Lebensqualität fördern bei kognitiver Beeinträchtigung

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Transkript:

Lebensqualität fördern bei kognitiver Beeinträchtigung Sandra Oppikofer UFSP Dynamik Gesunden Alterns & der Universität Zürich Ringvorlesung FS 2017 Gesundes Altern mit hoher Lebensqualität trotz Vulnerabilität? KOL-F-121, Mittwoch, 10. Mai 2017, 18.15-19.45 Uhr Unterwegs zu einer Gesellschaft des langen Lebens Zahl der gesunden Jahre nimmt zu. Starke Zunahme von Alterskrankheiten, insbesondere Demenzerkrankungen. Gesellschaftliche Herausforderungen bezüglich Finanzierung, Organisation der sozialen Sicherheit und des Gesundheitswesens. Seite 2, Sandra Oppikofer 1

Neues Gesundheitsverständnis Bisher: An- oder Abwesenheit von Beeinträchtigungen für die Feststellung von Gesundheit >Symptom- und defizitorientierte, medizinische Sicht der Gesundheit Patienten lediglich Empfänger medizinischer Leistungen «WHO - Global Strategy and Action Plan on Ageing and Health» Dynamische und alltagsrelevante Stabilisierung der Lebensqualität Erhalt und Stärkung von Kapazitäten, die für das Wohlbefinden und die eigenständige Lebensführung nötig sind Seite 3 WHO The Global strategy and action plan on ageing and health (2016-2020) «Healthy ageing» is defined by the World report on ageing and health as: the process of developing and maintaining the functional ability that enables well-being in older age. die Erreichung von Wohlbefinden durch die Aufrechterhaltung und die Weiterentwicklung der Funktionsfähigkeit. World Health Organization. (2015). World report on ageing and health. World Health Organization, 25 39. http://doi.org/10.1007/s13398-014-0173-7.2 Seite 4, Sandra Oppikofer 2

Neues Konzept des «Healthy Ageing» «WHO - Global Strategy and Action Plan on Ageing and Health» 2016 Mit diesem Modell werden drei wesentliche Paradigmen verändert: Individuen und Kontexte statt Symptome und Defizite rücken in den Mittelpunkt, Wege zur Stabilisierung funktionaler Zielgrössen im Alltag, Healthy Aging wird als ein Prozess verstanden, nicht als ein Status. Lebensqualität fördern bei kognitiver Beeinträchtigung Ecopsychosocial Interventions in Cognitive Decline and Dementia Neues Paradigma: the full range of nonpharmacological approaches that improve functioning and reduce the negative consequences of dementia for the individual, family, and society à Einbezug Kontext Widerspiegelt die volle Breite an möglichen Interventionen Ziel: Fokus auf die Entwicklung ökopsychosozialer Interventionen zur Verbesserung des Lebens von Menschen mit Demenz, ihren Pflegepartnern und der breiteren Gesellschaft. Zeisel J, Reisberg B, Whitehouse P, Woods R, Verheul A. Ecopsychosocial Interventions in Cognitive Decline and Dementia: A New Terminology and a New Paradigm. Am J Alzheimers Dis Other Demen. 2016 Sep;31(6):502-7. doi: 10.1177/1533317516650806. Seite 6, Sandra Oppikofer 3

Paradigmen gerontologischer Evidenzgewinnung Meist Fokus auf Symptomatik Demenz und nicht auf Individuum im Kontext. Funktionale Gerontologie: Orchestrierung des Einsatzes unterschiedlicher elementarer Fähigkeiten, Ressourcen und Aktivitäten, damit das stabile Erreichen komplexer Zielfunktionen (z.b. LQ) gelingt. Momentan: RCT untersuchen, welcher einzelne Teilprozess im Durchschnitt in einer Population die grösste Auswirkung auf die LQ innerhalb dieser Population hat. Martin, M. (2016). Funktionale Lebensqualität im Alter. In H.-P. Zimmermann, A. Kruse & T. Rentsch (Hrsg.), Kulturen des Alterns, S. 375-385. Frankfurt: Campus. Seite 7 (Öko)psychosoziale Interventionen bei Demenz Aktueller Forschungsstand Review 179 RCTs, Olazaran et al. (2010): nicht-pharmakologische multi- Komponenten Interventionen haben positiven Effekt auf kognitive Funktion, ADL, Verhalten und Stimmung bei MmD Zunehmender Bedarf an individualisierten ökopsychosozialen Interventionen, um MmD und ihre Zugehörigen zu unterstützen Bio-psychosoziales Demenzmodell (enriched model/ person-centred approach, Kitwood & Bredin, 1992) als Grundlage für die Entwicklung individuell bedeutsamer Interventionen Dominanz Forschung im Bereich Verhaltensschwierigkeiten/ Institutionalisierung Seite 8, Sandra Oppikofer 4

