1 Einführung 1.1 Logik und Linguistik Natürliche Sprachen sind durch Ambiguitäten und Vagheiten beim Ausdruck von Denkinhalten charakterisiert. In der mathematischen, formalen Logik werden formale Sprachen, d.h. spezielle Kunstsprachen nach dem Vorbild der Mathematik entwickelt, mit denen sich begriffliche Inhalte direkt, eindeutig und präzise ausdrücken lassen. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 1
Begründer der mathematischen Logik ist Gottlob Frege (1848-1925); seine Begriffsschrift (1879) gilt als Vorbild für Logiksprachen. Die Idee einer formalen Begriffssprache geht auf Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) zurück. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 2
Verwendung von Methoden der formalen Logik in der Linguistik (1) in genereller Hinsicht: Die Linguistik legt wie jede theoretische Wissenschaft ihren Untersuchungen die Prinzipien der logischen Methodologie zugrunde, insofern sie nach Möglichkeit präzise Begriffe benutzt, klare Aussagen formuliert, ihre Ergebnisse generalisiert und ihre Behauptungen deduktiv systematisiert. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 3
(2) in spezieller Hinsicht: Noam Chomsky (Syntactic Structures, 1957): Natürliche Sprachen können mit formalen Sprachen beschrieben werden. Begründung der formalen Syntax der natürlichen Sprache Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 4
Richard Montague (English as a Formal Language, 1970): Natürliche Sprachen können als interpretierte formale Sprachen beschrieben werden. Begründung der formalen Semantik der natürlichen Sprache, d.h. jener Wissenschaft, in der die Bedeutung natürlichsprachlicher Ausdrücke mit Mitteln der mathematischen Logik und Mengentheorie analysiert wird. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 5
Wesentlichen Anteil an der Entwicklung der formalen Semantik haben u.a. - die Logiker und Philosophen David Lewis, Max Cresswell, Terence Parsons und Hans Kamp - die Linguisten Barbara Partee, Emmon Bach, David Dowty und Robin Cooper Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 6
Die Basis der formalen Semantik wird von der elementaren Logik und der elementaren Mengentheorie gebildet. Eine grundlegende Aufgabe der formalen Semantik ist die Klärung von semantischen Relationen, d.h. Bedeutungsbeziehungen zwischen natürlichsprachlichen Sätzen. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 7
Relation der semantischen Implikation (des semantischen Enthaltens, Entailment, Bedeutungseinschlusses) Ein Satz A impliziert semantisch (enthält semantisch, schließt der Bedeutung nach) einen Satz B (ein) genau dann, wenn die von B übermittelte Information in der von A übermittelten Information enthalten ist bzw. jede Situation, die mit A beschreibbar ist, auch mit B beschrieben werden kann. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 8
? Welche Sätze werden von den folgenden Sätzen semantisch impliziert? (1) Felix ist ein gelber Papagei. Felix ist gelb. Felix ist ein Papagei. Felix ist gelb und ein Papagei. Felix ist ein Papagei und gelb. (Felix ist ein Vogel.) (Felix ist ein Tier.) (Felix ist farbig.) etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 9
(2) Felix ist gelb und ein Papagei. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 10
Felix ist gelb und ein Papagei. Felix ist gelb. Felix ist ein Papagei. Felix ist ein gelber Papagei. Felix ist ein Papagei und gelb. etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 11
(3) Paul ist eine große Maus. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 12
Paul ist eine große Maus. Paul ist eine Maus. Paul ist groß und eine Maus. Paul ist eine Maus und groß. Paul ist groß. (?) etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 13
(4) Jumbo ist groß und ein Elefant. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 14
Jumbo ist groß und ein Elefant. Jumbo ist groß. Jumbo ist ein Elefant. Jumbo ist ein Elefant und groß. etc. nicht: Jumbo ist ein großer Elefant. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 15
(5) Paul ist kleiner als Jumbo. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 16
Paul ist kleiner als Jumbo. Jumbo ist größer als Paul. Paul ist nicht so groß wie Jumbo. Jumbo ist nicht so groß wie Paul. Jumbo ist nicht kleiner als Paul. Paul ist nicht größer als Jumbo. etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 17
(6) Max ist so klein wie Moritz. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 18
Max ist so klein wie Moritz. Moritz ist so klein wie Max. Max ist so groß wie Moritz. Moritz ist so groß wie Max. Max ist klein. Moritz ist klein. Max ist nicht kleiner als Moritz. Max ist nicht größer als Moritz. etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 19
