Pädagogische Professionalität und sexualisierte Gewalt Von der Institutionen- zur Professionsperspektive - Einleitende Bemerkungen - Karin Böllert/Martin Wazlawik ExpertInnenworkshop der WWU Münster und der AGJ Berlin, 13./14.02.2014 1
Gliederung Was bislang geschah: die Institutionenperspektive Wie gehandelt werden muss: die Professionsperspektive in Institutionen Was pädagogische Professionalität benötigt: Eckpunkte einer pädagogischen Professionalität im Umgang mit sexualisierter Gewalt Wie es weiter gehen kann: Perspektiven einer Institutionenund Professionsperspektive 2
Was bislang geschah: die Institutionenperspektive 3
Runder Tisch Sexueller Missbrauch Strategie: Erhöhung der Verbindlichkeit durch die Koppelung von Förderung und Implementierung eines Schutzkonzeptes/Umsetzung von gesetzlichen Neuerungen und Leitlinien in Institutionen. Leitlinien für Prävention, Intervention und Aufarbeitung 4
Grafik: Institutionelle und gesellschaftliche Ursachen für Kindesmissbrauch in Institutionen Quelle: Zwischenbericht Runder Tisch Kindesmissbrauch, 2011 5
Fachliche Leitlinien des Runden Tisches 1. Vorlage eines trägerspezifischen Kinderschutzkonzeptes 2. Implementierung von kinderschutzorientierten Personalentwicklungsmaßnahmen (u.a. erweitertes Führungszeugnis) 3. Einrichtungsinterne Analyse zu arbeitsfeldspezifischen Gefährdungspotentialen und Gelegenheitsstrukturen 4. Installierung von Beteiligungsformen für Kinder und Jugendliche 5. Internes und externes Beschwerdeverfahren 6. Managementplan bei Verdachtsfällen 7. Hinzuziehung eines/einer externen Beraters/Beraterin bei Verdachtsfällen (z.b. Fachkraft für Kinderschutz) 8. Dokumentationswesen für Verdachtsfälle 9. Themenspezifische Fortbildungsmaßnahmen für MitarbeiterInnen durch externe Fachkräfte 10. (Aufarbeitung in Institutionen und nachhaltige Veränderung) 6
Professionalität und sexualisierte Gewalt 7
Grafik: Personenbezogene Ursachen für Kindesmissbrauch in Institutionen Quelle: Zwischenbericht Runder Tisch Kindesmissbrauch, 2011 8
Anmerkungen I Große Reichweite der fachlichen Leitlinien Verunmöglichung von sexualisierter Gewalt durch organisationale Vorkehrungen in Institutionen Regelung und Beschränkung der pädagogischen Interaktion durch generalisierte Ver- und Gebotsstrukturen (Normative Verhaltenskodizes, Dienstanweisungen für bestimmte pädagogische Situationen etc.) Fachkräfte als Teil von Institutionen und institutioneller Regulierbarkeit, nicht als Professionelle Gefahr der De-Professionalisierung 9
Anmerkungen II Der beschriebene institutionelle Blick als damaliger, (2010/2011) politisch-symbolischer Startschuss und Auftakt zu weitergehenden Überlegungen. Nicht als abgeschlossene und umfassende Sammlung von Präventionselementen! Debatte um sexualisierte Gewalt als ein Wendepunkt für eine dritte Welle der Professionalisierung sozialpädagogischer Berufe Neu- bzw. Re-Formulierung der Fragen von Macht, Sexualität und affektiver Regulation und Reflexion im Kontext der Professionalisierung und der grundständigen Herausbildung von pädagogischer Professionalität 10
Anmerkungen III Pädagogische Professionalität gedacht als Professionelle und reflexive Gestaltung von Institutionen Pädagogisch-professionelles Handeln in der Interaktion mit anvertrauten Kindern und Jugendlichen Analytisch wird hier die Frage der Relation von personalem und institutionellem Handeln relevant 11
Wie gehandelt werden muss: die Professionsperspektive in Institutionen 12
Professionelle Herausforderungen in Institutionen Analysieren, in welchen Bereichen und Situationen sexuelle Übergriffe möglich sind bzw. wo Risiken und Gefährdungen für Mädchen und Jungen bestehen. Beschreiben notwendiger Maßnahmen und Verfahren der Prävention und Intervention. Entwickeln von Schutzkonzepten. Implementieren von Beteiligungs- und Partizipationsmöglichkeiten. Handeln in Bezug auf verschiedene Opfergruppen 13
