Mangelernährung bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren S. Weidlich, Pflegeexpertin APN, Klinik für HNO-Heilkunde 01.10.2017
Begriffsklärung (Pilrich et al., 2003) Fehlernährung ist ein Oberbegriff für alle relevanten Ernährungsdefizite. Der Begriff beschreibt Mangelzustände, schließt die Überernährung aber aus. Unterernährung: verringerter Energiespeicher (Fettmasse ) Mangelernährung: krankheitsassoziierter Gewichtsverlust (unbeabsichtigter Gewichtsverlust) Eiweißmangel (Muskelmasse ) spezifischer Nährstoffmangel (z.b. Vitamine, Mineralstoffe) 2 01.10.2017
Wie ist ein mangelhafter Ernährungsstatus zu erkennen? (Pilrich et al., 2003) Bodymass-Index (kg/m 2 ) zur groben Einschätzung von Untergewicht (Untergewicht für Erwachsene < 18,5kg/m 2 ) Unbeabsichtigter Gewichtsverlust als Hinweis für einen krankheitsassoziierten Gewichtsverlust (über 10% in den letzten 6 Monaten) Laborwerte als Hinweis für Eiweißmangel, spezifischen Nährstoffmangel Klinische Symptomatik. 3 01.10.2017
Wie ist ein mangelhafter Ernährungsstatus zu erkennen? Einsatz von Erhebungsinstrumenten zur Erfassung der Mangelernährung bzw. dessen Risikos Vielzahl an Screening- und Assessmentinstrumenten (Schütz et al., 2005) Empfehlung der ESPEN zu Screeninginstrumenten (European Society for Clinical Nutrition an Metabolism) Nutritional Risk Score / NRS 2002 (Schütz et al., 2005) Malnutrition Universal Screening Tool / MUST (Schütz et al., 2005) Mini Nutritional Assessment / MNA (Schütz et al., 2005) Beispiel Assessment: Subjective Global Assessment / SGA (Pirlich et al., 2003) 4 01.10.2017
Bedeutung einer mangelhaften Ernährung (Schütz, 2017) Auswirkung auf Stoffwechsel- und Organfunktionen Eingeschränkte Lebensqualität aufgrund: Verschlechterung des Allgemeinzustandes Müdigkeit Antriebsschwäche Vermehrtes Auftreten von Erkrankungen, verlängerte Erholungszeit, erhöhte Komplikationsrate (Ljungqvist et al., 2010) Verlängerte Liegezeit Erhöhte Sterblichkeit Steigende Behandlungskosten 5 01.10.2017
Wer ist besonders gefährdet? (DNQP, 2017; Schütz, 2017) Menschen, die aufgrund von funktionaler oder kognitiver Beeinträchtigung nicht in der Lage sind, den Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarf zu decken Veränderter Energie- und Nährstoffbedarf durch Krankheit oder andere Ereignisse Altersassoziierte Veränderungen Lebensumstände Weitere Faktoren: Armut, Isolation, mangelndes Wissen, usw. 3 Risikofaktoren: Alter, erhöhte Medikamenteneinnahme, Krebserkrankung (Pilrich et al., 2006) 6 01.10.2017
Wie viele sind betroffen? Krankenhaus (Pilrich et al., 2006) 27% der Patienten weisen Mangelernährung auf geriatrischer Abteilung (56,2%), onkologische Abteilung (37,6%), gastroenterologische Abteilung (32,6%) Seniorenheim (Bartholomeyczik et al., 2010) 26% der Bewohner haben Hinweis auf Mangelernährung Risiko bei 5% der Gesamtbevölkerung, ab Alter von 65 Jahren 10%, 75-80 Jahre, die zu Hause leben mehr als 20% (Ljungqvist et al., 2010) 7 01.10.2017
Ökonomische Relevanz Behandlungskosten eines mangelernährten Patienten 20% über dem Mittel der DRG (Schütz, 2017) Routinemäßige Erfassung und Dokumentation der Mangelernährung Erhöhung der Vergütung bei einem Viertel der mangelernährten Patienten (Schütz, 2017) 8 01.10.2017
Ein Praxisentwicklungsprojekt Ernährungsmanagement in der HNO Forschungsprojekt Systematische Literaturrecherche Entwicklung einer Handlungsempfehlung Pilotierung / Reviewprozess Implementierung HNO Gesamt Evaluation 9
Forschungsprojekt (Weidlich & Becker, 2015) Wie ist die Prävalenz von Untergewicht sowie das Risikos für Mangelernährung in der HNO zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme? Wenn ein Risiko vorliegt und/oder dokumentiert ist, sind adäquate Maßnahmen in der Dokumentation nachvollziehbar? Information n = 188 Einschluss n = 176 Risikogruppe n = 29 (16,5%) Analyse n = 27 Aufnahmetag (24h) Ein-/Ausschluss Einwilligung Screening (MUST) Weitere Daten Nach 48-72h Dokumentenanalyse 10
