Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS
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- Steffen Stieber
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1 Verg 017/04 Vergabekammer Nordbayern 320.VgK /04 19/ne Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS Der Vergabesenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung der Richter Rojahn und Lorbacher sowie der Richterin Vavra am 13. August 2004 in dem Nachprüfungsverfahren
2 - 2 - b e s c h l o s s e n: I. Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt. II. Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 21. Juli 2004 wird einstweilen verlängert. G r ü n d e : I. Die Antragsgegnerin und Vergabestelle schrieb als Los 1 einen Rahmenvertrag über Lieferung und Instandhaltung von Personalcomputern im Offenen Verfahren nach 3a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A europaweit aus. Auf einen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom stellte die Vergabekammer mit Beschluss vom fest, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat und wies die Antragsgegnerin an, die Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten.
3 - 3 - Die Antragstellerin stellte mit Schreiben vom erneut einen Nachprüfungsantrag. Diesen hat die Vergabekammer am ohne mündliche Verhandlung mit der Begründung zurückgewiesen, die Antragsgegnerin sei keine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des 98 Nr. 2 GWB. Gegen diesen ihr am zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit Fax vom sofortige Beschwerde eingelegt. Das Fax enthielt zwar den Vergabesenat beim Bayerischen Obersten Landesgericht als Adressaten mit zutreffender Postanschrift, jedoch die unzutreffende Fax-Nummer des Oberlandesgerichts München. Die sofortige Beschwerde traf am beim Oberlandesgericht, aber erst am beim Bayerischen Obersten Landesgericht ein. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin hat sie der Beigeladenen am telefonisch den Zuschlag erteilt und ein Zuschlagsschreiben in Kürze in Aussicht gestellt. Gleichfalls am ging bei der Antragsgegnerin ein Fax der Antragstellerin ein, in dem diese mitteilte, sie habe fristwahrend mit Schriftsatz vom gegen den Beschluss der Vergabekammer vom sofortige Beschwerde eingelegt; weitere Unterlagen waren dem Schreiben nicht beigefügt. Die Antragstellerin beantragt, ihr gegen die Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde einstweilen zu verlängern. Sie trägt vor, am Nachmittag des habe der sachbearbeitende Rechtsanwalt seine Büromitarbeiterin N. angewiesen, die Fax-Nummer des Vergabesenats beim Bayerischen Obersten Landesgericht zu ermitteln. Diese habe im Beisein von Rechtsanwältin W. die Vermittlung dieses Gerichts angerufen und ausdrücklich nach der Faxnummer des Vergabesenats beim Bayerischen Obersten Landesgericht gefragt. Daraufhin sei ihr die Faxnummer des Oberlandesgerichts mitgeteilt worden. Sowohl die Büromitarbeiterin N. als auch Rechtsanwältin W. haben die Richtigkeit dieses Sachverhalts an Eides Statt versichert. Die Antragsgegnerin, unterstützt durch die Beigeladene, wendet sich gegen den Antrag.
4 - 4 - II. 1. Der Antragstellerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu gewähren. Die Bestimmungen der 222 ff. ZPO sind im wettbewerblichen Beschwerdeverfahren nach 116 ff. GWB entsprechend anwendbar ( 120 Abs. 2 GWB, 73 Nr. 2 GWB i.v.m. 233 ff. ZPO). Demnach setzt die Wiedereinsetzung voraus, dass die Fristversäumung unverschuldet ist; der Beteiligte muss sich gemäß 85 Abs. 2 ZPO allerdings ein Verschulden seines Bevollmächtigten anrechnen lassen. Den Verfahrensbevollmächtigten trifft an der Versäumung der Frist kein Verschulden. Der angegriffene Beschluss der Vergabekammer wurde der Antragstellerin am zugestellt. Fristablauf für die Einlegung der sofortigen Beschwerde war demnach am , Uhr, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Die