Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS)



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VdW-Arbeitskreis Elektronische Archivierung Stand: Dezember 2010 Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS) Inhalt 1. Zu dieser Handreichung 2. Konzepte und Themenbereiche des OAIS 3. Das Datenmodell des OAIS 4. Das Funktionsmodell des OAIS 4.1. Übernahme, Aufbereitung und Erschließung 4.2. Elektronisches Magazin 4.3. Datenbank- und Retrievalsystem 4.4. Bestandserhaltung 4.5. Zentrale Ablaufsteuerung 4.6. Externe Nutzung An der Projektarbeit wirkten mit: Dr. Martin Burkhardt, Dr. Jeannette Godau, Dr. Ulrike Gutzmann, Bettina Hasselbring, Romy Meyer, Sabine Rittner, Nicole Sachmann 1

1. Zu dieser Handreichung Das 2003 als ISO 14721 verabschiedete OAIS-Referenzmodell zur Organisation und Abwicklung der Archivierung digitaler Unterlagen wurde 2002 von der Data Archiving and Ingest Working Group des Consultative Committee for Space Data Systems (CCSDS) unter Federführung der NASA veröffentlicht. 1 Es hat sich weltweit als Referenzmodell für die digitale Archivierung durchgesetzt. Das Open Archival Information System (OAIS) beschreibt ein Digitales Archiv als eine Organisation, in der Menschen und Systeme mit dem Ziel zusammenwirken, digital gespeicherte Informationen dauerhaft zu erhalten und einer bestimmten Zielgruppe verfügbar zu machen. Dieses Archiv steht zwischen den beiden funktionalen Einheiten Produzent (Producer) und Benutzer (Consumer), die jedoch nicht Bestandteil des Archivs sind. Das OAIS ist dabei bewusst als generisches und gänzlich funktionales Modell ausgelegt. Es enthält keine Vorgaben für die Realisierung seiner Ziele und Funktionen und verzichtet auf eine Beschränkung auf bestimmte Datentypen, Datenformate oder Systemarchitekturen. Diese Eigenschaft ist eine grundsätzliche Stärke des Modells, wirft aber zugleich die Frage auf, wie die abstrakten Funktionsvorgaben umgesetzt und sowohl der archivfachlichen wie technologischen Komplexität gerecht werden können. Die Handreichung soll bei der Beantwortung dieser Fragen helfen, indem sie die beiden Kernkomponenten des OAIS, das Datenmodell und das Funktionsmodell, näher erläutert und zentrale Begrifflichkeiten erklärt. Nach der Lektüre sollen die Leser/innen wissen, wie die von einem Produzenten hergestellten elektronischen Informationen in ein Archivsystem gelangen, welche Bearbeitungsschritte für deren langfristige Archivierung vorgenommen werden müssen, wie auf die im Archiv gespeicherten Informationen zugegriffen werden kann und wen man außerhalb des Archivs beteiligen muss, um ein Digitales Archiv aufzubauen und zu führen. Das vorliegende Papier richtet sich an Archivarinnen und Archivare, die in ihrem beruflichen Alltag nur wenig Gelegenheit haben, sich ausführlich mit dem OAIS- Modell auseinander zu setzen und es in seiner englischen Originalfassung zu lesen. 1 Grundlage für diese Handreichung ist das so genannte Blue Book. CCSDS 650.0-B-1: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS). Blue Book. Issue 1. January 2002. http://public.ccsds.org/publications/archive/650x0b1.pdf. Eine Reihe von Klarstellungen und Textverbesserungen wurden 2008 im so genannten Pink Book zusammengefasst, das seit August 2009 der Öffentlichkeit zur Einsicht zur Verfügung steht. CCSDS 650.0-P-1.1: Reference Model for an Open Archival Information System (OAIS). Pink Book. August 2009. http://public.ccsds.org/sites/cwe/rids/lists/ccsds%206500p11/attachments/650x0p11.pdf. Bis zum November 2009 bestand die Möglichkeit zur abschließenden Kommentierung. Das Ergebnis ist der ISO zugeleitet worden, damit ist die Revision des ISO 14721 offiziell angestoßen. 2