Professionelle Herausforderungen in Institutionen Handeln in Bezug auf verschiedene Tätergruppen. Berücksichtigen von Meldepflichten. Abwägen des Einschaltens von Strafverfolgungsbehörden. Dokumentieren des professionellen Handelns. Kooperieren mit unterschiedlichen Akteuren. 14
Was pädagogische Professionalität benötigt: Eckpunkte einer pädagogischen Professionalität im Umgang mit sexualisierter Gewalt 15
Professionalität setzt Wissen voraus! Bildung und Ausbildung sind Schlüssel für Prävention und Intervention im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt. Vermittlung (sexual-)pädagogischen Wissens im Kontext von Macht, Gewalt und Sexualität geschieht tendenziell zufällig. Es fehlen reflexive Aneignungsformen dieses Wissens. Curriculare Verankerung Selbstreflexive Kasuistik 16
Pädagogische Professionalität balanciert Nähe und Distanz! Auf der einen Seite: Fokus auf das pädagogische Problem und auf größtmögliche personale Distanz und für Diagnose aus dem konkreten personalen Umgang mit den Adressatinnen und Adressaten herauslösen (grundlegende Idee der Beobachtungsnähe). Auf der anderen Seite: im personalen Umgang höchste personale Nähe, damit Einbettung des Geschehens in die Lebenspraxis möglich wird. Notwendigkeit des Changierens von Nähe und Distanz Nähe- und Distanzverhältnis muss individuell in einem vorab zu definierenden, abgestimmten und transparenten Rahmen ausbalanciert werden. 17
Pädagogische Professionalität braucht Orte der Reflexion! Pädagogische Settings eröffnen Raum für ein über die Erfüllung pädagogischer Aufgaben hinausgehendes Beisammensein von Professionellen und AdressatInnen und tragen zu einer starken Informalisierung von Beziehungen und damit zu einer potentiellen Risikostruktur bei. Grenzziehung ist darauf angewiesen, dass Orte der Reflexion zur Verfügung stehen, in denen notwendige Grenzziehungen problematisiert werden, der Umgang mit Macht in pädagogischen Beziehungen thematisiert werden kann. Fachliche Anleitung, kollegiale Fallberatungen und Supervision Möglichkeiten zur Reflexion und Erweiterung emotionaler und sozialer Kompetenzen Reden über statt Tabuisierung von Sexualität 18
Pädagogische Professionalität braucht Haltungen! Unter Haltung kann eine innere nach ethischen Prinzipien ausgerichtete Einstellung einer Person und ein entsprechen-des Handeln verstanden werden. Haltungen fallen nicht vom Himmel, können auch nicht verordnet werden. Sie sind das Ergebnis einer Verknüpfung von Berufssozialisation in Ausbildung und Praxis mit biografischen Erfahrungen. Achtsame und wertschätzende Haltung gegenüber anvertrauten Kindern und Jugendlichen als bedingungslose respektvollen Grundhaltung. Entfaltung einer professionsethischen Reflexionskompetenz und Entwicklung einer Ethik pädagogischer Institutionen Organisationsethik als Basis der Praxisrelevanz pädagogischer Haltungen 19
Wie es weiter gehen kann: Perspektiven einer Institutionen- und Professionsperspektive 20
Perspektiven Kein vorauseilendes Misstrauen bestimmten Personengruppen gegenüber! Keine generelle Verdachtskultur! Keine angeordnete Distanz als Pseudosicherheit! Keine generalisierende Sexualisierung pädagogischer Beziehungen! 21
Perspektiven Statt dessen Überprüfen und Ermöglichen von Bedingungen, Ansätzen und Bestandteilen einer pädagogischen Professionalität in Bezug auf Umgang mit sexualisierter Gewalt! Systematische Bezugnahme des Professionalisierungsdiskurses auf sexualisierte Gewalt! Generalisierende Expertise einer pädagogischen Professionalität statt spezialisierende Kompetenzzuschreibung! 22
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 23