Alrun Vogt Wirtschaft anders denken Vom Freigeld bis zum Grundeinkommen
Dieses Beispiel zeigt, dass nicht alle von diesem Geldvermehrungssystem profitieren können; dass es nur funktionieren kann, wenn nur einige ihr Geld beiseite legen und noch andere da sind, die arbeiten und Schulden machen. Woher kommt der Zinsgewinn? Stellen Sie sich einmal vor, Ihnen würde jemand regelmäßig einen Hunderter aus der Brieftasche nehmen. Ganz sicher würden Sie Anzeige erstatten. Nicht anders würden Sie wahrscheinlich reagieren, wenn jemand bei jedem Ihrer Käufe nach Mafiaart einen bestimmten Anteil der Kaufsumme abkassieren würde. Genau das aber passiert bei jedem von uns! Jeden Tag, bei jedem Kauf, in einem immer größeren Umfang. Helmut Creutz, in «Das Geldsyndrom» Woher kommt dieses Geld, das sich auf der Bank scheinbar von alleine vermehrt; je mehr es ist, desto schneller? Es kommt von den Menschen, die einen Kredit aufgenommen und Zinsen darauf gezahlt haben. Nun könnte man sich denken: Wer Schulden aufnimmt, ist selbst dafür verantwortlich. Er hat mit dem erhaltenen Kredit auch die Möglichkeit, in etwas zu investieren, woraus er Profit machen kann. Aber nur circa fünf Prozent aller Schulden in Deutschland werden von Privatleuten aufgenommen. 10 Den Rest der Schulden machen die Unternehmen und der Staat, und diese wälzen 18
ihre Zinslasten auf die Allgemeinheit ab, die dadurch zwangsweise Zinsen zahlt. Denn was macht ein Unternehmer, der einen Kredit aufgenommen hat, um diesen abzahlen zu können? Er schlägt die Zinsbelastung auf den Endpreis seiner Produkte auf oder trifft Rationalisierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Entlassung von Mitarbeitern, was ebenfalls die Allgemeinheit belastet. Der Staat treibt die Zinsen für seine Schulden über die Steuern ein. Durchschnittlich ist heute in allen Preisen ein Zinsanteil von mindestens 40 Prozent enthalten. 11 Beim Mietpreis liegt der durchschnittliche Zinsanteil sogar bei 70 Prozent. 12 Wir alle zahlen also Zinsen. Ob man in diesem System zu den Verlierern oder Gewinnern zählt, kann man sich leicht ausrechnen: Man nimmt 40 Prozent seiner Ausgaben in einem bestimmten Zeitraum und schaut dann, ob die eigenen Zinserträge im selben Zeitraum jenen Betrag übersteigen. Nur wenn dies der Fall ist, profitiert man von diesem System. Das betrifft nur ungefähr zehn Prozent der Deutschen. 13 Es gibt noch andere Geldvermehrungsformen mit Zins und Zinseszins, wie Investmentfonds, Genussscheine, Zertifikate. Die Geldvermehrung läuft dort nach dem gleichen Prinzip ab. Auch hier kommen letztendlich die Konsumenten für die Gewinne auf. 19
Die Vermögensverteilung Aus 100 Dollar 110 Dollar zu machen ist Arbeit. Aus 100 Millionen Dollar 110 Millionen zu machen, ist unvermeidlich. Edgar Bronfmann, Milliardär und Chef von Seagram Den Vermögenstransfer von Arm nach Reich man könnte auch sagen von der Arbeit zum Kapital kann man in den statistischen Daten genau wiederfinden. Wenn man alle deutschen Haushalte in zehn gleich große Einkommensgruppen einteilt, dann kann man etwa Folgendes sehen: Von 1991 bis 2010 hatten die ärmeren neun Einkommensgruppen kontinuierlich immer weniger Anteil am gesamten Volkseinkommen. Das oberste Zehntel wurde ungefähr um diesen Anteil reicher. 14 Weltweit öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich rasant. Die 226 größten Privatvermögen der Welt waren 2003 ebenso groß wie die Vermögen von 2,7 Milliarden der ärmsten Menschen auf der Welt. 15 Das Vermögen der drei reichsten Personen ist größer als das gemeinsame Bruttoinlandsprodukt der 48 am wenigsten entwickelten Länder mit 600 Millionen Einwohnern. 16 Lebensmittel gäbe es eigentlich genug. Die heutige Lebensmittelproduktion könnte vier Milliarden Menschen mehr ernähren. 17 Doch seit 1996 steigt die Zahl der Hungernden weltweit Jahr für Jahr an. Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an mangelhafter Ernährung, täglich verhungern 24 000 Menschen. 18 Manche sind der Meinung, dass die Milliardäre durch ihre Unternehmenstätigkeit den allgemeinen Wohlstand vermehren. Doch die folgende Grafik zeigt exemplarisch für Deutschland, 20
dass ihre Vermögen viel schneller gewachsen sind als die Durchschnittslöhne und die Wirtschaft, die «nur» linear gewachsen sind. Bis 2010 sind die deutschen Geldvermögen um das 46fache exponentiell angestiegen, während die Wirtschaft seit 1950 «nur» um das achtfache angestiegen ist. Das heißt, dass diese Vermögenszuwächse nicht aus einem allgemein höheren Wohlstand finanziert werden, sondern für andere Menschen Verluste bedeuten. Es ist erstaunlich, dass an dieser schleichenden, aber so drastischen Umverteilung kaum öffentlich Kritik geübt wird! Viel mehr im öffentlichen Bewusstsein als die leistungslosen Einkommen sind Einzelfälle von Sozialhilfeempfängern, die den Staat ausnutzen. Wer ohne Arbeit Einkommen bezieht, ist theoretisch auch zur Steuerzahlung verpflichtet. Praktisch garantieren aber eine Reihe von Finanzschlupflöchern die Nichtkontrolle der Kapitaleinkünfte. Jedoch würden auch vorschriftsmäßig gezahlte Steuern die systembedingte Umverteilung nicht ausgleichen. Das Schlimme ist, dass die Superreichen nur einen Bruchteil ihrer Erträge verkonsumieren können. Auch wenn man noch so verschwenderisch lebt, kann man täglich kaum 500 000 Euro oder wie im Falle von Warren Buffet gar 25 Millionen Euro ausgeben. Was machen die Superreichen also mit ihren nicht ausgegebenen Kapitalgewinnen? Sie legen sie wieder gewinnbringend an. Verdient jemand, den wir kennen, 20 000 Euro im Monat, dann missbilligen wir dies und halten es für ungerecht. Lesen wir aber, dass irgend jemand monatlich zum Beispiel zwei Millionen oder sogar 20 Millionen Euro aus seinem Vermögen kassiert, löst das eher ehrfürchtiges Erstaunen oder neiderfüllte Anerkennung aus. Wir können uns hohe Vermögen nicht vorstellen, deshalb hört unsere Kritik wohl auf. 21
Geldvermögen, BIP und Nettolöhne in Dtl. 1950 bis 2010 Entwicklung in nominellen Größen alle Werte in Mrd Euro Grafik: Helmut Creutz, Grafikdatenbank, Nr. 110. Aber machen wir uns einmal anschaulich, wie hoch etwa die Zahl eine Milliarde ist: Wer eine Million einzelne Geldstücke zählen will, braucht dafür 35 Tage, wenn er acht Stunden täglich jede Sekunde eine Münze zählt. Bei einer Milliarde Geldstücke braucht er dafür 96 Jahre. Um eine Milliarde Euro 22