Frist darf bis zum letzten Tag ausgenutzt werden, doch sind dann die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht erhöht (vgl. Thomas/Putzo ZPO 25. Aufl. 233 Rn. 21; Baumbach/Lauterbach/ Hartmann ZPO 61. Aufl. 233 Rn. 164). Diese erhöhten Sorgfaltspflichten hat der Verfahrensbevollmächtigte nicht verletzt. Grundsätzlich muss der Anwalt sein Personal zur strikten Beachtung der jedem Gericht zugeordneten Fax- Nummer anhalten. Die Telefaxnummern sind grundsätzlich gebräuchlichen Verzeichnissen zu entnehmen (vgl. BGH NJW-RR 1997, 952), die auch in der Kanzlei gefertigt werden können (vgl. BayObLG VergabeR 2003, 207); sie können aber auch erfragt werden. Erkundigt sich der Betreffende telefonisch bei der Geschäftsstelle des zuständigen Gerichts nach der Telefaxnummer, besteht grundsätzlich kein Anlass, an der Richtigkeit dieser Auskunft zu zweifeln (BGH NJW 1989, 589). Eine Verpflichtung, unbekannte Faxnummern im Internet zu recherchieren, besteht dann nicht. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die Büromitarbeiterin N. bei der Vermittlungsstelle, die auch für das Bayerische Oberste Landesgericht zuständig ist, angerufen, dort nach der Telefaxnummer des Vergabesenats gefragt und als Auskunft die unzutreffende Telefaxnummer des Oberlandesgericht erhalten hat. Wenn die
5 - 5 - zuständige gerichtliche Vermittlungsstelle eine unzutreffende Auskunft erteilt, liegt ein der Gerichtssphäre zuzurechnender Fehler, nicht aber ein Sorgfaltsverstoß auf Seiten des Verfahrensbevollmächtigten vor. 2. Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde ist einstweilen zu verlängern, 118 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GWB. a) Das Verfahren der sofortigen Beschwerde hat sich auch dann nicht erledigt, wenn die Antragsgegnerin am der Beigeladenen den Zuschlag erteilt haben sollte; denn diese Zuschlagserteilung wäre nichtig. Folge der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nämlich die Fiktion, dass die versäumte Rechtshandlung als rechtzeitig vorgenommen gilt (BHGZ 8, 284; 98, 325; Zöller/Greger ZPO 24. Aufl. 238 Rn. 3; Thomas/Putzo 238 Rn. 12). Dies bedeutet im konkreten Fall, dass die sofortige Beschwerde der Antragstellerin als rechtzeitig eingelegt gilt. Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer, 118 Abs. 1 Satz 1 GWB. Daraus folgt, dass bis zum Ablauf der Frist des 118 Abs. 1 Satz 2 GWB ein Zuschlag nicht erteilt werden darf, 115 Abs. 1 GWB. Mit der Einlegung der sofortigen Beschwerde setzt sich das Zuschlagsverbot in Form der aufschiebenden Wirkung fort (Boesen Vergaberecht 118 Rn. 15 und 16; Byok/Jaeger Vergaberecht 115 Rn. 756). Ein dennoch erteilter Zuschlag ist nichtig, 134 BGB. 115 Abs. 1 GWB i.v.m. 118 Abs. 1 GWB enthält das gesetzliche Verbot einer Zuschlagserteilung trotz eines laufenden und noch nicht abgeschlossenen Nachprüfungsverfahrens. Sinn dieser Vorschrift ist es, die Effektivität des Primärrechtsschutzes sicherzustellen, der sonst durch Erteilung des Zuschlags ins Leere laufen würde. Sie entspricht damit Art. 1 und Art. 2 Abs. 1a der Rechtsmittelrichtlinie, die ebenso wie Art. 19 Abs. 4 GG einen effektiven Rechtsschutz im Nachprüfungsverfahren fordern. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber an die formelle Verfahrenshandlung der Beschwerdeeinlegung materielle Rechtswirkungen in Form des Zuschlagsverbots geknüpft. Dem steht weder der Umstand entgegen, dass Dritte am Vergabeverfahren beteiligt sind (so aber wohl Immenga/Mestmäcker GWB 3. Aufl. 117 Rn. 4) und auf die Rechtmäßigkeit des Zuschlags vertrauen, noch, dass der Zuschlag bei seiner Erteilung zunächst rechtmäßig
