Selbstverteidigung Notwehr (Quellen: Wessels/Beulke, Strafrecht AT (36. Aufl.); Fischer StGB und Nebengesetze (55. Aufl.)

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Transkript:

Selbstverteidigung Notwehr (Quellen: Wessels/Beulke, Strafrecht AT (36. Aufl.); Fischer StGB und Nebengesetze (55. Aufl.) Die einfache Begrifflichkeit Notwehr ist im Rahmen einer Diskussion um Selbstverteidigung und deren rechtliche Folgen eigentlich zu eng. Das Thema berührt einen weiten Kreis von rechtlichen Problemen, die hier darzustellen den Rahmen eines Artikels sprengen würde. Grundsätzlich geht es hierbei um eine Vielzahl von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen für begangene Körperverletzungen oder auch für andere, in diesem Zusammenhang begangene, Taten, wie z.b. Sachbeschädigung, Nötigung oder auch Beleidigung. Grundsätzlich gilt: Wer in rechtswidriger Weise angegriffen wird, darf sich verteidigen. Hier greift das gerne zitierte John- Wayne- Prinzip des deutschen Strafrechts: Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen: Unter bestimmten Voraussetzungen wird eine im Rahmen einer Verteidigung begangene Körperverletzung oder auch Sachbeschädigung nicht bestraft. Die Tat ist dann entweder gerechtfertigt oder entschuldigt. Es gibt eine Vielzahl von möglichen Rechtfertigungsgründen, die noch neben der Notwehr existieren. Hier sollen nun, als bekanntester und meist diskutierter Rechtfertigungsgrund zunächst die Notwehr gemäß 32 des Strafgesetzbuches (StGB) und einige damit in Verbindung stehende Probleme vorgestellt und erläutert werden. Notwehr 32 StGB Gemäß der gesetzlichen Definition ist von einer Notwehr gemäß 32 StGB dann auszugehen, wenn auf eine Notwehrlage mit einer durch eine von einem Verteidigungswillen getragene Notwehrhandlung reagiert wird. Notwehrlage Eine Notwehrlage wird durch einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf ein von der Rechtsordnung geschütztes Rechtsgut begründet. Ein Angriff ist dabei jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Dabei muss das Verhalten nicht einmal direkt darauf abzielen, eine solche Verletzung hervorzurufen. Es muss allerdings zumindest Handlungsqualität besitzen, also vom Verursacher willensmäßig beherrschbar sein. Auch kann ein Angriff durch das Unterlassen einer Handlung stattfinden, nämlich dann, wenn es eine besondere Pflicht für den Unterlassenden gibt, eigentlich tätig zu werden, so z.b. bei der Kindesmutter, die dem Säugling die Nahrung verweigert. Gegenwärtig ist der Angriff, welcher unmittelbar bevorsteht, gerade begonnen hat oder noch andauert. Ein Angriff steht dann unmittelbar bevor, wenn das Verhalten des Angreifers unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung umschlagen kann, z.b. wenn der Angreifer den Arm zum Schlag erhebt oder nach einer Waffe greift.