Forschungs-Entwicklung 2008-2015 psychosoziale Interventionen und Demenz Bisher mehr Forschung im Pflegeheimsetting als ambulantes Setting Interventionen mit Fokus auf Management von herausforderndem Verhalten sowie verhaltens- und psychologischen Symptome von Demenz (BPSD) Viele unterschiedliche Studien/Interventionen mit positiven Resultaten: Reduktion von BPSD à breites Konzept von BPSD, nicht-person-zentriert Meist nur unmittelbare oder kurzfristige Veränderungen Oft Interventionen mit kurzer Dauer (6-12 Wochen) à Längerfristige Effekte von Interventionen sind gefragt Bedarf an Forschung im nicht-stationären-kontext und zur Bereicherung der individuellen Lebensqualität von Menschen mit einer Demenzerkrankung; insbesondere auch end-of-life-care Oyebode & Parveen (2016). Psychosocial Interventions for people with dementia: An overview and commentary on recent developments, Dementia, 0(0), 1-28. Seite 9 Bedarf an Design, welches individuelle Unterschiede erklärt Die meisten RCTs und kontrollierten Interventions-Studien untersuchen Unterschiede zwischen Gruppen in nicht-individualisierten Interventionen und nicht den Effekt individualisierter Interventionen Die Lösung: Randomisierung in individualisierte Intervention versus nicht-individualisierte Intervention Seite 10, Sandra Oppikofer 5

Van Haitsma, K.S., Curyto, K., Abbott, K.M., Towsley, G.L., Spector, A., & Kleban, M., (2015). A randomized controlled trial for an individualized positive psychosocial intervention for the affective and behavioral symptoms of dementia in nursing home residents. Journals of Gerontology, Series B: Psychological Sciences and Social Sciences, 0(1), 35 45, doi:10.1093/geronb/ gbt102. Advance Access publication December 4, 2013 Seite 11 Bedürfnisprofile von Menschen mit kognitiven Einschränkungen (Schmid et al., 2013) Seite 12, Sandra Oppikofer 6

Individualisierte zielbezogene Kognitive Rehabilitation bei Menschen mit leichter Demenz (Clare et al., 2013) Seite 13 Beispiele individueller Verbesserung der LQ bei kognitiver Beeinträchtigung Menschen mit Demenz auf Entdeckungsreise im Museum Ein durch die TimeSlips Methode inspiriertes Interventionsprojekt des Zentrums für Gerontologie in Kooperation mit Praxispartnern: Alzheimervereinigung Kanton Zürich, Sanatorium Kilchberg, Kunsthaus Zürich, Gemeinde Horgen, Pflegezentrum Entlisberg und Alterszentren der Stadt Zürich, Pflegi Muri, Kunsthaus Aarau, Kirchner Museum Davos, dandelion Basel & Foundation Beyeler Riehen. Seite 10.5.2017 14 Lebensqualität fördern bei kognitiver Beeinträchtigung, Sandra Oppikofer 7

Bedarf Zukünftig bedarf es: Theorienbedarf: Welche Parameter müssen erfasst werden, um möglichst unterschiedliche Lebensqualitäts-Konstellationen und Stabilisierungen zu beschreiben Datenbedarf: Messung von Lebensqualität und LQ-Stabilisierung im individuellen Alltag Methodenbedarf: Vergleich von theoretischen Modellen mit individuellen Daten systematischer Interventionen, die der Individualität und Kontextualität von Lebensqualität Rechnung tragen und zur QOL-Stabilisierung führen, Interventionen welche konzipiert und erforscht werden können und um damit evidenzbasiert die QOL in der Schweizer Bevölkerung zu stabilisieren und zu verbessern. Seite 15 Ausblick: Individuelle LQ fördern bei kognitiver Beeinträchtigung Mit ansteigender kognitiver Beeinträchtigung Abnahme der Introspektionsfähigkeit und des explizit formulierbaren Wissens darüber, was für eine Person individuell wertvoll und bedeutsam ist Offene Fragen - WER gibt Auskunft über individuelle Ressourcen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Beeinträchtigungen? - WER bestimmt, welche Ziele für die einzelne Person individuell bedeutsam sind? Fremd- vs. Selbsteinschätzung - WIE werden individuelle Interventionen auf ihre Wirksamkeit überprüft? - WELCHE Translation findet statt, nach welchen Kriterien? - Populationsdaten vs. within person - Wie ist vermittelbar, dass nach WHO Healthy Aging-Modell gesund altern und kognitive Beeinträchtigung kein Widerspruch? 10.5.2017 Lebensqualität fördern bei kognitiver Beeinträchtigung Seite 16, Sandra Oppikofer 8