Gleitend in den Ruhestand? Gesetzliche, tarifliche und tatsächliche Entwicklung der Altersteilzeit



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Transkript:

Gleitend in den Ruhestand? Gesetzliche, tarifliche und tatsächliche Entwicklung der Altersteilzeit

Gleitend in den Ruhestand? Gesetzliche, tarifliche und tatsächliche Entwicklung der Altersteilzeit Verfasser: Dr. Heiner Stück Arbeitnehmerkammer Bremen Herausgeberin Arbeitnehmerkammer Bremen Körperschaft des öffentlichen Rechts Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Tel. 0421. 36 30 10 Fax 0421 36 30 189 E-Mail: info@arbeitnehmerkammer.de Internet: http://www.arbeitnehmerkammer.de Bremen, Juni 2003 Schutzgebühr 5,50 Euro. Für Mitglieder der Arbeitnehmerkammer kostenlos. ISBN: 3-89156-070-2

Vorwort Das Thema Arbeitszeit ist seit langem ein zentrales Thema der Arbeitnehmerkammer spätestens seit dem Schwerpunktprogramm teilzeit Lebensqualität trotz Beschäftigungskrise im Jahr 1998. Denn für die Arbeitnehmerkammer ist die Frage der Gestaltung von Arbeitszeit und die mögliche Umverteilung von Arbeit durch Teilzeit-Modelle eine zentrale Strategie bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Deshalb hat sich die Arbeitnehmerkammer auch im Bündnis sehr engagiert dafür eingesetzt, die Chancen neuer Arbeitszeitmodelle und entsprechender Vereinbarungen zwischen den gesellschaftlichen Akteuren für eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu nutzen. Die jetzt vorliegende Studie zur Praxis der Alters-Teilzeit ist ebenfalls diesem Interesse verpflichtet. Aus Sicht der Arbeitnehmerkammer darf es bei der Realisierung des Altersteilzeit-Gesetzes nicht darum gehen, dass Betriebe ihre älteren Mitarbeiter kostengünstig möglichst frühzeitig loswerden. Das ArbeitnehmerInneninteresse kommt dann zum Zuge, wenn ältere ArbeitnehmerInnen dank dieses Gesetzes den Übergang in den Ruhestand stärker an eigenen biografischen Interessen orientiert organisieren können und wenn gleichzeitig durch die Inanspruchnahme dieses Gesetzes arbeitslose und/oder jüngere ArbeitnehmerInnen den Zutritt in Beschäftigung finden. Die Studie macht deutlich, wie wenig selbstverständlich dieses gleichzeitig ist. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Studie nüchtern die aktuelle Situation in Bremer Betrieben untersucht, um so auch der betrieblichen Interessenvertretung insgesamt Orientierungswissen bei der Umsetzung des Altersteilzeit-Gesetzes an die Hand zu geben. In diesem Sinne verstehen wir die vorliegende Studie als Dienstleistung für die ArbeitnehmerInnen im Lande Bremen und ihre jeweilige Interessenvertretung und als Merkposten für die Politik im Hinblick auf Möglichkeiten einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Dr. Hans-Ludwig Endl Geschäftsführer Heinz Möller Geschäftsführer

Inhaltsverzeichnis Vorwort... 3 Fragestellung der Untersuchung... 5 Teil I Gesetzliche, tarifliche und faktische Entwicklung der Altersteilzeit Problemstellung... 6 Rückgang der Erwerbsbeteiligung älterer Erwerbspersonen... 8 Entwicklung der Altersteilzeit als alternativer Vorruhestand... 9 Fortentwicklung des Altersteilzeitgesetzes (Jahr 2000)... 15 Entwicklung der Tarifverträge zur Altersteilzeit... 16 Zusammenfassung: Entwicklung der Tarifverträge zur Altersteilzeit... 29 Ergebnisse der Betriebs- und Personalrätebefragung (WSI) zur Nutzung der Altersteilzeit in Betrieben und Behörden (Deutschland)... 31 Teil II Nutzung der Altersteilzeit in Bremer Betrieben Bremer Straßenbahn AG... 41 Siemens AG, ZN Bremen... 63 Stahlwerke Bremen GmbH... 68 Airbus Deutschland GmbH... 78 Brauerei Beck & Co, Bremen... 90 Teil III Nutzung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst des Landes Bremen Rechtsgrundlagen... 101 Rahmenbedingungen... 102 Entwicklung der Altersstruktur... 104 Entwicklung der Teilzeitbeschäftigung... 109 Inanspruchnahme der Altersteilzeit im Kernbereich der öffentlichen Verwaltung... 111 Inanspruchnahme der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst... 115 Inanspruchnahme der Altersteilzeit durch einzelne Personalgruppen... 119 Altersstruktur und Personalplanung... 124 Nachwort... 130 Verzeichnis der Tabellen, Schaubilder und Abbildungen... 132 4

Fragestellung der Untersuchung Die Fortentwicklung des Altersteilzeitgesetzes wie auch der Abschluss von neuen Tarifverträgen zur Altersteilzeit haben in vielen Branchen dazu geführt, dass die Inanspruchnahme von Altersteilzeit in den letzten Jahren rasant gestiegen ist. In vielen Betriebsvereinbarungen werden die gesetzlichen und tariflichen Bedingungen für das vorzeitige oder allmähliche Ausscheiden aus dem Erwerbsleben für die Beschäftigten noch erheblich verbessert. Wurde mit dem Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (Altersteilzeitgesetz) die frühere Praxis der Frühverrentung tatsächlich abgelöst oder lediglich verändert? Altersteilzeit bildet heute in vielfältiger Form einen wichtigen Bestandteil der betrieblichen Realität und ein zentrales Arbeitsfeld der Betriebs- und Personalräte sowie Betriebs- und Personalleiter. Wird Altersteilzeit als Instrument des Personalabbaus oder als Chance eines Austausches von älteren durch jüngere Beschäftigte genutzt? Welche Faktoren bestimmen das Niveau der Inanspruchnahme der Altersteilzeit durch die älteren Beschäftigten sowie das Ausmaß der Wiederbesetzung von frei werdenden Arbeitsplätzen? Welche Gründe lassen sich ausmachen für die unterschiedliche Ausgestaltung der Altersteilzeit in den Betrieben? Bestehen tatsächlich gleiche Möglichkeiten für die Beschäftigten, zwischen den konkurrierenden Varianten Blockmodell und Teilzeitmodell zu wählen? Viele Tarifverträge schließen das Teilzeitmodell grundsätzlich aus. Welche Präferenzen haben Arbeitgeber, Betriebs- und Personalräte sowie die Beschäftigten hinsichtlich der unterschiedlichen Ausgestaltung der Altersteilzeit? Welche Laufzeiten der Altersteilzeitverträge werden in Verbindung mit dem Lebensalter von den Beschäftigten gewählt? Viele Fragen stellen sich beim Thema der betrieblichen Umsetzung von Altersteilzeitgesetz und Altersteilzeit-Tarifvertrag. Durch die Vorstellung von verschiedenen Ansätzen zur Anwendung des personalpolitischen Instruments Altersteilzeit sollen Antworten auf diese Fragen gefunden werden. Ausgangspunkt dieser Untersuchung war ein im Mai 2002 von der Arbeitnehmerkammer Bremen veranstalteter Workshop ( Altersteilzeit und Personalpolitik ), auf dem die Betriebs- und Personalräte sowie die Personalverantwortlichen aus einigen Betrieben und Behörden über ihre Altersteilzeitmodelle berichteten. Mit Expertengesprächen (Personalleitung, Betriebsrat) sowie der Auswertung von betrieblichen Statistiken zur Inanspruchnahme der Altersteilzeit durch die Beschäftigten konnten diese Berichte aus den Betrieben und Behörden weiter vertieft werden. Die Untersuchung beschränkt sich auf Bremer Großbetriebe anzunehmen ist, dass in Mittelund Kleinbetrieben andere Strukturen der Nutzung von Altersteilzeit anzutreffen sind. Den Betriebs- und Dienstvertragsparteien soll an dieser Stelle nochmals ausdrücklich für ihre Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer Bremen Dank gesagt werden. 5

