriminierung zwischen septischen und nicht-septischen Patienten, gefolgt vom Procalcitonin. Dies weist außerdem auf die wichtige Rolle des Fibrinolysesystems im Rahmen der schweren Sepsis, den daraus resultierenden Mikrozirkulationsstörungen und der Entwicklung eines Multiorganversagens hin. Ein ROTEM -Score bestehend aus den NATEM -Parametern Clot Formation Time (CFT), alpha-winkel und Maximum Clot Firmness (MCF), bestimmt am ersten Tag der Sepsis, korrelieren außerdem hochsignifikant mit der 30-Tage-Mortalität (74). Die Prädiktivität liegt hier wiederum höher im Vergleich zum SAPS II- oder SOFA-Score. Kommentar: TIC ist nicht gleich DIC! Die Pathophysiologie der TIC unterscheidet sich wesentlich von der der DIC. Während es in der Frühphase der TIC zu einer Aktivierung des Fibrinolysesystems bis hin zur systemischen Hyperfibrinolyse kommt, wird sie in der Frühphase der DIC gehemmt. Im weiteren Verlauf kann eine TIC allerdings in eine DIC übergehen. In der Spätphase der DIC kann es wiederum zu einer sekundären Hyperfibrinolyse kommen. Diese pathophysiologischen Unterschiede haben einen wesentlichen Einfluss auf die Sinnhaftigkeit therapeutischer Interventionen, z.b. die Gabe von Antifibrinolytika (Tranexamsäure). Der ROTEM -Parameter CLI 60 (NATEM ) ist der derzeit beste Bioparameter zur frühzeitigen Diskriminierung zwischen septischen und nicht-septischen Patienten.

Seite 6 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Abb. 2: Receiver Operating Characteristic Curve für den ROTEM -Parameter Clot Lyis Index 60 (CLI60 im NATEM -Test) und das Procalcitonin zur Diskriminierung zwischen septischen und nicht-septischen kritisch kranken Patienten (73). 5.2 Koagulopathie bei Leberversagen 5.2.1 Definition des akuten Leberversagens Die Koagulopathie ist eine essentielle Komponente des akuten und chronischen Leberversagens und reflektiert damit die zentrale Rolle der Leberfunktion für das Hämostasesystem. Unter einem akuten Leberversagen (acute liver failure = ALF) versteht man die plötzliche Entwicklung einer schweren hepatischen Koagulopathie (INR > 1,5) und Enzephalopathie innerhalb von 28 Tagen nach dem Beginn einer akuten (ikterischen) Lebererkrankung bei Patienten ohne vorbestehende Leberschädigung (75). 5.2.2 Pathophysiologie der hepatischen Koagulopathie Bei der Leberinsuffizienz befinden sich Pro- und Antikoagulatoren in der Regel in einem Gleichgewicht auf niedrigem Niveau (Konzept der rebalancierten Hämostase ) (76). Trotz der reduzierten Aktivität der in der Leber synthetisierten, Vitamin K-abhängigen Gerinnungsfaktoren ist die Thrombingeneration darunter in der Regel normal. Aufgrund der niedrigen Konzentration der Pround Antikoagulatoren ist dieses Gleichgewicht allerdings sehr labil und kann daher leicht sowohl in eine Blutungssituation, als auch in ein thrombo-tisches Geschehen dekompensieren (77). Eine Therapie mit Thrombozyten, FFP, Gerinnungsfaktorkonzentraten oder Antifibrinolytika sollte daher nur bei klinischer Notwendigkeit aufgrund einer signifikanten Blutung und nicht zur Korrektur von Laborparametern erfolgen (78,79,80-82). Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 7 Zu den pathophysiologischen Mechanismen einer hepatischen Koagulopathie gehören (siehe auch Abb. 3) (76, 83): bakterielle Infektionen mit erhöhter Tissue-Faktor-Expression auf zirkulierenden Blutzellen (insbesondere Monozyten), Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und -inhibitoren, Sequestrierung von Thrombozyten in Leber und Milz (Thrombozytopenie), verminderte Synthese von (Vitamin K-abhängigen) Gerinnungsfaktoren und Inhibitoren in der Leber, Dysfibrinogenämie, Dysfunktion des (retikulo)endothelialen Systems mit verminderter Clearance von aktivierten Faktoren (Gerinnung und Fibrinolyse), Verminderte Elimination aktivierter Thrombozyten durch die Ashwell- Rezeptoren auf Hepatozyten (Störung der Mikrozirkulation) (84,85), Thrombozytopathie bei Urämie, Freisetzung endogener Heparinoide (Glycosaminglycane), Beeinflussung des Fibrinolysesystems (tpa, PAI-1, α 2 -AP, Plasminogen ), Hypo- und Hyperkoagulabilität ( The challange lies ahead (86)). Eine Aktivierung des Fibrinolysesystems kann bei 30-46 % der Patienten mit einer Leberzirrhose nachgewiesen werden (87). Bei Lebertransplantationen kann die Inzidenz einer Hyperfibrinolyse sogar bis auf 60 % ansteigen, wobei etwa 1/3 davon nach der Reperfusion des Transplantates selbstlimitierend ist (79). Patienten mit chronischer Leberdysfunktion weisen eine Thrombozytopenie sowie eine Thrombozytopathie auf. Diese Störung der primären Hämostase wird durch eine erhöhte Konzentration des von-willebrand-faktors und durch erniedrigte ADAMTS13-Aktivität (der Protease, die für den Abbau der von-willebrand-faktor-multimere verantwortlich ist) kompensiert. Diese Veränderungen führen zu einer erhöhten Adhäsionsfähigkeit der Thrombozyten in vitro und sind möglicherweise auch für die Pathogenese des Multiorganversagens bei Patienten mit Leberzirrhose mitverantwortlich (88-90). In vivo wird durch eine Abnahme der schützenden Glycokalix am Endothel die Adhäsions- und Aggregationsfähigkeit der Thrombozyten noch weiter erhöht, analog zu inflammatorischen Prozessen und der Atherosklerose.

