Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Einzelplan 11) 9 Unklare Regelungen für Ortsabwesenheiten Jobcenter behandeln Leistungsberechtigte uneinheitlich (Kapitel 1101) 9.0 Nach mehr als sechs Jahren hat das BMAS immer noch nicht klar geregelt, wie erwerbsfähige Leistungsberechtigte für die Jobcenter erreichbar sein müssen. Die Leistungsberechtigten dürfen sich nur mit Zustimmung ihres Jobcenters außerhalb des Nahbereichs aufhalten. Für diese sogenannten Ortsabwesenheiten versäumte es das BMAS, eine vom Gesetzgeber im Jahr 2011 beschlossene Neuregelung durch eine Rechtsverordnung in Kraft zu setzen. Darüber hinaus sind die derzeit anzuwendenden Regelungen zur Dauer und zu den Voraussetzungen von Ortsabwesenheiten unklar. Die Jobcenter behandeln die Leistungsberechtigten daher nach unterschiedlichen Maßstäben. Der Bundesrechnungshof fordert das BMAS auf, die Bewilligungspraxis der Jobcenter baldmöglichst zu vereinheitlichen. Dazu sollte es die Dauer und Voraussetzungen für eine Ortsabwesenheit in einer Rechtsverordnung konkretisieren. 9.1 Grundsatz der Erreichbarkeit Personen, die Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben (Leistungsberechtigte) müssen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Jobcenter erreichbar sein. Sie haben sich in der Nähe der Jobcenter aufzuhalten, um unverzüglich jede zumutbare Beschäftigung aufnehmen
2 zu können und dürfen sich nur mit Zustimmung ihres Jobcenters außerhalb des Nahbereichs aufhalten (sog. Ortsabwesenheit). Gesetzliche Neuregelung im Jahr 2011 Der Gesetzgeber änderte die Vorschrift über die Ortsabwesenheiten im Jahr 2011. Die neue Regelung konkretisiert u. a. den Personenkreis, der einer Zustimmung bedarf, auf erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Die Vorschrift gilt jedoch erst, wenn das BMAS in einer Rechtsverordnung den Nahbereich, die Dauer sowie die Voraussetzungen für eine Ortsabwesenheit präzisiert. Dies geschah bislang nicht. Übergangsweise geltende Regelungen Die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur) hat für die Arbeitslosenversicherung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) die sogenannte Erreichbarkeits-Anordnung erlassen. Bis zum Erlass der Rechtsverordnung haben die Jobcenter bei Ortsabwesenheiten die gesetzliche Regelung in der bis zum Jahr 2010 geltenden Fassung und die Erreichbarkeits-Anordnung anzuwenden. Anders als die gesetzliche Neuregelung erfassen diese Vorschriften ausnahmslos alle Leistungsberechtigten in Arbeit (sog. Arbeitslosengeld II- Aufstocker), Leistungsberechtigte, die nicht erwerbsfähig sind, oder Leistungsberechtigte, denen die Aufnahme einer Arbeit nicht zuzumuten ist, wie Personen in Elternzeit. Die zulässige Dauer der Ortsabwesenheit beträgt grundsätzlich bis zu drei Wochen. Nicht eindeutig festgelegt ist, ob sich der Nahbereich nach der Entfernung zum Jobcenter oder zum Wohnort richtet. Je nachdem, welchen Bezugspunkt das Jobcenter wählt, kann der Nahbereich in vergleichbaren Fällen so unterschiedlich abgegrenzt sein.
3 Die Bundesagentur gab zu den Ortsabwesenheiten auch sogenannte fachliche Hinweise für die Jobcenter heraus. Diese weichen von den zurzeit anzuwendenden Vorschriften ab: Beispielsweise ermöglichen die fachlichen Hinweise Personen in Elternzeit Ortsabwesenheiten von mehr als drei Wochen und sehen grundsätzlich kein Zustimmungserfordernis für Arbeitslosengeld II- Aufstocker vor. Zudem sind die fachlichen Hinweise ausschließlich für diejenigen Jobcenter verbindlich, die als gemeinsame Einrichtung von Bundesagentur und Kommunen betrieben werden. Für die Jobcenter in kommunaler Trägerschaft gelten diese fachlichen Hinweise jedoch nicht. Anwendung der Vorschriften durch die Jobcenter Der Bundesrechnungshof stellte u. a. fest, dass die Jobcenter Leistungsberechtigten die Ortsabwesenheiten nicht einheitlich bewilligten: Die Jobcenter behandelten nichterwerbsfähige Personen in Elternzeit unterschiedlich. Sie bewilligten ihnen Ortsabwesenheiten von mehr als 3 und bis zu 17 Wochen, bei denen sie zum Teil die Leistungsfortzahlung nach drei Wochen beendeten. Auch beim Nahbereich gingen die Jobcenter von unterschiedlichen Bezugspunkten aus. Sie zählten entweder nur den Wohnort dazu oder legten nicht eindeutig fest, wie weit sich die Leistungsberechtigten ohne Zustimmung vom Jobcenter entfernen durften. Überdies führte die Anwendungspraxis der Jobcenter dazu, dass ihnen Teilzeitbeschäftigte, die mit einer Vollzeitbeschäftigung ggf. ihre Hilfebedürftigkeit überwinden könnten, nicht mehr für eine Vermittlung zur Verfügung standen. Denn die Jobcenter unterschieden bei Arbeitslosengeld II-Aufstockern nicht, ob diese in Vollzeit oder Teilzeit beschäftigt waren. Beide Personengruppen durften sich so ohne Zustimmung zeitlich unbegrenzt außerhalb des Nahbereichs aufhalten.
