04/2007 Der Fall Europäischer Haftbefehl

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Transkript:

04/2007 Der Fall Europäischer Haftbefehl EuGH, Rs. C 303/05 P (Advocaten voor de Wereld./. Leden van de Ministerraad), Urteil des Gerichtshofs vom 3. Mai 2007 aufbereitet von Michał Deja Das Wichtigste: Ob der Europäische Haftbefehl in Form eines Übereinkommens i.s.d. Art. 34 Abs. 2 lit. d) EUV oder eines Rahmenbeschlusses i.s.d. Art. 34 Abs. 2 lit. b) erlassen wird, liegt im Ermessen des Rates der Europäischen Union. Der Europäische Haftbefehl verstößt weder gegen den Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen noch gegen den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung. 1. Vorbemerkungen Der erste Teil des Rechtsstreits betrifft die Frage, welches Rechtsinstrument zum Erlass des Europäischen Haftbefehls eingesetzt werden kann. Die Kompetenz zur Regelung der Materie des Haftbefehls ergibt sich zwar direkt aus Art. 31 Abs. 1 lit. a) und b) EUV einer Vorschrift die dem dritten, intergouvernementalen Pfeiler der Union angehört. Problematisch ist aber die Wahl des Rahmenbeschlusses als Instrument der Umsetzung. Die Kläger des Ausgangsverfahrens haben zunächst den Einwand erhoben, in der Sache gehe es nicht um die Angleichung bestehender nationaler Vorschriften, denn mit dem Europäischen Haftbefehl sei neues Recht geschaffen worden und nicht etwa eine Harmonisierung erfolgt. Auch könnten durch einen Rahmenbeschluss bereits bestehende internationale Auslieferungsübereinkommen nicht außer Kraft gesetzt werden. Der EuGH eröffnet seine Prüfung des Rahmenbeschlusses mit der Feststellung, dass mit diesem Instrument das multilaterale System der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden von verurteilten oder verdächtigten Personen zur Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ersetzt werden soll. Dies ist der Zustand der durch die Einführung des Beschlusses erreicht werden soll, also sein Ziel. Dagegen handele es sich bei der Angleichung der nationalen Vorschriften um den Gegenstand des europäischen Rechtsakts. Ob der Rat sich dabei der Rechtsform eines Rahmenbeschlusses oder eines Übereinkommens bedient beides wäre nach Art. 34 Abs. 2 EUV möglich stehe in seinem Ermessen. Mit dieser Feststellung war die Rechtslage für den Gerichtshof geklärt und die Richter verzichteten darauf, auf den ersten Einwand der Kläger einzugehen. Dabei war die Rechtsnatur des Haftbefehls in der Lehre und auch vor nationalen Verfassungsgerichten (z.b.: BVerfG, polnisches Verfassungstribunal) Gegenstand einer heftigen Kontroverse. Diese ist nachvollziehbar, denn eine neuartige Rechtsfigur hätte möglicherweise in Form eines Übereinkommens eingeführt werden müssen und nicht eines zur Angleichung der Rechtsvorschriften bestimmten Rahmenbeschlusses. Die Rechtssache zeigt, dass das Instrument der Harmonisierung, das bislang vor allem in der supranationalen EG eingesetzt worden ist dort ist es die Richtlinie, zunehmend auch innerhalb der dritten Säule wichtig wird. Im Gegensatz zu den internationalen Übereinkommen, ist es bei den Rahmenbeschlüssen nicht möglich, Beschränkungen und Vorbehalte zugunsten einzelner und zuungunsten anderer Staaten einzubauen. Deshalb wurde das Rechtsinstrument auch in den Vertrag von Amsterdam als neue Rechtskategorie inner-

halb der dritten Säule aufgenommen. Der EuGH räumt dem Rat nun ein weites Ermessen bei der Wahl zwischen einem Übereinkommen und einem Rahmenbeschluss und fördert damit die gemeinschaftliche Tendenz der PJZS, die mit der Entscheidung in der Rs. Pupino deutlich wurde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass durch den Rahmenbeschluss bestehende internationale Auslieferungsübereinkommen außer Kraft gesetzt werden. Der Rahmenbeschluss ist einerseits nichts anderes als ein völkerrechtlicher Vertrag und damit gemäß der völkerrechtlich einschlägigen lex posterior - Regel den früheren Übereinkommen vorrangig. Es ist andererseits auch ein Rechtsakt der EU, der eine Harmonisierung bezweckt und seit der Pupino-Entscheidung auch Wirkungen haben kann, die bislang nur eine Richtlinie gehabt hatte und deren endgültiger Umfang noch ergründet werden muss. Insbesondere geht es dabei um