Arbeitsgemeinschaft Sachenrecht Wintersemester 2017/2018 Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Wiss. Mit. Jan-Rasmus Schultz Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht, Univ. Prof. Dr. iur. Stefan Smid Lösung Fall 3 A. Anspruch W gegen S auf Herausgabe aus 985 BGB Anmerkung: W könnte auch von B Herausgabe verlangen. Zum Herausgabeanspruch aus 985 BGB gegen einen mittelbaren Besitzer vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 66. Aufl., 985 Rn. 9 BGB. I. Eigentum des W 1. Ursprüngliche Eigentumslage Eigentum der W 2. Verlust des Eigentums an S durch Übereignung nach 929 S. 1 BGB a) Einigung S soll Eigentum erwerben, aber erst mit vollständiger Zahlung nach Zweifelsregelung des 449 BGB: aufschiebende Bedingung i.s.d. 158 I BGB b) Zwischenergebnis mangels vollständiger Zahlung an W kein Bedingungseintritt und keine Übereignung nach 929 S. 1 BGB von W an S 3. Verlust des Eigentums an G durch Übereignung von S an G a) 929S. 1,930 BGB aa) Einigung (+) bb) Vereinbarung eines Besitzkonstituts Besitzmittlungsverhältnis i.s.d. 930, 868 BGB (+), Sportboot soll im Besitz des S verbleiben, der es weiterhin für seinen Geschäftsbetrieb benutzen darf: Nach der Sicherungsvereinbarung soll S daher die Rechtsstellung eines Entleihers" zukommen. Damit ist der Sicherungsvertrag ein ähnliches Verhältnis" i.s.d. 868 BGB 1
cc) Berechtigung des S (-) dd) Zwischenergebnis Kein Eigentumsverlust der W durch Übereignung S an G nach 929 S. 1,930 BGB b) 929S. 1,930,933 BGB aa) Einigung, Besitzkonstitut (+) bb) gutgläubiger Erwerb (1) Übergabe i.s.d. 929 S. 1 BGB, erst dann rechtfertigende Besitzlage Übergabe i.s.d. 929 S. 1 BGB Veräußerer muss also jegliche Besitzposition verlieren, Erwerber unmittelbaren oder mittelbaren Besitz erlangen (oder ein Dritter auf sein Geheiß). hier: kein völliger Besitzverlust des Veräußerers, da Sportboot nicht tatsächlich Obergeben wurde (2) Zwischenergebnis kein gutgläubiger Eigentumserwerb der G am Sportboot; W hat ihr Eigentum im April 2003 nicht an G verloren. 3. Verlust des Eigentums an B durch Übereignung von G an B nach 929 S. 1,931,934 BGB a) Einigung (+) b) Abtretung des Herausgabeanspruchs aa) S und G haben im April 2003 einen Sicherungsvertrag abgeschlossen und damit ein Besitzkonstitut vereinbart, indem S die Rechtsstellung eines Entleihers" zukam; Anspruch des G auf Herausgabe ergibt sich somit aus dem Besitzmittlungsverhältnis (Sicherungsvertrag); laut Vereinbarung hat G (auch) diesen Anspruch an die B abgetreten bb) fraglich, ob Anspruch aus dem Besitzmittlungsverhältnis tatsächlich bestand; 934 1. Var. BGB verlangt nämlich, dass Veräußerer wirklich mittelbarer Besitzer der übereigneten Sache ist (1) Meinung 1 eine nach 933 BGB fehlgeschlagene Sicherungsübereignung führt nach 139 BGB zur Nichtigkeit des Besitzmittlungsverhältnisses; bei Kenntnis der Nichtigkeit der Übereignung hätten die Parteien auch das Besitzkonstitut nicht gewollt [Wolff/Raiser, 69 II 2 Fn.18]. hier: G konnte mangels wirksamen Besitzkonstituts mit S keinen Herausgabeanspruch an die B abtreten; kein Eigentumserwerb der B nach 929 S. 1,931,934 BGB von G (2) Meinung 2 (Rspr. und h.l.) 2
