MED FORUM FLUORCHINOLONE - NEBENWIRKUNGEN UND ALTERNATIVEN ERNÄHRUNG BEI DEMENZ MCDONALDISIERUNG DER MEDIZIN

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FORUM FACHINFORMATION DER SALZBURGER GEBIETSKRANKENKASSE MED FLUORCHINOLONE - NEBENWIRKUNGEN UND ALTERNATIVEN ERNÄHRUNG BEI DEMENZ MCDONALDISIERUNG DER MEDIZIN

2 Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse INHALT EDITORIAL Mensch/Maschine Maschine/Mensch: vom disruptiven Wandel > ÄRZTLICHE VERSORGUNG IN SALZBURG 3 > FLUORCHINOLONE 4 Im Bereich der Arbeitsunfähigkeit gilt laut Wissenschaft die bei uns gelebte Praxis bereits als Auslaufmodell, nicht der Sick Note (Arbeitsunfähigkeits-Bestätigung), sondern der Fit Note (Beurteilung des Grades der Arbeitsfähigkeit = Teilkrankenstand) gehört die Zukunft. Die spezialisierte Rheumatherapie z.b. zeigt, dass es zu einer Reduktion der Krankenstandstage und operativen Folgekosten sowie einem Anstieg des Pensionsalters kommt, diese also trotz immenser DR. PETER GRÜNER CHEFARZT DER SALZBURGER GEBIETSKRANKENKASSE Kosten Effizienz beweist. Auch ein Ausbau der flankierenden Maßnahmen ist für die Zukunft Österreichs wichtig: Nach 6 Monaten Krankenstand gelingt die berufliche Reintegration noch zu 50 Prozent, nach einem Jahr sinkt sie auf 20 Prozent ab. > DIE MCDONALDISIERUNG DER MEDIZIN 7 > ERNÄHRUNG BEI DEMENZ 9 Entsetzt bin ich von deutschen Bestrebungen nach situativ arzt- oder patientenfreien Behandlungszentren, in denen der Einsatz von Robotik in der Telemedizin Kosten sparen soll. Das Tempo des Wandels fokussiert nur noch auf Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit und Kontrolle. Ähnlich dem Super Size Me-Prinzip wird versucht, sinkende Qualität durch steigende Quantität auszugleichen. Schon jetzt verbringen Spitalsärzte im Schnitt dreimal mehr Zeit am Computer als beim Patienten. Auch ein Trend zur Selbstoptimierung durch Selbstmessung (Fitnessarmbänder, Bluetooth-Körper waagen, etc.) ist evident, ob die Motivation dafür ein gesteigertes Gesundheitsbedürfnis oder die Begeisterung für eine von Zahlen und Fakten geprägte Welt ist, muss individuell beurteilt werden. Es werden auch immer häufiger Nachrichten präsentiert, die sich als unwahr herausstellen ein Medienphänomen, das stumm hingenommen wird würde in der Medizin eine so mangelhafte Qualitätssicherung praktiziert, würde man uns zu Recht an den Pranger stellen. Fortschritt ist gut und wichtig, Altbewährtes nur aus Prinzip zu bewahren, kommt einem Totstell reflex gleich. > NEBENWIRKUNGEN EINER NEUEN THERAPIEOPTION 13 Rubriken, Service > Beweg dich 16 Innovation als Hoffnungsträger findet sich auch in der personalisierten Medizin wieder. Die rasante Weiterentwicklung der Labordiagnostik führt zu einem wesentlich breiteren Zugang zu genetischen Befunden und einem molekular zielgerichteten Einsatz vor allem onkologischer Medikamente mit dem Nutzen, auch jenseits etablierter Indikationen Erfolge exakter planen zu können. Datenbanksysteme in bisher unvorstellbarer Größe und Komplexität machen dies möglich. Fortschritt ist gut und wichtig, Altbewährtes nur aus Prinzip zu bewahren, kommt einem Totstellreflex gleich. Den Wandel der Zeit aufzuhalten, wäre unklug, ihn unter rationalen und ethischen Aspekten mitzugestalten das Gebot der Stunde, in diesem Licht sehe ich auch die rezenten legislativen Veränderungen. Impressum Eigentümer, Herausgeber und f.d.i.v.: Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK), Engelbert-Weiß-Weg 10, 5020 Salzburg, www.sgkk.at/impressum; Redaktion: Chefarzt Dr. Peter Grüner, Dr. Bernhard Graf, Dr. Renato G. Kasseroller, Dr. Markus Kletter, Dr. Hubert Schnattinger, Mag. Karin Hofer, redaktion@sgkk.at; Bilder: SGKK, Fotolia, Shutterstock; Gestaltung und Design: die fliegenden fische Werbeagentur; Nr. 6/2017 Ihr Dr. Peter Grüner

Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse 3 Leistungspaket vereinbart ÄRZTLICHE VERSORGUNG IN SALZBURG DR. WALTER ARNBERGER, ÄKS-VIZEPRÄSIDENT Mit dem neuen Maßnahmen paket ist es gelungen, die Struktur der ärztlichen Ver sorgung im Bundesland weiterzuent wickeln. Dadurch werden sich die Arbeitsbedingungen für unsere niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen verbessern. Die Salzburger Gebietskrankenkasse und die Ärztekammer haben für die nächsten zwei Jahre ein Verbesserungspaket für die niedergelassene ärztliche Versorgung vereinbart. Eckpfeiler sind innovative Zusammenarbeitsformen wie die Gruppen- oder Übergabepraxis sowie Leistungsverbesserungen bei Haus- und Kinderärzten. Hauptziel ist es, den Beruf des niedergelassenen Arztes für Jungmediziner und -medizinerinnen wieder attraktiver zu machen, damit auch in Zukunft Patienten und Patientinnen wohnortnah betreut werden können. Viele Jungärzte wünschen sich neue Arbeitsformen und -zeiten, Jobsharing und saisonale Zusammenarbeitsmöglichkeiten ANDREAS HUSS, SGKK-OBMANN Teilgruppen- und Gruppenpraxen sind Beispiele für solche Modelle. In Salzburg gibt es bereits 13 Kassen-Gruppenpraxen, 8 davon im Bereich Allgemein medizin. Die Ärzte kammer und die SGKK vereinbarten zahlreiche Vereinfachungen und Verbesserungen, um die Gründung von Gruppenpraxen zu unterstützen. (1) Wir stocken mit dem gemeinsam vereinbarten Leistungspaket die finanziellen Ressourcen für ärztliche Leistungen um rund 6 Prozent auf. Schwerpunktmäßig bauen wir vor allem bei Allgemeinmedizinern und Kinderärzten aus. Jobsharing und Praxismodelle für Tourismus-Regionen Neu geschaffen wurde eine Art saisonale Jobsharing-Praxis für touristische Gebiete. Ärzte, beispielsweise in Wintersportgebieten, können saisonal einen Arzt als Vertretung in die Praxis aufnehmen. Die saisonale Jobsharing-Praxis ist ein österreichweit einmaliges Modell die ersten 3 werden bereits diesen Winter geführt in Flachau, Altenmarkt und Leogang. Erfolge bei Nachbesetzungen Im Jahr 2016 wurden 27 Kassenarzt- Stellen nachbesetzt (15 im Bereich Allgemeinmedizin sowie 12 Facharztstellen). Derzeit sind nur noch 3 Hausarztstellen unbesetzt, in Mangelfächern wie der Kinder- und Jugend-Psychiatrie oder physikalischen Medizin ist es aber schwierig, Ärzte zu finden. Die gemeinsame Strategie von SGKK und Ärztekammer ist es, mit vielen kleinen Maßnahmen die Arbeitsbedingungen von Ärzten und Ärztinnen zu verbessern, erste Erfolge stellen sich bereits ein. < (1) siehe Beilage Neuerungen in den Ärzte- und Gruppenpraxisgesamtverträgen