Zugleich bietet es einen Einstieg zur anschließenden vollständigen Lektüre des OAIS. 2. Konzepte und Themenbereiche des OAIS Das OAIS-Referenzmodell versteht sich als offenes Modell und möchte damit ganz gezielt auch denjenigen Einrichtungen Hilfestellung bei der Archivierung digitaler Informationen bieten, die bisher kaum oder gar nicht mit Archivierungsfragen konfrontiert waren. Es verweist auf viele Themenbereiche, die bereits im analogen Betrieb von Archiven zum Alltag gehören. Das Referenzmodell besteht im Kern aus einem Datenmodell und einem Funktionsmodell. Das Datenmodell formuliert Anforderungen an die Form und die Beschreibung der digitalen Archivalien, die im OAIS verwaltet werden. Das Funktionsmodell definiert Prozesse und Arbeitsabläufe innerhalb des Digitalen Archivs, die notwendig sind, um digitale Archivalien zu übernehmen, zu erhalten und zugänglich zu machen. Diese Prozesse sind in Form von Modulen dargestellt. Die Module können unabhängig voneinander konzipiert und entwickelt werden. Digitale Archivierung ist jedoch nicht an Maschinen delegierbar. Das OAIS versteht die am Prozess beteiligten Personen Produzent/innen, Archivar/innen und Nutzer/innen als Hauptkomponenten des Digitalen Archivs. Der Mensch hat die Verantwortung für die Sicherung von digitalen Archivalien und deren Bereitstellung für eine bestimmte Zielgruppe (Designated Community). Die Unterscheidung verschiedener Zielgruppen ist eine Besonderheit des OAIS. Die Offenheit besteht nämlich nicht nur auf technischer und in funktioneller Ebene, sondern ergibt sich auch aus der Tatsache, dass verschiedene Zielgruppen unterschiedliche Anforderungen an Digitale Archive in der Gegenwart stellen und in der Zukunft stellen werden: Anforderungen, die heutige Entwicklergenerationen technischer Lösungen überhaupt nicht voraussehen können und bei denen das, was Archivierung eigentlich ausmacht, auch im digitalen Umfeld gewährleistet ist. Die Offenheit des OAIS ist also auf Zukunftsfähigkeit und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die heute im Rahmen des OAIS realisierten Lösungen sollen auch in der Zukunft verwendbar und in neue technische Realisierungen übertragbar sein. Das OAIS bleibt damit offen für neue Anforderungen an die Nutzung. 2 2 Brübach, Nils: Das Referenzmodell OAIS, in: nestor - Handbuch, Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung, Version 2.3-2010, S. 4:3-4:14. http://nestor.sub.uni-goettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_438.pdf 3

3. Das Datenmodell des OAIS Das OAIS-Referenzmodell definiert digitale Archivalien als Informationspakete. Ein Informationspaket ist ein logischer Container, der immer aus Primärdaten (Content Information) und Archivierungs-Metadaten (PDI=Preservation Description Information) besteht. Beide sind durch die Paketinformation miteinander verbunden und identifizierbar. Die Paketbeschreibung ist ein Satz von Metadaten zu einem Informationspaket, der in Findmitteln (zum Beispiel einer Archivdatenbank) vorgehalten wird und mit dessen Hilfe ein Informationspaket wiederaufgefunden werden kann. Abbildung 1: Einfache Ansicht eines Informationspakets Die Übergabe von Daten an das Digitale Archiv erfolgt in Form eines Übernahmepakets (SIP=Submission Information Package). Art und Umfang dieses Pakets wird zwischen Produzent/innen und Digitalem Archiv ausgehandelt. Zur Aufbewahrung von Daten im Elektronischen Magazin wird daraus ein Archivpaket (AIP=Archival Information Package) erstellt. Dessen Konzeption bestimmt das Digitale Archiv unter Berücksichtigung der Anforderungen seiner Zielgruppe(n). Zur Bereitstellung digitaler Daten für die Benutzer/innen wird ein Nutzungspaket (DIP=Dissemination Information Package) erzeugt. Ein SIP kann zu einem AIP, einem Teil eines AIPs 4