kein 139 BGB; Besitzmittlungsverhältnis bleibt wirksam: erstens ist die Übereignung gar nicht nichtig", sondern nur fehlgeschlagen, zweitens kann man nicht davon ausgehen, dass die Parteien das BMV aufgrund des Fehlschlagens nicht mehr wollten, weil dessen Gültigkeit für sie durchaus noch Sinn hat Erwerber erwirbt statt des Sicherungseigentums ein Anwartschaftsrecht analog 929 ff. BGB, da allein das den Interessen der Parteien gerecht wird (Sicherung für das Darlehen) => Umdeutung nach 140 BGB hier: B wurde der Anspruch aus dem BMV Obertragen; somit ist sie mittelbare Besitzerin geworden Übergabesurrogat nach 931, 398 BGB liegt somit vor. c) Gutgläubigkeit der B, 934, 932 II BGB (+) d) Einschränkung des 934 1. Var. BGB aa) Lehre vom Nebenbesitz Ergebnis wird zum Teil in Frage gestellt, weil G der B nicht den mittelbaren Allein-, sondern nur mittelbaren Nebenbesitz (neben dem Eigentümer) habe verschaffen können sowohl W als auch G bzw. B bekommen von S den Besitz gemittelt: auch zwischen dem Vorbehaltsverkäufer und Käufer liegt bis zum Bedingungseintritt ein BMV vor; bis zum Bedingungseintritt ist der Vorbehaltsverkäufer mittelbarer Eigenbesitzer, der Vorbehaltskäufer unmittelbarer Fremdbesitzer (Palandt/Bassenge, 66. Aufl., 929 Rn. 27) B als Erwerber rücke nicht näher an die Sache heran als W als Eigentümer zerstört S den mittelbaren Besitz der W nicht eindeutig, treibt er also ein,doppelspiel", so sind W und B Nebenbesitzer, was für einen Eigentumserwerb der B nicht ausreiche Für die Lehre vom Nebenbesitz: Medicus, BR, 20. Aufl., Rn. 559 ff., 561; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl., 52 Rn. 24; Staudinger/Bund, 868 Rn. 9; MünchKomm-BGB/Quack, 4. Aufl., 934 Rn. 4. dagegen: Figur des Nebenbesitzes ist dem Gesetz unbekannt; allein unmittelbarer, mittelbarer und Mitbesitz sind vorgesehen gem. 871 BGB ist nur mehrstufiger, nicht aber gleichstufiger mittelbarer Besitz möglich. Besitzmittler kann nicht den Willen haben, Sache an mehrere Personen herauszugeben: der unmittelbare Besitzer mittelt den Besitz unter Anerkennung des aus dem BMV resultierenden Herausgabeanspruchs - hier müsste S also zur Herausgabe an W und zugleich zur Herausgabe an B bereit sein, die Herausgabe an den einen jedoch die Herausgabe an den anderen ausschließt, 3
Lehre vom Nebenbesitz ist also abzulehnen; Begründung eines neuen Besitzmittlungsverhältnisses zeigt Willen des Sicherungsgebers, nicht mehr für Vorbehaltsverkäufer besitzen zu wollen; das erste Besitzmittlungsverhältnis wird also beendet RGZ 138, 75, 80 f.; Palandt/Bassenge, BGB, 66. Aufl., 868 Rn. 2; Tiedke, WM 1979, 446, 451; Staudinger/Wiegand, 934 Rn. 3. bb) Einschränkung des 934 1. Var. BGB nach dem Schutzgedanken 4
Überlegung: G kann den angestrebten juristischen Erfolg erreichen, obwohl er der Sache als (nur) mittelbarer Besitzer ferner steht als S und damit weniger legitimiert erscheint (Widerspruch, dass G zwar das Eigentum nicht erwerben kann, dennoch in der Lage ist, es auf die gutgläubige B zu übertragen); Korrektur des 934 1. Var. BGB erforderlich? Antwort: Nein! Erwerb nach 929 S. 1, 931, 934 BGB liegt Umstand zugrunde, dass sich hier der Veräußerer von seinem (mittelbaren) Besitz vollständig löst, während er bei der Veräußerung im Wege eines Besitzkonstituts ( 930, 933 BGB) zunächst den unmittelbaren Besitz behält; daher ist es gerechtfertigt, dass Erwerb nach 933 BGB erst dann vollendet ist, wenn der Veräußerer sich seines Besitzes vollständig entledigt Hintergrund der scheinbar widersprüchlichen Regelungen: konsequente Gleichsetzung des unmittelbaren mit dem mittelbaren Besitz: die in den 932 ff. BGB zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Wertung verlangt, dass dem Veräußerer beim gutgl. Erwerb keinerlei Besitz verbleiben soll; eine Korrektur des 934 1. Var. BGB ist deshalb nicht geboten. (BGH hat in der Lit. teilweise vorgeschlagene Angleichung der 933, 934 BGB" abgelehnt; BGHZ 50, 45, 48, a.a. Müller AcP 137,86, 87). 4. Zwischenergebnis B hat das Eigentum am Sportboot gutgläubig von G erworben, 931,934 1. Var. BGB. II. Ergebnis W ist nicht mehr Eigentümer des Sportboots und hat daher auch keinen Herausgabeanspruch gegen S aus 985 BGB. 5