Engpass belastet die Beschäftigten: OÖ. Alten- und Pflegeheime brauchen dringend mehr Personal

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Transkript:

Ihre Gesprächspartner/-in: Dr. Johann Kalliauer Mag. a Dagmar Andree, MBA Präsident der AK Oberösterreich Leiterin der Abteilung Arbeitsbedingungen Engpass belastet die Beschäftigten: OÖ. Alten- und Pflegeheime brauchen dringend mehr Personal Pressekonferenz am Freitag, 16. Oktober 2015, 11 Uhr Arbeiterkammer Linz

AK-Studie zeigt: Mindestpflegepersonalschlüssel deckt wahren Arbeitsbedarf bei weitem nicht ab Der aus dem Jahre 1996 stammende Mindestpflegepersonalschlüssel ist nicht mehr zeitgemäß. Das zeigt eine aktuelle Studie der AK Oberösterreich. Neue Pflegekonzepte, die massive Zunahme von Demenzkranken, die Veränderung der Beschäftigtenstruktur in den Pflegeheimen, eine enorme Zunahme des Dokumentationsaufwands sowie die Nichtbeachtung von Krankenständen oder Weiterbildungen bringen die Beschäftigten an die Grenzen der Belastbarkeit und darüber hinaus. In den rund 130 oberösterreichischen Alten- und Pflegeheimen arbeiten etwa 10.000 Beschäftigte (ca. 7500 Personaleinheiten), davon mehr als 6000 Beschäftigte direkt in der Pflege und Betreuung. Sie kümmern sich um knapp 12.000 Menschen. Der Österreichische Arbeitsklima Index zeigt, dass 34 Prozent der Pflegekräfte ihre Arbeit als sehr stark bzw. stark seelisch belastend empfinden über alle Branchen hinweg sind es 26 Prozent. Zeitdruck ist für jede dritte Pflegekraft eine (sehr) große Belastung, unter allen Arbeitnehmern/-innen für jede/n Vierte/n. Dass sie bis zur Pension durchhalten bzw. ihren Beruf mit 60/65 Jahren noch ausüben können, glauben nur 33 Prozent der Pflegekräfte. Arbeitnehmer/-innen anderer Branchen sind deutlich optimistischer (58 Prozent). In einer qualitativen Studie hat die AK Oberösterreich die derzeitige Arbeitssituation in den oö. Alten- und Pflegeheimen erhoben. Fazit: Es gibt dringenden Handlungsbedarf beim Mindestpflegepersonalschlüssel, weil dieser ein Hauptgrund für die belastenden Arbeitsbedingungen ist, den heutigen Anforderungen und Aufgaben in der stationären Altenarbeit nicht mehr entspricht und daher nicht mehr zeitgemäß ist. Laut Erhebung, die mittels teilnehmender Beobachtungen, Aufzeichnungen zur Arbeitsrealität im Heimalltag und mehr als 50 leitfadengestützter Interviews mit Beschäftigten, Betriebsräten/-innen, Heim- und Pflegedienstleitungen etc. durchgeführt wurde, besteht dringender Handlungsbedarf in zweierlei Hinsicht: Die hohe Versorgungsqualität muss gesichert werden und gleichzeitig muss die Ge- 2

sundheit der Beschäftigen in der Pflege und Betreuung endlich entsprechend geschützt und geachtet werden. Der Status quo: Ein fast 20 Jahre alter Mindestpflegepersonalschlüssel für die oö. Alten- und Pflegeheime Errichtung und Betrieb von Alten- und Pflegeheimen fallen im Rahmen einer 15a- Vereinbarung in den Wirkungsbereich der Länder. Deswegen gibt es in Österreich sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen sowohl in den Qualitätsvorgaben als auch den Personalausstattungen. Relevant für Oberösterreich ist die Verordnung der oö. Landesregierung vom 11. März 1996 über die Errichtung, den Betrieb sowie über die zur Sicherung einer fachgerechten Sozialhilfe in Alten- und Pflegeheimen erforderlichen sonstigen Voraussetzungen (Oö. Alten- und Pflegeheimverordnung) in der Fassung LGBl.Nr. 74/2015. Im 16 Betreuungs- und Pflegepersonal ist sowohl die quantitative als auch qualitative Personalausstattung in Form eines Mindestpflegepersonalschüssels in Abhängigkeit von der Pflegestufe festgelegt: Pflegegeldstufe Pflegebeschäftigte : Betreute Personen Kein Pflegegeld 1 : 24 Stufe 1 1 : 12 Stufe 2 1 : 7,5 Stufe 3 1 : 4 Stufe 4 1 : 2,5 Stufe 5 1 : 2 Stufe 6 1 : 1,5 Stufe 7 1 : 1,5 Seither gab es keine Erhöhung des Mindesteinsatzes von Personal. Weiters gibt die oö. Alten- und Pflegeheimverordnung Richtlinien zum Einsatz der verschiedenen Berufsbilder im Heimbereich vor. Mit der Novelle vom 1. Juli 2015 gilt derzeit: 20 bis 25 Prozent Personaleinheiten DGKS/P (Diplomierter Gesundheits- und Krankenschwester/Pfleger), 60 bis 70 Prozent Personaleinheiten FSB A bzw. DSB A (Fach- oder Diplom-Sozialbetreuung mit dem Ausbildungsschwerpunkt Altenarbeit) oder FSB BA bzw. DSB BA (Fach- oder Diplomsozialbetreuung mit dem Ausbildungsschwerpunkt Behindertenarbeit), 10 bis 15 Prozent Heimhilfen (bei Einrichtungen, die als Hausgemeinschaften arbeiten bis zu 30 Prozent). 3