Solange die Gefahr einer Rechtsgutverletzung oder die Vertiefung einer solchen besteht, bleibt der Angriff noch gegenwärtig. Dies gilt auch, wenn die Wiederholung einer Verletzungs- oder Angriffshandlung unmittelbar zu befürchten ist. Beendet im Sinne der Notwehr ist der Angriff erst, wenn er fehlgeschlagen, endgültig aufgegeben oder vollständig durchgeführt ist, eine Verletzung des Rechtsgutes durch eine Gegenwehr also nicht mehr verhindert werden kann. Das bedeutet, dass die Notwehr auch gegen den mit der Beute fliehenden Dieb noch zulässig ist. (Dies wurde auch gerade in dem aufsehenerregenden Fall im Sommer 2011 durch die Staatsanwaltschaft in Stade deutlich gemacht, die das Verfahren gegen einen Rentner eingestellt hatte, der einen mit seinem Eigentum auf der Flucht befindlichen Einbrecher in Notwehr erschossen hatte. Er schoss dabei dem flüchtenden Einbrecher in den Rücken. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Entscheidung damit begründet, dass hier ein Fall der Notwehr vorlag, es handelte sich im Augenblick des Schusses noch um einen gegenwärtigen Angriff, der fliehende Dieb hatte die Beute noch bei sich und es drohte nach wie vor eine Verletzung des Rechts des Rentners, nämlich dessen Eigentums. Auf das Problemfeld des Ungleichgewichts der Rechtsgüter wird später in diesem Artikel noch eingegangen.) Im Rahmen der Notwehr ist Angriff nicht immer die beste Verteidigung, da Präventivmaßnahmen gegen noch nicht gegenwärtige Angriffe, also Angriffe, die noch nicht einmal unmittelbar bevorstehen, durch 32 StGB nicht gedeckt werden. Ein Erstschlag kann also keine Notwehrhandlung sein (denkbar wäre aber eine Rechtfertigung gemäß 34 StGB, dem rechtfertigenden Notstand). Ob ein gegenwärtiger Angriff vorliegt, richtet sich nach der objektiven Sachlage zur Zeit der Tat und nicht nach dem, was der Verteidiger dachte oder sich vorgestellt hat. (Allerdings kann auch bei der irrigen Annahme des Vorliegens eines Angriffs die Verteidigungshandlung gemäß der Entschuldigungsregelung der sogenannten Putativnotwehr straffrei sein.) Rechtswidrig ist eine Angriff immer dann, wenn er nicht von der Rechtsordnung gedeckt ist, einfach gesagt: wenn er nicht erlaubt ist. Dabei beschränkt sich die Rechtsordnung nicht nur auf das Strafrecht. Dies bedeutet auch, dass eine Notwehr gegen eine Notwehr nicht möglich ist, da die erste schließlich vom Gesetz erlaubt ist und somit nicht rechtswidrig war. Der Angriff muss sich gegen ein von der Rechtsordnung geschütztes Rechtsgut oder Interesse richten. In Betracht kommen hier zunächst die durch das Strafrecht geschützten Rechtsgüter, also Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung, Eigentum, Vermögen, Ehre usw. Jedoch muss der Angriff kein Strafgesetz verletzen, um eine Notwehrlage auszulösen. Auch sonstige rechtlich geschützte Interessen sind notwehrfähig, z.b. das Recht am eigenen Bild, das Recht auf Intimsphäre oder auch das Hausrecht. Ebenso ist die allgemeine Handlungsfreiheit notwehrfähig. Nicht notwehrfähig hingegen ist die Rechtsordnung als solche, Recht und Ordnung können also nicht unter Berufung auf Notwehr verteidigt werden. Inhaber eines geschützten Rechtsgutes kann sowohl der Verteidiger selbst, als auch ein Dritter sein, dem der Verteidiger in Rahmen der Nothilfe beisteht. Allerdings darf der

Nothelfer seine Hilfe nicht aufdrängen, wenn ersichtlich ist, dass der Angegriffene den Angriff nicht abwehren oder sich selbst verteidigen will. Notwehrhandlung Die Notwehrhandlung ist die eigentliche Verteidigungshandlung, sie muss sich gegen den Angreifer richten und sie muss objektiv erforderlich, normativ geboten und von einem Verteidigungswillen getragen sein. Die Notwehrhandlung darf sich dabei nur gegen den Angreifer und dessen Rechtsgüter (also auch gegen dessen Sachen) richten, nicht aber gegen Rechtsgüter Dritter. Wobei eine Verletzung der Rechtsgüter Dritter wiederum durch verschiedene andere Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe gerechtfertigt bzw. entschuldigt sein könnte. Des Weiteren muss die Notwehrhandlung objektiv erforderlich sein, das heißt, sie muss zur Abwehr des Angriffs geeignet sein und sie muss das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen. Geeignet meint in diesem Fall, dass die Verteidigungshandlung grundsätzlich in der Lage sein muss, den Angriff zu beenden oder zumindest zu behindern. Der Verteidiger muss für seine Verteidigung das bei gleicher Wirksamkeit mildeste Mittel wählen. Für die Entscheidung, welches Mittel zu wählen ist, kommt es auf die Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs und des Angreifers, sowie auf die zur Verfügung stehenden Verteidigungsmöglichkeiten an. Bestehen Zweifel am Verteidigungsmittel hinsichtlich der Wirksamkeit, muss sich der Verteidiger nicht auf eine unsichere Verteidigung einlassen. Er muss auch nicht flüchten, selbst wenn dies als Option zur Verfügung steht, hier gilt das bereits erwähnte John- Wayne- Prinzip. Ein Ausweichen oder Ducken hingegen ist dem Verteidiger schon zuzumuten. Die Erforderlichkeit wird vom Gericht in einer sogenannten ex ante Sicht objektiv geprüft. Das Gericht würde dann prüfen, wie ein besonnener Dritter die Lage des Verteidigers im Augenblick der Verteidigung beurteilt hätte. Entgegen der landläufigen Meinung findet bei der Notwehr prinzipiell keine Güterabwägung statt, d.h. es muss nicht zwischen dem zu schützenden und dem bei der Verteidigung verletzten Rechtsgut abgewogen werden. Durch das normative Geboten- sein wird jedoch eine Beschränkung des Notwehrrechts wieder eingeführt. Derartige Einschränkungen ergeben sich insbesondere bei folgenden Fallgruppen: 1. bei einem krassen Missverhältnis zwischen den Folgen der Verteidigung und dem drohenden Schaden (Hier wird immer gerne auf den Lehrbuchfall verwiesen bei dem ein Rentner im Rollstuhl mit seinem Gewehr auf Kinder geschossen hat, weil diese ihm Kirschen aus dem Kirschbaum stehlen wollen. Der Rentner wusste sich nicht anders zu helfen, aber das Missverhältnis zwischen dem Eigentum an den geklauten Kirschen und den Schüssen auf die Kinder und die Gefährdung deren Lebens und Gesundheit ist deutlich zu groß.) 2. bei ungezielten Angriffen oder Angriffen von Kindern, ersichtlich Irrenden oder schuldlos Handelnden. Hier ist über Ausweichen von der Schutzwehr, also eine rein defensive Verteidigung bis zum letzten Mittel schließlich der Trutzwehr, also

einer aktiven Abwehr die auch Gegenangriffe einschließt, der Angreifer zu schonen 3. bei Personen mit engen familiären Bindungen kann aus sozialethischen Gründen bei Tätlichkeiten von geringer Intensität das Notwehrrecht eingeschränkt sein, also bei kleineren Streitigkeiten in Beziehungen oder innerhalb der Familie, verlangt der Gesetzgeber ein größere Rücksichtnahme der Beteiligten aufeinander 4. und schließlich eine häufig vorkommende und wichtige Einschränkung in den Fällen der sogenannten Notwehrprovokation, in welchen der Verteidiger den Angriff absichtlich provoziert hat Schließlich und endlich muss die erfolgte Notwehrhandlung auch von einem Verteidigungswillen getragen sein. Dies bedeutet, dass der Verteidiger in Kenntnis der Notwehrlage gehandelt hat und dass die Notwehrlage die Motivation für seine Verteidigungshandlung war. Zusätzliche Motivation wie Wut, Hass oder Rache schließen den Verteidigungswillen nicht aus, solange sie ihn nicht überwiegen. Besonderheiten für Kampfsportler (Mythen) Grundsätzlich werden Kampfsportler hinsichtlich des Notwehrrechts juristisch nicht anders behandelt als normale Menschen. Es haben sich jedoch im Laufe der Zeit einige Mythen gebildet, die sich nach wie vor hartnäckig unter Kampfsportlern halten. 1. Sind Hände und Füße von Kampfsportlern Waffen? Nein. Es wird immer mal wieder postuliert, dass die Hände und Füße von Kampfsportlern oder gleich deren ganzer Körper als Waffe oder gefährliches Werkzeug im strafrechtlichen Sinne angesehen werden würde, bzw. ein Kampfsportler aufgrund seiner Kenntnisse immer als bewaffnet gelten würde. Körperteile sind nach Rechtsprechung und herrschender Meinung keine beweglichen Sachen und somit auch keine gefährlichen Werkzeuge oder Waffen. Was allerdings zu beachten ist, ist dass der Tritt mit einem schweren Schuh durchaus als Angriff mit einem gefährlichen Werkzeug gesehen wird. Hierbei wird aber auf den Schuh und nicht auf den Fuß abgestellt. Es geht also nicht um den Tritt, sondern darum, ob der Täter einen weichen Sneaker oder einen Springerstiefel getragen hat. Außerdem stellt sich diese Frage im Rahmen der Notwehr nur, wenn doch keine Notwehr vorliegen sollte, da auch eine bewaffnete Verteidigung im Rahmen der Notwehr grundsätzlich erlaubt ist. 2. Muss man sich als Kampfsportler outen? Grundsätzlich muss man sich nicht als Kampfsportler zu erkennen geben. Unter gewissen Umständen, z.b. bei einem eingeschränkten Notwehrrecht und wenn es, als mildestes Mittel, als aus ausreichend erscheint, den Angreifer auf die eigenen Kampfsportkenntnisse hinzuweisen, um damit den Angriff zu beenden, dann kann der Hinweis auf die eigenen Kampfsportkenntnisse durchaus eine gebotenen Verteidigungshandlung darstellen.