die Frage, welchen Umfang und Reichweite die rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts haben kann und ob und inwieweit die innerstaatlich geltenden völkerrechtlichen Verträge im Sinne des Rahmenbeschlusses ausgelegt werden können. Dies wäre möglicherweise eine neue Wirkungsdimension des intergouvernementalen Rechts. Der zweite Teil der Entscheidung betrifft die Vereinbarkeit des Rahmenbeschlusses mit materiellen Rechtsgrundsätzen. Zunächst entkräftet der EuGH den Vorwurf des Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen: auch wenn der Rahmenbeschluss die Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit abschafft, so bleibt doch für die Definition dieser Straftaten und der für sie angedrohten Strafen weiterhin das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats maßgeblich. Dieser hat in jedem Fall auch den Grundsatz der Gesetzesmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen zu wahren. Der zweite Vorwurf zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung beruhte darauf, dass bei anderen Straftaten, als den im Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses genannten, die Auslieferung davon abhängig gemacht werden könne, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden sei, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats eine Straftat darstellen (Art. 2 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses). Hier argumentiert der Gerichtshof, dass die Lage eines Täters, der eine Straftat begangen hat, die in der Liste genannt ist, anders ist, als die desjenigen, der ein weniger schwerwiegendes Delikt begangen hat. Dies ergibt sich aus der Natur und der Höhe des Strafmaßes der aufgelisteten Straftaten. Selbst wenn diese Lage ähnlich sein sollte, so ist aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der aufgelisteten Straftaten ein Verzicht auf die beiderseitige Überprüfung der Strafbarkeit gerechtfertigt. Mit diesen Ausführungen stärkt der EuGH den Charakter des Haftbefehls als Mittel der zwischenstaatlichen Rechtshilfe. Das europaweite System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen, das durch den Rahmenbeschluss erweitert werden soll, basiert auf gegenseitigem Vertrauen und zwischenstaatlicher Anerkennung so die politischen Ziele des Rahmenbeschlusses. Im vorliegenden Urteil räumt der EuGH mit rechtlichen Bedenken gegenüber dieser Form der justiziellen Zusammenarbeit auf. Wie weit die Harmonisierung auch auf diesem Gebiet bereits fortgeschritten ist, lässt sich mit einem Satz des Generalanwalts zusammenfassen: Es gibt keine souveränen Staaten mehr, die in Einzelfällen zusammenarbeiten, sondern Mitglieder der Europäischen Union, die verpflichtet sind, sich gegenseitig Hilfe zu leisten, wenn Straftaten begangen werden, deren Verfolgung im allgemeinen Interesse liegt. Zitiervorschlag: Deja, DeLuxe 2007, Europäischer Haftbefehl http://www.rewi.europa-uni.de/deluxe 2. Vertiefende Lesehinweise Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 5. Aufl., 2006, Rn. 72 ff. und 1143 ff. 3. Sachverhalt Mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI vom 13. Juni 2002, ABl. L 190, S. 1) wird ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden von verurteilten oder verdächtigen Personen zur Vollstreckung strafrechtlicher Urteile oder zur Strafverfolgung eingeführt. Bei bestimmten, im Rahmenbeschluss aufgezählten Straftaten, wie sie im Recht des Ausstellungsmitgliedstaats ausgestaltet sind, erfolgt eine Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit, wenn diese Straftaten im Ausstellungsmitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind. Eine belgische Vereinigung, Advocaten voor de Wereld, erhob beim Arbitragehof Klage gegen das Gesetz, mit dem der 2

