ANDROLOGY LETTER. Christian Sigg. DNA Methylation und idiopathische Infertilität des Mannes

Transkript

1 ANDROLOGY LETTER Christian Sigg DNA Methylation und idiopathische Infertilität des Mannes Die Epigenetik revolutioniert die andrologische Diagnostik Allein schon die Tatsache, dass bis zu 15% aller Paare das Problem der ungewollten Kinderlosigkeit aus eigener Erfahrung kenne und dass dabei 50% der Ursachen beim Mann zu suchen sind, rechtfertigt die intensive Suche nach weiteren, neuen diagnostischen werkzeugen der Spermienanalyse und nach weiteren therapeutischen Mitteln. Hinlänglich bekannt ist die betrübliche Tatsache, dass diese Prozeduren in den letzten Jahrzehnten einen eigentlichen Stillstand aufwiesen und ein enormes Aufholpotential sich anhäufte. Neben den Fortschritten der Genetik, mit deren Hilfe ein beachtlicher Prozentsatz der obstruktiven (CFTR Gen) wie der Nicht Obstruktiven Azoospermien (AZFa-c bzw DAZL) geklärt werden kann, sind es nun vor allem die CNVs (Copy Number Variants), die weitere diagnostische Möglichkeiten der idiopathischen männlichen Infertilität eröffnen. Copy number variation (kurz CNV, deutsch Kopienzahlvariation) bezeichnet eine Form struktureller Variation des Erbguts (kurz SV, englisch structural variation), die Abweichungen der Anzahl der Kopien eines bestimmten DNA-Abschnittes innerhalb eines Genoms erzeugt. Ca Copy Number Variants (CNVs) sind beim Menschen bekannt. Man nahm bis vor kurzem an, dass Gene im Genom in der Regel in zwei Kopien vorliegen (je eine Kopie pro Chromosomensatz). Jedoch zeigen einige Gene eine Variation der Genkopienzahl zwischen verschiedenen Individuen. So kann ein Gen in nur einer Kopienzahl vorliegen (Gendeletion)

2 oder in mehr als drei oder vier Kopien (Genduplikation). Gene können auch vollständig fehlen (homozygote Gendeletion). Ähnlich wie mit Single-Nucleotide-Polymorphismen (oder SNPs) lassen sich auch aufgrund des Vorkommens bzw. Fehlens von CNVs Individuen voneinander eindeutig unterscheiden. CNVs können Auswirkungen auf die Prädisposition für bestimmte Erkrankungen haben. Verglichen mit SNPs erzeugen CNVs eine größere Anzahl von Erbgut-Unterschieden zwischen Personen, wenn man die Anzahl der durch CNVs betroffenen DNA-Bausteine (Nukleotide) zu Grunde legt. Zur CNV-Identifizierung im Genome werden sowohl auf Mikroarrays basierende Techniken[3][4] als auch die DNA-Sequenzierung, insbesondere Methoden des "Second Generation Sequencing" verwendet. Eine Analyse von Daten einer Pilotstudie des Genome-Projektes ermöglichte die Identifizierung von CNVs in den Genomen von 185 Individuen mit vier verschieden DNA- Sequenz basierten Analysemethoden. Diese vier Methoden umfassen die Endpaar-Sequenzierung und deren bioinformatische Analyse (paired-end mapping), die direkte Alinierung von DNA- Sequenzen über die Endstellen (oder "Bruchpunkte") von CNVs (split-read analysis), die Sequenztiefenanalyse (read-depth analysis) und die Verwendung von bioinformatischen Methoden zur Sequenz-Assemblierung (sequence assembly).

3 Um diese Frage zu klären haben Tüttelmann und Mitarbeiter 2011 die CNV von Männern mit Normozoospermie mit derjenigen von Patienten mit Sertoli Cell Only Syndrom und schwerer idiopathischer Oligozoospermie verglichen. Während die Zahl der CNVs in allen Gruppen vergleichbar war, fanden sich bestimmte CNVs immer wieder bei der Oligozoospermie (10 CNVs), beim SCO (3 CNVs), nicht aber in der Kontrollgruppe. Zudem liessen sich 73 auf dem X Chromosom lokalisierte CNVs bei gestörter Spermatogenese nachweisen. Besonders interessant, dass diese Patienten eine weitaus höhere Zahl von Gendeletionen als auch von Genverlust (sequence loss/person) als die normale Vergleichsgruppe hatten schliesslich analysierten Lopes und Mitarbeiter CNVs im Genom von infertilen Männern versus normozoischen Männern und fanden bei idiopathischem Spermatogeneseschaden in 10% seltene autosomale Deletionen, in 29% X-linked CNVS und in 88% ansonste seltene Y-linked Duplikationen. Damit lassen sich heute über CNVs Bestimmungen und Identifikationen Gene nachweisen, die zu einer Spermatogenesestörungn führen oder zumindest das Risiko dazu verstärken. Darüber hinaus sind heute mehrere Genpolymorphismen identifiziert, die mit verminderten Spermienparametern und funktionen einhergehen: Protamin 1, DAZL, MTHFR und GST. Nach wie vor aber sind allen Erfolgen der Molekularbiologie zum Trotz, rund 40% aller infertilen Männer der Gruppe idiopathische Infertilität zuzuordnen. Unter den enorme Erfolge versprechenden neuen Methoden muss hier nun vor allem die Aufklärung der Zusammenhänge zwischen DNA Methylation der Spermatozoen und der idiopathischen männlichen Infertiliät hervorgehebn werden, die klar erkennen liessen, welchen grossen Einfluss die Epigenetik auf die quantitativen und qualitativen Aspekte der Spermatogenese hat. Deshalb ist schon heute klar, dass die Analyse der DNA Methylation spezifischer Gene in den Spermatozoen einen nichtinvasiven diagnostischen Marker in der klinischen Andrologie darstellen. Kurz: an der Epigenetik wird die Andrologie nicht

