Vermögenspolitik als Wirtschaftspolitik
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1 Karl-Heinz Dignas, Sparkasse, Heft 10/Oktober 1972, Seite Vermögenspolitik als Wirtschaftspolitik Die Vermögenspolitik wird im allgemeinen als ein Instrument angesehen, um bestimmte einzelwirtschaftliche Ziele wie Vergrößerung des persönlichen Freiheitsspielraumes oder Erhöhung der sozialen Sicherheit des einzelnen 1 zu erreichen. Daneben will man vermögenspolitische Maßnahmen aber auch in den Dienst der gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen 2 wie wirtschaftliches Wachstum, Preisniveaustabilität, gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung oder verstärkter Ausbau der Infrastruktur stellen. Die Frage ist nun, ob vermögenspolitische Maßnahmen tatsächlich als wirtschaftspolitisches Instrument brauchbar sind und ob es nicht bestimmte Zielkonflikte zwischen den vermögenspolitischen und wirtschaftspolitischen Zielen gibt, die es geraten erscheinen lassen, im Rahmen der Wirtschaftspolitik nicht von den vermögenspolitischen Instrumenten Gebrauch zu machen. Um diese Frage beantworten zu können, muß vorher die Annahme gemacht werden, daß die Vermögenspolitik tatsächlich die gewollten Wirkungen zeigt, d.h. daß aufgrund der vermögenspolitischen Maßnahmen insgesamt mehr gespart wird. Kein Wachstumsstimulanz Besonders in der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg 3 wurde die Ansicht vertreten, die man heute häufig genug auch noch in der öffentlichen Diskussion vorfindet, daß vermehrtes Sparen der privaten Haushalte förderlich für das wirtschaftliche Wachstum sei. Denn dadurch würden u.a. über den Kapitalmarkt mehr Finanzierungsmittel für die Investoren bereitgestellt. Diese würden daraufhin mehr investieren, was bekanntlich das wirtschaftliche Wachstum stimuliere. Nun bedeutet ein erhöhtes Sparen der privaten Haushalte als erstes tendenziell ein Nachfrageentgang auf den Konsumgütermärkten. Damit bleiben unter sonst gleichen Umständen die Erlöse der Unternehmen hinter ihren Ausgaben zurück. Wollen nun die Unternehmen ihr Investitionsvolumen aufrechterhalten, so müssen sie die durch das zusätzliche Sparen zurückgegangene Innenfinanzierung durch eine erhöhte Außenfinanzierung kompensieren, was über die Aufnahme von Beteiligungs- oder Fremdkapital geschehen kann. Diesem höheren Bedarf an Außenfinanzierungsmitteln steht das erhöhte Kapitalangebot der privaten Haushalte gegenüber, so daß volumenmäßig keine Finanzierungsschwierigkeiten für die Unternehmen aufzutreten brauchen. Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß gerade die Vielzahl der von der Vermögenspolitik Begünstigten ihre Ersparnisse nur für relativ kurze Fristen anbieten, während die relativ wenigen Unternehmen langfristige Finanzierungsmittel nachfragen. Diese qualitative Inkongruenz wird durch die Transformationsfunktion des Bankensystems überbrückt. Das heißt, daß Ungleichheiten in der Fristigkeit von Kapitalangebot und Kapitalnachfrage durch das Bankensystem bis zu einem gewissen Grade, der durch die Liquiditätserfordernisse der Kreditinstitute bestimmt wird, ausgeglichen werden. Obwohl damit die erhöhte Ersparnis der privaten Haushalte die Finanzierungsmittel für die Investitionen der Unternehmen nicht erhöht, aber auch nicht vermindert, ist man heute allgemein der Meinung, daß die Investitionen nicht in erster Linie vom gesamten Angebot der Finanzierungsmittel, 1 Vgl. D i g n a s, Karl-Heinz, Begriffsverwirrung in der Vermögenspolitik in Sparkasse, Heft 7/1972, S U.a. B o m b a c h / D r ä g e r, Vermögenspolitik heute, Schriften der Studiengesellschaft zur Förderung der angewandten Sozial- und Wirtschaftswissenschaften GmbH, Düsseldorf 1968, S. 23 und 45 f. 3 Vgl. Erstes Gesetz zur Förderung des Kapitalmarktes vom (BGBl , S ).