Teil I Gesetzliche, tarifliche und faktische Entwicklung der Altersteilzeit Problemstellung Die Kluft zwischen dem Lebensalter beim Austritt aus dem Erwerbsleben und der Regelaltersgrenze von 65 Jahren hat sich vergrößert. Bisher bestehende Wege zur Überbrückung dieser Kluft sind aufgrund der Rentenreform, die auf eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit abzielt, inzwischen eingeschränkt oder sogar abgeschafft worden (wie z. B. die so genannte 59er-Regelung). Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschärft demgegenüber das Beschäftigungsrisiko der älteren Arbeitnehmer/innen, so dass die Schere zwischen dem Berufsaustrittsalter und dem regulären Rentenzugangsalter sich noch vergrößern wird. Auf der einen Seite werden die älteren Erwerbspersonen zur Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit gesetzlich verpflichtet und inzwischen mit Rentenabschlägen bestraft, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen, auf der anderen Seite sind die meisten älteren Erwerbspersonen aus objektiven Gründen Zunahme der Arbeitsbelastungen, Absenkung der betrieblichen Altersgrenzen nicht mehr in der Lage, dieser gesetzlichen Pflicht nachzukommen. Bisher konnten die Unternehmen sich der alternden Belegschaften durch die Praxis der Frühverrentung entledigen. Der mit dem Kostendruck allseits legitimierte Personalabbau wurde vor allem über die Ausgliederung älterer Beschäftigter im Rahmen von Vorruhestandsregelungen in den Unternehmen bewältigt. Die betriebliche Praxis der Frühverrentung wurde durch die korrespondierende Inanspruchnahme des Vorruhestandes durch die älteren Beschäftigten zudem zu einem gesellschaftlich akzeptierten Modell der Lebensplanung: Die gesetzliche Regelaltersgrenze für den Übergang in den Ruhestand bildet für die Beschäftigten schon lange nicht mehr den Zielpunkt ihrer Orientierung. Vielmehr hat die Praxis der Frühverrentung dazu geführt, dass die Absenkung der betrieblichen Altersgrenze für den (vorzeitigen) Austritt aus dem Erwerbsleben von den älteren Beschäftigten selbst als gesellschaftliche Norm akzeptiert wird. Das Lebensalter von 60 Jahren hat sich für die meisten Angestellten als magische Zahl für den angestrebten Übergang in den Ruhestand etabliert. Demgegenüber bildet die Altersgrenze von 55 Jahren für die Arbeiter bereits eine kritische Schwelle, so dass die Nutzung der Altersteilzeit in Form des Blockmodells eine Fortsetzung der Praxis der Frühverrentung mit anderen Mitteln ermöglicht, insbesondere in den Industriebetrieben mit belastender Schichtarbeit (Stahlindustrie, Automobilindustrie). Gleichwohl sind in den 90er-Jahren trotz des massiven Personalabbaus insbesondere durch die vorzeitige Ausgliederung älterer Beschäftigter die Anteile der älteren Erwerbstätigen an den Belegschaften weiter angestiegen, weil aufgrund des gleichzeitigen Einstellungsstopps kaum noch Neueinstellungen von jüngeren Erwerbspersonen 6

stattfanden, so dass die Belegschaft in vielen Betrieben sich ausschließlich auf die mittlere Altersgruppe (35 55 Jahre) konzentriert. Diese in den Unternehmen noch unzureichend thematisierte Altersstruktur ( gestauchte Alterspyramide ) wird daher in diesem Jahrzehnt zur weiteren Alterung der Belegschaften in vielen Betrieben führen. Gleichzeitig wird der demographische Umbruch, d. h. die Alterung der Wohnbevölkerung, auch zur Alterung der Erwerbsbevölkerung führen 1. Während die Belegschaften altern, rücken aus demographischen Gründen gleichzeitig weniger Nachwuchskräfte nach. In den Unternehmen wird diese demographische Entwicklung in langfristiger Perspektive noch kaum thematisiert. Werden die Unternehmen in der Lage sein, die steigenden Anteile älterer Arbeitnehmer/innen überhaupt zu beschäftigen (ohne die Arbeits-, Leistungs-, Weiterbildungsbedingungen grundlegend zu verändern)? Viele Unternehmen stecken bereits in der demographischen Falle (zu viele Frührentner/zu wenig Nachwuchs): Die Kernbelegschaft im mittleren Alter wächst allmählich in die Kategorie der älteren Arbeitnehmer hinein. Bereits in zehn Jahren werden nur noch 20 Prozent der Erwerbspersonen jünger als 30 Jahre sein, während ein Drittel der Erwerbstätigen bereits die Altersgrenze von 50 Jahren überschritten haben wird. Die Situation ist paradox: Einerseits klagen schon jetzt viele Unternehmen über Fachkräftemangel, andererseits sind das Erwerbsleben und die Laufbahnen in den Unternehmen darauf ausgerichtet, Mitarbeiter bereits ab 55 Jahren in den Vorruhestand zu schicken. Vielleicht lässt sich diese Entwicklung mit dem Bild einer Grundsee vergleichen, die durch das Zusammentreffen zweier entgegengesetzter Strömungen entsteht: Während auf der einen Seite auf betrieblicher Ebene die Frühverrentung fortgesetzt und durch die hohe Arbeitslosigkeit legitimiert wird, wird auf der anderen Seite auf gesellschaftlicher Ebene aufgrund des demographischen Wandels eine längere Berufstätigkeit der älteren Beschäftigten gefordert. Dabei wird jedoch nicht die Frage beantwortet, welche Arbeits- und Gesundheitsbedingungen sowie Weiterbildungsmaßnahmen für eine längere Beschäftigung älterer Arbeitnehmer eigentlich notwendig wären, damit diese die Regelaltersgrenze wieder erreichen können. Eine altersgerechte Personalpolitik, die sich den Herausforderungen des demographischen Wandels stellt, müsste gegenüber der vorherrschenden jugendzentrierten Personalpolitik erst noch entwickelt werden. Der Aufforderung des Gesetzgebers, bis zur Regelaltersgrenze von 65 Jahren erwerbstätig zu bleiben, steht die betriebliche Praxis der Ausgliederung der älteren Beschäftigten ab 55 Jahren entgegen. Damit entsteht objektiv die Schwierigkeit wenn nicht sogar Unmöglichkeit für die älteren Erwerbspersonen, bis zur Regelaltersgrenze erwerbstätig zu bleiben. Da sich die Kluft zwischen dem Lebensalter beim Austritt aus dem Erwerbsleben und dem gesetzlich normierten Rentenzugangsalter weiter vertieft, wird auch der Übergang in den Ruhestand immer prekärer, die Zeitspanne zwischen dem tatsächlichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und der 1 Vgl. dazu das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekt Demographischer Wandel und Zukunft der Erwerbsarbeit am Standort Deutschland. 7

