Pilotierung einer komplexen Intervention zur Verbesserung von sozialer Teilhabe und Lebensqualität von Pflegeheimbewohnern mit Gelenkkontrakturen (JointConImprove): Konzept der Prozessevaluation Hanna Klingshirn 1, Katrin Beutner 2, Julian Hirt 2, Susanne Saal 2, Ralf Strobl 1, 3, Eva Grill 1, 3, Gabriele Meyer 2, Martin Müller 1, 4 1 Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie, Ludwig-Maximilians-Universität München 2 Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg 3 Deutsches Schwindel- und Geleichgewichtszentrum, Ludwig-Maximilians-Universität München 4 Hochschule Rosenheim, Fakultät für Angewandte Gesundheits- und Sozialwissenschaften
1. HINTERGRUND DIE INTERVENTION DER KONTRAKTURSENSIBLEN PFLEGE DKVF 2016 2
Hintergrund Einschränkungen der Bewohner: Mobilität Positionswechsel, Stehen, Gehen und anderweitigem Fortbewegen Selbstversorgung sich waschen, Körperteile pflegen, sich kleiden, Essen und Trinken Teilhabe Familie, Nachbarschaft und Freunde, Freizeit Unabhängigkeit und Selbstständigkeit nehmen ab Lebensqualität sinkt erhöhtes Risiko für Immobilität, Dekubitus und Stürze Fischer et al. 2014 DKVF 2016 3
Interventionsentwicklung Gelenkkontraktur Teilhabe verbessert Umwelt- und personbezogene Faktoren als Ressourcen nutzen! Mobilität verbessert Die Intervention Kontraktursensible Pflege soll Menschen, die von Kontrakturen bedroht sind oder bereits Kontrakturen haben, ermöglichen, nach ihren individuellen Vorstellungen am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. MRC 2006 und ICF 2001 DKVF 2016 4
Die kontraktursensible Pflege Schulung (1 Tag) Interventionskomponenten Für Pflegefachkräfte Ziel: Vorbereitung auf die Rolle als Multiplikator und für die Implementierung des Konzeptes Modul 1: Einführung und Vorbereitung auf die Rolle als Multiplikator Modul 2: Wissen und Evidenz zur Entwicklung und Behandlung von Gelenkkontrakturen Modul 3: Strategien zur Unterstützung der Bewohner in den Bereichen Teilhabe und Lebensqualität. Modul 4: Methoden zur kollegialen Wissensvermittlung, Anleitung und Beratung Informationsveranstaltung (40 Minuten) In-house Veranstaltung für alle Mitarbeiter des Pflegeheims, Bewohner, Angehörige und Interessierte. Peer-Review (4 Stunden) Vor-Ort-Beratung, zur Diskussion praktischer, bewohnerrelevanter Aspekte anhand von Fallbesprechungen. Telefonische Beratung (Hotline, kontinuierlich) Bedarfsorientierte Beratung, um Bedürfnisse oder Probleme bei der praktischen Umsetzung zu besprechen. DKVF 2016 5
Die Pilotstudie Design: Cluster-randomisierte, kontrollierte Pilotstudie zufällige Zuordnung der Pflegeheime entweder zur Interventions- oder zur Kontrollgruppe Stichprobe: 7 Pflegeheime aus den Regionen Halle (Saale) und München Primäres Outcome: insgesamt 129 teilnehmende Bewohner Teilhabe von Menschen mit Gelenkkontrakturen (Partizipations-Subskala der PaArticualar-Scale) DKVF 2016 6
Ablauf der Studie Baseline Erhebung t 0 Randomisierung Telefonische Beratung Intervention Multiplikatoren Schulung Informationsveranstaltung Peer Review Kontrolle (3 Monate nach t 0 ) t 1 PROZESSEVALUATION (6 Monate nach t 0 ) t 2
2. METHODIK KONZEPT DER PROZESSEVALUATION DKVF 2016 8
Prozessevaluation Entschlüsselt die Wirkweise der Intervention Die Ergebnisse der Studie können besser interpretiert werden Die Intervention kann für die Folgestudie und das Implementierungsprojekt weiterentwickelt und optimiert werden Bei Cluster-randomisierten Studien werden neben den Kontextfaktoren alle Prozesse rund um die Rekrutierung und Durchführung auf Cluster- und Individualebene untersucht Grant et al. 2013 DKVF 2016 9
Process evaluations for cluster-randomised trials of complex interventions: a proposed framework for design and reporting Grant et al. 2013 DKVF 2016 10