4 Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse FDA-Warnung ZUR ANWENDUNG VON FLUORCHINOLONEN Im Juli 2016 hat die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) Warnhinweise für systemisch (oral oder per Injektion) verabreichte Fluorchinolone aktualisiert, da diese zu schwerwiegenden Nebenwirkungen mit potenziell bleibenden Schäden führen können. Die FDA appelliert eindringlich an Patienten und Patientinnen sowie Gesundheitspersonal, Nebenwirkungen unmittelbar den zuständigen Stellen zu melden. Zudem ordnete sie an, die Arzneimittel-Beipackzettel mit entsprechenden Warnhinweisen ( black box warning ) zu aktualisieren. Nach Empfehlung der FDA sollen Ärzte und Ärztinnen Fluorchinolone bei Patienten und Patientinnen mit akuter bakterieller Sinusitis, akuter bakterieller Exazerbation einer chronischen Bronchitis oder unkomplizierten Harnwegsinfektionen nur dann verschreiben, wenn keine anderen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, da in diesen Indikationen das Risiko schwerer Nebenwirkungen den Nutzen von Fluorchinolonen übersteigt. HO R N Fluorchinolone sind demnach bei banalen Infektionen nur als Reservetherapeutika vertretbar. (1) Zu dieser Empfehlung kommt die FDA nach einer Prüfung von placebokontrollierten Studien bei den genannten Indikationen. Diese haben bestätigt, dass es unter der Therapie mit den Wirkstoffen zu schwerwiegenden und möglicherweise dauerhaften Nebenwirkungen am Bewegungsapparat sowie am peripheren und zentralen Nervensystem kommen kann. Hierzu zählen Sehnenentzündung und -ruptur, periphere Neuropathie, Psychose, Depression, Halluzinationen, Suizidgedanken und Verwirrtheit. Weitere potentielle Nebenwirkungen sind u.a. die Exazerbation einer Myasthenia gravis, QT-Verlängerung (v.a. in Kombination mit R O O R R F anderen QT-verlängernden Substanzen wie Amiodaron, Sotalol, Clarithromycin, Erythromycin, etc.), anaphylaktische Reaktionen, Störungen des Blutzuckerspiegels sowie Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö. Es ist auch möglich, dass mehrere Nebenwirkungen gleichzeitig bei einem Patienten auftreten. Mit unerwünschten Wirkungen ist bei 4-10 Prozent der Behandelten zu rechnen. Haupt sächlich beschreiben betroffene Patienten und Patientinnen neben Übelkeit und Diarrhö dauerhafte Schmerzen, Kribbeln und Taubheitsgefühle in den Beinen, Sehnenentzündungen sowie Verwirrtheit und Halluzinationen. Diese können nach Angaben der FDA Stunden bis Wochen nach der Gabe von Fluorchinolonen auftreten und mitunter irreversibel bestehen bleiben. Auch nach nur kurzfristiger Einnahme kann die Festigkeit der Sehnen leiden. Die Gefahr von unerwünschten Wirkungen nach dem Einsatz von Fluorchinolonen ist nicht neu. Bereits 2008 erkannte man das erhöhte Risiko von Sehnenentzündungen und Sehnenrupturen. 2011 wies die FDA darauf hin, dass Fluorchinolone die Symptome bei Myasthenia gravis verschlechtern können. 2012 zeigte eine Fall-Kontroll- Studie aus Kanada, dass die Anwendung von Fluorchinolonen das Risiko einer Ablatio

Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse 5 FDA nennt Alternativen Im Fachjournal JAMA listet die FDA Antibiotika auf, die bei akuter Sinusitis, akuter Exazerbation einer chronischen Bronchitis oder unkomplizierter Harnwegsinfektion gegeben werden sollten. (3) Akute Sinusitis retinae erhöhe. Dieses Risiko konnte 2013 von einer dänischen Folge-Studie jedoch nicht verifiziert werden. Seit August 2013 wird auf das potenziell erhöhte Risiko irreversibler peripherer Neuropathien nach der Gabe von Fluorchinolonen hingewiesen. In einer Übersicht geht der Toxikologe Ralf Stahlmann vom Institut für Klinische Pharmakologie der Charité in Berlin der Frage nach, wie alarmierend die neuesten epidemiologischen Daten sind und ob die Häufung von Netzhautablösungen oder Aortenveränderungen auch zufallsbedingt sein könnten. (2) Das erhöhte Risiko für Tendopathien und Sehnenrupturen wird dadurch erklärt, dass alle Chinolone Magnesium in Chelatkomplexen binden, sodass es zu einem temporären Mangel an diesem Mineralstoff kommt. In gut durchbluteten Geweben kann dieser offenbar rasch wieder ausgeglichen werden, nicht jedoch im nicht vaskularisierten Gewebe im Bereich der Sehnen. Dort führt der Magnesiummangel zu einer Störung der Integrin-Funktionen (Adhäsionsmoleküle). Ihre Funktion und die ihrer Rezeptoren sind von Kationen wie Magnesium abhängig. Für Einzelfallberichte über eine Assoziation mit Netzhautablösungen, Aorten-Aneurysma oder einer Aortendissektion konnte bisher kein Kausalzusammenhang bewiesen werden. Fluorchinolone besitzen ein sehr breites Wirkspektrum, ausgezeichnete Bioverfügbarkeit, exzellente Gewebepenetration und eine hohe Aktivität, sodass sie bei fast allen bakteriellen Infektionen eingesetzt werden können. Die früher auch als Gyrasehemmer bezeichneten Wirkstoffe binden in der Bakterienzelle an den Komplex des Enzyms Gyrase und DNA und unterbinden so das DNA-Supercoiling (Verdrillung) während deren Vermehrungszyklus. Neuere Fluorchinolone wirken zudem über Topoisomerasen. Die Bakterien sind deshalb nicht mehr in der Lage, sich zu vermehren und die DNA-Strangbrüche haben wahrscheinlich eine direkt bakterizide Wirkung. Die meisten akuten Sinusitiden bei Erwachsenen sind viraler Genese und können mit Kochsalzspülungen, Analgetika und nasalen Corticosteroiden behandelt werden. Im Falle einer bakteriellen Genese sind zumeist Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae oder Moraxella catarrhalis verantwortlich. Diese sprechen auf eine Therapie mit Amoxicillin bzw. Amoxicillin/Clavulansäure an. Für erwachsene Patienten und Patientinnen mit Penicillin- Allergie wird Doxycyclin empfohlen, wobei hier steigende Resistenzraten insbesondere bei S. pneumoniae zu beobachten sind. Insofern kommen dann doch die Fluorchinolone Levofloxacin und Moxifloxacin bei Penicillin-Allergikern infrage. Eine Monotherapie mit einem Makrolid oder Cotrimoxazol (Trimethoprim/ Sulfamethoxazol) ist dagegen aufgrund steigender Resistenzen bei Pneumokokken nicht empfehlenswert. Akute Bronchitis Akute Exazerbationen einer chronischen Bronchitis sind