FAZIT (Weidlich & Becker, 2015) Erheblicher Anteil der HNO-Patienten hat ein Risiko (16,5%) 2,8% der Patienten sind untergewichtig Tumorerkrankung stellt Risikofaktor dar (ca. 50% der risikogefährdeten Patienten leiden an maligner Tumorerkrankung) BMI gibt wenig Hinweis auf Risiko wird dokumentiert Ungeplanter Gewichtsverlust (letzte 3-6 Monate) ist Kriterium in 68,9% der Fälle wird nicht dokumentiert Die Dokumentation ist unzureichend 11 01.10.2017
Risiko HNO-Tumor (Talwar et al., 2016)(Talwar et al., 2016) Maligne Tumore der Mundhöhle, des Rachens, des Kehlkopfes, der Nase / Nasennebenhöhle, Tumorlokalisation des äußeren Halses, der Schilddrüse Multimodale Therapie Therapieinduzierte (OP, Symptome Chemo- und Strahlentherapie) 50-75% Risiko für Mangelernährung (ENT UK, 2011) Lebens-und Ernährungsgewohnheiten: Tabak- und Alkoholkonsum Persönliche Einseitige Ernährung Faktoren Psychologischer Stress aufgrund der Diagnose (Larsson et al., 2003) 12 01.10.2017
Literaturrecherche Ernährungsmanagement Welche Maßnahmen sind zur Vorbeugung bzw. Behandlung der Mangelernährung bei Patienten mit Kopf-Hals- Tumoren wirksam und sicher? Welche Rolle spielt die Pflege? Ziel: Schlussfolgerungen für Praxis 13 01.10.2017
Literaturrecherche Ernährungsmanagement Ernährungsmanagement ist Teamarbeit Diätassistenten Ernährungsmediziner Mediziner Pflegende Maßnahmenplanung setzt Problem- und Ursachenerkennung voraus Motto: Screening leads to nutritional care (Kondrup et al., 2003, S. 416) 14
Literaturrecherche Ernährungsmanagement Aufgaben der Pflege: Risikoerkennung (Green & Watson, 2005) Überwachung / Triage (Isenring et al., 2007) Schnittstellenmanagement (DNQP, 2010) Direkte Ernährungsunterstützung (DNQP, 2010) Auswahl der Speisen Darreichungsform Unterstützung / Übernahme der enteralen und parenteralen Ernährungstherapie Überwachung (Nebenwirkungen der Therapie, Veränderungen) Symptommanagement (Larsson et al., 2003) 15
Handlungsanweisung HNO Screening bei Aufnahme Nutritional Risk Screening (NRS 2002) Risikoeinschätzung JA Risiko vorhanden 3 Punkte NEIN Kein Risiko vorhanden < 3 Punkte Maßnahmenplanung Überwachung der Nahrungszufuhr Symptommanagement Individuelle Ernährungstherapie (oral, enteral, parenteral) Ggf. Ernährungsberatung Ist postoperativ eine Einschränkung der oralen Nahrungsaufnahme zu erwarten? JA NEIN Abb.: Ablaufdiagramm Ernährungsmanagement bei Patienten mit Kopf-Hals- Tumoren(Weidlich & Engelhardt, 2017) 16
Bei ermitteltem Risiko Überwachung der Nahrungszufuhr Gewichtskontrolle: 1x pro Woche (Talwar et al., 2016) Tellerdiagramm täglich zu den Mahlzeiten (Arends et la., 2015) Ziel: Früherkennung einer verminderten oralen Nahrungsaufnahme Gewichtsverläufe erkennen und bewerten 17 01.10.2017
Bei ermitteltem Risiko Symptommanagement Symptome und Ursachen, welche die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen erkennen, lindern / beseitigen (Arends et al., 2015) Geruchs- und Geschmacksveränderungen Xerostomie Übelkeit und Erbrechen Defekter Zahnstatus Soor, Mukositis Schmerzen Fatigue Psychologischer Distress Unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen S3 Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen PatientIennen (2017) http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/032-054oll_s3_supportiv_2017-05.pdf 18 01.10.2017
Bei ermitteltem Risiko Individuelle Ernährungstherapie Ernährungssupport: Bereitstellung von Nahrung bzw. Nährstoffen um den Ernährungsstatus zu verbessern / zu erhalten (Valentini et al., 2013) Orale Ernährung Enterale Ernährung Parenterale Ernährung Energiezufuhr nach individuellen Bedarf Durchschnittlicher Bedarf: 25-30kcal/kg (Talwar et al., 2016) 19 01.10.2017
Bei ermitteltem Risiko (Arends et al., 2015) Individuelle Ernährungstherapie ORAL Individuelle Kostform Zwischenmahlzeiten/ Spätmahlzeiten Speisenanrichtung Trinknahrung Ggf. Ernährungsberatung ENTERAL Individuelle Auswahl Produktempfehlung PARENTERAL Individuelle Arztanordnung 20 01.10.2017
Herausforderungen Unterstützende Dienste Anamnese Screening Dokumentation Patient Wissen/ Verfügbarkeit Sondenkost Oraler Ernährungssupport Folie 21 01.10.2017
