Dreiseitige Vereinbarungen

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Transkript:

Bonner Schriften zum deutschen und europäischen Recht der Arbeit und der Sozialen Sicherheit 7 Dreiseitige Vereinbarungen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber, Gewerkschaft und Betriebsrat Bearbeitet von Kristina Ruch 1. Auflage 2010. Buch. 244 S. Hardcover ISBN 978 3 631 60096 2 Format (B x L): 14,8 x 21 cm Gewicht: 470 g Recht > Arbeitsrecht > Tarifvertrag, Arbeitskampf, Schlichtung schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

17 1. Teil: Einleitung A) Problemaufriss In unserer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung kommt es vermehrt zu Betriebsschließungen und Standortverlagerungen. Für die Arbeitnehmer der betroffenen Betriebe bedeutet das im schlimmsten Fall den Verlust ihrer Arbeitsplätze aufgrund betriebsbedingter Kündigungen, zumindest aber Entgeltkürzungen, die Verlängerung der Wochenarbeitszeit bei gleich bleibender Entlohnung oder die Streichung sonstiger Zulagen. Gewerkschaften und Betriebsräte versuchen im Rahmen von Betriebsänderungen oder bereits im Vorfeld mit aller Macht betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern bzw. zumindest die Kündigungsfolgen für die betroffenen Arbeitnehmer abzuschwächen und Beschäftigungsgarantien zu Gunsten der verbleibenden Belegschaft zu erreichen. Sie verlangen beispielsweise vom Arbeitgeber neben dem zeitweiligen Erhalt des Standortes den längerfristigen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, hohe Abfindungszahlungen und die Finanzierung von Qualifizierungsmaßnahmen. 1 Dies alles ist zwar politisch höchst brisant und in der Bundesrepublik Deutschland immer oder immer wieder aktuell, aber nicht neu. Neu ist jedoch die Art und Weise, mit der diese Ziele erreicht werden sollen. Da das Bundesarbeitsgericht betriebliche Abreden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die das Ziel verfolgen, normativ geltende Tarifbestimmungen zu verdrängen, den betroffenen Arbeitnehmern aber Beschäftigungssicherung oder den Erhalt des Standortes gewährleisten, für nichtig erklärt hat 2, gehen die Beteiligten einen anderen Weg. In der jüngeren Vergangenheit kam es insbesondere im Zusammenhang mit (geplanten) Betriebsänderungen zu Vereinbarungen, die gemeinsam von Arbeitgeber, Gewerkschaft und Betriebsrat abgeschlossen wurden. 3 Die zustän- 1 Vgl. die Forderungen der IG Metall bei BAG v. 24.04.2007 1 AZR 252/06, DB 2007, 1924. 2 Siehe BAG v. 20.04.1999 1 ABR 72/98, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG (sog. Burda-Entscheidung ). 3 Möglich ist auch die Beteiligung von vier Parteien dem Arbeitgeber, der Gewerkschaft, dem Betriebsrat und dem Gesamtbetriebsrat. Aus Gründen der Einfachheit und Übersichtlichkeit wird im Folgenden nur von drei Beteiligten ausgegangen. Für die rechtliche Behandlung der Problematik hat dies keine Auswirkungen, da der Gesamtbetriebsrat nach 47 BetrVG zu errichten ist, wenn in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte bestehen. Er ist den einzelnen Betriebsräten nicht übergeordnet,

18 dige Gewerkschaft bzw. der Betriebsrat werden also mit ins Boot geholt, um die bestehenden Konflikte im Konsensverfahren zu lösen. Für den Arbeitgeber birgt dieses Vorgehen Vor- und Nachteile. Bei dem Abschluss dreiseitiger Vereinbarungen sieht er sich gleich zwei Verhandlungspartnern gegenüber, die zu Gunsten der Arbeitnehmer agieren. Der Arbeitgeber wird von zwei Seiten in die Zange genommen, von denen eine zur Durchführung von Arbeitskämpfen berechtigt ist. 4 Andererseits liegt der Reiz dreigliedriger Vereinbarungen darin, dass sie im Einvernehmen geschlossen werden und der Arbeitgeber sich nicht jeweils mit der zuständigen Gewerkschaft und dem Betriebsrat auseinandersetzen muss. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dass Tarifverträge, die die wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung ausgleichen oder mildern sollen, erstreikbar sind 5, führt für den Arbeitgeber zu einer Pluralität der Verhandlungspartner. Er muss zweigleisig denken und unter Umständen neben dem betrieblichen auch das tarifliche Verfahren durchführen. 6 Eine dreiseitige Vereinbarung würde dem Arbeitgeber die Situation ein wenig erleichtern, da er auf diese Weise nicht getrennte Verhandlungen führen muss, sondern gemeinsam mit Betriebsrat und Gewerkschaft nach Lösungen suchen kann. Auch wenn das konsensuale Zustandekommen dreiseitiger Vereinbarungen kein Garant ist, besteht die Chance, dass ein für alle Beteiligten akzeptabler Kompromiss gefunden wird. Ein weiterer Vorzug dreiseitiger Vereinbarungen ist, dass durch die Einbeziehung sämtlicher Kompetenzträger etwaige Unklarheiten über die Zuständigkeit der Gewerkschaft oder des Betriebsrats für bestimmte Materien obsolet werden. 7 Bei einem Zusammenwirken von Arbeitgeber, Gewerkschaft und Betriebsrat ist danach zu unterscheiden, ob die Beteiligung lediglich in Form von Beratung erfolgt oder ob die getroffene Vereinbarung von allen Parteien abgeschlossen und unterzeichnet wird. 8 Rechtlich problematisch ist allein letztere Konstellation, da das gegebene Recht diese Dreier-Konstellation nicht vorsieht. Thüsing 9 bezeichnet dreigliedrige Vereinbarungen als Chimäre zwischen Tarifvertrag und Besondern zuständig, wenn eine Angelegenheit das gesamte Unternehmen oder mehrere Betriebe betrifft und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden kann, vgl. 50 BetrVG. Zu Vereinbarungen zwischen Kommunen, Gewerkschaft und Gesamtpersonalrat, vgl. Kempen/Zachert/Zachert, 1 TVG Rn. 752; Endebrock, PersR 2005, 305. 4 Zur Möglichkeit des Arbeitskampfes bei dreiseitigen Vereinbarungen siehe 3.Teil.D. 5 BAG v. 24.04.2007 1 AZR 252/06, DB 2007, 1924. 6 Lipinski/Ferme, DB 2007, 1250. 7 Gravenhorst, FA 2008, 330; Grau/Döring, NZA 2008, 1335. 8 Kempen/Zachert/Zachert, 1 TVG Rn. 752. 9 Wiedemann/Thüsing, 1 TVG Rn. 305; Thüsing, NZA 2008, 201.