6 Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse ebenfalls zumeist viraler Genese. Im Falle einer bakteriellen Ursache sind auch die Erreger der akuten Sinusitis verantwortlich, sodass die oben genannten Strategien zu empfehlen sind. Bei Patienten und Patientinnen mit schwerer COPD kommt als Erreger zusätzlich Pseudomonas aeruginosa in Betracht. Dann sollte eine intravenöse Therapie mit z.b. Cefepim oder Piperacillin/Tazobactam erwogen werden. Unkomplizierte Harnwegsinfekte Hauptverursacher unkomplizierter Harnwegsinfekte ist Escherichia coli. Für die übrigen Fälle werden Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae, Proteus spp. oder andere Enterobakterien verantwortlich gemacht. Bei nicht schwangeren Frauen ist Cotrimoxazol laut FDA das Mittel der Wahl, allerdings nur, solange die lokale Resistenzrate gegen diese Wirkstoffkombi unter 20 Prozent liegt. Nitrofurantoin und eine Einzeldosis Fosfomycin (Monuril ) sind Alternativen der ersten Wahl. Als Zweitlinie werden Amoxicillin/Clavulansäure, Cefpodoxim oder Ceftibuten genannt. In der Schwangerschaft kommen Nitrofurantoin (nicht jedoch im dritten Trimenon), Amoxicillin oder Cephalosporine infrage. In Salzburg wird aufgrund der Resistenzlage für diese Indikation als 1. Wahl (auch in der Schwangerschaft) Pivmecillinam (Selexid ) in der Dosierung von 2 x 400 mg über 3 Tage empfohlen. Die aktuelle Warnung der FDA bezieht sich auf die in den USA aktuell angewendeten systemischen Fluorchinolone Ciprofloxacin, Moxifloxacin, Gemifloxacin, Levofloxacin und Ofloxacin. In Österreich sind aktuell folgende Fluorchinolone im Handel: Ofloxacin (Generika), Ciprofloxacin (Ciproxin, Generika), Norfloxacin (Floxacin ), Levofloxacin (Tavanic, Generika), Moxifloxacin (Avelox, Generika) und Prulifloxacin (Unidrox ). Insgesamt wurden 2015 in Salzburg auf Kosten der SGKK 194.809 Antibiotika- Verord nungen im Wert von 2,4 Millionen Euro ausge - stellt. Führend dabei ist die Gruppe der Betalactam-Antibiotika/Penicilline (J01C) mit 76.310 Verordnungen, danach folgen Makrolide (J01F) mit 52.297 Verordnungen und Chinolone mit 22.696 Verordnungen. Zusammenfassung Fluorchinolone sind potente Antibiotika mit potenziell anhaltenden Nebenwirkungen. Wie bei jeder Therapieentscheidung sind auch für Antibiotika die richtige In dikationsstellung, Präparate aus - wahl und Beachtung von Kontraindikationen wesentliche Literatur: Aspekte der ärztlichen Kunst. Sollte es trotz richtiger Indikation zu einer relevanten Nebenwirkung kommen, liegt dies in der Natur unserer Wissenschaft. Um das Wissen um potenzielle Nebenwirkungen zu verbessern und das Risiko für künftige Patienten und Patientinnen laufend zu vermindern, sind Mitteilungen an die Gesundheitsbehörden (Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen / www. basg.gv.at) im Sinne der Pharmakovigilanz von eminenter Bedeutung. < Dr. Bernhard Graf (1) www.fda.gov/drugs/drugsafety/informationbydrugclass/ucm500325.htm (2) www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2015/daz-49-2015/ toxische-wirkungen-der-fluorchinolone (3) www.jama. 2016;316(13):1404-1405. doi:10.1001/jama.2016.8383 bzw. www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=65470 FDA Drug Safety Communication: FDA advises restricting fluoroquinolone antibiotic use for certain uncomplicated infections; warns about disabling side effects that can occur together. Available at: www.fda.gov. Accessed May 26, 2016. / AM Harris et al. Appropriate antibiotic use for acute respiratory tract infection in adults: advice for high-value care from the American College of Physicians and the Centers for Disease Control and Prevention. Ann Intern Med 2016; 164:425. / AW Chow et al. IDSA clinical practice guideline for acute bacterial rhinosinusitis in children and adults. Clin Infect Dis 2012; 54:e72. / RM Rosenfeld et al. Clinical practice guideline (update): adult sinusitis executive summary. Otolaryngol Head Neck Surg 2015; 152:598. / Drugs for bacterial infections. Treat Guidel Med Lett 2013; 11:65. / K Gupta et al. International clinical practice guidelines for the treatment of acute uncomplicated cystitis and pyelonephritis in women: A 2010 update by the Infectious Diseases Society of America and the European Society for Microbiology and Infectious Diseases. Clin Infect Dis 2011; 52:e103. / Drugs for urinary tract infections. Med Let Drugs Ther 2012; 54:57. / TM Hooton. Clinical practice. Uncomplicated urinary tract infection. N Engl J Med 2012; 366:1028.

Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse 7 DIE MCDONALDISIERUNG DER MEDIZIN Berechenbarkeit McDonaldisierung ist ein durch den US-amerikanischen Soziologen George Ritzer in seinem Buch The McDonaldization of Society (Die McDonaldisierung der Gesellschaft) geprägter Begriff, der den Prozess einer gesellschaftlichen Veränderung von traditionellen Denkmodellen in Richtung eines zunehmend wissenschaftlich strukturierten Managements beschreibt. Wie im Buch dargelegt, beginnen die Grundsätze der Fastfoodkette immer mehr Sektoren der amerikanischen Gesellschaft zu beherrschen, so auch die Medizin. Die von Ritzer charakterisierten 4 Hauptaspekte der McDonaldisierung Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit und Kontrolle sollen zwar ein rationales System schaffen, bringen aber häufig Nachteile mit sich. Ohne entsprechende Gegenmaßnahmen werden die am meisten geschätzten und prägenden Werte der Medizin, einschließlich der individuellen Betreuung und vertrauensvollen Beziehung zwischen Arzt und Patient, bedroht. Effizienz Die erste Dimension der McDonaldisierung beschreibt die Effizienz oder die optimale Methode, um eine Aufgabe zu lösen. Zwar ist Effizienz grundsätzlich eine gute Sache, aber das Streben nach immer größerer Effizienz führt mitunter zu irrationalen Entwicklungen. Ein Beispiel: der Drive-Through-Schalter eines Fastfood-Restaurants ist zwar grundsätzlich effizient, seine Beliebtheit führt aber häufig zu langen Schlangen, gestresste Angestellte machen Fehler. In vergleichbarer Weise setzen mcdonaldisierte Kliniken häufig weniger kostspielige und qualifizierte Ärzte ein, um die Behandlungszeit der Patienten und Patientinnen zu verkürzen. Zusätzlich kommen Rationalisierungsbestrebungen hinzu. Für den Patienten bedeutet dies möglicherweise, dass sich der Arztbesuch ineffizient gestaltet. Die reine Dauer seines Aufenthalts nimmt zu, während die Behandlungszeit durch den Arzt (und seine Rolle als mitfühlender Kliniker) abnimmt. Die Berechenbarkeit oder der Fokus auf Quantität anstelle von Qualität hat sich in der Medizin zunehmend verbreitet. Ähnlich wie in Fastfood-Restaurants ist Quantität meist ein schlechter Ersatz für die tatsächlich gebotene Qualität. Viele medizinische Fakultäten stellen beispielsweise freiwillig Daten für ein Ranking hinsichtlich ihrer Aufnahmezahlen und der durchschnittlichen Ergebnisse der Aufnahmeprüfung zur Verfügung, obwohl die erstgenannten verfälscht werden können und letztgenannte wenig Vorhersagewert haben. Gleichermaßen gibt es zur Evaluierung von Ärzten und Krankenhäusern zwar mehr Messgrößen, diese besitzen jedoch auch nur eine begrenzte Aussagekraft. Selbst Qualitätsmessungen, wie etwa zur Dauer eines Klinikaufenthaltes, verwechseln Quantität mit Qualität. Patienten und Patientinnen sind direkt von dieser Berechenbarkeit betroffen, da die Aufenthaltsdauer und erhaltene Behandlung zunehmend von den Kosten und der Rendite für das System abhängen. Wie Fastfood-Restaurants, die sich in einem Konkurrenzkampf um Gäste befinden, liefern sich auch die Versicherer einen Wettbewerb um die Anzahl der versicherten Leben. Vorhersehbarkeit Mit Vorhersehbarkeit beschreibt man die Gewährleistung, dass angebotene Produkte und Dienstleistungen unabhängig von Ort oder Zeit identisch sind. Das Streben nach Vorhersehbarkeit führt aber zu einer irrationalen Homogenisierung der medizinischen Behandlung. So sind klinische Richtlinien zwar sinnvoll, vergrößern aber den Druck auf Ärzte und Ärztinnen, alle Patienten und Patientinnen nach demselben Schema zu behandeln, wie die jüngste Kontroverse