Process evaluations for cluster-randomised trials of complex interventions: a proposed framework for design and reporting Cluster Individuum Recruitment Welche Pflegeheime nehmen an der Studie teil und warum? Welche Bewohner erreicht die Intervention tatsächlich? Delivery Wie wurde die Intervention tatsächlich in die Pflegeheime transportiert? Welche Inhalte der Intervention kommen bei den Bewohnern an? Response Wie wurde die Intervention von den Pflegeheimen adaptiert? Wie reagieren die Bewohner auf die Intervention? Nach welchem Wirkprinzip ergeben sich Veränderungen und was sind Barrieren und Förderfaktoren für eine erfolgreiche Implementierung? Context Wie beeinflusst das Umfeld den Implementierungsprozess und die Ergebnisse? Grant et al. 2013 DKVF 2016 11
Prozessevaluation Monitoring und Dokumentation des Rekrutierungsprozesses Intervention Kontrolle t 0 t 1 t 2 Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober DKVF 2016 12
Prozessevaluation t 0 t 1 Intervention Kontrolle t 2 Studientagebuch zur Dokumentation aller Erfahrungen inklusive Anregungen für das Folgeprojekt Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober DKVF 2016 13
Prozessevaluation Erwartungen Intervention und Erfahrungen von Kontrolle Pflegekräften durch standardisierten Fragebogen Erfahrungen von Pflegekräften durch standardisierten Fragebogen t 0 t 1 t 2 Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober DKVF 2016 14
Prozessevaluation t 0 t 1 Intervention Kontrolle t 2 Schulung der Multiplikatoren Standardisierte Fragebögen vor und nach der Schulung Dokumentation und Feldnotizen Fragebogen für Dozenten Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober DKVF 2016 15
Prozessevaluation Intervention Kontrolle Evaluation der Informationsveranstaltung mit Fragebögen (Teilnehmer/Dozent) und Feldnotizen t 0 t 1 t 2 Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober DKVF 2016 16
Prozessevaluation t 0 Intervention Kontrolle t 1 t 2 Peer-Review Feedbackrunde Dokumentation und Feldnotizen Fragebogen für Dozenten Tagebuch für Multiplikatoren Gesprächsprotokoll zur telefonischen Beratung Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober DKVF 2016 17
Prozessevaluation t 0 Intervention Kontrolle t 1 t 2 Begleiter Einzelinterview Multiplikatoren Fokusgruppe Fragebogen Therapeuten, Sozialdienst und Angehörige Einzelinterview (telefonisch) 1-3 pro Cluster Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober DKVF 2016 18
3. ERSTE ERGEBNISSE DKVF 2016 19
Multiplikatoren Schulung Zusammenfassung der Schulungsevaluation: Bewertung in Schulnoten mit einem Notendurchschnitt von: 1,67 (Region A, 4 Teilnehmer) 1,80 (Region B, 10 Teilnehmer) Modul 3 kontraktursensible Pflege benötigt mehr Zeit und Praxisbezug Modul 4 kollegiale Beratung ist an dieser Stelle noch zu früh, das die Multiplikatoren sich erst in ihrer Rolle einfinden müssen Erste Konsequenzen der Schulungsevaluation: Modul 3 kontraktursensible Pflege wird als Kernstück der Schulung erlebt und daher um einen höheren Anteil an praktischen Übungen erweitert. Modul 4 kollegiale Beratung wird als In-House-Schulung nach dem Peer-Review stattfinden. DKVF 2016 20
Informationsveranstaltung 7 Informationsveranstaltungen (1 pro Cluster) 143 Teilnehmer, 120 ausgefüllte Fragebögen (46 aus Interventions-, 56 aus Kontrollgruppe, Rücklauf = 84%) Gesamtdurchschnittsnote von 1,77 (gut) Tabelle 2 Funktion der Teilnehmer Cluster A01 A02 A03 A04 B01 B02 B03 Total Teilnehmer n (%) n (%) n (%) n (%) n (%) n (%) n (%) n (%) Mitarbeiter 0 3 (25%) 2 (20%) 5 (21%) 11 (69%) 11 (73%) 19 (95%) 51 (50%) Bewohner 4 (80%) 9 (75%) 3 (30%) 6 (25%) 3 (19%) 0 0 25 (25%) Angehörige 1 (20%) 0 1 (10%) 13 (54%) 0 2 (13%) 0 17 (17%) Andere 0 0 1 (10%) 0 1 (6%) 0 0 2 (2%) Keine Angabe 0 0 3 (30%) 0 1 (6%) 2 (13%) 1 (5%) 7 (7%) DKVF 2016 21