gesetzlichen Regelaltersgrenze (ohne Rentenabschläge) wird immer länger (10 Jahre bei vielen Beschäftigten in der Industrie). Es stellt sich die Frage, wie weit das Instrument der Altersteilzeit (ATZ) den prekär gewordenen Übergang in den Ruhestand in sichere Bahnen lenken kann, einen institutionell und finanziell abgesicherten Übergang in den Ruhestand ermöglichen kann. Rückgang der Erwerbsbeteiligung älterer Erwerbspersonen Die Erwerbsbeteiligung der älteren Menschen ist in der Bundesrepublik bzw. im früheren Bundesgebiet im Zeitraum 1970 2000 insgesamt zurückgegangen. Die Aufschlüsselung der Erwerbsquoten 2 nach Alters- und Geschlechtsgruppen zeigt für diesen Zeitraum einen drastischen Rückgang der Erwerbsbeteiligung der rentennahen Altersgruppen (von 60 bis unter 65 Jahren). Während 1970 noch drei Viertel der Männer dieser Altersgruppe Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) waren, betrug die Erwerbsquote der Männer dieser Altersgruppe 1985 nur noch ein Drittel und diese Erwerbsquote stagniert bis zum Jahr 2000 auf diesem Niveau (vgl. Tabelle 1). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kategorie Erwerbspersonen sowohl Erwerbstätige als auch Erwerbslose umfasst. Somit fällt die Erwerbstätigkeit der älteren abhängig Beschäftigten noch geringer aus, als mit den altersspezifischen Erwerbsquoten ausgewiesen. Die Erwerbsquote der Frauen im Alter von 60 bis unter 65 Jahren lag immer weit unter der entsprechenden Erwerbsquote der Männer: Nach einem kontinuierlichen Rückgang von 22 Prozent (1970) auf 11 Prozent (1985) ist die Erwerbsbeteiligung der Frauen dieser rentennahen Altersgruppe jedoch wieder gestiegen: auf 15 Prozent im Jahr 2000 (vgl. Tabelle 1). Die allgemein gestiegene Erwerbsbeteiligung der westdeutschen Frauen schlägt sich seit Mitte der 80er-Jahre auch bei den Frauen in der Spätphase des Erwerbslebens nieder: Die Erwerbsquote der Frauen im Alter von 50 bis unter 55 Jahren ist von 50 Prozent im Jahr 1985 kontinuierlich bis auf nahezu 70 Prozent im Jahr 2000 angestiegen. Während die Erwerbsquote der Frauen im Alter von 55 bis unter 60 Jahren im Zeitraum 1970 1985 relativ konstant bei ca. 38 Prozent lag, ist sie seitdem gleichfalls kontinuierlich angestiegen bis auf ca. 54 Prozent im Jahr 2000. Bei den westdeutschen Frauen ist also in der Spätphase des Erwerbslebens eine ansteigende Erwerbsbeteiligung festzustellen, allerdings nimmt diese Entwicklung ihren Ausgang im Vergleich zu den westdeutschen Männern auf einem viel niedrigeren Niveau (vgl. Tabelle 1). Die Altersgrenze von 55 Jahren markiert eine kritische Schwelle für die Beschäftigung von Männern: Die Erwerbsquote der Männer im Alter von 55 bis unter 60 Jahren ist in den letzten drei Jahrzehnten von 89 Prozent (1970) mehr oder minder stetig auf 78 Prozent (2000) zurückgegangen. 2 Die Erwerbsquoten bezeichnen die relativen Anteile der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an der Wohnbevölkerung der jeweiligen Alters- und Geschlechtsgruppen. Die Erwerbspersonen umfassen nach der Stellung im Beruf: Selbständige, mithelfende Familienangehörige, abhängig Beschäftigte (Arbeiter, Angestellte, Beamte). 8

Dramatischer fällt jedoch der Rückgang der Erwerbsbeteiligung bei der rentennahen Altersgruppe der Männer (60 bis unter 65 Jahre) in diesem Zeitraum aus: von 75 Prozent im Jahr 1970 bis auf 33 Prozent im Jahr 2000. Die Betrachtung dieser Erwerbsquoten verdeutlicht die Schwierigkeit sowohl für Männer als auch für Frauen, gegenwärtig noch bis zum 65. Lebensjahr im Erwerbsprozess zu verbleiben. Tabelle 1: Erwerbsquoten von Männern und Frauen nach Altersgruppen (BRD/früheres Bundesgebiet) Alter von... bis unter... Jahren 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 50 55 Männer Frauen 95,1 44,8 93,1 47,4 93,3 47,1 93,2 50,2 93,2 57,8 92,2 63,8 91,5 69,2 55 60 Männer Frauen 89,2 37,2 85,7 38,4 82,3 38,7 79,1 37,8 81,1 43,8 79,0 48,8 77,9 53,5 60 65 Männer Frauen 74,7 22,5 58,3 16,4 44,2 13,0 33,0 10,9 35,0 12,5 33,0 13,0 33,2 14,9 Erwerbsquote: Anteil der Erwerbspersonen an der Wohnbevölkerung entsprechenden Alters und Geschlechts. Die Kategorie Erwerbspersonen umfasst sowohl Erwerbstätige als auch Erwerbslose. Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistische Jahrbücher. Entwicklung der Altersteilzeit als alternativer Vorruhestand Gegenwärtig überwiegt in der Praxis die Nutzung der Altersteilzeit als Instrument der Frühverrentung, als Brückenschlag zwischen dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben und dem Übergang in das Rentnerleben. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, mit welchen Intentionen der Gesetzgeber ursprünglich die Altersteilzeit eingeführt hat. Mit dem Vorruhestandsgesetz, das von Mai 1984 bis Dezember 1988 galt, wurden Regelungen getroffen, die zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand beitragen sollten. Auf der Grundlage dieses Gesetzes konnten tarifliche Vereinbarungen über einen vorzeitigen Übergang in den Ruhestand abgeschlossen werden. In einzelnen Branchen wurden Vorruhestandstarifverträge vereinbart, welche die gesetzlichen Mindestleistungen teilweise verbesserten. Etwa 165.000 Beschäftigte haben damals auf der Basis dieser Tarifverträge den Vorruhestand in Anspruch 9