oder auch zu mehreren AIPs führen. 3 Ebenso kann ein DIP aus einem AIP, einem Teil eines AIPs oder aus mehreren AIPs gebildet werden. 4 Abbildung 2: Detaillierte Ansicht eines Archivpakets (AIP) Primärdaten Die Primärdaten sind das eigentliche Ziel der Erhaltung. Sie setzen sich aus dem Datenobjekt und der zugehörigen Repräsentationsinformation zusammen. Datenobjekt Bei dem Datenobjekt handelt es sich entweder um ein Reales Objekt (Physical Object) oder ein Digitales Objekt (Digital Object). Digitales Objekt Ein Digitales Objekt setzt sich aus einer Reihe von Bitsequenzen zusammen. 3 Mehrere E-Mails (=SIPs) können zu einem AIP werden (n:1); eine E-Mail (=SIP) kann zu einem AIP führen (1:1); eine DVD (=SIP) kann zehntausend Bilder (= AIPs) enthalten (1:n). 4 Das Landesarchiv Baden-Württemberg hat zum Beispiel die Volkszählungen 1961, 1970 und 1987 übernommen. Denkbare DIPs wären in diesem Fall die Daten von Heilbronn von 1970, die Heilbronner Daten von 1970 und 1987, alle Daten von 1961, 1970 und 1987 oder alle Daten von 1987. 5

Repräsentationsinformation(en) Die Repräsentationsinformationen sorgen dafür, dass Digitale Objekte in aussagekräftigere Begriffssysteme übertragen, d.h. für Menschen lesbar werden. Sie teilen sich in Strukturinformationen und Semantische Informationen. Ohne die Repräsentationsinformationen wäre ein Digitales Objekt nahezu wertlos, daher sind sie ein existenzieller Bestandteil der Primärdaten. Strukturinformation(en) Die Strukturinformation bestimmt, wie die Bitfolgen der Digitalen Objekte in geläufige Zeichen wie Buchstaben, Zahlen oder Pixel bzw. in Gruppen von Buchstaben, Zahlen oder Pixel übersetzt werden (z. B. ASCII). Semantische Information(en) Die Semantische Information dient als Interpretationshilfe für den/die Benutzer/in. Sie gibt zum Beispiel an, in welcher Sprache ein Text geschrieben ist und bietet möglicherweise sogar eine Grammatik und ein Wörterbuch. Art und Umfang der Semantischen Information richten sich nach den (Vor-)Kenntnissen der Zielgruppe(n). Die Betreiber eines Digitalen Archivs müssen diese (Vor-)Kenntnisse ständig beobachten und die Semantische Information gegebenenfalls anpassen. Archivierungs-Metadaten Die Archivierungs-Metadaten erklären, wo die Primärdaten entstanden sind und wie sie im Sinne ihrer dauerhaften Aufbewahrung verändert wurden (Provenienzinformation) und welche Technik und Verfahren benötigt werden, um die Primärdaten vor unautorisierten Änderungen zu schützen (Sicherungsinformationen), sie eindeutig zu identifizieren (Referenzinformation) und sie in ihren Kontext einzuordnen (Kontextinformation). 5 Provenienzinformation(en) Die Provenienzinformation benennt den Produzenten der Primärdaten und beschreibt ihre weitere Entwicklung, ihre Verarbeitungshistorie. 5 Das OAIS-Referenzmodell selbst liefert kein Vokabular für die Archivierungs-Metadaten. Dafür wurde zwischen 2003 und 2005 das Rahmenwerk PREMIS (PREservation Metadata: Implementation Strategies) entwickelt. 6