3. Dreimal Warnen? Auch der Mythos, dass man als Kampfsportler den Angreifer dreimal warnen müsse, ist falsch. Es gibt keinerlei derartige Verpflichtung. Möglicherweise wurde dies aus den verschiedenen Stufen der Notwehr bei Angriffen von Kindern, ersichtlich Irrenden oder schuldlos Handelnden abgeleitet. 4. Besondere Verantwortlichkeit durch das Kampfsporttraining? Das Kampfsporttraining führt grundsätzlich auch nicht zu einer besonderen Verantwortlichkeit dem Angreifer gegenüber, da der Kampfsportler durch seine überlegenen Fähigkeiten, andere Mittel und Wege finden könnte, den Angreifer zu besiegen. Auch als Kampfsportler ist man nicht gezwungen, sich auf eine unsichere Kampflage einzulassen und seinen Angreifer besonders pfleglich zu behandeln. Praxishinweise Nach einer Notwehr sollte man sich um Zeugen bemühen, die den Vorfall beobachtet haben könnten. Nicht selten wird der eben noch so starke Angreifer nämlich plötzlich zum armen Opfer und seine Freunde können alles bezeugen. Eigene Angaben direkt vor Ort und direkt nach dem Vorfall sollte man besser unterlassen, als Zeuge ist man nicht verpflichtet der Polizei gegenüber über die Personalien hinausgehende Angaben zu machen. Wie bereits erklärt, ist das Handeln in Notwehr eine komplexe Angelegenheit, bei der man durch unbedachte Äußerungen große Probleme bekommen kann. Hier lohnt es sich, den ganzen Vorfall nochmals zu überdenken und sich möglicherweise auch vor der eigenen Einlassung beraten zu lassen. Sollte man noch vor Ort zu einer Aussage oder Einlassung gedrängt werden, kann man ruhig drauf verweisen, dass man sich jetzt nicht weiter äußern möchte, sich aber später schriftlich dazu einlassen werde. Bei einer Gegenanzeige kann der Angreifer, als Verletzter, über einen Anwalt auch Einsicht in die Ermittlungsakte erhalten, in welcher sich dann auch alle eigenen Aussagen und Einlassungen befinden. Damit sich dort keine Formulierungen finden, die später weitere Probleme schaffen, ist es durchaus sinnvoll, sich hier anwaltlich beraten zu lassen. Dies wirkt auch bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder Richter nicht komisch oder verdächtig. Es ist völlig normal, dass man sich in solchen Fällen anwaltliche Hilfe holt, zumal die Folgen sehr weitreichend sein können. Zum einen kann man auch selbst die einem durch die Notwehrhandlung entstandenen Schäden, wie z.b. Schmerzensgeld, Behandlungskosten für Verletzungen, Verdienstausfall oder die Kosten für beschädigte Kleidung dem Angreifer in Rechnung stellen, umgekehrt kann dieser jedoch, sollte keine Notwehr vorgelegen haben, seine Schäden dem vermeintlichen Verteidiger in Rechnung stellen. Schließlich bleibt noch darauf hinzuweisen, dass jeder Fall als Einzelfall geprüft und entschieden wird und hier nur allgemeine Aussagen getroffen werden können. Auch ist die Darstellung hier nicht erschöpfend, sondern soll nur einen ersten Einblick in die Thematik und die damit verbundenen Probleme bieten. RA Mag. Jur. Jan- Philipp Koll www.bkg- anwaelte.de