Seite 8 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Abb. 3: Konzept der rebalancierten Hämostase bei Patienten mit Leberzirrhose. 5.2.3 Konventionelle Gerinnungsdiagnostik Konventionelle Gerinnungstests, wie Quickwert, INR oder aptt, sind nicht in der Lage, die pathophysiologischen Prozesse einer hepatischen Koagulopathie abzubilden und damit das Risiko einer Blutung oder Thrombose vorherzusagen (91-93). So neigen viele Patienten mit einer Leberzirrhose selbst bei verlängerten globalen Gerinnungszeiten (aptt und PT) zur Entwicklung von Thrombosen. Dies ist dadurch bedingt, dass aptt und Quickwert zwar sensitiv für einen Mangel an Prokoagulatoren, nicht aber sensitiv bezüglich eines Mangels an Antikoagulatoren (insbesondere des Protein C-Systems) sind. Bei einer hepatischen Koagulopathie sind jedoch neben den Vitamin K-abhängigen Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X auch die Vitamin K-abhängigen Antikoagulatoren Protein C und S vermindert, wodurch das System wieder in ein (labiles) Gleichgewicht kommt (76). Die Messung des endogenen Thrombinpotentials (ETP) unter Zusatz von Thrombomodulin lässt eine deutlich bessere Einschätzung des Blutungs- und Thromboserisikos zu (92-96). Aufgrund des stark erniedrigten Protein C- und S-Spiegels sind Patienten mit einer Leberzirrhose resistent gegen den Effekt von Thrombomodulin. Dies führt zu einer deutlich ausgeprägteren Hyperkoagulabilität bei Patienten mit einer Child-Pugh Klasse C-Zirrhose im Vergleich zu Patienten der Klasse A oder B (97). Darüber hinaus liegen auch die in der Leber synthetisierten Gerinnungsfaktoren Fibrinogen, Faktor V und XIII in einer verminderten Plasmakonzentration oder in einer qualitativ veränderten Form (Dysfibrinogenämie) vor, während die im Gefäßendothel gebildeten Gerinnungsfaktoren VIII und der von-willebrand-faktor stark erhöht sein können (86,96-100). Letzteres kann selbst bei einer Thrombozytopenie zu einer verstärkten Thrombozytenadhäsion führen (99-102). Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 9 5.2.4 Vollblut Gerinnungs- und Thrombozytenfunktionstests Das Zusammenspiel zwischen plasmatischen und zellulären Komponenten der Hämostase lässt sich am besten mit viskoelastischen Tests, wie der Thrombelastographie oder -metrie, untersuchen (95,103,104). Auch der Nachweis von Tissue-Faktor-exprimierenden Blutzellen, endogenen Heparinoiden (Glycosaminogykanen), eines Fibrinogenmangels und einer Hyperfibrinolyse erfolgt sicher und zeitnah mittels der Thrombelastographie/-metrie (62,79,95,103,105,106). Eine erhöhte Maximalamplitude bzw. Maximum Clot Firmness kann hier als Hinweis auf eine Hyperkoagulabilität gewertet werden und besitzt einen positiv prädiktiven Wert für postoperative thromboembolische Ereignisse und Myokardinfarkte (107,108). Thrombozyten-funktionsstörungen lassen sich bettseitig und zeitnah mit der Vollblut-Impedanzaggregometrie (Multiplate ) nachweisen (109,110,111). Dieses Verfahren ist allerdings bei Thrombozytenzahlen unter 50.000/µl nur noch eingeschränkt aussagekräftig (112). Eine Dysfunktion des Gefäßendothels kann allerdings auch mit diesen in vitro-verfahren nicht nachgewiesen werden. 5.2.5 Blutungen bei Leberversagen Blutungen bei chronischem Leberversagen Die häufigste Blutungskomplikation im chronischen Leberversagen sind Ösophagusvarizenblutungen, die vor allem durch vaskuläre Veränderungen und portale Hypertension verursacht werden. Die hämostaseologischen Störungen stehen hier als Blutungsursache nicht im Vordergrund. Die prophylaktische Transfusion von Blutprodukten, v.a. von FFP vor invasiven Eingriffen, ist aufgrund der Volumenbelastung mit Exazerbation der portalen Hypertension, erhöhtem Infektionsrisiko und dem Auftreten von TRALI (Transfusion-related Acute Iung Injury) und TACO (Transfusion-associated Circulatory Overload) nicht zu empfehlen. FFP-Transfusionen führen zu keiner Verbesserung der Leberfunktion. Kommentar: Die portale Hypertension und vaskuläre Faktoren stehen bei Blutungen bei Patienten mit chronischem Leberversagen im Vordergrund. Die portale Hypertension kann durch FFP-Transfusion wesentlich verstärkt werden. Blutungen bei akutem Leberversagen Eine Blutungsneigung kann aus pathologischen Ergebnissen der Screeningtests Quick und aptt nicht abgeleitet werden (76,91-93). Das Blutungsrisiko wird im akuten Leberversagen grundsätzlich als erhöht oder hoch eingestuft. Tatsächlich wird immer seltener über schwere Blutungen berichtet. Kommentar: Klinisch relevante Blutungen treten im akuten Leberversagen nur selten spontan auf. Es wird daher von einer prophylaktischen Gerinnungskorrektur, insbesondere mit Blutprodukten, abgeraten. Infektion, Gerinnung und Blutung bei Leberversagen Im Zuge bakterieller Infektionen wird von einem vermehrten Auftreten von gastrointestinalen Blutungen berichtet. Bei einer schweren Lebererkrankung kann eine Infektion allerdings zu einer Dekompensation der Hämostase sowohl

