Darmfunktionsstörung und MS

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Transkript:

Darmfunktionsstörung und MS Agenda PD Dr. med. Heiko Frühauf Kontinenz & Entleerung u Umgang mit Inkontinenz Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft 13. Mai 2017 11.15-12.00 Abteilung für Gastroenterologie Darmfunktion bei MS Diagnostik und Therapie Kontinenz und Stuhlentleerung wie funktioniert das? Schliessmuskel Innerer Verschluss des Anus in Wahrnehmung der Konsistenz Inkontinenz für flüssigen Stuhl Äusserer Willkürliches Klemmen Wahrnehmung von Stuhldrang Dranginkontinenz www.youtube.com/watch?v=2qo3uevlyuy Anatomie und anorektaler Winkel Kontinenzbestimmende Faktoren Klemmen Pressen Anatomie: Reservoirvolumen, anorektaler Winkel Stuhl: Konsistenz 95 88 117 Schliessmuskel Druck, Klemmdauer Funktion: Wahrnehmung von Dehnung

Agenda Multiple Sklerose (MS) Kontinenz & Entleerung Chronisch-entzündliche demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems mit Verlust der Markscheiden der Nervenfasern unklarer Ursache Brownlee WJ, Lancet 2017; 389:1336-46 Darmfunktion bei MS Diagnostik und Therapie Multiple Sklerose (MS) Betroffene: 30-80 / 100 000 Einwohner Neuerkrankungen: 4 / 100 000 / Jahr Erkrankungsbeginn: 20. - 45. Lebensjahr Frauen etwa doppelt so häufig betroffen Familiäre Häufung Schubweiser chronisch-progredienter Verlauf Fallbeispiel Frau P.A., 43 J seit ca. 4 Monaten fehlender Stuhlabgang trotz massiven Pressens digitales Ausräumen nötig Stuhlkonsistenz normal z.t. Stuhlschmieren / Inkontinenz bei fl. Stuhl Darmspiegelung: Normalbefund, kein Passagehindernis Symptome Darmsymptome: 68% Sensibilitätsstörungen Sehverlust Motorische Störungen, subakut Doppelbilder Gangstörungen Motorische Störungen, akut Gleichgewichtsstörungen Sensibilitätssörungen im Gesicht Lhermitte Zeichen Schwindel Blasenstörungen Ataxie Akute transverse myelopathie Schmerzen Sonstige Polysymptomatischer Beginn häufiger als in Vergleichspopulation oft zusammen mit sexuellen und Blasenfunktionsstörungen Chia, J Neurol Neurosurg Psychiatry 1996; 60:31-35 Hinds, Gastroenterology 1990; 98:1538-42 (n=280) OBSTIPATION: 39-54% 22% benutzen regelmässig Einläufe - häufig unerkanntes Frühsymptom Chellingsworth, Lancet 2003; 362:1941 INKONTINENZ: 29% (-51%) 5% häufig Hennessey, J Neurol 1999; 246:1027-1032 (n=211) Hinds, Gastroenterology 1990; 98:1538-1542 (n=280)

Agenda (MRI-) Defäkographie Kontinenz & Entleerung Anorektaler Winkel Klemmen Pressen Darmfunktion bei MS Diagnostik und Therapie Rektaler Einlauf mit 250 ml Gd-DOTA-markiertem Ultraschallgel Roos JE, Weishaupt D et al. Radiographics 2002; 22:817-32 Defäkographie: Anorektaler Winkel Defäkographie: Anorektaler Winkel 95 95 Fehlende Öffnung des anorektalen Winkels 88 117 88 88 Klemmen Pressen Klemmen Pressen DEFÄKOGRAPHIE Frau P.A., 43 J Hochauflösende Analmanometrie Insuffizienter Beckenboden Fehlende Öffnung des anorektalen Winkels Viele Pressversuche vor Defäkation Abstand (cm) Entleeerung eines nur geringen Volumen Zeit (sec)

Hochauflösende Analmanometrie druck Hochauflösende Analmanometrie Hochauflösende Analmanometrie Pressversuch Anismus / Anorektale Dyssynergie Press-Versuch MANOMETRIEBEFUNDE Passive Inkontinenz erniedrigter Klemmdruck, normaler druck aufgrund corticospinaler MS-Läsionen Lawthom, Lancet 2003; 362:958 reduzierte rektale Compliance und Inhibitionsreflex Nordenbo, J Neurol 1996; 243:445-51 Anismus: paradoxe Kontraktion der Puborektalisschlinge - 8/10 Pat. Obstruktion und starkes Pressen! Chia, J Neurol Neurosurg Psychiatry 1996; 60:31-35 Mathers, J Neurol Neurosurg Psychiatry 1990; 53:955-960 Schwacher, verkürzter M. sphinkter ani internus. Normaler Klemmdruck(anstieg) und normale Klemmdauer.

