Allgemein anerkannte Regeln der Technik und technische Regelwerke Relevanz aus rechtlicher Sicht

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Transkript:

52. Frankfurter Bausachverständigentag 29. September 2017, Frankfurt a.m. Allgemein anerkannte Regeln der Technik und technische Regelwerke Relevanz aus rechtlicher Sicht Vizepräsident des Landgerichts Dr. iur. Mark Seibel Siegen/Wenden

Inhaltsübersicht I. Allgemein anerkannte Regeln der Technik und technische Regelwerke Relevanz aus rechtlicher Sicht 1. Einleitung 2. Die Leistungspflicht des Bauunternehmers a) Die nach dem Vertrag geschuldete Leistung b) Die allgemein anerkannten Regeln der (Bau-)Technik II. Ausgewählte Beispiele aus der Rechtsprechung 1. BGH, Urteil v. 14.05.1998 VII ZR 184/97 2. BGH, Urteil v. 04.06.2009 VII ZR 54/07 3. OLG Stuttgart, Urteil v. 17.10.2011 5 U 43/11

633 BGB (Sach- und Rechtsmangel) (1) Der Unternehmer hat dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. (2) 1 Das Werk ist frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. 2 Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, 1. wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst 2. für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann.

13 VOB/B (Mängelansprüche) (1) 1 Der Auftragnehmer hat dem Auftraggeber seine Leistung zum Zeitpunkt der Abnahme frei von Sachmängeln zu verschaffen. 2 Die Leistung ist zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. 3 Ist die Beschaffenheit nicht vereinbart, so ist die Leistung zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, 1. wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst 2. für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Auftraggeber nach der Art der Leistung erwarten kann.

Allgemein anerkannte Regeln der Technik Inhalt und Definition Eine technische Regel ist dann allgemein anerkannt, wenn sie a) sich zunächst in der Wissenschaft als (theoretisch) richtig durchgesetzt hat und (1. Element: allgemeine wissenschaftliche Anerkennung) b) darüber hinaus auch in der (Bau-)Praxis erprobt ist und sich dort überwiegend bewährt hat (2. Element: praktische Bewährung). Auf beiden Stufen a) und b) muss die jeweilige technische Regel der vorherrschenden Ansicht (Mehrheit) der technischen Fachleute entsprechen.

Technische Standards Übersicht - allgemein anerkannte Regeln der Technik - Stand der Technik - Stand von Wissenschaft und Technik - beste verfügbare Techniken ( best available techniques europarechtlicher Standard)

Die 3-Stufen-Theorie (h.m.) 1. Stufe: allgemein anerkannte Regeln der Technik Sie beruhen auf der herrschenden Auffassung der Fachleute und markieren den qualitativ untersten Standard, da sie den neuesten Entwicklungen hinterherhinken. 2. Stufe: Stand der Technik Er verlagert den Maßstab an die Front der technischen Entwicklung und vermittelt unter Verzicht auf eine allgemeine Anerkennung eine gesteigerte Dynamik. 3. Stufe: Stand von Wissenschaft und Technik Dieser Standard ist gleichbedeutend mit dem neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Die Möglichkeit der technischen Realisierbarkeit ist hier unerheblich, so dass ein Höchstmaß an Fortschrittlichkeit gewährt wird.

Konkretisierungsmöglichkeiten der allgemein anerkannten Regeln der Technik DIN-Normen, ETB (einheitliche technische Baubestimmungen des Instituts für Bautechnik), VDI-Richtlinien, VDE-Vorschriften, Flachdachrichtlinie, mündlich überlieferte technische Regeln (zu den Möglichkeiten der Ermittlung nicht schriftlich festgelegter allgemein anerkannter Regeln der Technik : Seibel, BauR 2014, S. 909 ff.), evtl. auch Herstellervorschriften/-richtlinien (ausführlich hierzu: Seibel, BauR 2012, S. 1025 ff. mit vielen Beispielen)

Rechtsnatur von DIN-Normen DIN-Normen etc. stellen keine Rechtsnormen, sondern lediglich private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter dar. Sie können die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben, jedoch auch hinter diesen zurückbleiben.