Seite 10 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger in Richtung Blutung als auch Thrombose führen (76,86). Infektionsbedingt kann es im labilen Hämostasesystem des Leberzirrhotikers ebenfalls schnell zur Ausbildung einer DIC kommen. Die Pathogenese ist hier multifaktoriell. Dabei spielt die Tissue-Faktor-Expression auf zirkulierenden Zellen (Monozyten), die Freisetzung von Heparinoiden (Glycosaminglycanen) von geschädigten Endothelzellen, die verminderte Clearence von aktivierten Thrombozyten durch hepatozytenständige Ashwell-Rezeptoren, eine vermin-derte Gerinnselfestigkeit sowie die Aktivierung oder auch Hemmung der Fibrinolyse eine entscheidende Rolle (76,79,83-87). Diese Prozesse können, wie im Abschnitt 5.1.3 beschrieben, gut mit der Thromboelastometrie nachgewiesen werden. Prophylaktische und frühzeitige Antibiotikagaben und Darmdekontaminationen können das Blutungsrisiko in dieser Patientengruppe reduzieren. Kommentar: Bakterielle Infektionen können bei Patienten mit Leberversagen schnell zu einer DIC führen. Eine frühzeitige und adäquate Antibiotikatherapie ist hier entscheidend. 5.2.6 Thrombosen bei Leberversagen Patienten mit schwerer Lebererkrankung und pathologischen Screeningstests (Quick und aptt) sind NICHT autoantikoaguliert und weder vor venösen noch vor arteriellen thromboembolischen Komplikationen geschützt! Sie weisen sogar ein deutlich erhöhtes Thromboembolierisiko auf (76). Pfortaderthrombose Die Pfortaderthrombose ist eine häufige Komplikation bei Patienten mit Leberzirrhose und mit einer Verschlechterung der Prognose assoziiert. Risikofaktor für eine Pfortaderthrombose ist u.a. ein erniedrigter portalvenöser Fluss. Die Pfortaderthrombose selbst erhöht aufgrund der Steigerung der portalvenösen Hypertension wiederum das Blutungsrisiko (Varizenblutungen). Leberarterienthrombose Leberarterienthrombosen werden nach Lebertransplantationen beobachtet. Paradoxerweise zeigen auch hier gerade Patienten mit pathologischen Screeningtests (reduzierter Quickwert, verlängerte aptt) vermehrt Leberarterienthrombosen. Kommentar: Auch bei erniedrigtem Quickwert und verlängerter aptt liegt bei einem Patienten mit Leberzirrhose keine Autoantikoagulation vor, da diese Gerinnungstests nur in der Lage sind, die Prokoagulatoren, nicht aber die physiologischen Antikoagulatoren (z.b. das Protein C-System) zu erfassen. Daher ist bei diesem Patienten auch bei Quick- und aptt-werten, die üblicherweise dem Zielbereich einer Antikoagulation mit oralen Antikoagulantien oder einer systemischen Heparintherapie entsprechen, mit thromboembolischen Ereignissen zu rechnen. 5.2.7 Therapie der hepatischen Koagulopathie Wie bereits erwähnt, sollte eine Therapie mit Thrombozyten, FFP, Gerinnungsfaktorkonzentraten oder Antifibrinolytika nur bei klarer Notwendigkeit Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 11 aufgrund einer klinisch relevanten Blutung und nicht zur Korrektur von Laborparametern erfolgen (78,79,80-82). Die Transfusion von FFP ist im Rahmen eines Plasmaaustausches bei Leberversagen indiziert, um Albumin-gebundene Toxine zu eliminieren (80,82). Zur Korrektur einer Koagulopathie ist FFP nur bei Verabreichung großer Volumina in der Lage, einen Mangel an Fibrinogen und Vitamin K-abhängigen Gerinnungsfaktoren des Prothrombinkomplexes auszugleichen. Gleichzeitig würden dann allerdings unnötigerweise Faktor VIII und von-willebrand-faktor bei bereits vorbestehenden unphysiologisch hohen Plasmaspiegeln substituiert, was zu einer weiter erhöhten Thromboseneigung führen kann (86,96-102). Außerdem kommt es durch die FFP-Transfusion zu einer weiteren Steigerung der portalen Hypertension, die wiederum das Blutungsrisiko (z.b. bei Vorliegen von Ösophagusvarizen) signifikant erhöht. Große Transfusionsvolumina an FFP ( 4 Einheiten) sind außerdem mit einer signifikant erhöhten Inzidenz an akutem Lungenversagen und bei small-for-size -Lebertransplantationen mit einer erhöhten Inzidenz an Arteria hepatica-thrombosen verbunden (113-115). Darüber hinaus korreliert die Transfusion von FFP mit einer erhöhten Inzidenz an nosokomialen Infektionen, die bei Patienten mit Leberversagen wie oben dargestellt verhängnisvoll sein können (116). Bei einer klinisch relevanten Blutungsneigung sollte die Thrombozytenzahl über 30.000 µl -1 gehalten werden, im Individualfall auch höher (117-119). Thrombozytentransfusionen im Rahmen von Lebertransplantationen sind allerding als unabhängiger Risikofaktor mit einer signifikant erhöhten 1-Jahres- Mortalität verbunden (21 versus 6 %) (120,121). Außerdem zeigen die Hämovigilanzdaten weltweit, dass Thrombozytenkonzentrate im Vergleich zu allen anderen Blutprodukten das höchste Risiko für transfusionsbedingte Septikämien aufweisen (122). Insgesamt sollte dies zu einer kritischen Indikationsstellung gerade bei Patienten mit Leberversagen oder Lebertransplantationen führen. Die Effektivität eines Point-of-Care-basierten, zielgerichteten Gerinnungsmanagements bei hepatischer Koagulopathie und Lebertransplantationen wird im Abschnitt 5.3.5 beschrieben. Kommentar: Eine Therapie mit Thrombozyten, FFP, Gerinnungsfaktorkonzentraten oder Antifibrinolytika soll nur bei klinischer Notwendigkeit aufgrund einer signifikanten Blutung und nicht zur Korrektur von Laborparametern erfolgen. 5.3 Zielgerichtete Gerinnungstherapie 5.3.1 Implementierung von Behandlungsalgorithmen / Standard Operating Procedures (SOPs) Es besteht allgemeiner Konsens, dass bei schweren Blutungen eine schnelle und effektive Gerinnungstherapie anzustreben ist, um den Transfusionsbedarf sowie die Morbidität und Mortalität der Patienten zu reduzieren ( early hemostatic resuscitation ) (29,123-125). Hier sollten die Therapiestrategien zur zielgerichteten Gerinnungstherapie grundsätzlich in Algorithmen bzw. Standard