(7) Max ist so groß wie Moritz. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 20
Max ist so groß wie Moritz. Moritz ist so groß wie Max. Max ist nicht kleiner als Moritz. Max ist nicht größer als Moritz. etc. nicht: Max ist groß. nicht: Moritz ist groß. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 21
(8) Fritz sang laut und schön. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 22
Fritz sang laut und schön. Fritz sang schön und laut. Fritz sang laut. Fritz sang schön. Fritz sang. etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 23
(9) Anna legte sich hin und schlief ein. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 24
Anna legte sich hin und schlief ein. Anna legte sich hin. Anna schlief ein. Anna schlief. etc. Anna schlief ein und legte sich hin. (?) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 25
(10) Susi aß und trank viel. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 26
Susi aß und trank viel. Susi trank viel und aß. Susi trank und aß viel. Susi trank viel. Susi aß viel und trank viel. Susi aß viel. Susi trank viel. Susi aß. Susi aß viel. Susi trank. Susi aß. Susi aß und trank. Susi trank. etc. Susi aß und trank. etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 27
(11) Hans küsste Maria leidenschaftlich. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 28
Hans küsste Maria leidenschaftlich. Hans küsste Maria. Maria wurde von Hans leidenschaftlich geküsst. Maria wurde von Hans geküsst. Maria wurde geküsst. etc. nicht: Maria küsste Hans. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 29
(12) Hans und Maria heirateten einander. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 30
Hans und Maria heirateten einander. Hans heiratete Maria. Maria heiratete Hans. Maria wurde von Hans geheiratet. Hans wurde von Maria geheiratet. Hans und Maria heirateten. Hans heiratete. Maria heiratete. etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 31
(13) Hans weiß, dass Maria schwanger ist. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 32
Hans weiß, dass Maria schwanger ist. Maria ist schwanger. Hans weiß etwas. etc. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 33
(14) Hans glaubt, dass Maria schwanger ist. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 34
Hans glaubt, dass Maria schwanger ist. Hans glaubt etwas. etc. nicht: Maria ist schwanger. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 35
Relation der semantischen Äquivalenz (der Synonymie, Bedeutungsgleicheit) Zwei Sätze A und B sind semantisch äquivalent (synonym, bedeutungsgleich) genau dann, wenn A semantisch B impliziert und B semantisch A impliziert. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 36
? Sind folgende Sätze jeweils semantisch äquivalent? (1) (a) Felix ist gelb und ein Papagei. (b) Felix ist ein gelber Papagei. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 37
(2) (a) Hans küsste Maria leidenschaftlich. (b) Maria wurde von Hans leidenschaftlich geküsst. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 38
(3) (a) Paris ist die Hauptstadt von Frankreich. (b) Die Hauptstadt von Frankreich ist Paris. (c) Frankreichs Hauptstadt ist Paris. (d) Frankreich hat eine Hauptstadt, die Paris heißt. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 39
(4) (a) MARIA hat den Kuchen gebacken. (b) Maria hat den KUCHEN gebacken. (c) Maria hat den Kuchen GEBACKEN. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 40
Die Relation der semantischen Implikation erlaubt es, von gegebenen Sätzen auf andere Sätze zu schließen. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 41
1.2 Schlüsse, gültige Schlüsse, Schlussschemata Die Logik ist die Wissenschaft vom richtigen Schließen (oder allgemeiner, von den richtigen Formen des Denkens). Begründer der Logik ist Aristoteles (384-322), dessen Syllogistik die erste systematische Bestimmung von logisch gültigen Schlüssen ist. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 42
Wann ist ein Schluss gültig? Wenn die Prämisse(n) des Schlusses wahr ist/sind, dann ist auch notwendigerweise seine Konklusion wahr. Es ist ausgeschlossen, dass die Prämisse(n) des Schlusses wahr ist/sind, die Konklusion aber falsch ist. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 43
Beispiele für gültige Schlüsse: Alle Menschen sind sterblich. (Prämisse) Sokrates ist ein Mensch. (Prämisse) Sokrates ist sterblich. (Konklusion) Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 44
Wenn es regnet, dann wird die Straße nass. Es regnet. Die Straße wird nass. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 45