triebsvereinbarung, während Däubler 10 und Zachert 11 sie als hybride Gebilde charakterisieren. Alles in allem hat das Schrifttum das gemeinsame Vorgehen der Kollektivvertragsparteien bisher eher stiefmütterlich behandelt. 12 Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hatte sich bereits mit dreiseitigen Vereinbarungen auseinanderzusetzen. Die Ansichten über die Rechtsnatur solcher Abreden divergieren jedoch. 13 Da der Abschluss von Kollektivvereinbarungen durch Arbeitgeber, Gewerkschaft und Betriebsrat von den üblichen, gesetzlich geregelten Wegen abweicht, werden neben der grundsätzlichen Problematik der Rechtsnatur, weitere ungeklärte Fragen aufgeworfen. Die dogmatische Einordnung und die rechtlichen Folgen dreiseitiger Vereinbarungen sind Gegenstand der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit. 19 B) Gang der Untersuchung In einem ersten Schritt wird der Rechtsnatur dreiseitiger Vereinbarungen nachgegangen (2. Teil). Handelt es sich bei derartigen Kollektivvereinbarungen um Vereinbarungen sui generis oder sind sie nichts anderes als ungewöhnlich zustande gekommene Tarifverträge bzw. Betriebsvereinbarungen? Nicht ausgeschlossen ist ferner eine Kombination aus beiden gesetzlich vorgesehenen Regelungsinstrumenten. Im Anschluss an die rechtliche Qualifizierung werden die Rechtsfolgen dreiseitiger Vereinbarungen untersucht (3. Teil). Unter diesem Punkt ist zu diskutieren, ob die Unwirksamkeit einzelner Bestandteile dreigliedriger Vereinbarungen zur Gesamtnichtigkeit der Vereinbarungen führt. Auch mögliche Beendigungstatbestände dreiseitiger Vereinbarungen sind darzulegen. Einzugehen ist ebenso auf Sanktionen, die ein Verstoß des Arbeitgebers gegen dreiseitige Vereinbarungen nach sich ziehen kann und auf die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen 10 Däubler/Däubler, TVG Einleitung Rn. 852. 11 Kempen/Zachert/Zachert, 1 TVG Rn. 735. 12 Vgl. Bayreuther, NZA 2007, 1017 (1020), der dreiseitige Vereinbarungen als eine in rechtsdogmatischer Hinsicht äußerst interessante Vereinbarung bezeichnet, deren Rechtsnatur noch zu klären sei. 13 Für eine Einordnung als Betriebsvereinbarung: LAG Düsseldorf v. 02.12.1999 5 Sa 992/99, DB 2000, 431; v. 27.01.2000 5 (6) Sa 1259/99, nv.; ArbG Solingen v. 21.04.1999 3 CA 158/99, www.justiz.nrw.de. Für eine Qualifizierung als (Firmen) Tarifvertrag: BAG v. 07.11.2000 1 AZR 175/00, AP Nr. 14 zu 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; v. 15.04.2008 9 AZR 159/07, AP Nr. 38 zu 1 TVG Altersteilzeit; LAG München v. 08.02.2006 10 Sa 465/05, nv. (juris); ArbG Solingen v. 20.07.1999 5 Ca 1119/99, www.justiz.nrw.de. Für eine Kombination aus Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung bzw. Sozialplan: BAG v. 24.11.1993 4 AZR 225/93, AP Nr. 116 zu 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; v. 23.01.2008 4 AZR 602/06, AP Nr. 63 zu 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; v. 15.04.2008 1 AZR 86/07, ZIP 2008, 1544.

20 um solche Vereinbarungen. Abschließend werden die wichtigsten Thesen und Ergebnisse zusammengefasst (4. Teil).