Chancen Früherkennung Überwachung der Nahrungszufuhr / Evaluation von Maßnahmen möglich Sprache der Pflege / Argumentation gegenüber anderen Professionen Bedeutungssteigung des Themas Ernährung / Aufmerksamkeit Ökonomische Relevanz 22 01.10.2017
Fazit Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren haben erhöhtes Risiko eine Mangelernährung zu entwickeln Ein strukturiertes Ernährungsmanagement ermöglicht das Risiko frühzeitig zu erkennen und adäquate Maßnahmen einzuleiten und zu evaluieren Die Rolle der Pflege im Rahmen des Ernährungsmanagements wird betont und gestärkt Ziel: Versorgungsqualität 23 01.10.2017
Pflegeexperten APN am UKF https://www.uniklinikfreiburg.de/uniklinikum/pflege/pflegefachlichkeit/pflegeexperten-apns.html 24
Offenlegung Interessenskonflikte 1. Anstellungsverhältnis oder Führungsposition Liegt nicht vor. 2. Beratungs- bzw. Gutachtertätigkeit Liegt nicht vor. 3. Besitz von Geschäftsanteilen, Aktien oder Fonds Liegt nicht vor. 4. Patent, Urheberrecht, Verkaufslizenz Liegt nicht vor. 5. Honorare Liegt nicht vor. 6. Finanzierung wissenschaftlicher Untersuchungen Liegt nicht vor. 7. Andere finanzielle Beziehungen Liegt nicht vor. 8. Immaterielle Interessenkonflikte Liegt nicht vor.
Literaturverzeichnis Arends, J., Bertz, H., Bischoff, S. C., Fietkau, R., Herrmann, H. J., Holm, E.,... Committee, D. S. (2015). Klinische Ernährung in der Onkologie. Aktuel Ernaehr Med, 40, 1-74 Bartholomeyczik, S., Reuther, S., Luft, L., van Nie, N., Meijers, J., Schols, J., & Halfens, R. (2010). Prevalence of malnutrition, interventions and quality indicators in German nursing homes - first results of a nationwide pilot study]. [Multicenter Study]. Gesundheitswesen, 72(12), 868-874 DNQP, Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege. (2017). Expertenstandard Ernährungsmanaegment zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege. Osnabrück ENT UK (British Association of Otorhinolaryngology, Head and Neck Surgery) (2011). Head and Neck Cancer: Multidisciplinary Management Guidelines. http://bahno.org.uk/wp- content/uploads/2014/03/multidisciplinary-management-guidelines-for-head-and-neck- Cancer.pdf [Zugriff am 29.09.17] Europarat (2003). http://www.akenutrition.at/uploads/media/resolution_resap 2003_3_deutsch.pdf [Zugriff am 29.09.17] Krebsgesellschaft (2013). Kopf-Hals-Tumoren: Definition und Häufigkeiten. http://www.krebsgesellschaft.de/pat_ka_kopf_hals_tumor_definition,108162.html [Sand: 20.06.2013] Kondrup, J., Allison, S. P., Elia, M., Vellas, B., & Plauth, M. (2003). ESPEN Guidelines for Nutrional Screening 2002. Clinical Nutrition, 22(4), 415-421 26 01.10.2017
Literaturverzeichnis Larsson, M., Hedelin, B., & Athlin, E. (2003). Lived experiences of eating problems for patients with head and neck cancer during radiotherapy. J Clin Nurs, 12(4), 562-570 Ljungqvist, O., van Gossum, A., Sanz, M. L., & de Man, F. (2010). The European fight against malnutrition. Clinical Nutrition(29), 149-150 Pirlich, M., & Norman, K. (2011). Bestimmung des Ernährungszustands: moderne Standards. Aktuel Ernaehr Med, 36, 248-264 Pirlich, M., Schütz, T., Normann, K., Gastell, S., Lübke, H. J., Bischoff, S. C.,... Lochs, H. (2006). The German hospital malnutrition study. Clinical Nutrition(25), 563-572 Pirlich, M., Schwenk, A., Müller, M. J., Ockenga, J., Schmidt, S., Schütz, T.,... Volkert, D. (2003). DGEM-Leitlinie Enterale Ernährung: Ernährungsstatus. Aktuel Ernaehr Med (28, Supplement 1), 10-25 Schütz, T. (2017). http://www.station-ernaehrung.de/wissenswertes/mangelernaehrung/ [Zugriff am 29.09.2017] Schütz, T., Valentini, L., & Plauth, M. (2005). Screening auf Mangelernährung nach den ESPEN-Leitlinien 2002. Aktuel Ernaehr Med(30), 99-103 Talwar, B., Donnelly, R., Skelly, R., & Donaldson, M. (2016). Nutritional management in head and neck cancer: United Kingdom National Multidisciplinary Guidelines. J Laryngol Otol., 130(2), 32-40 Folie 27 01.10.2017
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