Pflege und Betreuung von Demenzkranken völlig unterbewertet Die Bewohnerstruktur hat sich stark verändert. Die Zahl der dementen Bewohner/-innen im Heim steigt, ebenso die Zahl der jüngeren Bewohner/-innen. Sie haben oft eine geringe Pflegestufe. Der daraus resultierende Betreuungsschlüssel wirkt sich enorm auf die Arbeitsbelastung aus. Alle von der AK Befragten haben Demenz als besondere Herausforderung und Belastung im Arbeitsalltag genannt und sehen den Arbeitsaufwand als völlig unterbewertet an. Ebenso beschreiben sie eine Zunahme an psychiatrischen Diagnosen bei den Bewohnern/-innen, ohne dass der Mehraufwand bewertet wird. Demenzkranke brauchen deutlich mehr Zuspruch und Aufmerksamkeit, bevor Pflegehandlungen vorgenommen werden können. Sie stellen eine große psychische Belastung für die Beschäftigten dar, weil etwa Erklärungen vielfach wiederholt werden müssen. Es kostet viel Kraft, immer geduldig und freundlich zu bleiben. Demente Bewohner/-innen sind oft verwirrt und unruhig, fürs Beruhigen fehlt aber oft die Zeit, ebenso für den Umgang mit Aggressionen. Auch das ewige Nachlaufen oder auch Suchen der verwirrten Bewohner/-innen zerrt an den Nerven der Beschäftigten. Dokumentation kostet viel Zeit Die Aufgaben in der Pflege sind in den letzten Jahren, unter anderem durch die Einführung neuer Pflegekonzepte, zahlreicher und vielfältiger geworden. Auch die Dokumentationsanforderung, die Administration generell und der Druck durch diverse Kontrollbehörden sind stark angestiegen. Beschäftigte in der Pflege und Betreuung stehen dann oft vor einer schwierigen Entscheidung: Einerseits soll die Dokumentation lückenlos sein, allen Kontrollkriterien entsprechen und immer ganz aktuell sein. Das kostet viel Zeit. Andererseits möchten die Beschäftigten den pflegebedürftigen Menschen helfen und beistehen deswegen haben sie sich für den Beruf entschieden. In der Ausbildung lernen sie viel über Aktivierung und Stärkung der zu Pflegenden wenn es aber nicht dokumentiert ist, ist es nicht passiert. Dieses Dilemma ist eine enorme Belastung für die Beschäftigten. Laut einer IFES-Studie vom Februar/März 2014 beklagten sich 58 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitsbereich über hohe bürokratische Anforderungen und zunehmende sachfremde Tätigkeiten. 4