6 - 6 - war (insofern anderer Ansicht Hunger in Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz Vergaberecht 118 GWB Rn. 7; Kullack in Heiermann/Riedl/Rusam VOB 10. Aufl. 117 GWB Rn. 3). Das gesetzliche Zuschlagsverbot besteht unabhängig davon, ob die Vergabestelle Kenntnis von der Einlegung einer Beschwerde hat. Dies zeigen der Wortlaut des 118 Abs. 1 GWB, der die aufschiebende Wirkung an die sofortige Beschwerde knüpft, und der Wortlaut des 117 Abs. 1 GWB, der die Einlegung der sofortigen Beschwerde bei Gericht vorsieht. Das Zuschlagsverbot hängt damit von objektiven Tatsachen, nämlich der Einlegung der sofortigen Beschwerde, und nicht von subjektiven Gegebenheiten ab. Käme es auf die Kenntnis der Vergabestelle an, würde der Gesetzeswortlaut dem nicht entsprechen; zusätzlich würden sich Beweisprobleme ergeben, die der Transparenz und auch dem Beschleunigungsgebot im Nachprüfungsverfahren widersprechen würden. Hiergegen spricht nicht die Vorschrift des 117 Abs. 4 GWB, die dem Beschwerdeführer die Unterrichtung der anderen Verfahrensbeteiligten über die Einlegung seines Rechtsmittels vorschreibt. Diese Regelung schafft nicht eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung für die sofortige Beschwerde, sondern will im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens lediglich die Unterrichtung der anderen Verfahrensbeteiligten erreichen. Ein Zuschlag, der während eines Nachprüfungsverfahrens erteilt wird, ist aus diesen Gründen ohne Rücksicht auf die Kenntnis der Vergabestelle nichtig (OLG Frankfurt IBR 2003, 446; vgl. auch BayObLG VergabeR 2002, 63; Byok/Jaeger Vergaberecht 115 Rn. 756). Soweit das OLG Naumburg in seinen Entscheidungen vom (NZBau 2000, 96) und vom (VergabeR 2003, 360) die gegenteilige Ansicht vertritt, folgt der Senat dem nicht. Es mag zwar sein, dass dem Nachprüfungsverfahren der Gedanke immanent ist, ein effektiver Rechtsschutz solle nur bestehen, wenn und soweit der Bieter sich eigenverantwortlich darum kümmere (OLG Naumburg VergabeR 2003, 360). Doch kann ein in dieser Hinsicht nachlässiges Verhalten des Bieters nichts an der Tatsache ändern, dass ein zulässiges Rechtsmittel mit der Folge des 118 Abs. 1 GWB eingelegt ist. Das Verhalten des nachlässigen Bieters mag möglicherweise Schadensersatzansprüche auslösen, die Wirksamkeit eines einmal eingelegten Rechtsmittels kann es nicht beseitigen. Letztlich führt auch das OLG Naumburg seinen Ansatz nicht konsequent durch, da nicht allein auf die fehlende Information durch den
7 - 7 - Bieter, sondern ganz allgemein auf die Kenntnis der Vergabestelle von der Rechtsmitteleinlegung abgestellt wird, wobei diese Kenntnis aus gänzlich anderen Quellen als dem Bereich des Bieters stammen kann. Sollte die Divergenz entscheidungserheblich werden, wird der Senat die Sache dem Bundesgerichtshof nach 124 Abs. 2 GWB zur Entscheidung vorlegen. b) Die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde können im jetzigen Verfahrensstadium auch nicht von vornherein verneint werden. Insbesondere bedarf der Prüfung, ob die Antragsgegnerin öffentliche Auftraggeberin nach 98 Nr. 2 GWB ist. Der Senatsbeschluss vom Verg 6/04, in dem der Senat die Eigenschaft der AOK Bayern als öffentlicher Auftraggeber verneint hat, schließt nicht aus, dass der Senat wegen möglicher unterschiedlicher Gegebenheiten im hier zu entscheidenden Fall zu einem anderen Ergebnis kommt. Rojahn Lorbacher Vavra
8 - 8 - BGB 134 GWB 115 Abs.1, 118 Abs. 1 ZPO 233 Leitsatz Einem Beschwerdeführer, der sich bei der für den Vergabesenat zuständigen Telefonvermittlung nach der Telefaxnummer des Vergabesenats erkundigt hat, ist Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren, wenn ihm eine unzutreffende Faxnummer genannt wird und der Beschwerdeschriftsatz deshalb verspätet eingeht. 2. Wird in einem solchen Fall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, gilt die sofortige Beschwerde als rechtzeitig eingelegt. Ein bereits erteilter Zuschlag ist nichtig. BayObLG, Vergabesenat Beschluss vom = BayObLGZ 2004 Nr. 44 Verg 017/04
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