4 vorbeikommen und sie wird ihr mit grösster Wahrscheinlichkeit einen weiteren diagnostischen Durchbruch verdanken. Bedeutung der DNA Methylation für die Spermatogenese Die Epigenetik beschreibt mitotische und meiotische, vererbte und veränderte Genfunktionen wie die DNA Methylation, Histonmodifikationen oder Modifikationen der mrna. Das spezifische DNA Methylationsmuster der Spermatozoen entsteht in den frühen Spermatogenesestadien. Zahlreiche moderne Studien beweisen enge Zusammenhänge zwischen aberranten Methylationen von Imprinted Gens der Spermien und der männlichen Infertilität. Eindrücklich die Resultate der Arbeitsgruppe um Marques: rund 50% der Männer mit Oligozoospermie haben DNA Methylationsstörungen des väterlichen H19-Gens oder des mütterlichen MEST-Gens! Weitere untersuchte Gene mit Methlyationsstörungen sind LIT1, SNRPN und PEG3. Zum Verständnis der Epigenetik ist es enorm wichtig zu wissen, dass Oligozoospermien und Asthenozoospermien auch durch Nonimprinted Gens zufolge aberranter DNA-Methylation entstehen können! Die Gretchenfrage lautet nun: können aberrante DNA-Methylation von Imprinted Gens zu Erbkrankheiten der Nachkommen führen?

5 In der Tat sind diese Zusammenhänge für einzelne (allerdings seltene) Erbkrankheiten heute schon beschrieben. Beunruhigend vor allem die Tatsache, dass dies überwiegend Kinder aus IVF Therapien zu betreffen scheint. Heute gilt der Einfluss des Spermatozoen-Genoms auf die Embryoentwicklung und das Abortgeschehen als gesichert. Daraus folgert das moderne Konzept, dass die Spermien Methylation Aussagen über den Schwangerschaftsverlauf erlaubt. Nach wie vor zu klären bleibt in diesem Zusammenhang die Rolle der 15% verbleibenden Histone nach dem Protaminersatz, zumal bekannt ist,dass auch diese DNA Sequenzen epigenetisch mutiert werden! Alle diese Erkenntnisse rechtfertigen die Suche nach weiteren spezifischen DNA-Methylationsstörungen, die zu Fehlgeburten oder Missbildungen führen können und die Aussagen über die Embryoqualität und den Schwangerschaftsverlauf erlauben. Dazu sind heute enorme finanzielle und auch technische Anstrengungen nötig, nicht zuletzt in der Reinigung der Spermatozoen aus dem heterogenen Ejakulat. Seitdem allgemein anerkannt ist, dass das klassische Spermiogramm keine Informationen weder über das Fertilisierungspotential noch über Schwangerschaftsraten und Verlauf zu liefern vermag, entspricht die Untersuchung der DNA- Methylation einer unschätzbaren Weiterung der modernen andrologischen Diagnostik. In Zukunft ist selbst die Analyse der DNA-Methylation eines einzelnen lebenden Spermiums (z B mit dem RAMAN Mikroskop) und seine Verwendung für die IVF denkbar. An der gezielten wie auch der routinemässigen Untersuchung des DNA-Methylationsmusters von Imprinted wie auch Non Imprinted Gens der Spermien führt damit kein Weg vorbei. Ob auch Epimutationen von Spermien auf die Nachkommen übertragen werden können, ist immer noch nicht sicher. Grundsätzlich bestehen zwei natürliche Sicherheitsbarrieren, die genau dies verhindern sollen:

6 die Epigenetische Reprogrammierung in der Gametogenese sowie im frühen Zygotenstadium eliminiert alle (?) vorher entstandenen Epimutationen. DNA Methylationsstörungen und ihre Folgen (nach Kläver und Gromoll; Asian J Androl 2014;16:669) Dr.Christian Sigg Andrologie Zentrum Zürich, Regensbergstrasse Zürich dr.sigg@bluewin.ch