Seite 12 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Operating Procedures (SOPs) eingebunden werden, da bereits von mehreren Autoren gezeigt werden konnte, dass schon die Implementierung von Behandlungsalgorithmen zu einer relevanten Reduktion des Transfusionsbedarfs führen kann (126-129). Dabei ist es das Ziel, die Blutung so schnell wie möglich zu stoppen, eine unnötige (prophylaktische) oder inadäquate Transfusion von Blutprodukten zu vermeiden, Transfusions-assoziierte Nebenwirkungen und Thrombosen zu minimieren, die Krankenhauskosten zu reduzieren und das Outcome und die Überlebensrate der Patienten zu verbessern. 5.3.2 Turnaround-Time von konventionellen und Point-of-Care-Gerinnungsanalysen Auf einer interaktiven Fallkonferenz auf dem DAC 2007 wurde die durchschnittliche Turnaround-Time für konventionelle Gerinnungsparameter (Quick, PTT, Thrombozytenzahl) im Zentrallabor von 57,3 % der Teilnehmer mit 30-45 min. angegeben (FK333, DAC 2007). In einer prospektiven, multizentrischen Untersuchung in Frankreich lag die mediane Turnaround- Time für die Bestimmung des Quick/INR-Wertes im Zentrallabor sogar bei 88 min (Range: 29-235 min.) (130). In einer Schweizer Studie von Haas et al. betrug die Turn-Around-Time für konventionelle Gerinnungsparameter 53 min. (IQR: 45-63 min.) und für die ROTEM -Analyse (CT, CFT und A10 im EXTEM, FIBTEM und INTEM ) 23 min. (IQR: 21-24 min.), wenn beide Verfahren im Zentrallabor durchgeführt wurden (131). Bei der Durchführung der ROTEM -Analyse im OP konnte die Turnaround-Time durchschnittlich um weitere 11 min. (8-16 min.) verkürzt werden (132). Die Reproduzierbarkeit der Meßergebnisse unterschied sich dabei nicht zwischen der Untersuchung im Zentrallabor oder im OP. Allen Untersuchungen ist gemeinsam, dass die Turnaround-Time konventioneller Gerinnungsparameter mit 45-60 min. zu lang ist, um auf dieser Basis eine zielgerichtete Gerinnungstherapie zu steuern. Demgegenüber ermöglicht die ROTEM -Analyse mit einer Turnaround-Time von 12-15 min. eine zielgerichtete Therapie perioperativer Gerinnungsstörungen. Dies gilt auch für die Vollblut-Impedanzaggregometrie mit einer Turnaround-Time von etwa 10-12 min. (110,133). Kommentar: Point-of-Care-Gerinnungsanalysen (ROTEM und Multiplate ) sind mit einer Turnaround-Time von 10-15 min. als Basis für eine zielgerichtete Gerinnungstherapie perioperativer Blutungen geeignet. Mit klassischen Gerinnungsparametern kann lediglich eine Erfolgskontrolle nach blinder Therapie durchgeführt werden. Allerdings besteht der Erfolg einer hämostaseologischen Intervention nicht in einer Korrektur der Laborparameter, sondern im Stoppen der Blutung! Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 13 5.3.3 Universal Haemostatic Agents Gibt es das? Frischplasma (FFP) FFP besitzt den theoretischen Vorteil eines ausgewogenen Verhältnisses aller normalerweise im Plasma enthaltenen Gerinnungsaktivatoren und -inhibitoren. Daher wird es vielfach als generelles Basistherapeutikum bei nachgewiesenen oder vermuteten Gerinnungsstörungen eingesetzt. Etwa die Hälfte des weltweit verabreichten FFP wird dabei prophylaktisch eingesetzt, wobei für diese Vorgehensweise keinerlei Evidenz existiert (134,135,136). Im Gegenteil weisen mehrere Studien darauf hin, dass die Transfusion von FFP außerhalb von Massivtransfusionen nicht die Morbidität und Mortalität der Patienten reduziert, sondern die Inzidenz von nosokomialen Infektionen und (Multi-)Organversagen signifikant erhöht (21,22,115,116,137). In einer Analyse des Einsatzes von FFP in Großbritannien geht Stanworth davon aus, dass der größte Teil des verabreichten FFPs inadäquat und nicht indiziert ist (136). Andererseits ist der therapeutische Effekt von FFP zur Behandlung einer bereits bestehenden Koagulopathie sehr gering (die Aktivität der Gerinnunsfaktoren im FFP beträgt aufgrund der Aditiva und des Verarbeitungsprozesses nur noch 70-80 % der Norm). Eine Dosis von 10 ml FFP pro kg Körpergewicht führte in mehreren Studien bei Patienten mit einer milden Koagulopathie (INR < 2) nicht zu einer Korrektur der Koagulopathie (114, 134, 136, 138). Dazu sind große FFP- Volumina (15-30 ml pro kg KG) erforderlich, die allerdings wiederum mit einer hohen Inzidenz an akutem Lungenversagen im Wesentlichen basierend auf einer Volumenüberladung (Transfusion-associated Circulatory Overload = TACO) verbunden sind (114,134,139). Darüber hinaus konnte von Gonzalez et al. gezeigt werden, dass bei einer Transfusion von EKs und FFPs im Verhältnis von 1:1 im Durchschnitt 14,8 Stunden benötigt werden, um den Patienten aus einer TIC heraus zu bekommen (Ziel: INR 1,4) (140). Dies lässt FFP als Universal Haemostatic Agent ungeeignet erscheinen. Kommentar: Die Transfusion von FFP ist in über 50 % der Fälle nicht indiziert oder inadäquat (zu geringe Volumina). Die Effektivität ist gering und die Inzidenz unerwünschter Nebenwirkungen und Komplikationen (nosokomiale Infektionen, Lungenversagen und Multiorganversagen) hoch. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die einzelnen Gerinnungsfaktoren im Rahmen einer Blutung gar nicht synchron abfallen, sondern sehr unterschiedliche Verläufe aufweisen (38,39,141). So fallen Fibrinogen und Faktor II (Prothrombin) sehr frühzeitig im Rahmen von Blutungen ab, während Faktor VIII und von-willebrand-faktor im Rahmen eines Traumas oder einer großen Operation innerhalb von Minuten bis Stunden aus dem Endothel freigesetzt werden und supranormale Werte erreichen. In den ersten postoperativen Tagen kann die Faktor VII- und XIII-Aktivität gegebenenfalls weiter abfallen und zu Nachblutungen (bei normalen konventionellen Gerinnungstests) beitragen. Das Fibrinogen steigt nach Sistieren der Blutung! im Rahmen einer Akut-Phasen-Reaktion innerhalb von 24-48 Stunden postoperativ an. Demgegenüber bleibt die Thrombozytenzahl während einer Blutung durch Mobilisation von Thrombozyten aus Knochenmark, Leber und Milz längere Zeit im Normalbereich, kann aber postoperativ im Rahmen inflammatorischer Prozesse oder auch einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie abfallen (142,143).

