1 Notwendigkeit von kommunalen Gebietsreformen in der Schweiz 13. November 2007 Gemeindeforum 2007 des Kantons Zürich Dr. Reto Steiner Kompetenzzentrum für Public Management Universität Bern
2 Als was sich Schweizer primär verstehen Quelle: GfS 2006
3 Gliederung des Referats 1. Zustand der Schweizer Gemeinden 2. Mögliche Reformstrategien mit Fokus auf IKZ und Fusionen 3. Festgestellte Auswirkungen 4. Mögliche Ansatzpunkte zum Handeln 5. Was gilt es zu prüfen? Am Beispiel der Fusion 6. Schlussfolgerungen
4 1. Zustand der Schweizer Gemeinde 2 721 Gemeinden in 26 Kantonen. Median: 985 Einwohner. Mittelwert: 2 709 Einwohner. Personalbestand: 200% allg. Verwaltung, 300% Aussenstellen, 600% Bildung Kommunen unter zunehmendem Druck: Aufgaben sind vielfältiger und komplexer geworden Finanzielle Situation hat sich in den 1990er Jahren verschlechtert jetzt aber wieder klar besser Städte und kleinere Gemeinden haben unterschiedliche Probleme, müssen aber alle den Service public erbringen Bedeutung der Gemeindegrenzen hat in Gesellschaft abgenommen Bitte sofort -Mentalität: Wunsch nach hoher Bürgerorientierung
Veränderung des Gemeindebestandes 5
6 Gemeindegrösse im internationalen Vergleich 1950 2001 Veränderung Mittelwert Grösse Dänemark 1303 276 (99) -79% 19381 UK 2028 433-79% 137440 Belgien 2669 589-78% 17384 Deutschland 33932 13854-59% 5931 Niederlande 1015 537-47% 29542 Österreich 4065 2359-42% 3437 Norwegen 744 435-42% 10295 Schweiz 3097 2867-7% 2488 Frankreich 37997 36565-4% 1615 Italien 7802 8100 +4% 7141
7 Behördenmitglieder in den Gemeinden Schweiz 05 Schweiz 98 Anzahl Personen 36.0 43.7 Personen pro 1000 Einwohner 40 42
8 Verschuldungsquote der staatlichen Ebenen Verschuldungsquote 35 30 25 20 15 10 5 0 Bund Kantone Gemeinden 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 Jahr
9 45.0% Nettoschulden 40.0% 38.6% 35.0% 30.0% 25.0% 20.0% 25.3% 21.9% 15.0% 10.0% 8.7% 5.0% 4.0% 0.0% Stark zugenommen Zugenommen Gleich geblieben Abgenommen Stark abgenommen 1.2% Weiss nicht 0.1% Keine Antwort
10 Leistungsgrenzen (2005) LG überschritten LG in Sicht weiss nicht LG erreicht keine LG sichtbar nicht beantwortet Häufigkeiten 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Neue Armut/Fürsorge/Vormundschaft Unterstützung/Betreuung von Arbeitslosen Gemeindeexekutive Betreuung von Asylsuchenden Zivilschutz Abfall/Entsorgung Gemeindepolizeiliche Aufgaben öffentlicher Verkehr Feuerwehr Gemeindeverwaltung Informatik Schulfragen Gemeindeverwaltung Kanzlei Raum- und Zonenplanung Abwasser/Kanalisation Bewilligung von Baugesuchen öffentliche Bauten
11 2. Mögliche Reformstrategien Reformen innerhalb der Gemeinden: Management Reformen (Effizienz und Effektivität) und Politische Reformen (Input Legitimation) Reformen zwischen den Gemeinden/Staatsebenen: Territoriale und funktionale Reformen
12 In der Schweiz umgesetzte Reformen 2005 Territoriale und funktionale Reformen: Zunahme der IKZ 71.9% Fusionsgespräche 38.7% Managementreformen: Einführung von New Public Management 7.4% Reformen der Input-Legitimation: Kleinere Exekutiven 19.3% Ausweitung der Initiativen und Referenden 13.5% Aufgabenteilung und Reorganisation der Finanzausgleichsysteme in Mehrzahl der Kantone