Vermutungswirkung bzgl. DIN-Normen Nach h.m. besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass kodifizierte technische Normen (DIN-Normen etc.) die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben (siehe z.b.: BGH, Urteil v. 24.05.2013 V ZR 182/12, NJW 2013, S. 2271 Rdnr. 25 f. (allerdings ohne Begründung); OLG Hamm, Urteil v. 13.04.1994 12 U 171/93, BauR 1994, S. 767 f.; OLG Stuttgart, Urteil v. 26.08.1976 10 U 35/76, BauR 1977, S. 129; Kniffka, in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts (4. Aufl., München 2014), 6. Teil Rdnr. 32 a.e.; Seibel, Baumängel und anerkannte Regeln der Technik (1. Aufl., München 2009), Rdnr. 146 ff.; Pastor, in: Werner/Pastor, Der Bauprozess (15. Aufl., Köln 2015), Rdnr. 1969 jeweils m.w.n.). Diese Vermutung ist vor allem dann widerlegt, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Norm veraltet ist, bzw. wenn sonstige Bedenken gegen die Norm bestehen (Beispiel: DIN 4109). Sind DIN-Normen etc. schon seit langer Zeit unverändert geblieben, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob diese zum maßgeblichen Zeitpunkt noch die vorherrschende Ansicht der Fachleute wiedergeben (können).

Technische Regelwerke und Beweislast im Bauprozess Die widerlegbare Vermutungswirkung, dass technische Regelwerke (DIN-Normen etc.) die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben, hat Auswirkungen auf die Beweislast im Bauprozess. Sie führt zum Eintritt einer echten Beweislaständerung: Derjenige, der behauptet, die in DIN-Normen etc. enthaltenen Anforderungen würden nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen, ist hierfür beweisbelastet. Für den Bauunternehmer, der seine Bauleistung anhand von technischen Vorschriften ausführt, streitet die widerlegbare Vermutung ordnungsgemäßer Arbeit. Umgekehrt spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine mangelhafte Bauausführung, wenn der Bauunternehmer die in einer technischen Vorschrift enthaltenen Vorgaben nicht einhält. Dann ist es an dem Bauunternehmer, im Einzelnen darzulegen und später zu beweisen, dass der Schadenseintritt nicht auf einer Verletzung der technischen Vorschrift beruhte.

Pastor, in: Werner/Pastor, Der Bauprozess (15. Aufl.), Rdnr. 1968 DIN-Normen können deshalb, was im Einzelfall durch sachverständigen Rat zu überprüfen ist, die anerkannten Regeln der Technik widerspiegeln oder aber hinter ihnen zurückbleiben. Deshalb kommt es nicht darauf an, welche DIN-Norm gerade gilt, sondern darauf, ob die erbrachte Werkleistung zur Zeit der Abnahme den anerkannten Regeln entspricht. Aus diesem Grund ist in der Praxis auch für Sachverständige oftmals schwierig, die anerkannten Regeln der Technik für ein bestimmtes Gewerk verbindlich zu bestimmen; in keinem Fall darf aber die Prüfung unterlassen werden, ob die herangezogenen DIN-Normen (noch) den anerkannten Regeln der Technik entsprechen oder (schon) hinter diesen zurückbleiben.

Kniffka, in: Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts (4. Aufl.), 6. Teil Rdnr. 34 Im Hinblick darauf, dass sich die Bautechnik ständig fortentwickelt, bedürfen die Regelwerke einer strengen Prüfung, ob sie noch die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Diese kann ebenfalls nur von Sachverständigen vorgenommen werden. Die Sachverständigen müssen vom Gericht geleitet werden. Die forensische Erfahrung lehrt, dass Sachverständige häufig davon ausgehen, die Regelwerke seien solange maßgebend, bis sie überarbeitet sind. Sie sind deshalb darüber zu informieren, dass das nicht so ist, und dass sie wenn es darauf ankommt gehalten sind, Ermittlungen darüber anzustellen, welche Bauweise sich im Beurteilungszeitraum als theoretisch richtig erwiesen und der Praxis bewährt hat. Die Sachverständigen müssen auch von sich aus die Regelwerke kritisch überprüfen, wenn es Anhaltspunkte für die Untauglichkeit oder Unzweckmäßigkeit in bestimmten Varianten gibt. Sie können auf Literatur, Erfahrungssätze, Netzwerke, Mangel- bzw. Schadensstatistiken zurückgreifen.

Prüfungsempfehlung bzgl. technischer Regelwerke vierstufige Prüfung (in Anlehnung an: Kamphausen, BauR 1983, S. 175 f.): I. Zunächst muss die DIN-Norm etc. überhaupt für den betreffenden technischen Bereich einschlägig sein (Geltungsbereich der Norm). II. Weiterhin ist zu prüfen, ob die DIN-Norm etc. den betreffenden technischen Bereich abschließend, d.h. lückenlos und vollständig, erfassen will. Eine Konkretisierungswirkung scheidet aus, wenn die DIN-Norm etc. hinsichtlich des einschlägigen technischen Sachverhalts Regelungslücken aufweist. III. Sind die ersten beiden Punkte geklärt, muss sich die DIN-Norm etc. am Inhalt der allgemein anerkannten Regeln der Technik messen lassen. IV. Schließlich dürfen die in der DIN-Norm etc. enthaltenen und ursprünglich einmal den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechenden Anforderungen ihre allgemeine Anerkennung nicht wieder verloren haben (technischer Fortschritt Altersproblematik ).