Seite 14 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Kommentar: Im Rahmen einer schweren Blutung fallen die Aktivitäten der Gerinnungsfaktoren nicht synchron ab, sondern weisen einen sehr unterschiedlichen Verlauf auf, der therapeutisch berücksichtigt werden sollte. Rekombinanter aktivierter Faktor VIIa (rfviia) Bei Versagen einer FFP-basierten Gerinnungstherapie wurde in den vergangenen 10-15 Jahren häufig rfviia als Universal Haemostatic Agent empfohlen. Trotz vielfacher Bemühungen in großen prospektiv randomisierten Studien, konnte die Effektivität von rfviia bei schweren Blutungen (Trauma, Leberchirurgie, Lebertransplantationen, Herzchirurgie, postpartalen Blutungen) allerdings nie belegt werden (144,145). Demgegennüber scheint der off-labeluse von rfviia aber mit einer deutlich erhöhten Inzidenz arterieller thromboembolischer Ereignise (Herzinfarkt, Schlaganfall) verbunden zu sein (144,145, 146). Daher wird von Novo Nordisk selbst sowie in den aktuellen Guidelines definitiv von einem off-label-use von rfviia abgeraten (29,145). Ein Ultima- Ratio-Einsatz kann in begründeten Einzelfällen dennoch sinnvoll sein. Selbstverständlich bleibt der Einsatz von rfviia in seinem zugelassenen Indikationsspektrum (z.b. der Hemmkörper-Hämophilie) davon unberührt. Kommentar: The use of rfviia should be restricted to its licensed indications since outside these indications the effectiveness of rfviia to reduce transfusion requirements and mortality remains unproven and the risk of arterial thromboembolic events as well as costs are high (A1+ recommendation). Offlabel use of rfviia should be restricted to patients with severe bleeding, who are unresponsive to other haemostatic interventions (A1+ recommendation) (ESA Guideline on the management of severe perioperative bleeding; 2012) (145). Tranexamsäure Bei Patienten mit einem hohen Risiko (Polytrauma oder postpartale Blutung) oder einer nachgewiesenen Hyperfibrinolyse ist die Gabe von Tranexamsäure indiziert, effektiv und sicher (35,145,147). Darüber hinaus konnte auch bei diversen anderen Eingriffen (Lebertransplantation, Herzchirurgie, Orthopädie) eine Reduktion des Transfusionsbedarfes durch die Gabe von Tranexamsäure nachgewiesen werden (145). Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 15 Abb. 4: ROTEM -basierter Algorithmus zur zielgerichteten Gerinnungs-therapie bei Traumapatienten (148).

Seite 16 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger 5.3.4 Spezifische Gerinnungsfaktorkonzentrate Eine frühzeitige zielgerichtete Therapie ( early goal-directed therapy ) von perioperativen Gerinnungsstörungen ist idealerweise in der Kombination von Point-of-Care-Diagnostik (Thrombelastometrie/-graphie und Vollblut-Impedanzaggregometrie) mit dem Einsatz von spezifischen Gerinnungsfaktorkonzentraten (Fibrinogenkonzentrat, balancierte 4-Faktoren Prothrombin-Komplex- Konzentrate (PPSB) und Faktor XIII-Konzentrate) möglich (7,42,43,68,79,110, 137,145,148-150,151). Dieses Konzept ermöglicht eine bleed-to-treat-time von 20-30 Minuten. Dabei sollten Diagnostik und Therapie über an das jeweilige Patientenkollektiv angepasste Behandlungsalgorithmen miteinander verknüpft sein (148). Ein entsprechender Algorithmus zum POC-Gerinnungsmanagement bei polytraumatisierten Patienten von Görlinger et al. ist in Abb. 4 dargestellt (148). Algorithmen zur zielgerichteten Gerinnungs-therapie müssen natürlich auch die Rahmenbedingungen der Hämostase (Hypothermie, Azidose, Hypokalzämie und Anämie) sowie die frühzeitige Erfassung einer Hyperfibinolyse und deren Therapie mit Tranexamsäure berücksichtigen (61,124,145,148). Fibrinogenkonzentrat Fibrinogen ist der Gerinnungsfaktor, der in der Regel als erster im Rahmen einer schweren Blutung in einen kritischen Bereich abfällt (38,39,141). Demzufolge konnte in mehreren Studien in der Geburtshilfe, Orthopädie, Neuro- und Herzchirurgie nachgewiesen werden, dass die (präoperative) Plasma-Fibrinogenkonzentration einen hohen prädiktiven Wert für perioperative Blutverluste hat (152-157). Darüber hinaus konnte in mehreren Studien die Effektivität einer Fibrinogensubstitution zur Blutstillung und zur Reduktion des Transfusionsbedarfes nachgewiesen werden insbesondere wenn dies zielgerichtet auf der Basis einer Point-of-Care Diagnostik mittels Thromboelastometrie erfolgte (42,43,145,149-150,151,158-160). Kommentar: Fibrinogen ist als Substant der plasmatischen Gerinnung und als Ligand der thrombozytären GPIIbIIIa-Rezeptoren ein Schlüsselmolekül des Hämostasesystems. Prothrombin-Komplex-Konzentrat (PPSB; Englisch PCC) In Europa gebräuchliche balancierte 4-Faktoren PCCs enthalten die Vitamin K- abhängigen Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in einem