Der Mindestpflegepersonalschlüssel nimmt keine Rücksicht auf die Mitarbeiterstruktur In der Verordnung zum Mindestpflegepersonalschüssel findet die Struktur der Beschäftigten in einem Haus keine Berücksichtigung. Weder die Altersstruktur noch die Einschränkung von schwangeren Beschäftigten oder von begünstigten Behinderten spielt bei der Berechnung eine Rolle alle Personen werden 1:1 im Personalschlüssel eingerechnet, ohne Berücksichtigung der unterschiedlichkeiten Möglichkeiten und Verfügbarkeiten. Alterns- und altersgerechtes Arbeiten ist nur schwer möglich. Wiedereinstiegsprogramme nach langen Krankenständen, Möglichkeiten kurzfristig notwendiger Auszeiten usw. gehen immer auf Kosten der anderen Beschäftigten. Auch Gesundheitspräventionsprojekte, betriebliche Gesundheitsförderung oder andere Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheit der Beschäftigten sind nur schwer umsetzbar. Ebenso werden Zeiten für Betriebsratstätigkeiten oder anderes Engagement für die Beschäftigten im Betrieb (Gesundheitszirkel, Arbeitnehmerschutzausschuss) nicht bedacht und nicht beachtet. Der Mindestpflegepersonalschlüssel beachtet keine Fehlzeiten In der Verordnung wird ein Mitarbeiter/-in : Bewohner/-in-Schlüssel vorgegeben. Dieser nimmt keine Rücksicht darauf, wie viel Zeit die Beschäftigten tatsächlich in der Pflege verbringen. Auch Fehlzeiten finden keine Berücksichtigung also Stunden, die nicht direkt in der Pflege verbracht werden, wie gesetzliche Weiterbildungen, Urlaub, Krankenstand, Kuren usw. Ob und wie diese in den Dienstplänen berücksichtigt werden, bleibt den einzelnen Heimträgern überlassen. In einer Empfehlung aus dem Jahr 2001 wird vorgeschlagen, Langzeitkrankenstände nach der sechsten durchgängigen Woche aus dem Mindestpflegepersonalschlüssel herauszurechnen. Selbst diese Vorgabe wird nicht in allen Heimen flächendeckend umgesetzt. Der vermehrte Druck wirkt sich auch in der Gesundheit der Beschäftigten aus: Beschäftigte in öberösterreichischen Alten- und Pflegeheimen waren 2014 im Schnitt 17,8 Tage krank (OÖ-Schnitt 12,9 Tage). 5

Ebenso bleibt die sechste Urlaubswoche für langgediente Beschäftigte unbeachtet. Krankenstände fallen in diesem Alter zwar nicht öfter an, die Gesundung dauert aber oft länger. Es wird somit durch Kosten- und Personaldruck eine Situation geschaffen, die die Beschäftigung von Älteren erschwert. Jüngere kommen unter Druck, weil sie Ausfallzeiten von Älteren kompensieren müssen. Solche System haben keine Zukunft, wenn es darum gehen soll, länger im Arbeitsleben zu bleiben und dabei gesund und fit zu sein. In der Nacht wird Personal gespart Es gibt keine verbindlichen Regelungen für die Besetzung von Nachtdiensten. So gibt es Häuser, die im Nachtdienst nur eine Pflegeperson zumeist eine/-n Fachsozialbetreuer/-in eingesetzt haben. Viele große Häuser haben bei mehr als 100 Bewohnern/-innen nur zwei Personen im Nachtdienst. Diplompersonal findet sich nur selten im Nachtdienst. Dies kann zu Kompetenzüberschreitungen bei den Fachsozialbetreuern/-innen führen, weil diese nicht auf Diplomkräfte zurückgreifen können. Jede Person mehr im Nachtdienst führt dazu, dass die Dienstplangestaltung während des Tages noch schwieriger wird. Verantwortungslos ist es, zugunsten des Tagespersonals bei den Nachtdiensten zu sparen. Stirbt beispielsweise ein/e Bewohner/-in in der Nacht, ist das für die anwesende Fachkraft eine enorme Belastung ohne Chance auf Entlastung durch Kollegen/- innen. Nachtdienste sind schon alleine aufgrund des gestörten Biorhythmus sehr anstrengend. Dieses Problem wird durch Personalknappheit nochmals verschärft auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten, aber auch auf Kosten der Betreuungsqualität in der Nacht für die Bewohner/-innen. Der Mindestpflegepersonalschlüssel als Bremse für Innovationen Der Mindestpflegepersonalschlüssel wurde in einer Zeit entwickelt, in der Pflegeprozessplanung, Evaluierung, Qualitätssicherung, moderne Pflegekonzepte usw. teils noch nicht einmal angedacht wurden. Heute wird erwartet, dass unter geänderten Ausgangsbedingungen mit dem Schlüssel aus dem Jahr 1996 immer mehr 6