Konkretisierungsmöglichkeiten der allgemein anerkannten Regeln der Technik außerhalb schriftlicher technischer Regelwerke: wissenschaftliche Untersuchungen (z.b. Baustoffprüfungen, Labortests, Berechnungen), Untersuchung und Auswertung von Schadensfällen, Literaturauswertung, Analyse von Statistiken, fachlicher Erfahrungsaustausch (z.b. innerhalb von sog. Bausachverständigen-Netzwerken ), evtl. auch Durchführung einer Befragung der maßgeblichen Fachleute

Beurteilungszeitpunkt für das Einhalten der allgemein anerkannten Regeln der Technik Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage des Einhaltens der allgemein anerkannten Regeln der Technik : grds. Zeitpunkt der Abnahme (vgl. 13 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 VOB/B)

BGH, Urteil v. 04.06.2009 VII ZR 54/07 2. Leitsatz: Kann der Erwerber nach den Umständen erwarten, dass die Wohnung in Bezug auf den Schallschutz üblichen Qualitätsund Komfortstandards entspricht, muss der Unternehmer, der hiervon vertraglich abweichen will, den Erwerber deutlich hierauf hinweisen und ihn über die Folgen einer solchen Bauweise für die Wohnqualität aufklären. Der Verweis des Unternehmers in der Leistungsbeschreibung auf Schalldämmung nach DIN 4109 genügt hierfür nicht.

OLG Stuttgart, Urteil v. 17.10.2011 5 U 43/11 Leitsatz: Ein Bauträger kann den mit der Planung von Reihenhäusern beauftragten Architekten nicht wegen Fehlplanung mit der Begründung in Haftung nehmen, das Bauwerk entspreche hinsichtlich des Schallschutzes trotz Einhaltung der DIN 4109 nicht dem Stand der Technik, da eine einschalige statt einer doppelschaligen Bauweise geplant worden sei, wenn er vom Fach ist und dem Architekten auf Augenhöhe gegenübersteht und die einschalige Bauweise nach Einschaltung von Schallschutzgutachtern gezielt von ihm aufgrund einer bewussten Entscheidung angeordnet worden ist und er schon vor Erstellung der Planung die Kaufpreise entsprechend verbindlich kalkuliert hat.

Hinweise 1. Ein Unternehmer, der die allgemein anerkannten Regeln der Technik im Bauvertrag und damit die geforderte Mindestqualität der Bauleistung unterschreiten will, ist nach der Rechtsprechung des BGH gehalten, den Auftraggeber in einem umfassenden, fehlerfreien Hinweis über sämtliche Folgen dieser Bauweise für die spätere Wohnqualität aufzuklären. Der nicht näher erläuterter Hinweis auf ein technisches Regelwerk (z.b. Schalldämmung nach DIN 4109 ) genügt diesen Anforderungen schon deswegen nicht, weil ein Auftraggeber in aller Regel keine Vorstellung von den Anforderungen technischer Regelwerke und deren Bedeutung für die spätere Bauqualität hat. Gelingt es dem Unternehmer, den Auftraggeber genau über die negativen Folgen für die spätere Wohnqualität aufzuklären und willigt dieser in Kenntnis der Folgen in diese Bauausführung ein, hat die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit grundsätzlich Vorrang (Privatautonomie).

Hinweise 2. Vorstehende Grundsätze können dann anders zu beurteilen sein, wenn der Auftraggeber technisch versiert ist und deswegen genau um die technischen Anforderungen weiß. Ein solcher Auftraggeber verdient sicherlich weniger Schutz als ein privater Bauherr, der in technischen Dingen völlig unerfahren ist. Sollte ein Vertrag mit einem technisch erfahrenen Auftraggeber geschlossen werden, kann schon der bloße nicht näher erläuterte Hinweis auf ein technisches Regelwerk genügen, um die darin enthaltenen Anforderungen zur vertraglich vereinbarten Beschaffenheit werden zu lassen.

Hinweise 3. Nach Auffassung des Referenten muss ein Unterschreiten der allgemein anerkannten Regeln der Technik die absolute Ausnahme bleiben! Das gilt schon deswegen, weil sich Unternehmer ansonsten allzu leicht von ihrer Verpflichtung zum Einhalten der geschuldeten Mindestqualität einer Bauleistung freizeichnen könnten. Zudem dürfte das Erteilen eines umfassenden, fehlerfreien Hinweises auf sämtliche Folgen äußert schwierig sein. Unternehmern ist nach hier vertretener Auffassung daher dringend davon abzuraten, den Weg des vertraglichen Unterscheitens der allgemein anerkannten Regeln der Technik einzuschlagen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!