Prof. Dr. Klaus Ulrich Schmolke, LL.M. (NYU) Geschäftsleiterhandeln im Gruppeninteresse Europäische Reformüberlegungen und deutscher Status Quo Internationales Symposium zum türkischen und deutschen Konzernrecht Istanbul, den 16. Mai 2014
I. Einführung in das Thema Der Zielkonflikt im Konzern: Interesse der Konzernspitze an flexibler und effektiver Steuerung zur rentablen Nutzung der Gruppe Schutzinteresse der Tochtergesellschaften (Minderheitsgesellschafter, Gläubiger) Problemstellung: Faktische Erwartung des Handelns im Interesse des Gesamtkonzerns Geschäftsleiter Rechtliche Verpflichtung des Handelns im Interesse der eigenen Gesellschaft Europäisches Reformbestreben: Regelung zur Anerkennung des Gruppeninteresses als Safe harbour für Geschäftsleiter 2
II. Der europäische Impuls Vorschlag der Reflection Group on the Future of Company Law (2011) : Inhalt des Vorschlags : Kommissionsempfehlung zur Anerkennung des Gruppeninteresses Zulässigkeit der Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter jedoch nur bei hinreichendem Schutz der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter Begründung: Herstellung von Klarheit für Geschäftsleiter abhängiger Gesellschaften Safe harbour mit Blick auf die Haftung der Geschäftsleiter Erleichterte Steuerung und Koordination grenzüberschreitender Gruppen 3
II. Der europäische Impuls Maßnahmen des Aktionsplans der EU-Kommission v. 12.12.2012: 2014 wird die Kommission eine Initiative für [ ] eine bessere Anerkennung des Begriffs,Gruppeninteresse vorlegen. Daneben: Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrolle von Transaktionen mit nahestehenden Personen Bisher: Lediglich Ausschreibung der Besetzung einer Expertengruppe 4
III. Das Vorbild: Die Rozenblum-Doktrin Französische Rozenblum-Doktrin als Vorbild für Anerkennungsregel Inhalt: Herrschendes Unternehmen darf abhängiger Gesellschaft im Gruppeninteresse Nachteile zufügen, wenn 1. Strukturelle Verfestigung der Gruppe 2. Leitung durch eine kohärente Gruppenpolitik 3. Ausgewogenes Verhältnis von Vorteilen und Lasten für einzelne Gruppenmitglieder 5
IV. Status quo im deutschen Aktienkonzernrecht Vertragskonzern (Beherrschungsvertrag): 308 Abs. 1 S. 2 daktg: Auch nachteilige Weisungen durch herrschendes Unternehmen zulässig, wenn sie den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm oder der [beherrschten] Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dienen (= Konzerninteresse ) Folgepflicht des Vorstands der beherrschten AG => keine Haftung ( 308 Abs. 2 i.v.m. 310 Abs. 3 daktg) Konzerninteresse isd 308 Abs. 1 S. 2 daktg = (mittelbares) Interesse des herrschenden Unternehmens an rentabler Nutzung der Gruppe! => entspricht Verpflichtung des Geschäftsleiters des herrschenden Unternehmens auf das Interesse seiner Gesellschaft Weisungsfreier Raum : eigenverantwortliche Leitung ( 76 AktG) des Vorstands der beherrschten AG Bei Konflikt zwischen Interesse seiner Gesellschaft und Konzerninteresse jedoch Pflicht zu konzernfreundlichem Verhalten 6
IV. Status quo im deutschen Aktienkonzernrecht Faktischer Konzern und einfache Abhängigkeit: Geschäftsleiter des herrschenden Unternehmens sind allein dem Interesse ihrer Gesellschaft verpflichtet ( Konzerninteresse i.s.d. 308 Abs. 1 S. 2 daktg) Kein Weisungsrecht zur Durchsetzung dieses Konzerninteresses ; Grundsätzliches Verbot der Einflussnahme zum Nachteil der beherrschten AG Ausnahme in 311 daktg: Zulässigkeit nachteiliger Einflussnahme nur bei (Einzel-)Ausgleich des konkreten Nachteils innerhalb des Geschäftsjahres Konsequenz für Vorstand der beherrschten AG: Grds. Handeln nach 76 daktg Vorstand darf jedoch nachteiliger Einflussnahme i.s.d. 311 daktg nachgeben, wenn 1. Nachteil ausgleichsfähig, 2. herrschendes Unternehmen zum Ausgleich bereit und imstande, 3. Maßnahme im Konzerninteresse i.s.d. 308 Abs. 1 S. 2 daktg 7
V. Status quo im deutschen GmbH-Konzernrecht Rechtswirklichkeit in Deutschland: ca. 500.000 Konzern-GmbHs 12.000 Konzern-AGs 8
V. Status quo im deutschen GmbH-Konzernrecht Faktischer GmbH-Konzern: Geschäftsleiter des herrschenden Unternehmens sind ausschließlich dem Interesse ihrer Gesellschaft verpflichtet (inkl. Konzerninteresse ) Durchsetzung durch Weisungsbeschluss gegenüber Geschäftsführern der abhängigen GmbH ( 37 Abs. 1 dgmbhg) Schranken des Weisungsrechts: Stimmverbot unter Voraussetzungen des 47 Abs. 4 GmbHG (analog) Gesellschafterliche Treuepflicht als striktes Schädigungsverbot keine Privilegierung wie in 311 ff. daktg! Ausnahmen: a) Zustimmung sämtlicher Gesellschafter oder b) 100-prozentige Tochter-GmbH Verbleibende Grenze der Nachteilszufügung: Gläubigerschutz! 9
VI. Erneuter Blick auf die Europäische Initiative Gruppeninteresse = Interesse der Konzernspitze? Gruppeninteresse = Konzerninteresse i.s.d. 308 I 2 daktg? dann: Gläubiger- und Minderheitenschutz anderweitig Rozenblum-Doktrin versus Einzelausgleich nach 311 daktg 311 ff. daktg funktioniert für deutsche Tochter-AGs Unschärfe der Rozenblum-Doktrin nachteilig für safe harbour GmbH-Konzernrecht und Gruppeninteresse Bedarf für Anerkennung eines Gruppeninteresses jedenfalls bei mehrgliedriger GmbH-Tochter Rozenblum-Doktrin oder konzerndimensionale Business Judgment Rule? 10
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