Erste Ergebnisse der Fokusgruppe Studienregion B, 4 Teilnehmer (6 entschuldigt) Die Intervention wird von den Multiplikatoren insgesamt positiv bewertet Besonders positiv wurde das Peer-Review erlebt, da hier ein direkter praktischer Austausch stattfand Die Multiplikatoren sind der Meinung, dass die Bewohner von die Intervention profitiert haben Die Umsetzung im Setting Pflegeheim wird von den Multiplikatoren als machbar bewertet Als Barrieren für die Implementierung wurden z.b. die Zusammenarbeit mit externen Therapeuten oder Angehörigen genannt DKVF 2016 22
4. PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN AUSBLICK DKVF 2016 23
Ausblick Das Pilotprojekt läuft noch bis Ende Dezember 2016 Das Folgeprojekt wurde genehmigt und startet voraussichtlich im Mai 2017 Im Folgeprojekt ist eine Stichprobe von 24 Pflegeheimen mit jeweils 15 Bewohnern geplant (insgesamt 360 Bewohner) DKVF 2016 24
Praktische Implikationen Die Prozessevaluation komplexer Interventionen zeigt wie eine Intervention wirksam von der Forschung in die Praxis umgesetzt werden kann. DKVF 2016 25
Zeit für Fragen! KONTAKT: Prof. Dr. Martin Müller, MPH (Projektleitung) Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Rosenheim Fakultät für Angewandte Gesundheits- und Sozialwissenschaften Campus Mühldorf am Inn Töginger Str. 18d 84453 Mühldorf a. Inn Email: martin.mueller@fh-rosenheim.de Hanna Klingshirn, MPH (Projektkoordination) Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München Marchioninistraße 15 81377 München Email: Hanna.Klingshirn@med.uni-muenchen.de DKVF 2016 26
Literatur 1. Bartoszek, G., et al., Development of an International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)-based standard set to describe the impact of joint contractures on participation of older individuals in geriatric care settings. Arch Gerontol Geriatr, 2015. 61(1): p. 61-6. 2. Craig, P., et al., Developing and evaluating complex interventions: the new Medical Research Council guidance. BMJ, 2008. 337: p. a1655. 3. Fischer, U., et al., Patients' view on health-related aspects of functioning and disability of joint contractures: a qualitative interview study based on the International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). Disabil Rehabil, 2014. 36(26): p. 2225-32. 4. Fischer, U., et al., Prevalence of functioning and disability in older patients with joint contractures: a cross-sectional study. Eur J Phys Rehabil Med, 2015. 51(3): p. 269-79. 5. Grant, A., et al., Process evaluations for cluster-randomised trials of complex interventions: a proposed framework for design and reporting. Trials, 2013. 14: p. 15. 6. Medical Research Council, A framework for the development and evaluation of RCTs for complex interventions to improve health. 2006, MRC: London. 7. Moore, G., et al., Process evaluation in complex public health intervention studies: the need for guidance. J Epidemiol Community Health, 2014. 68(2): p. 101-2. 8. Moore, G.F., et al., Process evaluation of complex interventions: Medical Research Council guidance. Bmj, 2015. 350: p. h1258. 9. Müller, M., et al., Developing and piloting a multifactorial intervention to address participation and quality of life in nursing home residents with joint contractures (JointConImprove): study protocol. Ger Med Sci, 2015. 13: p. Doc13. 10. Müller, M., et al., Impact of joint contractures on functioning and social participation in older individuals--development of a standard set (JointConFunctionSet): study protocol. BMC Geriatr, 2013. 13: p. 18. 11. Müller, M., et al., The PaArticular Scales - A new outcome measure to quantify the impact of joint contractures on activities and participation in individuals in geriatric care: Development and Rasch analysis. Int J Nurs Stud, 2016. 59: p. 107-17. 12. World Health Organization, International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). 2001, Geneva: WHO. DKVF 2016 27