13 IKZ nach Aufgabengebiet Gemeindeverwaltung: Informatik Gemeindepolizeiliche Aufgaben Sport/Sportanlagen Länger als 5 Jahre Bis 5 Jahre Betreuung von Asylsuchenden Wirtschaftsförderung Jugendfragen Unterstützung und Betreuung von Arbeitslosen öffentlicher Verkehr Energieversorung Wasserversorung Neue Armut/Fürsorge/Vormundschaft Unterstützung und Betreuung älterer Personen Abgall/Entsorgung Abwasser/Kanalisation Feuerwehr Schulfragen medizinische Versorgung (Spitex/Hauspflege) N= 2156 Zivilschutz 0.0% 10.0% 20.0% 30.0% 40.0% 50.0% 60.0% 70.0% 80.0% 90.0% 100.0%
14 Formen der IKZ Sitzgemeindemodell Gemeinde A Gemeinde B Gemeinde C Aufgabe Gemeinsame Aufgabenerfüllung im engeren Sinn Gemeinde A Gemeinde B Gemeinde C Aufgabe
15 Formen der IKZ (2) Zusammenschluss in juristischer Person Gemeinde A Gemeinde B Gemeinde C Besonderer Aufgabenträger Aufgabe
16 Beispiel Regionalkonferenz Urabstimmung; Referendum + Initiative Regionalkonferenz GL Geschäfts -stelle abgestufte Stimmkraft Kommission Verkehr & Siedlung Kommission für Kultur Kommission... gebundenes Mandat durch Exekutive Gemeinde A Gemeinde B Gemeinde C
17 Fusionsdiskussionen nach Gemeindegrösse 70.00 60.00 50.00 in % 40.00 30.00 20.00 10.00 0.00-499 500-999 1000-1999 2000-4999 5000-9999 10000-19999 20000-49999 50000-99999 100000-2005 1998
18 Verbreitung in Europa N A D CH 1950 1960 1970 1980 1990 2000 S B SF DK GB
19 3. Festgestellte Auswirkungen Zusammenhang zwischen IKZ und Fusionen Intensität der IKZ F CH SF D A N S DK GB Intensität der Gebietsreformen
20 Verbesserung der finanziellen Situation: IKZ K GZ K Verbesserung des Dienstleistungsangebots: IKZ J GZ J Erhöhung der Standortattraktivität: IKZ J GZ J Politische Integration der Anspruchsgruppen: IKZ K GZ L Kommunale Autonomie: IKZ K GZ J
21 Organisationale Anpassungsfähigkeit: IKZ K GZ JK Führbarkeit und Begrenzung des Koordinationsaufwandes: IKZ K GZ J Motivation der Mitarbeitenden: IKZ JK GZ JKL
22 Was unterscheidet kooperative Regionen von weniger kooperativen Regionen? Die intensiv kooperierenden Gemeinden handeln aus einer Position der Stärke (proaktiv). Intensiv kooperierende Gemeinden sind geografisch gut erreichbar und zentral gelegen. Das soziale Band zwischen den Einwohnern ist intensiv. Die Exekutiven übernehmen eine Vorreiterrolle. Es ist die Bereitschaft da, aussergewöhnliche Zusammenarbeitsformen zu prüfen. Verschiedene Projekte sind am Laufen.
23 4. Mögliche Ansatzpunkte zum Handeln Phase der Problemerkennung und -initiierung Eine Kommune benötigt regelmässige Informationen über ihre Leistungsfähigkeit. Die Initiierung eines Reformprojekts ist immer ein Führungsentscheid.
24 Phase der Entscheidfindung Das Suchen nach Lösungsmöglichkeiten ist ein kreativer Prozess. Bei der Bewertung der Lösungsmöglichkeiten ist ein differenziertes, sachlich abgestütztes Vorgehen zu wählen
25 Phase der Umsetzung Die Umsetzung von IKZ erfordert ein umsichtiges Projektmanagement. Ein umsichtiges Management des Wandels muss immer abgestimmt den Strategie-, den Struktur- und den Kulturwandel berücksichtigen.