genommen. Die relativ geringe Inanspruchnahme wurde dadurch erklärt, dass nur für ein Drittel der abhängig Beschäftigten überhaupt ein Vorruhestandstarifvertrag abgeschlossen worden war. Dieses Gesetz wurde Anfang 1989 durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Überganges älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand abgelöst, das bis Ende 1992 befristet worden ist. Dieses Altersteilzeitgesetz erwies sich in der Praxis als wirkungslos: Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit wurden lediglich in ca. 500 Fällen erbracht. Die Inanspruchnahme dieses ATZ-Gesetzes war so gering, weil damals mit der so genannten 59er-Regelung eine konkurrierende Regelung bestand, die für die älteren Beschäftigten attraktiver war. So besaßen damals die Versicherten einen Anspruch auf die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hatten und vor Rentenbeginn mindestens ein Jahr lang arbeitslos waren; außerdem mussten in den letzten 10 Jahren vor Rentenbeginn mindestens 8 Jahre Pflichtbeitragszeiten vorliegen und die Wartezeit von 15 Jahren (Beitragszeiten, Ersatzzeiten, usw.) musste erfüllt sein. Die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wurde insbesondere von den Großbetrieben dazu genutzt, über eine zumeist einjährige Phase von Arbeitslosigkeit mit anschließendem Rentenbezug die älteren Arbeitnehmer bereits mit 59 Jahren aus dem Erwerbsleben auszugliedern. Die so genannte 59er-Regelung war mit geringen Renteneinbußen verbunden, so dass der Anreiz für die Beschäftigten, mit 60 Jahren in die Rente zu wechseln, stark ausgeprägt war. Das Lebensalter von 60 Jahren entwickelte sich unter den Beschäftigten als magische Zahl für den Übergang in den Ruhestand; diese Altersgrenze etablierte sich als gesellschaftliche Norm für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. In vielen Großbetrieben setzte der Personalabbau noch früher ein, nachdem die Dauer des Arbeitslosengeldbezuges schrittweise von 12 auf maximal 32 Monate verlängert worden war. Ab 57 Lebensjahren und vier Monaten konnten die älteren Beschäftigten nach Abschluss eines einvernehmlichen Aufhebungsvertrages maximal 32 Monate lang Arbeitslosengeld und mit vollendetem 60. Lebensjahr die Rente wegen Arbeitslosigkeit beziehen. Rentenabschläge wegen vorzeitigem Rentenbezug fielen damals auf Basis der so genannten 59er-Regelung nicht an. Es ergaben sich lediglich gewisse Renteneinbußen dadurch, dass die Beitragszahlungen der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherung während der Arbeitslosigkeit 80 Prozent des Bruttoeinkommens betrugen (Lohnersatzleistung). Das Arbeitslosengeld wurde von den Großbetrieben im Rahmen der abgeschlossenen Sozialpläne noch durch Ausgleichszahlungen vielfach erheblich aufgestockt. Ab dem Jahr 1992 wurde diese Praxis der Frühverrentung immer häufiger von den Großbetrieben angewandt. Die gestiegene Inanspruchnahme der Altersrente wegen 10

Arbeitslosigkeit 3 verursachte für die Rentenversicherung und die Bundesanstalt für Arbeit enorme für die Arbeitgeber jedoch vergleichsweise geringe Kosten. Die Kosten der von den Arbeitgebern bevorzugten Frühverrentung auf Basis der 59er- Regelung verblieben also weitgehend bei der Solidargemeinschaft der Versicherten. Der Gesetzgeber nahm diese Praxis der Frühverrentung aus finanz- und sozialpolitischen Gründen angesichts der absehbaren demographischen Entwicklung und deren finanziellen Auswirkungen auf die Rentenversicherung zum Anlass, um eine Kehrtwende in der Rentenpolitik einzuläuten: Anstelle der bisher praktizierten Verkürzung sollte nunmehr eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit angestrebt werden. Die Kosten der Frühverrentung sollten zudem von der Sozialversicherung auf die Betriebe und die Beschäftigten verlagert und damit die Rentenversicherung entlastet werden. Mit dem Rentenreformgesetz von 1992 wurden die Altersgrenzen für die verschiedenen Rentenzugangsarten angehoben, um die Anreize für den Übertritt in den vorzeitigen Ruhestand zu verringern bzw. durch Rentenabschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme der jeweiligen Altersrenten zu bestrafen. Im Jahre 1996 wurde zur Korrektur der Frühverrentungspraxis das Instrument der Altersteilzeit in neuer Form wieder eingeführt, die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wurde in eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit umgewandelt. Das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (Altersteilzeitgesetz) ist am 1. August 1996 in Kraft getreten. Im 1 dieses Gesetzes werden als Grundsätze formuliert: (1) Durch Altersteilzeitarbeit soll älteren Arbeitnehmern ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermöglicht werden. (2) Die Bundesanstalt für Arbeit fördert durch Leistungen nach diesem Gesetz die Teilzeitarbeit älterer Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit ab Vollendung des 55. Lebensjahres (...) vermindern, und damit die Einstellung eines sonst arbeitslosen Arbeitnehmers ermöglichen. Die Intention des Gesetzgebers besteht also eindeutig darin, den allmählichen Ausstieg aus dem Erwerbsleben mittels Teilzeitarbeit von älteren Arbeitnehmern zu fördern und damit zugleich eine Beschäftigungsbrücke zwischen jungen und alten Beschäftigten herzustellen: Der durch Altersteilzeitarbeit frei werdende Teil-Arbeitsplatz soll mit einem sonst arbeitslosen oder sonst arbeitslos werdenden Beschäftigten (nach Abschluss der Ausbildung) wieder besetzt werden. Die rentenrechtlichen Änderungen, die im Zusammenhang mit dem ATZ-Gesetz vorgenommen wurden, zielen zwar darauf ab, eine Brücke zwischen Arbeitsleben und Ruhestand zu schlagen, andererseits wird diese Brücke aufgrund der kontinuierlichen Anhebung der Altersgrenzen durch die Rentenreform gestaffelt nach Jahrgängen der Beschäftigten zunehmend brüchig (zumindest in finanzieller Hinsicht). Die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wurde in eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit umgewandelt. Die Voraussetzung einer einjährigen 3 Im Jahre 1992 bezogen 54.000 Versicherte die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, im Jahre 1993 bereits mehr als doppelt so viele, im Jahre 1994 sogar über 200.000 und schließlich im Jahre 1995 nicht ganz 300.000 Versicherte. 11