Rahmenbeschluss ins belgische Recht umgesetzt worden ist. Der Schiedshof hat den EuGH auf der Grundlage von Art. 35 EU ersucht, zur Gültigkeit des Rahmenbeschlusses Stellung zu nehmen. In formeller Hinsicht werden die Rechtsgrundlage und die Eignung des gewählten Instruments in Frage gestellt. Der Rahmenbeschluss beinhaltet in materiell-rechtlicher Hinsicht das Verbot, in bestimmten Fällen die Erfüllung des Europäischen Haftbefehls an die Bedingung zu knüpfen, dass die seinem Erlass zugrunde liegende Handlung auch in dem Staat, in dem vollstreckt werden soll, strafbar ist. Das Gericht wollte wissen, ob dieses Verbot mit den Grundsätzen der Gleichheit und der Legalität im Strafrecht im Einklang steht und demzufolge mit Art. 6 Abs. 2 EUV vereinbar ist. Der EuGH hat den Rahmenbeschluss für gültig erklärt. 4. Aus den Entscheidungsgründen 24 Advocaten voor de Wereld trägt im Gegensatz zu allen anderen Beteiligten, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen eingereicht haben, vor, dass die Materie des Europäischen Haftbefehls gemäß Art. 34 Abs. 2 Buchst. d EU durch ein Übereinkommen hätte geregelt werden müssen. 27 Dieses Vorbringen kann keinen Erfolg haben. 28 Wie nämlich aus Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 des Rahmenbeschlusses und aus seinen Erwägungsgründen 5 bis 7 und 11 hervorgeht, soll der Rahmenbeschluss das multilaterale System der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden von verurteilten oder verdächtigen Personen zur Vollstreckung strafrechtlicher Urteile oder zur Strafverfolgung auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung ersetzen. 29 Die gegenseitige Anerkennung von nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats erlassenen Haftbefehlen in den verschiedenen Mitgliedstaaten setzt die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und insbesondere der Regeln voraus, denen die Voraussetzungen, die Verfahren und die Wirkungen der Übergabe zwischen nationalen Behörden unterliegen. 30 Eben dies ist Gegenstand des Rahmenbeschlusses insbesondere in Bezug auf die Regeln betreffend die Arten der aufgeführten Straftaten, bei denen keine Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit vorgesehen ist (Art. 2 Abs. 2), die Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist oder abgelehnt werden kann (Art. 3 und 4), den Inhalt und die Form des Europäischen Haftbefehls (Art. 8), die Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls und deren Modalitäten (Art. 9 und 10), die der gesuchten oder festgenommenen Person zu gewährenden Mindestgarantien (Art. 11 bis 14), die Fristen und Modalitäten der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (Art. 17) sowie die Fristen für die Übergabe der gesuchten Person (Art. 23). 31 Der Rahmenbeschluss ist auf Art. 31 Abs. 1 Buchst. a und b EU gestützt, wonach das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen darauf gerichtet ist, die justizielle Zusammenarbeit bei Gerichtsverfahren und der Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern und zu beschleunigen sowie die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern. 32 Entgegen dem Vorbringen von Advocaten voor de Wereld lässt nichts den Schluss zu, dass die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten durch Erlass von Rahmenbeschlüssen nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. b EU ausschließlich die Strafvorschriften der Mitgliedstaaten erfassen solle, die in Art. 31 Abs. 1 Buchst. e EU genannt sind, d. h. die Vorschriften über die Tatbestandsmerkmale der strafbaren Handlungen und die Voraussetzungen der Strafen in den in der letztgenannten Bestimmung aufgeführten Bereichen. 33 Nach Art. 2 Abs. 1 vierter Gedankenstrich EU gehört die Entwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu den Zielen der Union, und Art. 29 Abs. 1 EU sieht vor, dass die Mitgliedstaaten, um den Bürgern in einem solchen Raum ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten, ein gemeinsames Vorgehen insbesondere im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen entwickeln. Nach Art. 29 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich EU wird dieses Ziel u. a. erreicht im Wege einer engeren Zusammenarbeit der Justizbehörden sowie anderer zuständiger Behörden der Mitgliedstaaten nach den Artikeln 31 [EU] und 32 [EU]. 3