26 Wie übergeordnete Staatsebenen den Prozess fördern können Annahmen über Projektergebnisse sollten realistisch sein. Übergeordnete Staatsebenen haben Recht darauf, den Kommunen Minimalstandards vorzugeben. Übergeordnete Staatsebenen sollen von Kommunen Transparenz fordern. Anreize sollten finanzieller wie auch nicht-finanzieller Art sein. Aufgabenbezogene Zusammenarbeit statt generelle Zusammenschlüsse sind sinnvoller. Zwangsmittel sollten nur ultima ratio sein.
27 5. Was gilt es zu untersuchen? Am Beispiel der Fusion Kick-off Aspekte Phasen des Prozesses: Vorabklärungen, Fusionsanalyse, Fusionsvorbereitung, Umsetzung Welchen Perimeter wählen wir? Kriterien: geografische Lage, wirtschaftliche und soziale Verflechtungen, gemeinsame zu lösende Aufgaben (Probleme), gemeinsame Entwicklungsperspektiven, bestehende Zusammenarbeitsformen, historisch gewachsene Strukturen, gemeinsame Sprache/Konfession
28 Kick-off Aspekte (2) Wie sieht die Projektorganisation aus? (Rolle des Personals, Absichtserklärungen) Welches ist die Rolle der Berater? Wie kommunizieren wir? Wann soll die Bevölkerung wie einbezogen werden? (Befragungen, offene Konferenzen, Eintextverfahren)
29 Elemente einer Machbarkeitsstudie Auswirkungen auf die Organisation, das Personal und die Leistungen Auswirkungen auf die Finanz- und Vermögenssituation Auswirkungen auf die politischen Behörden Auswirkungen auf strategische Politikfelder Auswirkungen auf weiche Vor- und Nachteile Weitere Einflussfaktoren (z. B. Bürgergemeinden, Kantonswechsel)
Beispiel für politische Profile 30
6. Schlussfolgerungen Die Kommunen stehen unter Druck, sie sind aber eine wichtige Organisationsform (Vorteile der Dezentralisation!) für einen effektiven und effizienten Service public Kommunen führen eine Vielzahl Reformen durch. Die verstärkte Zusammenarbeit in der Region und Fusionen sind wichtige Instrumente, um in Zukunft Herausforderungen meistern zu können. Fusionen haben i. d. R. positive Auswirkungen. Es gilt aber immer den Einzelfall zu prüfen. Der Wandel muss aktiv gestaltet werden. Bei Reformen darf Grundidee nie aus den Augen verloren werden: Eine Gemeinde, welche das Wohl der Bevölkerung im Auge behält und beschränkte Ressourcen effektiv und effizient einsetzt. 31
32 Literaturhinweise Gesellschaft für Sozialforschung (2006): Schweizer Identität. Spezialteil Sorgenbarometer 2006. Bern 2006 Steiner, Reto/Ladner, Andreas (2007): Reformen in Gemeinden und Kantonen. Bern, Stuttgart, Wien 2007 (im Erscheinen) Steiner, Reto/Ladner, Andreas (2006): Die Schweizer Gemeinden im Fokus Ergebnisse der Gemeindebefragung 2005, in: Glatthard, Alexander / Isch, Ulrich (Hrsg.), Perspektiven für Gemeindefinanzen. Bern 2006, S. 8-34 Steiner, Reto (2004): Ursachen, Umsetzung und Erfolg von Gemeindefusionen in der Schweiz, in: Huber, Andreas / Jansen Stephan A. / Plamper Harald (Hrsg.), Public Merger. Strategien für Fusionen im öffentlichen Sektor, Wiesbaden 2004, S. 339-362 Steiner, Reto (2002): Interkommunale Zusammenarbeit und Gemeindezusammenschlüsse in der Schweiz. Bern, Stuttgart, Wien 2002