Kontextinformation(en) Die Kontextinformation beschreibt die Beziehungen der Primärdaten zu ihrer Umgebung. Dazu gehört etwa, warum sie entstanden sind und in welcher Beziehung sie zu anderen Primärdaten stehen. Referenzinformation(en) Die Referenzinformation liefert eindeutige Schlüssel (identifier) zur Identifizierung der Primärdaten und der zugehörigen Archivierungs-Metadaten. Sicherungsinformation(en) Die Sicherungsinformation soll verhindern, dass Primärdaten undokumentiert verändert werden (z. B. durch Hashwerte). Paketinformation Die Paketinformation verknüpft und identifiziert Primärdaten und die zugehörigen Archivierungs-Metadaten. Sie enthält Signaturen/Lokaturen der einzelnen Komponenten eines Informationspakets. Paketbeschreibung Die Paketbeschreibung ist ein strukturierter Satz von Metadaten zu einem Archivpaket, der in Findmitteln vorgehalten wird (z. B. ein Datensatz in einer Datenbank). Er enthält zusätzlich zu den für die Langzeitarchivierung benötigten formalen und technischen Metadaten auch inhaltliche Metadaten. Erschließungsinformation(en) Die Erschließungsinformationen bestehen vor allem aus Paketbeschreibungen. Sie werden in Findmitteln (z. B. Datenbanken) vorgehalten. 4. Das Funktionsmodell des OAIS Der modulare Aufbau eines Digitalen Archivs im OAIS-Referenzmodell erlaubt eine Anpassung an unterschiedliche Umgebungen. Der Datenaustausch wird über Schnittstellen geregelt. Das OAIS umfasst folgende Module: 1. Technische Voraussetzungen (Common Services) 2. Übernahme, Aufbereitung und Erschließung (Ingest) 7

3. Elektronisches Magazin (Archival Storage) 4. Datenbank- und Retrievalsystem (Data Management) 5. Zentrale Ablaufsteuerung (Administration) 6. Bestandserhaltung (Preservation Planning) 7. Externe Nutzung (Access) Die technischen Voraussetzungen (Punkt 1) beziehen sich auf die Anforderungen vor der Übernahme von Archivalien in das Digitale Archiv. Gemeint sind Programme und Prozesse, die beim Betreiben von IT-Anwendungen benötigt werden. Dazu gehören ausführende Systeme, Netzwerke und Datensicherheit. In dem folgenden Funktionsmodell werden diese Voraussetzungen nicht gesondert aufgeführt. Abbildung 3: Das Funktionsmodell des OAIS Das Funktionsmodell regelt im Wesentlichen, wie ein von einem Produzenten hergestelltes SIP in das Digitale Archiv integriert wird (Übernahme, Aufbereitung und Erschließung). Es wird in ein oder mehrere AIPs umgewandelt und im Elektronischen Magazin abgelegt. Die Verwaltung der Archivpakete erfolgt im Datenbank- und Retrievalsystem. Via Nutzungs-Modul kann aus einem oder mehreren AIPs unter Einhaltung sämtlicher rechtlicher Einschränkungen ein DIP generiert und an die 8