und mehr Konzepte zur Steigerung der Lebensqualität eingeführt werden, bei oft gleichbleibenden oder sogar sinkenden Ressourcen. Mehr als warm-satt-sauber ist unter diesen Umständen oft nicht möglich. Die AK Oberösterreich fordert vom Land Oberösterreich einen Mindestpflegepersonalschlüssel NEU Ein neuer Mindestpflegepersonalschlüssel erfordert eine neue Arbeitsbewertung der Tätigkeiten im Alten- und Pflegeheim. Ein Mindestpflegepersonalschlüssel NEU muss massiv höher sein, den Gegebenheiten der jeweiligen Einrichtung nachkommen und zusätzlich beinhalten: Massive Erhöhung des Demenzzuschlags (derzeit 25 Stunden / Monat / Bewohner/-in). Demenz und psychiatrische Erkrankungen bedeuten einen deutlich höheren Betreuungsaufwand. Ausreichende Zusatzstunden für pflege- und betreuungsferne Tätigkeiten wie Dokumentation, Betriebsratsarbeit, Projekte für alternsgerechtes Arbeiten oder neue innovative Pflegekonzepte Anpassung des Personalbedarfs unter Berücksichtigung der Beschäftigtenstruktur, der Krankenstände, der Urlaube und der Fort- und Weiterbildungsstunden je Einrichtung. Verbindliche Vorgaben für Nachtdienste: Je nach Größe des Hauses sind mindestens zwei Nachtdienste einzuteilen. In größeren Häusern entsprechend mehr, wobei einer von einer Diplomkraft besetzt sein muss. Die Nachtbesetzung darf keine Auswirkungen auf den Tagdienst haben. Die laufende Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes mit neuen Berufsbildern muss sich beim qualitativen Mindestpflegepersonalschlüssel (notwendiger Berufsmix) wiederfinden, sodass alle notwendigen Qualifikationen für eine hochwertige Pflege und Betreuung vertreten sind. 7

Zitate aus der Studie Mindestpflegepersonalschlüssel 2015 der AK Oberösterreich Wenn ich abends nach Hause gehe, bin ich oftmals nicht wegen der vielen Arbeit oder anderen stressigen Situationen nervlich angeschlagen, sondern hauptsächlich wegen der Demenzkranken. Es ist schon sehr anstrengend, wenn einem jemand den ganzen Tag hinterherläuft und man ständig dasselbe mit ihm machen und besprechen muss. Man versucht dann natürlich schon, die Person zu beruhigen, dies ist aber meistens vergebens, da sie sowieso wieder alles vergisst. 58-jähriger DGKP Der Aufgabenbereich hat sich massiv erhöht, sprich von der Dokumentation, vom ganzen Aufwand, von Pflegetätigkeiten hat sich wesentlich verändert. Jetzt haben wir laufend die ganzen Kontrollen, mit den Freiheitsbeschränkungen, das letzte Mal haben wir fünf Stunden nur Bewohner angeschaut und Sachen durchgegangen, das ist zwar nur meine Zeit aber in der Dokumentation betrifft es ja alle. Bei allen muss ich das genauestens dokumentieren und überlegen Kann ich das jetzt so schreiben, oder kommt das dann vielleicht in eine Freiheitsbeschränkung rein und solche Sachen. Alleine von dem hat sich sehr viel verändert, es sind viel mehr Sachen die einfach durchgeführt werden müssen, Aktivitäten die gefordert werden von uns Trägern, auch von dem vom Land der sich da anschaut müssen mehr Aktivitäten durchgeführt werden. In der Dokumentation hat sich viel verändert, viel mehr und auch von den Standards, ich kann eine lange Zeit zurückblicken, ich bin fast 35 Jahre im Pflegeberuf tätig. 56-jähriger Pflegedienstleiter Ich denke, ein Pflegeschlüssel würde als Nettoberechnung angewandt gehören. Dann hätten wir viel weniger Probleme. Sprich, dass man vom Pflegeschlüssel einen Prozentanteil der zu erwartenden Krankenstände für die Mitarbeiter hinzubekommt. Denn man kann ja eine Durchschnittsrechnung über ein paar Jahre machen. Das würde ja gehen. Die Mitarbeiter sind auf Fortbildungen, die sechste Urlaubswoche, viele ältere Mitarbeiter, sprich mehr Kuren und Krankenstände, die anfallen. Das heißt aber, die Leute sind weg und das heißt für die anderen, dass sie mehr arbeiten müssen. Durch das entstehen logischerweise ganz viele Überstunden. 43-jährige FSB A und BR-Vorsitzende Und wenn mehr Leute in die Nacht gehen, dann gehen die am Tag ja noch mehr ab. Das wird ja gar nicht einkalkuliert. 57-jährige FSB A Ich könnte es mir einfacher machen, ja. Ich kann auch super mit den Stunden auskommen, wenn ich wieder mehr in Richtung Funktionspflege gehe. Denn dann mache ich das, was ich wirklich laut Funktionspflege machen muss und das habe ich auch dokumentiert, und dann habe ich halt keine Betreuungsangebote. Ich kann mir Stunden sparen, damit ich zusammenkomme, aber wo ist dann die Qualität? Wie wohl fühlt sich der Bewohner? Wie selbstständig kann er bei uns leben? 55-jährige FSB A und Heimleiterin