ausgewogenen Verhältnis. Außerdem enthalten die meisten Präparate auch noch die Vitamin K-abhängigen Gerinnungsinhibitoren Protein C, S und Z sowie unterschiedliche Mengen an Antithrombin und Heparin (161,162,163,164). Ihre Hauptindikation besteht in der notfallmäßigen Antagonisierung von oralen Antikoagulantien vom Typ der Vitamin K-Antagonisten (163) sowie in der Therapie von Blutungen im Rahmen eines chronischen oder akuten Leberversagens (165,166). Darüber hinaus hat sich der Einsatz von PCC als gezielte, kalkulierte Therapieoption bei Patienten mit perioperativen Blutungen und verminderter Thrombingeneration bewährt und ist Teil mehrerer Thromboelastometrie-basierter Gerinnungsalgorithmen (7,42,43,68,79,110,148-150,151). Die Dosierung kann hier kalkuliert anhand der Ausgangs- und Zielwerte erfolgen (131,149,151). In der Regel reicht eine Aktivität der Vitamin K- abhängigen Faktoren zwischen 30 und 60 % der Norm zur Blutstillung aus, wenn vorher die Rahmenbedingungen der Hämostase (Hypothermie, Azidose, Hypokalzämie) und die Ursachen einer verminderten Gerinnselstabilität Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 17 (Hyperfibrinolyse, Fibrinogenmangel, Thrombozytopenie) entsprechend therapiert wurden. Eine Übertherapie mit PCC sollte vermieden werden, um thromboembolische Komplikationen zu vermeiden. Kommentar: Prothrombin-Komplex-Konzentrat (PPSB; PCC) stellt eine interessante und effektive Option zur Therapie perioperativer Blutungen dar, wenn eine verminderte Thrombingeneration als Ursache der Blutung nachgewiesen wurde oder aufgrund der Medikamantenanamnese (Vitamin K- Antagonisten) angenommen werden muss. Faktor XIII-Konzentrat Gerinnungsfaktor XIII ist vielfältig an Gerinnungsprozessen beteiligt: Quervernetzung und Stabilisierung des Fibringerinnsels, Erhöhung der Resistenz des Gerinnsels gegen einen fibrinolytischen Abbau durch Einbau von α 2 -Antiplasmin, Regulation der Aktivität von Fibroblasten und Wundheilung. Bei neurochirurgischen Patienten mit großen intrakraniellen Tumoren (Meningeome > 4 cm) konnte nachgewiesen werden, dass die Häufigkeit revisionsbedürftiger Nachblutungen bei erniedrigten prä- und postoperativen Faktor XII-Aktivitäten (< 60% postoperativ) signifikant erhöht ist (Relative Risk RR 6,4; CI 3,1-13,02) (154). Das Risiko wurde dabei durch das gleichzeitige Vorliegen eines Fibrinogenmangel (< 1,5 g/l; RR 12,2; CI 4,61-32,3) oder einer Thrombozytopenie (< 150 µl -1 ; RR 9,7; CI 3,91-24,1) deutlich verstärkt. Auch in der Tumor-, Herz- und Leberchirurgie konnten Einflüsse der Faktor XIII- Aktivität insbesondere auf die Inzidenz von postoperativen Nachblutungen nachgewiesen werden (141,167-169). Allerdings scheint eine prophylaktische Gabe nicht sinnvoll zu sein und für die meisten klinischen Settings konnte bisher kein klarer Grenzwert definiert werden, ab wann ein Faktor XIII-Mangel definitiv therapiert werden sollte (170,171). Kommentar: Insbesondere bei diffusen postoperativen Nachblutungen und normalen globalen konventionellen Gerinnungstests sollte an einen Faktor XIII- Mangel als mögliche Ursache gedacht werden. 5.3.5 Einfluss einer zielgerichteten Gerinnungstherapie auf den perioperativen Transfusionsbedarf und das Outcome der Patienten in unterschiedlichen klinischen Settings Im Folgenden soll exemplarisch an einigen Studien die Effektivität eines zielgerichteten, Point-of-Care-basierten Gerinnungsmanagements auf den Transfusionsbedarf und das Outcome von Patienten in unterschiedlichen klinischen Settings dargestellt werden. Weitere prospektiv randomisierte Studien sind dringend erforderlich, um die positiven Ergebnisse dieser Studien zu untermauern. Zielgerichtete Gerinnungstherapie bei Lebertransplantationen im Universitätsklinikum Essen (79, 148, 151, 172,173) Um einerseits eine prophylaktische Gabe von Antifibrinolytika bei Lebertransplantationen zu vermeiden und andererseits die zeitnahe Detektion einer

Seite 18 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Hyperfibrinolyse und deren gezielte Therapie mit Antifibrinolytika zu ermöglichen, wurde im Jahr 2000 die Thromboelastometrie im Universitätsklinikum Essen eingeführt. Auf der Basis der in den ersten vier Jahren gesammelten Erfahrungen wurden von uns im Jahr 2004 erste Algorithmen zum Point-of-Care-Gerinnungsmanagement bei Lebertransplanta-tionen und polytraumatisierten Patienten entwickelt und in den folgenden Jahren weiter verfeinert (79,148). Von 1999 bis 2009 konnte in der Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der jährliche intraoperative Verbrauch an EK um 60 %, an Thrombozytenkonzentraten (TK) um 58 % und an FFP um 89 % gesenkt werden, während die Anzahl der jährlich durchgeführten Lebertransplantationen um 