Dranginkontinenz Kombinierte Inkontinenz Normaler druck des M. sphinkter ani internus. Unzureichender Anstieg des Klemmdrucks infolge Sphinkterdefekt nach einer Geburt. Erniedrigter druck and unzureichender und verkürzter Klemmdruck(anstieg) bei einer älteren Patientin. Ausserdem vermindertes Rektalvolumen und Hypersensibilität. Anorektale Perzeptionsprüfung Wahrnehmung von Dehnungsreizen Perzeptionsschwellen Initiale Perzeption Stuhldrang Maximum Rektalkapazität = Vol bei 40 mmhg Volumen (ml) 400 200 0 Compliance Druck bei 50% Rektalkapazität hypernormal C hypo- 10 20 30 40 Druck (mmhg) hypocompliant ( steif ): Stuhldrang /Dranginkontinenz hypercompliant ( zu locker ): Evakuationsstörung +/- Passive Stuhlinkontinenz Therapieprinzipien Abdominalmassage Allgemeinmassnahmen Medikamentöse Therapie Physiother. / Biofeedback Sakrale Neuromodulation Coggrave M, Norton C et al., Cochrane Database Syst Rev 2014 (1)CD002115

Medikamentöse Therapie Osmotische Laxantien - Macrogol Flohsamenschalen 1-2x 1-2 KL/d in Aq Sterculiae gummi 1-2x 1-2 KL/d in Aq Loperamid 3(-4)x 2-4 mg/d Metamucil, Laxiplant soft Plantaginis-ovatae-Samenschalen - Stuhlkonsistenz Normacol, Colosan mite Galacturonsäuregummi - Stuhlkonsistenz Imodium 2 mg / Sirup: 0,2 mg/ml - Sphinktertonus - Transitzeit, Stuhlfreq., -gew. Polyethylenglykol / Macrogol Movicol 10-40 g/d mit reichlich Wasser = nicht metabolisierbares osmotisch aktives Polymer am besten toleriert Verbesserung der Stuhlfrequenz und Stuhlkonsistenz, reduziert Pressen Erforderliche Volumina problematisch Evidenzlevel A! Ramkumar, Am J Gastroenterol 2005; 100:936-71 Biofeedback: Operante Konditionierung Sakrale Neurostimulation/-modulation ermöglicht unbewusste oder unzureichend wahrgenommene Körperfunktionen zu "sehen" oder zu "hören" Lernhilfe zur bewussten Kontrolle physiologischer Prozesse Screeningphase (10-14d) >50% Symptom- Reduktion Permanente Implantation Matzel KE et al., Lancet 2004; 363:1270-6 Rosen HR, Gastroenterology 2001; 121:536-41 Ergebnisse SNS / SNM THERAPIE Frau P.A., 43 J Besserung der Symptomatik: 75-100 % Vollständige Kontinenz: 41-75 % Jarrett M, Br J Surg 2004; 91:755-61 Rosen H, Gastroenterology 2001; 121:536-41 Wirkmechanismus unklar; auch bei Sphinkterdefekt / Neuropathie effektiv! Ratto C, Dis Colon Rectum 2010; 53:264-72 Brouwer R, Dis Colon Rectum 2010; 53:273-8 Effekt auf Sphinkterdrücke und anorektale Perzeption widersprüchlich Jarrett M, Br J Surg 2004; 91:1559-69 Rasmussen O, Dis Colon Rectum 2004; 47:1158-62 Therapie der MS (ß-IFN, Spasmolytica, Anticholinergica) Biofeedback-Therapie: effektiv (bei 5/13 Pat.) - bei Obstipation / Inkontinenz / Kombination - bei limitierter + nicht rasch progredienter MS - keine Prädiktionsfaktoren für Therapieerfolg

VERLAUF Frau P.A., 43 J Erlernen von schieben statt pressen Einsatz der Bauchpresse ohne Verkürzung des M. rectus abdominis Fazit: Kontinenzbestimmende Faktoren Struktur: Reservoirvolumen, anorektaler Winkel Stuhl: Konsistenz Instruktion über normalen Defäkationsvorgang Defäkation ohne Probleme... beschwerdefreie, sehr zufriedene Patientin Abschlussbericht Biofeedback Sphinkter Druck, Klemmdauer Funktion: Anorektale Perzeption