Benutzer/innen ausgeliefert werden. Die möglicherweise für die Langzeitarchivierung notwendigen Migrationen der AIPs werden in der Bestandserhaltung geplant. 6 Die Verwaltung des gesamten Digitalen Archivs erfolgt in der Zentralen Ablaufsteuerung. Im Folgenden werden die einzelnen Module genauer betrachtet und ihre Aufgaben innerhalb des OAIS benannt. Sie werden in der Reihenfolge aufgeführt, in der sie in einem Digitalen Archiv idealtypisch erledigt werden. Diese idealtypische Tätigkeitsfolge ist aber nicht streng chronologisch zu verstehen. Es handelt sich vielmehr um einen Kreislauf, in dem jedes Modul auf den Input anderer Module angewiesen ist, um seine Funktionen ausführen zu können. 4.1. Übernahme, Aufbereitung und Erschließung In diesem Modul werden SIPs von Produzenten angenommen und zur Speicherung und Verwaltung innerhalb des Digitalen Archivs vorbereitet. Abbildung 4: Aufgaben der Übernahme, Aufbereitung und Erschließung Die Übernahme ist erst abgeschlossen, wenn ein vollständiges Archivpaket gebildet wurde. Das Modul umfasst folgende Funktionen: 6 Laut OAIS kann auch die Emulation oder eine andere Erhaltungsstrategie angewandt werden. 9

a) Annahme der SIPs von Produzenten (über diverse Schnittstellen) und deren Überprüfung auf Viren, Vollständigkeit etc. b) Erzeugung von AIPs: Datenkonversion in archivwürdige Formate entsprechend den von der Zentralen Ablaufsteuerung vorgegebenen Richtlinien und Standards. c) Erschließung der digitalen Objekte: Automatische Übernahme (über diverse Schnittstellen) und ggf. manuelle Ergänzung eines Minimal-Metadatensatzes. d) Eine definierte Teilmenge dieser Minimal-Metadaten wird pro AIP in einem XML-Dokument nach einem festen Schema abgelegt. 7 Aus den konvertierten Daten (b) und diesem XML-Dokument wird ein AIP gebildet. e) Transfer der Minimal-Metadaten in das Datenbank- und Retrievalsystem. f) Transfer der AIPs in das Elektronische Magazin. 4. 2. Elektronisches Magazin Das Elektronische Magazin umfasst den digitalen Speicher sowie seine Organisation. Abbildung 5: Aufgaben des Elektronischen Magazins 7 Das OAIS selbst legt sich nicht auf ein bestimmtes Format fest, XML hat sich aber in der europäischen Archivlandschaft als Format zur Speicherung von Metadaten durchgesetzt. 10

Das Elektronische Magazin stellt Dienstleistungen und Funktionen bereit für: a) die Speicherung von AIPs. b) das Wiederauffinden und die Bereitstellung von AIPs für die Nutzung. c) das Wiederherstellen von Daten nach Ausfällen. d) die Fehleranalyse und -korrektur. Es muss Anforderungen für verschiedene Sicherheitsebenen berücksichtigen (Benutzerrechteverwaltung) und Daten für Speicher- und Nutzungsstatistiken liefern. 4.3. Datenbank- und Retrievalsystem Das Datenbank- und Retrievalsystem umfasst die klassischen archivischen Kernaufgaben: inhaltliche Erschließung, Recherche und Wiederauffinden von Archivalien. Abbildung 6: Aufgaben des Datenbank- und Retrievalsystems Im Datenbank- und Retrievalsystem werden die im Elektronischen Magazin vorhandenen Archivpakete in den Paketbeschreibungen zusätzlich inhaltlich erschlossen (z. B. Index, Thesaurus) und ggf. aktualisiert. 11

4.4. Zentrale Ablaufsteuerung Die Zentrale Ablaufsteuerung kontrolliert kontinuierlich die Funktionalität des gesamten Archivsystems und steuert die Abläufe und Informationsflüsse zwischen den einzelnen Modulen. So werden zum Beispiel Beobachtungen aus der Bestandserhaltung hier in Standards und Richtlinien umgesetzt, die dann wiederum an die Übernahme und Erschließung weitergegeben werden. Außerdem ist im Modul Zentrale Ablaufsteuerung der Kontakt des Digitalen Archivs etwa mit den Daten produzierenden Stellen integriert. Die Funktionseinheit Verhandlungen mit Produzenten beinhaltet wichtige Aufgaben aus dem vorarchivischen Bereich (Dokumentenmanagement / Records Management). Hier verhandelt das Archiv mit den abgebenden Stellen über Art und Umfang der zu übernehmenden Primärdaten und Metadaten und überprüft, ob die Eingänge auch den getroffenen Vereinbarungen entsprechen. 8 Abbildung 7: Aufgaben der Zentralen Ablaufsteuerung 8 Das OAIS beschreibt vor allem die Aufgaben in einem sogenannten Endarchiv, weniger die Prozesse des vorarchivischen Bereichs, wie etwa Regeln zum Dokumenten- oder Records Management. Hierzu müssten die ISO Norm 15489 Records Management/Schriftgutverwaltung, das DOMEA-Konzept bzw. die Handlungsempfehlungen MoReq2 herangezogen werden. 12