47% (von 99 auf 143 pro Jahr) gesteigert werden konnte (Gesamtzahl der Lebertransplantationen in diesem 10-Jahres-Zeitraum: 1.105) (151,172). Gleichzeitig konnten die jährlichen Kosten für Blutprodukte und Gerinnungsfaktorkonzentrate in diesem Bereich um 36 % (um 270.167 ) gesenkt werden. Die Kalkulation der Kosten basiert dabei auf den Preisen im Universitätsklinikum Essen für das Jahr 2009 (1 EK 85, 1 FFP 65, 1 Pool- TK 250, 1g Fibrinogen-Konzentrat 288, 500 IE PPSB 126, 500 IE AT 44, 1250 IE FXIII 527 und 4,8 mg rfviia 3203 ). Ein off-label-use von rfiia war im gesamten Beobachtungszeitraum nach der Implementierung der Point-of-Care-Algorithmen nicht mehr errforderlich. Die hier dargestellten Einsparungen entsprechen ausschließlich den Einsparungen an primären, intraoperativen Behandlungskosten für Blutprodukte und Gerinnungsfaktorkonzentrate ohne Berücksichtigung von sekundären Kosten aufgrund von Transfusions-assoziierten Nebenwirkungen und Komplikationen (TRALI, TACO, Infektionen, Sepsis etc.). Der mittlere Transfusionsbedarf bei Lebertransplantationen betrug im Jahr 2010 (163 LTX) im Median [25./75. Perzentile] 2 EK [0/4], 0 TK [0/0] und 0 FFP [0/0]. 35 % der Lebertransplantationen konnten 2010 ohne EK-Transfusion, 80 % ohne TK-Transfusion und 83% ohne FFP-Transfusion durchgeführt werden. Im Zeitraum 2009-2010 lag die Inzidenz von Arterteria hepatica-thrombosen bei 4,1 %, von Lungenembolien bei 1,1 %, von Portalvenen-Thrombosen und Myokard-infarkten bei jeweils 0,4 % und von Schlaganfällen bei 0 % (173). Dabei unterschied sich die Inzidenz thromboembolischer Ereignisse nicht signifikant zwischen Patienten, die mit Gerinnungsfaktorkonzentraten (Fibrinogen und PCC) therapiert werden mussten und denen, die gar keiner hämostaseologischen Intervention bedurften. Im Vergleich dazu liegt der Transfusionsbedarf an EKs und die Inzidenz von Lungenembolien bei Lebertransplantationen in Pittsburgh einem der größten Lebertransplantationszentren der USA viermal so hoch bei vergleichbarem Patientenkollektiv (174). Kommentar: Ein ROTEM -basiertes, zielgerichtetes Gerinnungsmanagement bei Lebertransplantationen ist in der Lage, den Transfusionsbedarf, die Transfusions-assoziierten Kosten und die Inzidenz perioperativer thromboembolischer Ereignisse zu reduzieren. Zielgerichtete Gerinnungstherapie in der Traumatologie im Unfallkrankenhaus Salzburg (42, 43) In eine retrospektive Kohortenstudie wurden 80 Patienten des Unfallkrankenhauses Salzburg eingeschlossen, die nur mit Faktorenkonzentraten (Fibrinogenkonzentrat und/oder PCC), aber nicht mit FFP behandelt wurden (43). Diese Patienten wurden mit 601 Patienten aus dem Deutschen Traumaregister (FFP-Gruppe) verglichen, die mindestens 2 FFPs, aber keine Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.

Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Seite 19 Faktorenkonzentrate erhalten hatten. Einschlusskriterien waren ein Alter von 18 bis 70 Jahren, ein BE -2 bei Aufnahme in den Schockraum und ein Injury Severity Score (ISS) 16. Zur Gerinnungstherapie im Schockraum und während der primären OP-Phase erhielt die FFP-Gruppe (ISS 35.5 ± 10.5) 6 (2-51) FFP (median (range)), während die Faktorenkonzentrate-Gruppe (ISS 35.2 ± 12.5) 6 (0-15) g Fibrinogenkonzentrat und 1.200 (0-6.600) IE PCC erhielten. Eine EK-Transfusion konnte in der Faktorenkonzentrate-Gruppe in 29 % der Patienten vermieden werden, jedoch nur in 3 % der Patienten in der FFP-Gruppe (p < 0.001). Eine Thrombozyten-Transfusion konnte in 91 % der Patienten der Faktorenkonzentrate-Gruppe, aber nur in 56 % der Patienten der FFP-Gruppe vermieden werden (p < 0.001). Die Mortalität war in beiden Gruppen vergleichbar (7,5 % vs. 10 %; p = 0,69). Kommentar: Ein ROTEM -basiertes, zielgerichtetes Gerinnungsmanagement mit Faktorenkonzentraten (Fibrinogen und/oder PCC) reduziert die Exposition von Traumapatienten zu allogenen Blutprodukten (EK, FFP und TK) (43). In eine zweite retrospektive Analyse wurden 131 Traumapatienten des Unfallkrankenhauses Salzburg eingeschlossen, die mehr als 5 EKs innerhalb von 24 Stunden erhalten hatten (42). Das Gerinnungsmanagement war ROTEM -gesteuert und basierte auf einer primären Therapie mit Gerinnungsfaktorkonzentraten (Fibrinogenkonzentrat und PCC). Bei einem nicht ausreichenden Anstieg der Gerinnselfestigkeit nach der Gabe von Fibrinogenkonzentrat wurden Thrombozyten transfundiert. Die beobachtete Mortalität in diesem Faktorenkonzentrate-Kollektiv wurde dann mit der erwarteten Mortalität nach dem Trauma Injury Severity Score (TRISS) und der Revised Injury Severity Classification (RISC) verglichen. Die beobachtete Mortalität war mit 24,4 % niedriger als die erwartete TISS-Mortalität mit 33,7 % (p = 0,032) und