Arbeitslosigkeit wurde für diese Altersrente beibehalten, für den Anspruch auf die Altersrente nach Altersteilzeitarbeit werden dagegen mindestens 24 Monate von Altersteilzeitarbeit vorausgesetzt. Weitere Anspruchsvoraussetzungen sind: Die Versicherten müssen vor Rentenbeginn in den letzten 10 Jahren 8 Jahre Pflichtbeitragszeiten vorzuweisen sowie die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben. Die Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit wird gemäß dem Rentenreformgesetz (1992) sowie dem ATZ-Gesetz (1996) in den Jahren 1997 bis 2001 schrittweise (nach Geburtsmonaten) von 60 auf 65 Lebensjahre angehoben 4. Diese schrittweise Anhebung der Altersgrenze ist inzwischen für die Geburtsmonate/-Jahrgänge von Januar 1937 bis Dezember 1941 abgeschlossen (Männer). Die Beschäftigten dieser Altersgruppen können die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit mit vollendetem 60. Lebensjahr zwar weiterhin vorzeitig in Anspruch nehmen, sie müssen jedoch, um die Mehraufwendungen der Rentenversicherung aufgrund der längeren Rentenbezugsdauer auszugleichen, für jeden Monat des vorgezogenen Rentenbezugs einen Abschlag von 0,3 Prozent hinnehmen (3,6 % pro Jahr). Aufgrund der schrittweisen Anhebung der Altersgrenze von 60 auf 65 Jahre in den letzten Jahren (1997 2001) wirkt sich diese Regelung für die jüngeren nachteiliger als für die älteren Jahrgänge aus: Bei der vorzeitigen Inanspruchnahme dieser Altersrente (ohne Vertrauensschutz) 5 ab Vollendung des 60. Lebensjahres hat ein/e Beschäftigte/r mit Geburtsdatum Dezember 1937 lediglich 3,6 Prozent, mit Geburtsdatum Dezember 1938 demnach 7,2 Prozent, mit Geburtsdatum Dezember 1939 schon 10,8 Prozent, mit Geburtsdatum Dezember 1940 immerhin 14,4 Prozent und schließlich mit Geburtsdatum Dezember 1941 den vollen Rentenabschlag von 18,0 Prozent hinzunehmen. Ab Geburtsdatum Januar 1942 haben also Beschäftigte, die die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (ohne Vertrauensschutz) mit vollendetem 60. Lebensjahr in Anspruch nehmen, eine dauerhafte Rentenminderung um 18 Prozent hinzunehmen 6. Auf die Aufnahme und Bearbeitung dieses Problems in 4 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Hg., Altersteilzeit ab 55 Arbeit in ATZ, Förderung durch das Arbeitsamt, Übergang zur Rente, Ausgabe: Januar 2002, Tab. auf S. 32/33: Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit ohne Vertrauensschutz. 5 Die zentrale Voraussetzung für die Altersrente mit Vertrauensschutz, die nur geringfügige Rentenabschläge enthält, kann von der Mehrheit der Beschäftigten nicht erfüllt werden: Versicherte der Geburtsjahrgänge vor 1942, die mindestens 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Zeiten mit Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zählen dabei nicht) haben. Demnach müsste ein Versicherter nach Abschluss der damals 8-jährigen Volksschule mit 15 Jahren eine Lehre begonnen und nach Abschluss seiner Ausbildung ohne Unterbrechung bis zum 60. Lebensjahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. 6 Vom 1. Januar 2000 an wird auch die Altersgrenze bei den Renten für langjährig Versicherte von 63 Jahren und bei der Altersrente für Frauen von 60 Jahren auf jeweils 65 Jahre angehoben. Auch diese Rentenarten können vorzeitig in Anspruch genommen werden allerdings ebenfalls mit Abschlägen. Zum prozentualen Ausmaß der jeweiligen Rentenabschläge bei diesen beiden Rentenarten vgl. die 12

Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen wird daher an späterer Stelle einzugehen sein. Die sich durch die längere Rentenbezugsdauer ergebenden Rentenabschläge können zwar theoretisch durch zusätzliche Beitragszahlungen der Versicherten ausgeglichen werden, jedoch würden solche Zahlungen zum Ausgleich von Rentenminderungen praktisch enorme Summen erfordern, über die die Beschäftigten entweder nicht verfügen oder die sie falls verfügbar attraktiver in anderen Formen anlegen könnten. Weiterhin besteht die Möglichkeit, Sozialplanmittel für solche Beitragszahlungen zum Ausgleich von Rentenminderungen einzusetzen. Auch hier stellt sich die Frage, wie weit die Betriebe von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Im Folgenden werden die wichtigsten Bestimmungen des Altersteilzeitgesetzes von 1996 vorgestellt: Zu Beginn der Altersteilzeitarbeit muss der/die Arbeitnehmer/in zumindest das 55. Lebensjahr vollendet haben. Der/die Arbeitnehmer/in muss innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeitarbeit mindestens drei Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein (Arbeitslosenversicherung). Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen eine Vereinbarung vor Beginn der Altersteilzeitarbeit abschließen. Die Dauer der Altersteilzeitarbeit soll gemäß Vereinbarung bis zum frühestmöglichen Zeitpunkt reichen, zu dem der/die Arbeitnehmer/in eine ggfs. auch geminderte Altersrente in Anspruch nehmen kann. Die Arbeitszeit muss auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit vermindert werden. Auch nach dieser Verminderung der Arbeitszeit muss der/die Arbeitnehmer/in sozialversicherungspflichtig, also mehr als geringfügig beschäftigt sein. Die Verteilung der Arbeitszeit während der Altersteilzeit-Phase bleibt den Vertragsparteien überlassen. Möglich sind eine durchgängige Halbtagsbeschäftigung, ein regelmäßiger Wechsel (täglicher, wöchentlicher, monatlicher Wechsel) zwischen Arbeitszeit und Freizeit, selbst eine (in der Praxis selten genutzte) degressive Arbeitszeitverteilung wäre möglich sowie das in der Praxis dominierende Blockmodell. Bei dem Blockmodell werden innerhalb des vereinbarten Verteilzeitraumes zwei gleich große Zeitblöcke gebildet: Arbeitsphase und Freistellungsphase von jeweils gleicher Dauer. Allerdings dürfen beim Blockmodell diese beiden Zeitblöcke ohne tarifvertragliche Grundlage jeweils nicht länger als eineinhalb Jahre, insgesamt also höchstens drei Jahre betragen. Die Vereinbarung von mehr als drei Jahre umfassenden Verteilzeiträumen ist nur dann möglich, wenn ein entsprechender Tarifvertrag dieses zulässt (Tarifvorbehalt). Gemäß Gesetz kann der Zeitraum der Altersteilzeit-Phase auf bis zu zehn Jahren erweitert werden, also 5 Jahre Tabellen, S. 36 ff., in: BMAS, Hg., Altersteilzeit ab 55, a.a.o., Ausgabe: Januar 2002. 13

Arbeitsphase und 5 Jahre Freistellungsphase, wenn ein entsprechender Tarifvertrag dieses zulässt. Der Arbeitgeber muss das Bruttoarbeitsentgelt des/der ATZ-Beschäftigten um mindestens 20 Prozent aufstocken. Der Aufstockungsbetrag muss allerdings eine bestimmte Höhe erreichen: Der/die Arbeitnehmer/in soll im Monat mindestens 70 Prozent des bisherigen (pauschalierten) Nettoarbeitsentgeltes erhalten. Diese einzuhaltenden Mindestnettobeträge werden jährlich vom Bundesarbeitsministerium festgelegt. Der Aufstockungsbetrag in Höhe von mindestens 20 Prozent des Bruttoarbeitsentgeltes ist zwar steuer- und sozialabgabenfrei, unterliegt jedoch wie andere Sozialleistungen bei der Einkommenssteuerveranlagung dem Progressionsvorbehalt. Der Arbeitgeber muss zusätzliche Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichten und zwar mindestens in Höhe des Beitrags, der auf den Unterschiedsbetrag zwischen 90 Prozent des bisherigen Arbeitsentgelts und dem Arbeitsentgelt für die Altersteilzeitarbeit entfällt. Damit werden einem Vollzeitbeschäftigten, der mit dem Wechsel in Altersteilzeitarbeit seine wöchentliche Arbeitszeit auf die Hälfte vermindert, Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet, die sich auf 90 Prozent des vorherigen Vollzeiteinkommens beziehen. Der Gesetzgeber hat einen Überforderungsschutz für die Betriebe festgelegt, wonach ein Anspruch der einzelnen Beschäftigten nicht gegeben ist, wenn fünf Prozent aller Beschäftigten des Betriebes bereits in Altersteilzeit beschäftigt sind. Das Arbeitsamt erstattet dem Arbeitgeber diese Aufstockungsleistungen für die Dauer der Altersteilzeitarbeit (Förderhöchstdauer gemäß ATZ-Gesetz von 1996: fünf Jahre), sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt werden: Wiederbesetzung des durch Altersteilzeitarbeit frei gemachten oder durch Umsetzung frei gewordenen (Teil-)Arbeitsplatzes durch die Einstellung eines arbeitslos gewordenen Arbeitnehmers oder durch die Übernahme eines Arbeitnehmers nach Abschluss der Ausbildung auf dem frei gemachten Arbeitsplatz. Bei der Wiederbesetzung sind verschiedene Formen möglich: So kann der Wiederbesetzer ebenfalls eine Teilzeittätigkeit ausüben, wenn der Arbeitnehmer in Altersteilzeit tatsächlich Teilzeitarbeit verrichtet. Bei der verblockten Altersteilzeit kann der Wiederbesetzer erst nach Abschluss der Arbeitsphase, also zum Beginn der Freistellungsphase, den vollen Arbeitsplatz übernehmen. Bei Kleinunternehmen bis zu 50 Beschäftigten kann anstelle der Wiederbesetzung auch ein/e Auszubildende/r versicherungspflichtig beschäftigt werden. Die gesetzlichen Regelungen zur Altersteilzeit erwiesen sich für die älteren Beschäftigten finanziell nicht als attraktiv: Der gesetzliche Anspruch auf eine Absicherung von 70 Prozent des bisherigen Nettoeinkommens bildete keinen ausreichenden Anreiz für die älteren Beschäftigten. Das mehrheitlich präferierte auf 5 Jahre verteilte Blockmodell (2 ½ Jahre Arbeitsphase/2 ½ Jahre Freistellungsphase) war wegen des 14