Hans geht zur Party oder er geht ins Kino. Hans geht nicht zur Party. Hans geht ins Kino. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 46
Alle Dackel sind Hunde. Alle Hunde sind gefährlich. Alle Dackel sind gefährlich. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 47
Beispiele für Schlüsse, die nicht gültig sind: Wenn es regnet, dann wird die Straße nass. Es regnet nicht. Die Straße wird nicht nass. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 48
Alle Katzen sind Säugetiere. Alle Hunde sind Säugetiere. Alle Katzen sind Hunde. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 49
Nicht alle gültigen Schlüsse sind formal (oder logisch) gültig. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 50
Wann ist ein Schluss formal gültig? Die Gültigkeit des Schlusses besteht unabhängig vom konkreten Inhalt der Sätze. Die Gültigkeit des Schlusses ist nur abhängig von der logischen Form der Sätze. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 51
Wenn vom konkreten Inhalt eines Satzes abstrahiert wird, erhält man die logische Form des Satzes. Wenn vom konkreten Inhalt aller in einem Schluss vorkommenden Sätze abstrahiert wird, erhält man ein Schlussschema, d.h. das dem Schluss zugrunde liegende Schema. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 52
Was ist ein gültiges Schlussschema? Jeder Schluss nach einem gültigen Schlussschema ist formal gültig. Beispiele: Wenn φ, dann ψ φ oder ψ φ Nicht φ ψ ψ Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 53
Wenn φ, dann ψ φ ψ Einige Instanzen des gültigen Schlussschemas: Wenn es regnet, dann wird die Straße nass. Es regnet. Die Straße wird nass. Wenn die Sonne scheint, dann bin ich glücklich. Die Sonne scheint. Ich bin glücklich. Wenn 2 mal 2 gleich 4 ist, dann gewinnt Karl im Lotto. 2 mal 2 ist gleich 4. Karl gewinnt im Lotto. φ oder ψ Nicht φ Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 54
ψ Einige Instanzen des gültigen Schlussschemas: Hans geht zur Party oder er geht ins Kino. Hans geht nicht zur Party. Hans geht ins Kino. 2 mal 2 ist 5 oder ich fresse einen Besen. 2 mal 2 ist nicht 5. Ich fresse einen Besen. Maria darf Linguistik studieren oder sie nimmt sich das Leben. Maria darf nicht Linguistik studieren. Maria nimmt sich das Leben. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 55
Die Logik untersucht, welche Schlussschemata gültig sind. Sie stellt logische Schlussregeln (Regeln des logischen Schließens, Deduktionsregeln) zur Verfügung. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 56
1.3 Logische Folgerung und logische Konstanten Was ist eine logische Folgerung? Die Konklusion eines formal gültigen Schlusses ist eine logische Folgerung seiner Prämisse(n). Die Logik untersucht die Eigenschaften der logischen Folgerungsrelation zwischen Sätzen. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 57
Die Relation der logischen Folgerung (logischen Implikation, logischen Konsequenz, logischen Inferenz) zwischen Sätzen wird mit Hilfe des grundlegenderen Begriffs der Wahrheit definiert. D1.1 Aus φ folgt logisch ψ genau dann, wenn (gdw) gilt: Immer wenn φ wahr ist, ist auch ψ wahr. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 58
Wahrheitsbedingungen und logische Konstanten Die Logik untersucht die Wahrheitsbedingungen von Sätzen, d.h. die Bedingungen, unter denen sie wahr sind. Die Wahrheitsbedingungen von logisch komplexen Sätzen werden durch Eigenschaften der in ihnen vorkommenden Ausdrücke nicht, und, oder, alle usw. determiniert. Solche Ausdrücke nennt man logische Konstanten oder logische Operatoren. Die Logik untersucht deren Eigenschaften. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 59
Man unterscheidet zwei Arten von logischen Konstanten, die entsprechend in zwei Bereichen der elementaren Logik untersucht werden: Konnektoren (oder Junktoren) z.b. nicht, und, oder, entweder-oder, weder-noch, wenn-dann Aussagenlogik Quantoren z.b. jeder, einige Prädikatenlogik der 1. Stufe Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 60
Zu den Erweiterungen der elementaren Logik gehören die Prädikatenlogik höherer Stufe Typenlogik (einschließlich λ-operator) Modallogik (möglicherweise, notwendigerweise) Temporallogik (es war der Fall, dass; es wird der Fall sein, dass) Epistemische Logik (wissen, dass; glauben, dass) Deontische Logik (es ist erlaubt, dass; es ist verboten, dass) Intensionale Logik (Intension vs. Extension) Diese Bereiche der Logik sind unbedingt notwendig für die formale Semantik der natürlichen Sprache. Sie sind aber bedeutend schwieriger als die elementare Logik. Die Bereiche sind Gegenstand der Lehre in höheren Semestern. Johannes Dölling: Logik für Linguisten. WiSe 2012/13 61