der RISC-Mortalität mit 28,7 % (p > 0,05). Nach Ausschluss von 17 Patienten mit Schädelhirntrauma lag die beobachtete Mortalität mit 14 % signifikant niedriger als die erwartete TRISS-Mortalität mit 27,8 % (p = 0,0018) und die erwartete RISC-Mortalität mit 24,3 % (p = 0,014). Kommentar: Ein ROTEM -basiertes, zielgerichtetes Gerinnungsmanagement mit Faktorenkonzentraten (Fibrinogen und/oder PCC) war hier mit einer geringeren beobachteten, als erwarteten (TISS, RISC) Mortalität vergesellschaftet (42). Diese Ergebnisse müssen allerdings durch prospektive, randomisierte Studien bestätigt werden. Zielgerichtete Gerinnungstherapie in der Kardiovaskulären Chirurgie der Universitätsklinika Essen und Frankfurt am Main (149, 150) Nach Implementierung eines Point-of-Care-basierten (ROTEM + Multiplate ) Algorithmus zum zielgerichteten Gerinnungsmanagement konnte auch in der Klinik für Thorax- und Kardiovaskuläre Chirurgie des Universitätsklinikums Essen, trotz einer gleichzeitigen signifikanten Zunahme der Fallzahlen (um 25 %), des Patientenalters, des Frauenanteils, des Anteils der Notfalleingriffe und der komplexen herzchirurgischen Eingriffe sowie trotz eines Wechsels des Antifibrinolytikums von Aprotinin auf Tranexamsäure, eine signifikante Reduktion des Transfusionsbedarfs und der Gesamtkosten für Blutprodukte und Gerinnungsfaktorkonzentrate pro Patient erreicht werden (149). Insgesamt wurden 3.865 Patienten in diese retrospektive Kohortenstudie ( before-andafter-study ) eingeschlossen. Dabei konnte von 2004 bis 2009 die Inzidenz der intraoperativen Transfusion von allogenen Blutprodukten von 52,2 auf 43,4 % gesenkt werden. Für die Inzidenz von EK-Transfusionen ließ sich in diesem

Seite 20 Hot Topic: Gerinnungsmanagement, K. Görlinger Zeitraum eine Reduktion von 49,7 auf 40,4 % und für FFP von 19,4 auf 1,1 % erzielen, während die Inzidenz der TK-Transfusion von 10,1 auf 13,0 %, der Gabe von Fibrinogenkonzentrat von 3,7 auf 10,0 % und der PCC-Gabe von 4,4 auf 8,9 % stieg. Ein off-label-use von rfviia fand in den Jahren 2005-2009 (nach Implementierung des POC-Algorithmus) nicht mehr statt. Außerdem wurde die Inzidenz an Massiv-transfusionen ( 10 EK intraoperativ), an ungeplanten Revisionen innerhalb von 48 Stunden und an thromboembolischen Ereignissen jeweils um ca. 50 % signifikant reduziert (149). Kommentar: In a retrospective analysis of cardiac surgical patients, implementation of a coagulation management algorithm based on first line therapy with specific coagulation factor concentrates, combined with point-ofcare testing, was associated with reduced transfusion requirements and decreased thrombotic/thromboembolic events. (149) In einer nachfolgenden prospektiv, randomisierten Studie im Universitätsklinikum Frankfurt am Main wurde bei Patienten mit Koagulopathie nach komplexen herzchirurgischen Eingriffen die Behandlung entweder nach diesem POC-Algorithmus oder nach einem Non-POC-Algorithmus (gleiche Algorithmusstruktur, aber basierend auf konventionellen Gerinnungsanalysen) durchgeführt (150). Primärer Endpunkt der Studie war die Reduktion des Transfusionsbedarfs an EKs. Die a-priori-poweranalyse ergab, basierend auf den Daten der Essener Studie, 100 Patienten pro Gruppe. Eine geplante Interimsanalyse nach 50 Patienten pro Gruppe ergab bereits eine hochsignifikante Reduktion des Transfusionsbedarf für EKs (primärer Endpunkt). Daher musste die Studie entsprechend der Vorgaben des Studienprotokolls und des Votums der Ethikkommission vorzeitig abgebrochen werden. Trotzdem konnten neben einer signifikanten Reduktion des Transfusionsbedarfs an EK (3 [2/6] vs. 5 [4/9]; p < 0.001), FFP (0 [0/3] vs. 5 [3/8]; p < 0.001) und TK (2 [0/2] vs. 2 [0/5]; p = 0.010) und der Kosten um 1415 pro Patient, auch noch eine signifikante Verbesserung der postoperativen Lungenfunktion (PaO 2 /FiO 2 -Koeffizient), eine signifikante Reduktion Inzidenz von Massivtransfusionen (2 vs. 16 %; p = 0,031), der Notwendigkeit einer rfviia-rescue-therapie (2 vs. 24 %; p = 0,002), der Composite Adverse Events (akutes Nierenversagen, Sepsis, thromboembolische und allergische Ereignisse) (8 vs. 38 %; p < 0,001) und der 6-Monats-Mortalität (4 vs. 20 %; p = 0,021) nachgewiesen werden (150). Selbstverständlich müssen die Ergebnisse dieser Single-Center-Studie noch durch eine auf Mortalität gepowerte Multi-Center-Studie bestätigt werden. Kommentar: Cardiac surgical patients experience rapid changes in coagulation status. Point-of-care coagulation testing may speed up diagnosis of coagulopathies and improve management. Point-of-care coagulation testing reduced allogenic blood transfusion and was associated with improved outcomes. (150) Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.