Tarifvorbehalts ohnehin nur bei Abschluss eines entsprechenden Tarifvertrages möglich. In der Folge des ATZ-Gesetzes wurden daher in verschiedenen Branchen Tarifverträge abgeschlossen, die eine Aufstockung der gesetzlichen ATZ-Leistungen vorsehen. Fortentwicklung des ATZ-Gesetzes (Jahr 2000) Im Jahre 2000 hat der Gesetzgeber wesentliche Änderungen des ATZ-Gesetzes vorgenommen, um die Beschäftigungswirksamkeit dieses Gesetzes zu erhöhen. Das 1. Gesetz zur Fortentwicklung der Altersteilzeit ist am 1. Januar 2000 in Kraft getreten. War zuvor der Wechsel in Altersteilzeitarbeit nur Vollzeitbeschäftigten möglich, die in den letzten fünf Beschäftigungsjahren zumindest drei Jahre lang vollzeitbeschäftigt waren, so wird nunmehr der Wechsel in Altersteilzeitarbeit auch Teilzeitbeschäftigten ermöglicht. Damit wurden viele weibliche Beschäftigte nach erfolgreichen Protesten insbesondere der Gewerkschaft ÖTV, die bisher keinen Anspruch auf Altersteilzeitarbeit besaßen, in die gesetzliche Regelung einbezogen 7. Bei der Wiederbesetzung, der zentralen Voraussetzung für die Erstattungsleistungen des Arbeitsamtes an den Arbeitgeber, reicht bei Arbeitgebern mit mehr als 50 Beschäftigten der Nachweis einer Umsetzungskette zwischen dem Beschäftigten in Altersteilzeit und dem Wiederbesetzer. Wenn für einen in Altersteilzeit gehenden Mitarbeiter ein anderer Mitarbeiter auf dessen frei gewordenen Arbeitsplatz nachrückt und ein Wiederbesetzer (Arbeitsloser oder Ausgebildeter) im selben Funktionsbereich (z. B. Produktion, Einkauf, Vertrieb) eingestellt wird, liegt nunmehr eine Wiederbesetzung vor. Der Nachweis der Wiederbesetzung in Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten gegenüber dem Arbeitsamt wurde wesentlich erleichtert: Arbeitgeber mit bis zu 50 Beschäftigten erhalten die Förderung, wenn sie aus Anlass der Altersteilzeit eines älteren Mitarbeiters einen arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer oder einen Arbeitnehmer nach Abschluss der Ausbildung an beliebiger Stelle des Unternehmens beschäftigen (oder aber eine/n Auszubildende/n einstellen). 7 Für die vollzeitbeschäftigten Angestellten und Arbeiter/innen von Bund, Ländern und Gemeinden bestand seit dem 1. Mai 1998 ein Anspruch auf Altersteilzeitarbeit (Tarifvertrag ATZ). Im Bündnis für Arbeit haben sich die Gewerkschaften für die Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigten erfolgreich eingesetzt. Das Altersteilzeitgesetz ermöglicht ab 1. Januar 2000 auch den Teilzeitbeschäftigten den Wechsel in Altersteilzeitarbeit. Nach dieser Änderung des Gesetzes hat die Gewerkschaft ÖTV eine schnelle Anpassung der tarifvertraglichen Regelungen gefordert. Die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes waren jedoch vor der Tarifrunde 2000 nicht bereit, Gespräche über die Änderung des Tarifvertrages ATZ zu führen. Daher konnte eine Einigung über die Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigten in den Tarifvertrag ATZ erst in der Tarifrunde 2000 erreicht werden. Ab 1. Juli 2000 haben nunmehr auch Teilzeitbeschäftigte im öffentlichen Dienst einen tarifvertraglichen Anspruch auf Altersteilzeitarbeit. 15

Das 2. Gesetz zur Fortentwicklung der Altersteilzeit ist am 1. Juli 2000 in Kraft getreten. Mit diesen Änderungen soll die Beschäftigungswirksamkeit des ATZ- Gesetzes weiter erhöht werden. Die Geltungsdauer des Altersteilzeitgesetzes, die zuvor nur bis zum 31. Juli 2004 ausgelegt war, wurde bis zum 31. Dezember 2009 ausgedehnt. Damit erhalten die Tarifvertragsparteien sowie die Betriebs- bzw. Dienstvertragsparteien einen weiteren Planungshorizont und damit auch größere Planungssicherheit für die Personalentwicklung. Förderleistungen des Arbeitsamtes können demnach für die Zeit ab 1.1.2010 nur noch erbracht werden, wenn die Arbeitnehmer/innen mit der Altersteilzeitarbeit vor dem 1. Januar 2010 beginnen. Die Förderhöchstdauer wird von fünf auf sechs Jahre erhöht. Parallel dazu wird die Mindestnachbesetzungsdauer um ein Jahr von drei auf vier Jahre erhöht. Bisher hatte der Arbeitgeber die Möglichkeit, bei der Förderhöchstdauer von fünf Jahren für einen Beschäftigten in Altersteilzeit die Förderleistungen des Arbeitsamtes zu erhalten, sofern der Wiederbesetzer zumindest für drei Jahre im Betrieb beschäftigt war (im Falle von Halbtagsarbeit: Einsparung einer halben Stelle für zwei Jahre). Nunmehr hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, bei der Förderhöchstdauer von sechs Jahren für einen Beschäftigten in Altersteilzeit die Förderleistungen des Arbeitsamtes zu beziehen, wenn der Wiederbesetzer zumindest für vier Jahre beschäftigt wird (im Falle von Halbtagsarbeit gleichfalls Einsparung einer halben Stelle für zwei Jahre). Mit dieser Änderung wurde das bisherige Verhältnis der Dauer der Wiederbesetzung zur Dauer der Förderung geringfügig verbessert. Das Arbeitsamt erstattet dem Arbeitgeber die Aufstockungsleistungen für den Zeitraum, in dem die Arbeitszeit des Arbeitnehmers auf die Hälfte vermindert wurde, höchstens für sechs Jahre. Entwicklung der Tarifverträge zur Altersteilzeit Das Altersteilzeitgesetz enthält nur Mindestbedingungen insbesondere keinen individuellen Rechtsanspruch der Beschäftigten auf Altersteilzeit sowie nur Mindestleistungen (insbesondere nur die Garantie von 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens). Daher nimmt es nicht wunder, dass die Tarifvertragsparteien bei der Ausgestaltung der Altersteilzeit in Tarifverträgen sich vor allem auf die Aufstockung der gesetzlichen Leistungen konzentriert haben, um die Attraktivität der Altersteilzeit für die Beschäftigten zu steigern. Seit Einführung des Altersteilzeitgesetzes (August 1996) ist die Anzahl der Tarifverträge zur Altersteilzeit beständig gestiegen. Ende 1999, also unmittelbar vor Inkrafttreten des 1. Gesetzes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit, lagen 360 tarifliche Regelungen zur Altersteilzeit vor mit einem Geltungsbereich von ca. 12,7 Millionen Arbeitneh- 16