34 Art. 31 Abs. 1 Buchst. a und b EU enthält jedoch keine Angabe zu den hierzu einzusetzenden Rechtsinstrumenten. 35 Im Übrigen bestimmt Art. 34 Abs. 2 EU allgemein, dass der Rat Maßnahmen [ergreift] und in der geeigneten Form und nach den geeigneten Verfahren, die in diesem Titel festgelegt sind, eine Zusammenarbeit [fördert], die den Zielen der Union dient, und ermächtigt den Rat, hierzu Handlungen verschiedener Art, die in Abs. 2 Buchst. a bis d aufgezählt sind, anzunehmen, darunter Rahmenbeschlüsse und Übereinkommen. 36 Darüber hinaus wird weder in Art. 34 Abs. 2 EU noch in einer anderen Bestimmung des Titels VI des EU-Vertrags bei den Arten von Handlungen, die angenommen werden können, nach dem Gegenstand unterschieden, auf den sich das gemeinsame Vorgehen im Bereich der Strafsachen bezieht. 37 Art. 34 Abs. 2 EU stellt auch keine Rangfolge der in dieser Bestimmung aufgezählten unterschiedlichen Rechtsinstrumente auf, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass der Rat für die Regelung einer Materie die Wahl zwischen mehreren Instrumenten haben kann, vorbehaltlich der durch die Natur des gewählten Instruments vorgegebenen Grenzen. 38 Unter diesen Umständen kann Art. 34 Abs. 2 EU als eine Bestimmung, in der die verschiedenen Arten von Rechtsinstrumenten aufgezählt und allgemein definiert sind, die zur Verwirklichung der in Titel VI des EU-Vertrags genannten Ziele der Union herangezogen werden können, nicht so ausgelegt werden, dass er es ausschließt, dass sich die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten durch Erlass eines Rahmenbeschlusses gemäß Abs. 2 Buchst. b auf andere als auf die in Art. 31 Abs. 1 Buchst. e EU genannten Bereiche beziehen kann, insbesondere auf die Materie des Europäischen Haftbefehls. 41 Der Europäische Haftbefehl hätte zwar auch Gegenstand eines Übereinkommens sein können, doch steht es im Ermessen des Rates, dem Rechtsinstrument des Rahmenbeschlusses den Vorzug zu geben, wenn, wie in der vorliegenden Rechtssache, die Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Handlung vorliegen. 42 Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Rahmenbeschluss nach seinem Art. 31 Abs. 1 am 1. Januar 2004 die entsprechenden Bestimmungen der dort angeführten früheren Auslieferungsübereinkommen nur in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten ersetzt. Bei jeder anderen Auslegung die sich weder auf Art. 34 Abs. 2 EU noch eine sonstige Bestimmung des EU- Vertrags stützen lässt bestünde die Gefahr, dass der dem Rat verliehenen Befugnis zum Erlass von Rahmenbeschlüssen in den vorher durch internationale Übereinkommen geregelten Bereichen der wesentliche Teil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen wird. 43 Folglich wurde der Rahmenbeschluss nicht unter Verstoß gegen Art. 34 Abs. 2 Buchst. b EU erlassen. 48 Advocaten voor de Wereld trägt vor, die Liste der über 30 Straftaten, für die die traditionelle Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit fallen gelassen werde, sofern diese Straftaten im Ausstellungsmitgliedstaat mit Freiheitsentzug im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht seien, sei so vage und unklar, dass sie gegen das Legalitätsprinzip in Strafsachen verstoße oder jedenfalls verstoßen könne. Die aufgelisteten Straftaten seien nicht mit einer gesetzlichen Definition versehen, sondern stellten sehr vage beschriebene Kategorien unerwünschter Verhaltensweisen dar. Wem aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit die Freiheit entzogen werde, dem komme im Gegensatz zu nicht aufgrund eines Europäischen Haftbefehls inhaftierten Personen nicht die Garantie zugute, dass das Strafrecht so bestimmt, klar und vorhersehbar sein müsse, dass jeder im Zeitpunkt der Begehung einer Handlung wissen könne, ob es sich dabei um eine Straftat handele oder nicht. 49 Es ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegen, und außerdem durch verschiedene völkerrechtliche Verträge, vor allem durch Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, gewährleistet wird (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 12. Dezember 1996, X, C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996, I-6609, Randnr. 25, und vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./kommission, C-189/02 P, C-202/02 P, 4