8 Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse um das Brustkrebs-Screening gut zeigt. Dieser Ansatz stellt eine Antithese zur patientenorientierten Behandlung dar, die auf Präferenzen, Bedürfnisse und Werte des einzelnen Patienten eingeht. Vorhersehbarkeit kann auch zur Beeinträchtigung der Qualität führen. Viele Fastfood-Restaurants vermeiden beispielsweise den Einsatz frischer Kartoffeln zur Herstellung von Pommes frites, da vorgefertigte und tiefgekühlte Ware eher eine standardisierte Einheitsgröße garantiert. Vergleichbare Abwägungen in der Medizin zur Erzielung einer größeren Einheitlichkeit können nur in einer schlechteren medizinischen Behandlung resultieren. So können z.b. schablonenhafte Krankengeschichten, die übertriebene Nutzung von Checklisten oder die einheitliche Länge der Patientenbesuche zu einer gleichförmigen Behandlung führen, die nicht auf die individuellen Bedürfnisse eingeht. Kontrolle Die letzte Dimension der McDonaldisierung ist die Kontrolle von Menschen durch nichtmenschliche Technologien, die in zunehmendem Maße auch für Ärzte und Patienten gilt. In Fastfood- Restaurants sind es Maschinen und nicht Angestellte, die den Kochvorgang überwachen. Auch in der Medizin verbringen die Krankenhausärzte mittlerweile wesentlich mehr Zeit an ihren Computern (40 Prozent) als mit ihren Patienten und Patientinnen (12 Prozent). Die Fakturierungscodes und -richtlinien, die die Länge und den Inhalt der Visiten spezifizieren, legen die Art der zu erhaltenden Behandlung fest, beeinflussen die Ärzte, führen zu unnötigen Verfahren und können sich negativ auf die Gesundheit der Patienten und Patientinnen auswirken. Die elektronische Krankenakte kontrolliert die Interaktionen zwischen Arzt und Patient, es wird vorgegeben, welche Fragen zu stellen und welche Aufgaben durchzuführen sind, sodass das Urteil des Arztes durch das des Computers ersetzt wird. Folglich kümmern sich Ärzte und Ärztinnen zunehmend um das Erfüllen der Kriterien einer sinnvollen Nutzung und die elektronischen Krankenakten, was die Betreuung der Patienten beeinträchtigt, zu einer geringeren beruflichen Zufriedenheit führt und häufig ineffizient ist. Diese nichtmenschlichen Technologien können Fastfoodangestellte bzw. Ärzte zu Robotern und Kunden bzw. Patienten zu Automaten degradieren. Trotz vieler irrationaler Aspekte sind die Konzepte der Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit und Kontrolle dennoch sinnvoll. So verbessert z.b. die standardisierte Platzierung von Zentralvenenkathetern den Gesundheitszustand durch einen Rückgang der katheterbedingten Blutbahninfektionen. Wie Fastfood-Restaurants sollte Medizin nicht ineffizient (Suche nach Patientenakten), nicht unberechenbar (keine Messung von Ergebnissen), nicht unvorhersehbar (Operationen am offenen Herzen ohne Protokolle) und unkontrolliert (kein medizinischer Ethikkodex) sein. Das Problem liegt vielmehr in der übermäßigen Abhängigkeit von diesen Grundsätzen. Eine unkontrollierte McDonaldisierung führt zu unvernünftigen Systemen, welche die Menschlichkeit, die menschliche Vernunft der Personen, die darin arbeiten oder von ihnen bedient werden, leugnen. In der Medizin ersetzt die übermäßige Abhängigkeit von mcdonaldisierten Systemen Energie und Empathie durch Ermüdung und Trägheit und führt häufig zu einem Burnout von Krankenhausärzten und -ärztinnen. Für Patienten und Patientinnen bedeutet die McDonaldisierung in letzter Konsequenz die Entmenschlichung einer zutiefst menschlichen Beziehung. Es gibt durchaus Gegenmittel zur McDonaldisierung der Medizin. Kleine Arztpraxen ( micropractices ) bekämpfen das blinde Streben nach Effizienz, indem sie Kosten reduzieren und es den Patienten und Ärzten ermöglichen, wieder mehr Zeit miteinander zu verbringen. Die Berücksichtigung der Anregungen und Präferenzen von Patienten und Patientinnen kann zu einer positiven Veränderung der Rückerstattungsrichtlinien von der Kostenkalkulation hin zur Werterbringung für Patienten beitragen. Eine solche Entwicklung ist in zunehmendem Maße erforderlich, da die Anzahl der Patienten und Patientinnen mit chronischen neurologischen Störungen zunimmt. Die Reduzierung von Zuschüssen für die Pflege in Einrichtungen und der Ausbau von Schulungsmaßnahmen für Heimpflege sowie entsprechende Rückerstattungen können die übertriebene Homogenisierung der Pflege reduzieren, die infolge einer zu großen Fokussierung auf die Vorhersehbarkeit entsteht. < Dr. Peter Grüner Literatur: JAMA Neurology Januar 2016, Band 73, Nr. 1 Georg Ritzer, The McDonaldization of Society (1993)

Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse 9 Aus Klinischer Fortschritt 03/16 der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.v. INTERNATIONALE LEITLINIE ZUR ERNÄHRUNG BEI DEMENZ Demenz ist ein weltweit zunehmendes Krankheitsbild mit fortschreitendem kognitiven Abbau mit oft schwerwiegenden Folgen, die unausweichlich zum Verlust der Selbstständigkeit und zur Abhängigkeit von anderen Personen bis hin zur völligen Pflegebedürftigkeit führen. Unter den verschiedenen Ursachen für Demenz sind Morbus Alzheimer und zerebrovaskuläre Störungen die häufigsten Diagnosen. Obwohl man davon ausgeht, dass potenziell reversible Ursachen, wie etwa Hypothyreose oder ein Vitamin B 12-Mangel, für manche Formen der Demenz ( Pseudodemenz ) verantwortlich sind, ist eine vollständige Reversibilität nur bei etwa 1,5 Prozent der leichten bis mittelschweren Demenzen beschrieben. Gewichtsverlust als erstes Warnzeichen Appetitregulation und das Essverhalten von Bedeutung sind. So führt eine Atrophie des medialen temporalen Cortex zu einem verminderten BMI und lässt eine Verbindung zwischen dem limbischen System und niedrigem Körpergewicht bei Morbus Alzheimer vermuten. Nicht selten treten pathologische Veränderungen im olfaktorischen System und damit verbunden eine verminderte Nahrungsaufnahme zumeist Jahre vor der Entwicklung offensichtlicher kognitiver Defizite auf. Unter diesem Aspekt versucht man heute daher, mittels Riechtests frühe Hinweise auf eine demen - zielle Entwicklung zu finden. Während des Krankheitsverlaufes sind phasenabhängig verschiedene Faktoren für die Mangelernährung verantwortlich. Während in der Frühphase Probleme beim Einkaufen, Aufbewahren und der Zubereitung der Nahrung auftreten, vergessen Demenzpatienten und -patientinnen später einfach, ob sie bereits gegessen haben, oder es kann auch dazu kommen, dass Betroffene einfach nicht mehr wissen, was sie mit dem vorbereiteten Essen und Besteck anfangen sollen. Nicht zuletzt kann aber auch Hyperaktivität den Energiebedarf steigern (bis zu 4.000 kcal pro Tag!) und Sedativa die Lust zum Essen senken. Schlussendlich tritt, vor allem bei frontotemporaler Demenz und Morbus Alzheimer, in 13 57 Prozent der Fälle eine Dysphagie auf. Dafür sind in der oralen Phase der Dysphagie die Unfähigkeit, Essen zu erkennen, die oral-taktile Agnosie sowie die Ess- und Schluckapraxie verantwortlich. Die Dysphagie der pharyngealen Phase führt zur Aspiration, der häufigsten Todesursache bei Demenz. Zusätzlich zu diesen demenzspezifischen Ernährungsproblemen tragen auch Komorbiditäten (z.b. Altersanorexie, Zahn- und Kauprobleme, Depression) zur Malnutrition bei. Gewichtsverlust ist ein wesentliches klinisches Zeichen der Demenz oft schon vor der eigentlichen Diagnose beginnend mit Progression der Erkrankung regelmäßig zunehmend. Die Mechanismen, die dem Gewichtsverlust zugrunde liegen, sind komplex und multifaktoriell und werden derzeit nur zum Teil verstanden. Bei Morbus Alzheimer bestehen Hinweise, dass neurodegenerative Veränderungen in spezifischen Hirnarealen (wie auch inflammatorische Prozesse) Grundlage des veränderten Ernährungsverhaltens sind, sie führen zu einer Atrophie der Bezirke, die für die

10 Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse ERNÄHRUNG GEZIELTE ERNÄHRUNGS- MASSNAHMEN Gezielte Ernährungsmaßnahmen sollen helfen, diesen Teufelskreis von Mangelernährung und kognitivem Abbau zu durchbrechen und die Krankheitsbelastung zu reduzieren. Auch vor dem Hintergrund begrenzter Effekte medikamentöser Maßnahmen sind die diätetischen Aspekte als nichtpharmakologische Strategie von besonderem Interesse. In zahlreichen Studien wird der Frage nachgegangen, welche Ernährungsmaßnahmen tatsächlich effektiv sind, um eine bedarfsgerechte Ernährung und einen guten Ernährungszustand im Verlauf der Krankheit aufrecht zu erhalten. Von zentraler Bedeutung ist dabei auch die Thematik einer möglichen Beeinflussung des kognitiven Abbaus durch Supplementierung von Energie und/oder bestimmter Nährstoffe und letztendlich die Frage, in welchen Situationen eine künstliche Ernährung gerechtfertigt ist. Unter Leitung von Dr. Dorothee Volkert (Professorin für Ernährung im Alter am Institut für Biomedizin des Alterns an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg) hat eine internationale Autorengruppe der Europäischen Fachgesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) die weltweit erste evidenzbasierte Leitlinie zum Umgang mit Ernährungsproblemen bei Demenz publiziert und zuletzt in einer Aussendung der deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zusammengefasst. In 26 Empfehlungen werden wichtige Hinweise zu den genannten Themen gegeben. Screening und Assessment Um Ernährungsprobleme frühzeitig zu erkennen, wird empfohlen, bei jeder Person mit Demenz mittels eines standardisierten Screening-Instrumentes (z.b. Kurzform des Mini Nutritional Assessments: www.mna-elderly.com/forms/ MNA_german.pdf) Hinweise auf eine Mangelernährung zu suchen und diese Evaluierung alle 3-6 Monate zu wiederholen. Bei positivem Screening kann die Ernährungssituation im Rahmen eines Assessments genauer analysiert werden, wobei hier das Adverse Feeding Behaviour Inventory, die Blandford-Scale, das Edinburgh Feeding Evaluation in Dementia Questionnaire oder die Eating Be haviour Scale (EBS) empfohlen werden. Da, wie oben ausgeführt, ein Gewichtsverlust der wichtigste Hinweis auf Mangelernährung ist, sollte das Körpergewicht mindestens vierteljährlich unter gleichen Bedingungen dokumentiert werden. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung ein formales Screening und die Bestimmung des Körpergewichts eine unnötige Belastung für die Betroffenen darstellt. In dieser Situation sollten die individuellen Ernährungsbedürfnisse durch sorgfältige Beobachtung identifiziert und im Rahmen einer individualisierten Palliativpflege entsprechend berücksichtigt werden. Strategien zur Unterstützung der oralen Ernährung Eine bedarfsgerechte orale Ernährung bei Demenz kann durch diverse Strategien unterstützt werden. Zum einen spielen Umgebungsfaktoren bei den Mahlzeiten (wie die Gesellschaft und Atmosphäre)

Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse 11 eine wichtige Rolle, zum anderen sind sensorische Eigenschaften (Aussehen, Geruch, Geschmack, Farbe und Konsistenz), aber auch persönliche Vorlieben und Abneigungen für den Appetit enorm wichtig. Ein gedeckter Tisch in entspannter Atmosphäre regt zum Essen an. Speisen, Geschirr und Essplatz sollten sich durch farbliche Akzente deutlich voneinander abheben. Helle Lebensmittel wie Fisch oder Kartoffeln werden von den Betroffenen auf einem weißen Teller schlechter wahrgenommen. Bewährt hat sich auch das Einfärben von Lebensmitteln mit rotem Trauben-, Kirsch- oder Holundersaft. Das Süßen herzhafter Speisen oder die Zubereitung einer fruchtig-süßen Soße, ergänzend zur Fleischmahlzeit, fördern die Nahrungsaufnahme ebenfalls. Der Anblick von Küchengegenständen aus der früheren aktiven Zeit wirkt oft stimulierend und kann den Erkrankten dazu anregen, sich zu erinnern und kurzzeitig aus seinem apathischen Zustand zu lösen. Fragen zu Zutaten für ein bestimmtes Gericht, Gemüsefarben oder Gemüse- bzw. Obstsorten mit gleichem Anfangsbuchstaben können vom Betreuungspersonal auch zum Gedächtnistraining genützt werden. Angesichts des hohen Mangelernährungsrisikos sollte jedoch besonders auf ein ausreichendes Energie- und Nährstoffangebot geachtet werden. Da diätetische Einschränkungen bei der Lebensmittelauswahl meist auch das Vergnügen am Essen reduzieren, sollen restriktive Diätvorschriften generell vermieden werden. Mögliche Ursachen einer Mangelernährung, wie etwa Kaubeschwerden oder Medikamenten- Nebenwirkungen, sollten so weit wie möglich beseitigt werden. Neben regelmäßigen Hauptmahlzeiten sollten Zwischenmahlzeiten auch zu ungewöhnlichen Tagesoder Nachtzeiten angeboten werden, dies kann auch in Form von Finger Food geschehen, das ohne Besteck meist selbstständig und von hyperaktiven Patienten und Patientinnen auch beim Umhergehen ( eat by walking ) verzehrt werden kann. Da die Nahrungsaufnahme häufig aufgrund von Verhaltensänderungen beeinträchtigt und unzureichend ist, sollten die Patienten nach Bedarf angemessen unterstützt werden angefangen bei der Gesellschaft beim Essen über Erinnerungen und Aufforderungen bis hin zur kompletten Verabreichung der Mahlzeiten. Appetitanregende Medikamente wurden bisher nur in wenigen kleineren Studien bei Personen mit Demenz eingesetzt. Da keine einheitlichen Effekte gezeigt werden konnten, wird der systematische Einsatz von Appetit-Stimulanzien aufgrund möglicher unerwünschter Nebenwirkungen nicht generell empfohlen. Schulungen von Angehörigen und professionellen Pflegepersonen zum Grundwissen über Ernährungsprobleme bei Demenz und mögliche Interventionsmaßnahmen werden empfohlen, da dies nachweislich zu einem verbesserten Ernährungszustand der Personen mit Demenz führt. Orale Supplementierung Einigen Nährstoffen (wie z.b. essenziellen Fettsäuren, B-Vitaminen und Vitamin E) werden aufgrund ihrer wichtigen Bedeutung für Gehirnstoffwechsel und -funktionalität neuroprotektive Wirkungen zugesprochen. In zahlreichen Supplementierungsstudien konnte ein Einfluss dieser Nährstoffe auf die geistige Leistungsfähigkeit von Personen mit Demenz bisher nur mit sehr begrenztem Erfolg nachgewiesen werden. Für Omega-3- Fettsäuren, Vitamin B1, B6, B12 und/oder Folsäure, Vitamin E, Selen, Kupfer oder Vitamin D ist derzeit nicht belegt, dass eine Supplementierung zur Prävention oder Korrektur kognitiver Beeinträchtigungen bei Demenzpatienten und -patientinnen wirksam ist. Bei einem bestehenden Nährstoffmangel steht dagegen außer Frage, dass der betreffende Nährstoff in angemessener Menge supplementiert werden muss, wobei eine bedarfsgerechte Nährstoffversorgung jedoch vorrangig durch eine abwechslungsreiche Ernährung gewährleistet werden sollte. Trinknahrung Trinknahrung liefert Energie und alle essenziellen Nährstoffe in konzentrierter Form und ist dann indiziert, wenn der Energie- und Nährstoffbedarf durch übliche Lebensmittel und parallele Maßnahmen zur Beseitigung vorhandener Mangelernährungsursachen nicht gedeckt werden kann. Trinknahrung wird daher bei

12 Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse ungenügender oraler Nahrungsaufnahme empfohlen, um den Ernährungszustand zu verbessern. Bei Patienten und Patientinnen mit Demenz muss dabei aber auch konsequent auf den Verzehr der Produkte geachtet werden. Im Gegensatz zum Ernährungszustand sind positive Effekte von Standard-Trinknahrung auf kognitive Funktionen nicht belegt und wird daher nicht empfohlen, um kognitive Verbesserungen zu erzielen oder einem weiteren kognitiven Abbau vorzubeugen. Auch der systematische Einsatz medizinischer Spezialnahrung (wie beispielsweise Souvenaid ) kann aufgrund des fehlenden Wirkungsnachweises für dieses Ziel nicht empfohlen werden. Supplementierung sonstiger Substanzen Zahlreiche andere nährstoffverwandte Substanzen, wie z.b. Polypeptide, Homotaurin, Lecithin, Curcumin, Alpha-Liponsäure, Phosphatidylserin, N-Acetyl-Cystein oder Acetyl- N-Carnitin wurden mehr oder weniger umfassend untersucht. Die verfügbaren Studien belegen keinen überzeugenden Nutzen zur Korrektur kognitiver Beeinträchtigungen oder zur Prävention von weiterem kognitivem Abbau. Künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgabe Wenn in fortgeschrittenen Demenzstadien Schluckstörungen auftreten oder das Essen abgelehnt wird, stellt sich die Frage nach einer künstlichen Ernährung. Die Datenlage zum Nutzen künstlicher Ernährung bei Menschen mit Demenz ist mangelhaft. Die Auswirkungen von Sondenernährung sind in einigen Beobachtungsstudien dokumentiert, Studien zum Effekt von parenteraler Ernährung fehlen völlig. Generell sollte jede Entscheidung für oder gegen künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgabe bei Patienten und Patientinnen mit Demenz daher indivi duell unter Abwägung des zu erwartenden Nutzens und der potenziellen Risiken sowie im Hinblick auf die allgemeine Prognose getroffen werden. Grundvoraussetzung sind die medizinische Indikation und ein therapeutisches Ziel (z.b. Erhalt der Selbstständigkeit) sowie die Zustimmung des Patienten bzw. die Berücksichtigung des mutmaßlichen Patientenwillens durch seinen gesetzlichen Vertreter. In frühen und mittleren Stadien der Erkrankung gibt es keine Anhaltspunkte dafür, anders vorzugehen als bei Patienten und Patientinnen ohne Demenz. Sondenernährung wird für eine begrenzte Zeit vorgeschlagen, um eine Krisensituation (infektionsbedingte Appetitlosigkeit, Schluckstörung durch einen Schlaganfall, akutes Delir) mit deutlich ungenügender oraler Nahrungsaufnahme zu überwinden, wenn der Bedarf nicht durch andere Maßnahmen gedeckt werden kann und die geringe Zufuhr hauptsächlich durch potenziell reversible Ursachen bedingt ist. Laut Expertenmeinung besteht eine Indikation zur nasogastralen Sonde, wenn nur weniger als 50 Prozent der notwendigen Energie über mehr als 10 Tage trotz adäquater Unterstützung und oraler Supplementation aufgenommen werden kann. Die Indikation sollte initial wöchentlich und dann monatlich neu evaluiert werden. Wenn der Zeitraum mehr als 4 Wochen andauert, sollte demnach eine PEG-Sonde platziert werden. Generell sollte in dieser komplexen Situation und v.a. bei Neulegung einer PEG-Sonde hinterfragt werden, ob dies in Einklang mit den Wünschen des Patienten steht, ob die PEG-Anlage voraussichtlich das Wohlbefinden und die Lebensqualität verbessert und ob der voraussichtliche Nutzen die potenziellen Risiken überwiegt oder spezielle Komplikationsrisiken bei der PEG-Anlage für den jeweiligen Patienten bestehen. Die Beendigung einer künstlichen Ernährung ist aus medizinischer Perspektive jederzeit möglich, wenn kein Nutzen mehr festgestellt oder erwartet wird. < Conclusio: Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen! Ergo: Ede, bibe, lude! Post mortem nulla voluptas! Dr. Bernhard Graf Literatur: Volkert D. et. al.: Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) in Zusammenarbeit mit der GESKES, der AKE und der DGG Klinische Ernährung in der Geriatrie 2013 Aktuel Ernahrungsmed 2013; 38 / Volkert D. et. al.: ESPEN guidelines on nutrition in dementia. Clin. Nutr. 2015, 34. / Volkert D. et. al.: Ernährung bei Demenz. DMW 2016, 141.

Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse 13 UNERWARTETE NEBENWIRKUNGEN EINER NEUEN THERAPIEOPTION Durch zunehmendes Zell- und molekularbiologisches Wissen haben sich in wenigen Jahren bei vielen Krankheitsentitäten neue Therapieoptionen ergeben. So waren monoklonale Antikörper wie Trastuzumab (Herceptin ) und Bevacizumab (Avastin ) in der Onkologie, oder Infliximab (Remicade ) bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und später in der Rheumatologie, bahnbrechende Innovationen. In der medikamentösen onkologischen Therapie war die Entwicklung von kleinmolekularen Signaltransduktionsinhibitoren, wie der Tyrosinkinasehemmer Imatinib (Glivec ) in der Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie (CML), ein Meilenstein in Richtung eines zuvor unerreichbaren Behandlungserfolges. So konnten viele bedrohliche Tumorerkrankungen in zumindest chronische Erkrankungen gewandelt werden. Neue Toxizitätsmuster Gleichzeitig hat sich damit auch das Bild der Nebenwirkungen derartiger Therapien gegenüber den bekannten Toxizitäten einer zytostatischen Therapie komplett verändert. Vor allem bei der Anwendung von targeted drugs wird eine Reihe neuer und zum Teil schwerer Toxizitätsmuster beobachtet. Dabei ist oft bei gleichzeitigem Konsum bestimmter Nahrungs- und Genussmittel (z.b. Brokkoli/ Kohlsprossen, Johanniskraut, Grapefruit, Tabak) oder bei der Co-Medikation und signifikanten Komorbiditäten Vorsicht geboten. So kann z.b. eine Co-Medikation mit einem PPI die Bioverfügbarkeit der Tyrosinkinase-Inhibitoren Erlotinib (Tarceva ), Pazopanib (Votrient ) und Dasatinib (Sprycel ) deutlich verringern und damit die Wirksamkeit der Präparate infrage stellen. (1) Eine Analyse des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungen zeigte aber, dass im Zeitraum 12/14 bis 11/15 29 Prozent der Patienten und Patientinnen, die Tarceva, 21 Prozent, die Sprycel und sogar 36 Prozent, die Votrient einnahmen, auch einen PPI erhielten (mögliche Dunkelziffer durch OTC-PPI höher). Durch die zunehmende Konzentration der Tumortherapie in hochspezialisierten onkologischen Zentren sind viele dieser Nebenwirkungen und deren Management bei den Hausärzten und niedergelassenen Fachärzten wenig bekannt. Eine neue Dimension sowohl des Wirkmechanismus, aber auch der möglichen Nebenwirkungen hat sich nun durch die Entwicklung und Anwendung von Checkpoint-Inhibitoren wie Ipilimumab (Yervoy ) als CTLA-4-Antikörper und Nivolumab (Opdivo ) sowie Pembrolizumab (Keytruda ) als PD-1-Antikörper ergeben, vor allem dann, wenn diese (wie z.b. in der Melanomtherapie) auch kombiniert verabreicht werden. Neuere Antikörper wie Atezolizumab, Durvalumab und Tremelimumab werden in Studien erprobt. Auch wenn diese Substanzen ausschließlich intravenös in onkologischen Zentren verabreicht und die betroffenen Patienten und Patientinnen hervorragend von den Spezialisten begleitet werden, wird es doch vorkommen, dass Hausärzte und -ärztinnen nicht nur in Notfällen kontaktiert werden, sodass das Wissen um mögliche Nebenwirkungen und deren Management breit bekannt sein muss. Checkpoint-Inhibitoren Krebs entsteht z.b. durch die Mutation von Genen. Die maligne Transformation von Zellen beruht letztendlich auf

14 Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse der Umwandlung von Protoonkogenen in entsprechende Onkogene und/oder auf dem Funktionsverlust von Tumorsuppressorgenen. Die Produkte (Proteine) der veränderten Gene sind an der Steuerung des Zellwachstums und des programmierten Zelltods (Apoptose) beteiligt. Beim Proteinabbau entstehen wieder Polypeptide, von denen einige als neue tumorassoziierte Antigene vom Immunsystem, insbesondere den T-Lymphozyten, spezifisch erkannt werden. T-Zellen sind also die entscheidenden Mediatoren für Tumorabstoßungsreaktionen und protektive Immunantworten. Tumore besitzen aber auch Resistenzmechanismen, um Immunangriffe zu unterdrücken oder ihnen auszuweichen. Von Bedeutung ist hier besonders die Mikroumgebung des Tumors, jene Zone, in der die Wechselwirkung des Tumors mit dem Immunsystem stattfindet. Hier versuchen tumorspezifische T-Zellen einzudringen, um ihre antitumoralen Mechanismen (z.b. Zytotoxizität, Zytostase, Freisetzung von Zytokinen und Chemokinen) auszuüben. Demgegenüber stehen tumorinduzierte Abwehrmechanismen wie Immunsuppression, Immune Escape oder Immuntoleranz. Von besonderer PD-L1/PD-1 binding inhibits T-cell killing of tumor cell T-cell OFF T-cell receptor Antigen PD-1 PD-L1 Tumor cell Bedeutung sind hier nun die Hochregulation von immunen Checkpoint-Molekülen, wie PD-1 auf T-Zellen und seinem Liganden PD-L1 auf Tumorzellen. Attackieren tumorspezifische zytotoxische T-Lymphozyten (CTL) in einem Tumorgewebe die Tumorzellen, so kann der Tumor dem Angriff entkommen, indem er bestimmte Rezeptorliganden exprimiert (z.b. CD80, CD86) oder sekretiert (PD-L1 und PD-L2). Diese interagieren nun mit den Checkpointrezeptoren CTLA-1 bzw. PD-1 auf der Oberfläche der CTL, was zu einem STOPP-Signal führt. Dieser als Checkpoint bezeichnete Mechanismus schützt normalerweise den Organismus vor Autoimmunität, wird aber im Falle eines Malignoms vom Tumor benützt, um einem Angriff des Immunsystems zu entkommen. (2) Die Bindung zwischen dem Rezeptor PD-1 auf regulatorischen T-Zellen und seinem Liganden auf Tumorzellen verhindert den programmierten Zelltod dieser Kontroll-T-Zellen somit kann durch den Einsatz der genannten Antikörper Nivolumab und Pembrolizumab bei gewissen Patienten und Patientinnen mit malignem Melanom, NSCLC, Hodgkin-Lymphom oder fortgeschrittenem Blocking PD-L1 or PD-1 allows T-cell killing of tumor cell T-cell OFF T-cell receptor Antigen PD-1 Anti PD-1 Anti PD-L1 PD-L1 Tumor cell Nierenzellkarzinom das Überleben um viele Monate verbessert werden. Nebenwirkungen Insgesamt scheint die Nebenwirkungsrate v.a. Grad 3/4 in der Behandlung des NSCLC für den PD-1 Antikörper Nivolumab mit 7 Prozent gegenüber 55 Prozent der Patienten im Docetaxel-Arm relativ gering. (3) Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Ipilimumab zählen Fatigue, Diarrhö, Pruritus, Hautausschlag und Colitis. Häufigste Nebenwirkungen der Anti-PD-1-Antikörper sind Fatigue, Hautauschlag, Pruritus, Husten, Diarrhö, Appetitlosigkeit, Obstipation und Gelenksschmerzen. (4) Da der Wirkungsmechanismus dieser Immun-Checkpoint-Inhibitoren auf einer massiven Beeinflussung des Immunsystems beruht, können übermäßige Immun antworten sogenannte immune-related adverse effects (irae) auftreten, von denen einige im individuellen Fall sogar lebensbedrohlich sein können. So wurden zwei Fälle einer fulminanten Myokarditis mit Myositis, Rhabdomyolyse und progressiver, therapierefraktärer, kardialer elektrischer Instabilität berichtet. Histologisch fanden sich massive Infiltrationen mit Makrophagen und klonalen T-Zellen, die ident mit den im Tumor gefundenen Zellen waren. (5) Immunassoziierte Nebenwirkungen Zu den Hautnebenwirkungen zählen makulopapulöse Exantheme bis hin zur toxischen epidermalen Nekrolyse und Vitiligo. Im Gastrointestinaltrakt ist mit schwerer Colitis (in Einzelfällen mit Perforation) und Hepatitis zu rechnen. Weitere immunvermittelte Reaktionen können in Form von Nephritis, Pneumonitis und interstiteller Lungenerkrankung, Pankreatitis, Arthritis, Uveitis, Nervus opticus Neuritis, Neuropathie

Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse 15 und demyelinisiernder Erkrankung, Myasthenia gravis sowie Guillain-Barré- Syndrom auftreten. Unerwartete, aber nun bereits bekannte schwerwiegende und anhaltende Immunreaktionen betreffen das endokrinologische System. So sind neben Schilddrüsenfunktionsstörungen das Auftreten eines akut insulinbedürftigen Diabetes mellitus mit Ketoazidose, eine Hypophysitis im Sinne einer akuten Hypophyseninsuffizienz, wie auch akute Nebenniereninsuffizienz bei Adrenalitis unbedingt zu beachten. Dabei ist zu bedenken, dass diese Ereignisse auch Monate über die letzte Gabe eines Checkpoint-Inhibitors hinaus auftreten können. Symptome wie vermehrter Durst, vermehrtes Hungergefühl, häufiges Wasserlassen, Reizbarkeit und Erschöpfung (Diabetes mellitus), Schwindelgefühl, Reizbarkeit, Ohnmacht, niedriger Blutdruck, Dunkelfärbung der Haut und Verlangen nach salzigen Nahrungsmitteln (NNR-Insuffizienz), Kribbeln in den Fingern und Zehen, Erschöpfung sowie Schwierigkeiten beim Gehen (Guillain-Barré-Syndrom), Schwäche in der Arm- und Beinmuskulatur, Doppelbilder sowie Schwierigkeiten beim Sprechen und Kauen (Myasthenia gravis), Nackenstarre, Kopfschmerz, Fieber, Schüttelfrost, Erbrechen, Anfall, Reizbarkeit und Lichtempfindlichkeit der Augen (Meningoencephalitis) sind dann nicht als Nebenwirkungen im Sinne unspezifischer Symptome, sondern als Ausdruck einer immunvermittelten Organfunktionsstörung zu interpretieren und erfordern eine rasche Diagnose, zielgerichtete Therapie bzw. rasche Substitution der fehlenden Hormone. Letztendlich kann die übermäßige systemische Immunaktivierung auch zu einem Multiorganversagen mit den Symptomen eines sehr niedrigen Blutdrucks, der nicht auf die Standardbehandlung (wie z.b. intravenöse Flüssigkeiten) anspricht, hohem Fieber, Verwirrung, Schwächegefühl, Husten und schwerer Kurzatmigkeit, die eine Sauerstofftherapie und / oder Beatmung (Intubation) erfordert, führen. Zusammenfassung Anti-CTLA-4 und Anti-PD-1-Antikörper sind neue und wirksame Therapieoptionen mit einem im Vergleich zur herkömmlichen Chemotherapie eher günstigem Sicherheitsprofil. Entsprechend dem Wirkmechanismus können diese Substanzen zu einer unerwünschten Aktivierung des Immunsystems im Sinne einer Autoimmunität führen. Entscheidend für die rechtzeitige und adäquate Therapie von immunassoziierten Nebenwirkungen ist es, bei sämtlichen Symptomen und Beschwerden eines Patienten unter Checkpoint-Inhibitor-Therapie an eine potenzielle autoimmune Nebenwirkung zu denken. Eine rasche zielgerichtete Behandlung und häufig auch unmittelbare Krankenhausaufnahme ist dann erforderlich. Betroffene Patienten und Patientinnen werden heute umfassend und in der Regel rund um die Uhr von onkologischen Zentren, die mit den Symptomen und dem Management der zu erwartenden Nebenwirkungen vertraut sind, betreut. Nichtsdestotrotz müssen aber auch Ärzte und Ärztinnen für Allgemeinmedizin im Sinne ihrer hausärztlichen Betreuung und im Notdienst über diese bisher wenig zu erwartenden potenziellen Nebenwirkungen einer onkologischen Therapie vertraut sein. < Dr. Bernhard Graf Literatur: 1) Roelof W F van Leeuwen, Teun van Gelder, Ron H J Mathijssen, Frank G A Jansman: Drug drug interactions with tyrosine-kinase inhibitors: a clinical perspective. Lancet Oncol 2014; 15: e315 26 2) V. Schirrmacher: Chemotherapie und oder Immunthera pie? Anmerkungen zu Effizienz und Effektivität der Krebsbehandlung. Wiener klinisches Magazin 3/2016 3) J. Brahmer: Nivolumab versus Docetaxel in Advanced Squamous-Cell Non Small-Cell Lung Cancer. NEJM 2015; 373: 123 135 4) E. Richtig: Management der Nebenwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren. Spectrum Onkologie. 3/2016 5) Fulminant Myocarditis with Combination Immune Check - point Blockade: N Engl J Med 2016; 375:1749-1755

16 Forum Med Fachinformation der Salzburger Gebietskrankenkasse Aktiver Start ins Frühjahr für Ihre Patientinnen und Patienten GEMEINSAM AKTIV BEWEG DICH! > Ausgeschlossen sind Personen, bei denen schwerwiegende medizinische Probleme bestehen > Die Gemeinsam-Aktiv-Gruppen gibt es in allen Bezirken > Die Gemeinsam-Aktiv-Gruppen sind kostenlos! Kontakt & Information Seit einem Jahr gibt es in Salzburg die Gemeinsam-AktivGruppen, ein Bewegungsangebot für Menschen mit Risiko faktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Projekt wurde von der SGKK ins Leben gerufen und wird gemeinsam mit den Sportverbänden umgesetzt. Neue Gruppen im gesamten Bundesland starten im Frühjahr. Die Eckpunkte > 14 Wochen gemeinsam Bewegung, zweimal wöchentlich in einer Gruppe ergänzt durch Entspannungs- und Ernährungsberatung > Leitung und Betreuung durch diplomierte Sportwissenschafter und Trainer P.b.b. VPA FORUM MED Engelbert-Weiß-Weg 10, 5021 Salzburg, ZLN 13Z039651M > Teilnehmen können alle Salzburgerinnen und Salzburger ab 20 Jahren > Voraussetzung ist, dass Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie z. B. erhöhter Blutdruck, Übergewicht oder Blutzucker vorliegen Salzburger Gebietskrankenkasse Mag. Martin Neuwirth 0662 8889 1046 martin.neuwirth@sgkk.at > Bestellen Sie das Informationspaket und die Unterlagen für Ihre Patienten unter: www.sgkk.at/gemeinsamaktiv oder 0662 8889 1053 RAUS AUS DEM SOFA! REIN IN DIE AKTIV-GRUPPE!