mern 8 (von denen ca. 1,4 Millionen 55 Jahre und älter waren). Ende 2000, also ein Jahr nach Inkrafttreten des 1. Gesetzes sowie ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des 2. Gesetzes zur Fortentwicklung der Altersteilzeit, waren bereits 580 Tarifverträge zur Altersteilzeit abgeschlossen worden mit einem Geltungsbereich von ca. 15,5 Millionen Arbeitnehmern. Die beiden im Jahre 2000 in Kraft getretenen Gesetze haben also mit ihren wesentlichen Änderungen und Verbesserungen einen nachhaltigen Schub beim Abschluss von zahlreichen Verbands- und Firmentarifverträgen zur Altersteilzeit ausgelöst. Ende 2001 waren beim Bundesarbeitsministerium ca. 690 Tarifverträge zur Förderung von Altersteilzeit gemeldet mit einem Geltungsbereich von ca. 16,2 Millionen Beschäftigten 9. Die Entwicklung der Tarifverträge zur Altersteilzeit ist nach Branchen sehr unterschiedlich und kann hier nicht im Einzelnen nachvollzogen werden. Wir beschränken uns in diesem Bericht weitgehend auf diejenigen Branchen, denen die von uns in Bremen untersuchten Betriebe und Behörden angehören. Für die IG Metall hatte der im Sommer 1997 mit VW abgeschlossene Tarifvertrag zur Altersteilzeit (Bezirksleitung Hannover) eine Vorbildfunktion. Hinter diesem Tarifvertrag steht die Idee eines betrieblichen Generationenvertrages, mit dem Konflikte zwischen den Generationen minimiert werden sollen. Nach dem Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, den die IG Metall bei VW durchgesetzt hatte, der betriebsbedingte Kündigungen gänzlich ausschließt, müssen die Auszubildenden nach Abschluss ihrer Lehre in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Durch die Abschaffung der sog. Vorruhestandsregelung durch die Bundesregierung (1996) war jedoch den älteren VW-Beschäftigten das vorzeitige Ausscheiden aus dem Betrieb verbaut. Die gesetzliche Regelung der Altersteilzeit (1996) ist mit zu großen finanziellen Einbußen für die Beschäftigten verbunden. Die IG Metall und VW haben das gesetzliche Modell tariflich so ausgestattet, dass ein vorzeitiger Ausstieg aus dem Erwerbsleben über die Altersteilzeit einen zumutbaren Ausweg für die Beschäftigten darstellt. Damit wird zugleich die Übernahme der Ausgebildeten nach Abschluss ihrer Lehre gesichert. Das ATZ-Modell der IG Metall bei Volkswagen 10 beinhaltet weitreichende tarifliche Aufstockungen der gesetzlich vorgesehenen ATZ-Leistungen, die in den späteren Verbandstarifverträgen der IG Metall nicht im selben Umfang realisiert werden konnten: So wird das Entgelt für die Altersteilzeitarbeit von 70 auf 85 Prozent aufgestockt und der Rentenversicherungsbeitrag sogar von 90 auf 100 Prozent 8 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Hg., Altersteilzeit ab 55, a.a.o., Stand: Mai 2000. Diese Broschüre, die ständig aktualisiert wird, listet sämtliche Branchen- und Firmentarifverträge zur Altersteilzeit auf, die beim Bundesministerium gemeldet werden. 9 BMAS, Hg., Altersteilzeit ab 55, a.a.o., Stand: Januar 2002. 10 Vgl. IG Metall, Bezirksleitung Hannover, Altersteilzeit Das Modell der IG Metall bei Volkswagen, November 1997, S. 20 ff. 17

angehoben. Bereits 1997 wurde in diesem Firmentarifvertrag das Problem der gesetzlichen Rentenabschläge (beim Renteneintrittsalter von 60 Jahren: 18 Prozent) in Kenntnis der schrittweisen Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente nach Altersteilzeitarbeit aufgenommen und paritätisch geregelt: Der Arbeitnehmer muss beim Ausscheiden aus dem Betrieb mit 60 Jahren nur 9 Prozent Rentenverlust hinnehmen, weil der Arbeitgeber gleichfalls 9 Prozent Rentenabschlag übernimmt (als Zuschuss zur Werksrente). Damit ist ein weiterer Baustein zur Altersvorsorge angesprochen, der in Deutschland als betriebliche Altersvorsorge nur in Großbetrieben (wie z. B. Volkswagen, DaimlerChrysler, Siemens, RWE) überhaupt existiert: die Werksrente. Die bei Volkswagen bestehende Werksrente bleibt auch während der Altersteilzeitarbeit in voller Höhe bestehen (vgl. Schaubild 1). Im Herbst 1997 folgte der Durchbruch für die Metallindustrie nach vorheriger Streikdrohung der IG Metall für den Pilotbezirk im Südwesten (Bezirksleitung Stuttgart). Die Bedingungen dieses Tarifkompromisses waren zwar schlechter als die des Firmentarifvertrages von VW, aber doch wesentlich besser als die gesetzlichen Mindestleistungen: Aufstockung des Arbeitsentgeltes auf mindestens 82 Prozent des bisherigen Netto-Vollzeitentgeltes sowie des Rentenversicherungsbeitrags auf 95 Prozent. (Bei vorzeitiger Beendigung der Altersteilzeit ab 60. Lebensjahr auf Wunsch des Arbeitgebers wird dem Arbeitnehmer eine Abfindung von maximal drei Brutto-Vollzeitentgelten gezahlt.) Grundsätzlich sollte der Abschluss von ATZ- Verträgen ab dem 55. Lebensjahr auf Basis dieses Tarifvertrages den Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung voraussetzen. Diese Regelung ergab sich aus den konfliktuellen Verhandlungen, welche das Problem eines Rechtsanspruchs auf Altersteilzeit zum Gegenstand hatten. Ohne Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung haben die Beschäftigten gemäß diesem Tarifvertrag erst mit 61 Lebensjahren einen individuellen Rechtsanspruch auf Altersteilzeit (über 4 Jahre hinweg bis zum 65. Lebensjahr, d. h. nach dem Blockmodell: Beginn der Freistellungsphase mit 63. Lebensjahr). 18