C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Slg. 2005, I-5425, Randnrn. 215 bis 219). 50 Aus diesem Grundsatz folgt, dass das Gesetz klar die Straftaten und die für sie angedrohten Strafen definieren muss. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Rechtsunterworfene anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung und nötigenfalls mit Hilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen (vgl. insbesondere EGMR, Urteil Coëme u. a./belgien vom 22. Juni 2000, Recueil des arrêts et décisions, 2000-VII, S. 1, 145). 51 Nach Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses erfolgt bei den dort aufgelisteten Straftaten, wenn sie im Ausstellungsmitgliedstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, eine Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls und ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit. 52 Folglich ist, selbst wenn die Mitgliedstaaten zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses die Auflistung der Arten von Straftaten in dessen Art. 2 Abs. 2 wörtlich übernehmen, die Definition dieser Straftaten und der für sie angedrohten Strafen maßgeblich, die sich aus dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats ergibt. Der Rahmenbeschluss ist nicht auf eine Angleichung der fraglichen Straftaten hinsichtlich ihrer Tatbestandsmerkmale oder der angedrohten Strafen gerichtet. 53 Demnach schafft zwar Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses die Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit für die dort aufgeführten Arten von Straftaten ab, doch bleibt für die Definition dieser Straftaten und der für sie angedrohten Strafen weiterhin das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats maßgeblich, der, wie im Übrigen Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses bestimmt, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EU niedergelegt sind, und damit den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen zu achten hat. 55 Advocaten voor de Wereld trägt vor, der Rahmenbeschluss verstoße gegen den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung, soweit danach bei anderen Straftaten als denen des Art. 2 Abs. 2 die Übergabe davon abhängig gemacht werden könne, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden sei, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats eine Straftat darstellten. Diese Unterscheidung sei nicht objektiv gerechtfertigt. Die Abschaffung der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit sei umso anfechtbarer, als der Rahmenbeschluss keine substantiierte Definition der Tatbestände enthalte, für die die Übergabe verlangt werde. Die Regelung des Rahmenbeschlusses führe zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der Rechtsunterworfenen, je nachdem, ob sich der fragliche Sachverhalt im Vollstreckungsmitgliedstaat oder außerhalb dieses Staates ereignet habe. Damit werde in unterschiedlicher Weise über den Entzug ihrer Freiheit entschieden, ohne dass dies gerechtfertigt wäre. 56 Es ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. u. a. Urteil vom 26. Oktober 2006, Koninklijke Coöperatie Cosun, C-248/04, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung). 57 Was zum einen die Auswahl der in Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses aufgelisteten 32 Arten von Straftaten angeht, durfte der Rat auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und angesichts des hohen Maßes an Vertrauen und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass die betroffenen Arten von Straftaten entweder bereits aufgrund ihrer Natur oder aufgrund der angedrohten Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren zu den Straftaten gehören, bei denen es aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt ist, nicht auf der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit zu bestehen. 58 Daher ist die Unterscheidung jedenfalls selbst dann objektiv gerechtfertigt, wenn die Lage von Personen, die der Begehung von Straftaten, die in der Liste des Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses aufgeführt sind, verdächtigt werden oder wegen solcher Straftaten verurteilt worden sind, mit der Lage von Personen vergleichbar sein sollte, die anderer als der in dieser Liste aufgeführter Straftaten verdächtigt werden oder wegen solcher Straftaten verurteilt worden sind. 5

61 Nach alledem ist zu antworten, dass die Prüfung der vorgelegten Fragen nichts ergeben hat, was die Gültigkeit des Rahmenbeschlusses berühren könnte. 6