4 Gegenüber dem Bundesrechnungshof erklärte die Bundesagentur, sie halte es für erforderlich, dass das BMAS die Ortsabwesenheiten mittels einer Rechtsverordnung näher regeln sollte. 9.2 Die Prüfung durch den Bundesrechnungshof hat die Schwierigkeiten der Jobcenter aufgezeigt, über Ortsabwesenheiten einheitlich zu entscheiden. Aufgrund der unklaren Regelungen haben die Jobcenter unterschiedliche Maßstäbe angelegt, unter welchen Voraussetzungen und wie lange sie Leistungsberechtigten eine Ortsabwesenheit bewilligt haben. Der Bundesrechnungshof hat insbesondere die unklaren fachlichen Hinweise für die Jobcenter beanstandet. Dass die Vorgaben nur für einen Teil der Jobcenter gelten, erschwert deren einheitliches Handeln zusätzlich. Überdies ist die Erreichbarkeits- Anordnung nicht auf den Personenkreis des SGB II zugeschnitten, da die Bundesagentur sie für die Arbeitslosenversicherung (SGB III) und damit für einen anderen Personenkreis erlassen hat. Der Bundesrechnungshof hat das BMAS aufgefordert, baldmöglichst eine Rechtsverordnung zu erlassen, um die im Jahr 2011 vom Gesetzgeber neu gefasste Vorschrift in Kraft zu setzen und so zugleich die Bewilligungspraxis der Jobcenter zu vereinheitlichen. Es würde damit z. B. klargestellt, dass wie es das Gesetz vorsieht nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte eine Zustimmung des Jobcenters benötigen, um sich außerhalb des Nahbereichs aufzuhalten. 9.3
5 Das BMAS hat erklärt, dass es eine Rechtsverordnung nicht für erforderlich halte. Aus seiner Sicht seien die zur Ortsabwesenheit getroffenen Vorgaben der Bundesagentur, wie die Erreichbarkeits- Anordnung und die fachlichen Hinweise, ausreichend. Es will die Rechtsverordnung zudem erst dann erlassen, wenn die Bundesagentur die Erreichbarkeits-Anordnung für die Arbeitslosenversicherung (SGB III) ändert und diese Änderungen für den Personenkreis des SGB II nachvollzogen werden sollen. Die Bundesagentur hat den vom Bundesrechnungshof aufgezeigten Handlungsbedarf bestätigt. 9.4 Der Hinweis des BMAS auf die zunächst von der Bundesagentur zu ändernde Erreichbarkeits-Anordnung verkennt, dass das BMAS für den Personenkreis des SGB II davon unabhängig zu entscheiden hat. Diese Vorgabe des Gesetzgebers trägt den Unterschieden im SGB II und SGB III Rechnung. Der Bundesrechnungshof weist darauf hin, dass die Erreichbarkeits-Anordnung für den Personenkreis des SGB II nur als Übergangslösung gedacht war. Auch gelten die übrigen Vorgaben der Bundesagentur nur für einen Teil der Jobcenter. Der Bundesrechnungshof fordert daher weiterhin vom BMAS, die Vorschrift zur Bewilligung von Ortsabwesenheiten nach mehr als sechs Jahren alsbald in Kraft zu setzen. Dafür hat es die erforderliche Rechtsverordnung zu erlassen. Die Bundesagentur spricht sich ebenfalls dafür aus. Nur so kann das BMAS eine einheitliche Praxis in allen Jobcentern ermöglichen. In der Rechtsverordnung sollte das BMAS einheitlich und unmissverständlich festlegen, a) welche Personen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben von der Zustimmungspflicht ausgenommen sein sollen,
6 b) ob und in welchen Fällen die Jobcenter einer Ortsabwesenheit von Personen, denen die Aufnahme einer Arbeit nicht zuzumuten ist, zustimmen müssen, c) was zum Nahbereich zählt und an welchen Ort (Jobcenter oder Wohnort) dieser anknüpft, d) wie lange sich Leistungsberechtigte aus ihrem Nahbereich entfernen dürfen.