Schaubild 1: DAS ALTERSTEILZEIT-MODELL DER IG METALL BEI VOLKSWAGEN NORM. ARBEITSPHASE ALTERSTEILZEIT TARIFMODELL VW (VERSORGUNGSGRAD) Aufstockung VW Werksrente Entgelt 85 % netto (statt 70 %) Rentenbeitrag 100 % (statt 90 %) tarifl. Rentenbaustein Aufstockung VW gesetzliche Rente (Blüm-Modell) Lebensalter 55 57,5 60 65 ARBEITSZEIT VOLL ARBEITSZEIT NULL RUHESTAND Arbeitszeit: Die Arbeitszeit kann geblockt werden. Die Altersteilzeiter arbeiten im Regelfall voll bis zum 57,5. Lebensjahr, dann bleiben sie zu Hause. Mit 60 scheiden sie dann auch de jure aus dem Erwerbsleben aus und gehen in die Rente. Blüm-Modell: Die Bundesregierung verfügt mit der gesetzlichen Regelung, dass der Altersteilzeiter eine Rentenminderung von 18 % erleidet, wenn er mit 60 in Rente geht. Das Modell wird auch kaum genutzt: Es ist unattraktiv u. niemandem zuzumuten. Blüm-Modell: In den fünf Jahren der Altersteilzeit bekommt jeder nur 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Tarifmodell: Die Altersteilzeiter bei VW erhalten durch Aufstockung des Unternehmens durchschnittlich 85 % des letzten Nettoeinkommens für den Zeitraum von fünf Jahren. Blüm-Modell: Die Altersteilzeiter arbeiten im Durchschnitt in den fünf Jahren von 55 bis 60 nur die Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit. Der Rentenbeitrag erfolgt in dieser Zeit nur auf der Basis von 90 % des Einkommens. Tarifmodell: Während des gesamten Zeitraumes der Altersteilzeit werden die Beiträge zur Rentenversicherung von 90 auf 100 % angehoben. Renten-Aufstockung von VW: Der gesetzl. Minusabschlag bis zu 18 % wird im Tarifmodell um die Hälfte gemildert. Er beträgt bei einem Renteneintrittsalter von 60 Jahren nur noch 9 %. Die Aufstockung durch VW erfolgt über einen Zuschuss bei der Werksrente. Werksrente: Die Werksrente bleibt in voller Höhe erhalten sie verringert sich durch die Altersteilzeit nicht. Tariflicher Rentenbaustein: Um die Einkommenslücken im Alter zu mindern, haben VW und IG Metall 1995 im System der Beschäftigungssicherung die betriebliche Altersversorgung um einen weiteren Rentenbaustein ergänzt und damit tarifliches Neuland beschritten. Die monatlich 52 Mark vermögenswirksamen Leistungen wurden umgewandelt und fließen in die neue Beteiligungsrente. Quelle: IG Metall, Bezirksleitung Hannover, Altersteilzeit Das Modell der IG Metall bei Volkswagen, Nov. 1997, S. 24/25. 19

Der Tarifvertrag zur Altersteilzeit wurde von der IG Metall im Bezirk Küste erst im Sommer 1998 abgeschlossen, weil einige Probleme, die im Tarifvertrag ATZ des Pilot-Bezirks Nordwürttemberg/Nordbaden enthalten waren, noch zu lösen waren. Für alle regionalen Bereiche der Metallindustrie (in Westdeutschland) gilt als Voraussetzung einer ATZ-Regelung der Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung sowie als Anspruchseinschränkung die Festsetzung der Anzahl der ATZ-Arbeitnehmer im Rahmen der betrieblichen Personalplanung (Stand 1998) 11. Da beim Blockmodell für über drei Jahre hinausgehende Verteilzeiträume im ATZ-Gesetz ein Tarifvorbehalt besteht, sind Tarifverträge eine unabdingbare Voraussetzung für die Vereinbarung langfristiger Blockmodelle. Daher hat die IG Metall in ihren Bezirken Tarifverträge über ein 5-Jahres-Blockmodell abgeschlossen (Beispiel: Arbeitsphase von 55 bis 57 ½ Jahren, Freistellungsphase von 57 ½ bis 60 Jahren). Gemäß diesem Beispiel würden die Beschäftigten in einem Lebensalter ihre Erwerbsarbeit faktisch beenden, in dem sie früher über die sog. Vorruhestandsregelung aus dem Erwerbsprozess ausschieden. Die Tarifrunde 2000 wies für die Gewerkschaften nicht nur für die IG Metall eine doppelte Struktur der Forderungen auf: Einerseits schlossen die Tarifvertragsparteien Lohn- und Gehaltsabkommen mit bescheidenen Tarifsteigerungen ab, andererseits konnten die Gewerkschaften in einigen Branchen tarifliche Regelungen nicht nur zur Altersteilzeit, sondern auch zur Altersvorsorge durchsetzen 12. Eine Besonderheit der Tarifrunde 2000 bestand darin, dass eigentlich die IG Metall gemäß dem Tariffahrplan im Frühjahr die Vorreiterrolle in der Metall- und Elektroindustrie übernehmen sollte. Jedoch hat durch das Vorziehen der Verhandlungen in der chemischen Industrie der frühzeitige Abschluss in dieser Branche (zweistufige Tariferhöhung, Verbesserung des Tarifvertrages zur Altersteilzeit, teilweiser Ausgleich der Rentenabschläge durch eine gestaffelte Abfindungssumme, Möglichkeit zur tariflichen Altersvorsorge) die tarifpolitische Ausrichtung der anderen Gewerkschaften maßgeblich geprägt. Die IG Metall hat kurz nach dem Abschluss in der chemischen Industrie zunächst in der nordrhein-westfälischen Metallindustrie einen Tarifvertrag abgeschlossen (zweistufige Tariferhöhung, Verbesserung der bestehenden tariflichen ATZ- Regelungen, Ausgleichszahlung zur Minderung von Rentenabschlägen). In der Tarifrunde 2000 wurden die tariflichen ATZ-Regelungen in einigen Branchen inhaltlich verbessert bzw. auf weitere Bereiche ausgedehnt. Außerdem wurden die bestehenden Tarifverträge an die im Jahre 2000 geänderten gesetzlichen Bestimmungen angepasst (Einbeziehung von Teilzeitkräften, Verlängerung der Förderhöchstdauer sowie parallel dazu der Mindestnachbesetzungsdauer, Verlängerung der Geltung des 11 Vgl. WSI-Tarifarchiv: Tarifliche Altersteilzeit Ein Überblick über tarifliche Regelungen in 25 Wirtschaftsbereichen, Düsseldorf, November 1998. 12 Vgl. Reinhard Bispinck, WSI-Tarifarchiv, Tarifpolitischer Jahresbericht 2000: Moderate Lohnabschlüsse plus Beschäftigungsbrücke, Düsseldorf, Januar 2001, Übersicht auf Seite 3: Ausgewählte Tarifabschlüsse 2000. 20