4.5. Bestandserhaltung Die Bestandserhaltung sorgt durch vorausschauende Planung und die Wahl und Anwendung geeigneter Maßnahmen für die langfristige Verfügbarkeit digitaler Informationen unter Wahrung ihrer Integrität und Authentizität. Abbildung 8: Aufgaben der Bestandserhaltung Es müssen Strategien entwickelt werden für: a) den Umgang mit Informationspaketen (Vorlagen für AIPs, SIPs, DIPs). b) die Bestandserhaltung selbst (Migration/Emulation/Erhaltung der Originaltechnik). c) die Notfallplanung. Dazu müssen das technische Umfeld und die Zielgruppen des Digitalen Archivs ständig beobachtet werden. Aus diesen Beobachtungen leiten sich die künftigen Anforderungen ab. 13

4.6. Externe Nutzung Das Nutzungsmodul ermöglicht es externen Benutzer/innen im Digitalen Archiv zu recherchieren. Die Recherche erfolgt entweder durch die externen Benutzer/innen selbst über Online-Applikationen oder durch die Betreiber/innen des Digitalen Archivs. Abbildung 9: Aufgaben der Externen Nutzung Das Nutzungsmodul koordiniert die Bereitstellung von Informationspaketen. Es kann Suchanfragen und Bestellungen entgegennehmen und sie an das Datenbank- und Retrievalsystem weiterleiten. Sobald von dort die Suchergebnisse eintreffen, erstellt das Nutzungsmodul DIPs, die dann an die Benutzer/innen ausgeliefert werden. 14

5. Fazit Das OAIS fordert ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Module. Zwar gibt es für einzelne Module kommerzielle Lösungen am Markt, etwa für die Erschließung oder zur Datenspeicherung, 9 jedoch ist bislang kein OAIS-konformes Archivsystem im deutschsprachigen Raum zu erwerben, das eine Gesamtlösung bietet. Dieses Paket ist auch in absehbarer Zeit, so scheint es, nicht zu erwarten. Archive müssen darum, ausgehend von ihren individuellen Voraussetzungen, eine jeweils passende Lösung selbst finden. Dabei bewegen sie sich in einem Rahmen, der von technischen und organisatorischen Vorgaben, aber auch hinsichtlich der finanziellen Ressourcen bestimmt wird. So wird es zwar oftmals nicht möglich sein, die perfekte Komplettlösung umzusetzen, es bleibt aber möglich, innerhalb des Rahmens eine optimale Lösung zu finden. Das Ziel muss sein, das Archiv zukunftsfähig aufzustellen und die Überlieferung der analogen wie der digitalen Dokumente zu sichern. 9 Den am Arbeitskreis beteiligten Archiven sind für die einzelnen Module unterschiedliche Software- Lösungen bekannt. Übernahme, Aufbereitung und Erschließung: IngestList, scopeingest, SIARD; Datenbank- und Retrievalsystem: Acta Pro, Augias, CMI Star, Faust, Saperion, scopearchiv; Elektronisches Magazin: Dimag, Fedora, IBM Dias; Externe Nutzung: OLF 21, scopequery (s. Abb. 3). 15