2 Vermögenspolitik als Wirtschaftspolitik 2 sondern von seiner Struktur (Höhe der Selbstfinanzierung) abhängig sind. Da aber eine erhöhte Ersparnis der privaten Haushalte die Struktur der Finanzierungsmittel zuungunsten der Selbstfinanzierung verändert, hat dies negative Wirkungen auf die Investitionen und damit auf das wirtschaftliche Wachstum. Damit ist die Vermögenspolitik ein untaugliches Instrument für die reine Wachstumspolitik. Das Urteil über die Vermögenspolitik fällt aber positiver aus, wenn es das Ziel. ist, möglichst ein inflationsfreies Wachstum zu gewährleisten. Denn durch die erhöhte Ersparnis wird der inflationsfreie Raum für Investitionen vergrößert. Im Ausmaß der Ersparnisbildung bleibt nämlich der Produktionsapparat frei zur Herstellung von Investitionsgütern. Ohne die freiwillige Mehrersparnis wäre ex-post als Folge erhöhter Investitionen zwar auch mehr gespart worden, aber über eine Erhöhung der Preise in Form eines Zwangssparens der Konsumenten. Instrument der Inflationsbekämpfung Damit ist man bei der Frage, ob man die Vermögenspolitik als Instrument der Inflationsbekämpfung bzw. allgemeiner gefaßt als Instrument der Konjunkturpolitik einsetzen sollte. Akzeptiert man das Angebot-Nachfrage-Modell der Inflation, so ist das Maß an Preisstabilität von den folgenden Komponenten abhängig: (1) Y real P = Y nominal = C pr + C St - I pr + I st + A wobei die Symbole folgende Bedeutung haben: Y real = reales Bruttosozialprodukt im In- und Auslandsangebot, P = allgemeines Preisniveau Y nominal = nominale Gesamtnachfrage, C Pr = private Konsumnachfrage, C St = staatliche Konsumnachfrage, I Pr = private Investitionsnachfrage, I St = staatliche Investitionsnachfrage und A = Nachfrage des Auslandes, Das besagt, daß das allgemeine Preisniveau von sehr vielen Nachfragekomponenten, aber auch vom Angebot an Gütern abhängig ist. Der Einsatz der vermögenspolitischen Maßnahmen als Stabilitätsinstrument ist deshalb nur dann von Erfolg gekrönt, wenn die anderen Komponenten den Rückgang der privaten Konsumnachfrage aufgrund der erhöhten Ersparnis der privaten Haushalte nicht konterkarieren. Geht man von der Hypothese der Kosteninflation aus, was bedeutet, daß das allgemeine Preisniveau dann ansteigt, wenn die Kosten sich erhöhen, dann werden die Unternehmen versuchen, auch diese Kostenerhöhung (z.b. im Falle der Einführung eines Investivlohnes) auf die Preise zu überwälzen. Im Falle gelungener Überwälzung hätte aber dann die vermögenspolitische Maßnahme das Gegenteil dessen erreicht, was sie eigentlich erreichen wollte. Wenn die Überwälzung wegen mangelnder Nachfrage nicht gelingt, kann es zum Rückgang der realen Entwicklung, nämlich der Produktion und Beschäftigung kommen. Zielkonflikt Mag man schon an einen durchschlagenen Erfolg der vermögenspolitischen Maßnahmen nicht zuletzt auch wegen des geringen Ausmaßes als konjunkturpolitisches Instrument zur Inflationsbekämpfung zweifeln, so stellt sich zusätzlich die grundsätzliche Frage, ob nicht zwischen Kon-
3 Vermögenspolitik als Wirtschaftspolitik 3 junkturpolitik und Vermögenspolitik gewissermaßen ein Zielkonflikt besteht. Die Konjunkturpolitik soll nämlich kurzfristig wirksam sein. Es muß deshalb ein steter Wechsel zwischen Maßhalteappellen und Konsumanreizen vor sich gehen. Demgegenüber ist die Vermögenspolitik langfristig strukturell angelegt. Eine solche langfristige Politik würde aber durch den konjunkturpolitisch notwendigen Wechsel der Richtung der Politik stark gefährdet. Hinzu kommt, daß bei dem konjunkturpolitischen Einsatz der Vermögenspolitik solche Bevölkerungskreise die Last der Konjunktursteuerung tragen müßten, die nur mittlere und geringe Einkommen beziehen. Das aber würde wohl wiederum allgemein als nicht gerecht angesehen und damit neue Konflikte hervorrufen. Allerdings sollte man beim Einsatz von neuen vermögenspolitischen Maßnahmen oder bei ihrer Modifizierung die konjunkturelle Situation durchaus ins Kalkül mit einbeziehen. Der beste Zeitpunkt wäre die Phase des konjunkturellen Aufschwungs. In dieser Phase würde nämlich durch vermögenspolitische Maßnahmen eine zusätzliche Dämpfung der Nachfrage erreicht, ohne daß wie in der Spätphase des Konjunkturzyklus die Unternehmen diese Kostenerhöhung zum Anlaß für Preissteigerungen nehmen. Gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung Während die Vermögenspolitik als wachstumspolitisches Instrument zumindest in der Wissenschaft kaum noch akzeptiert wird und auch für die Konjunktursteuerung nur ein zusätzliches Instrument darstellt, wird die verteilungspolitische Funktion der Vermögenspolitik weiterhin aufrechterhalten. Dieser verteilungspolitische Optimismus gründet sich auf die sogenannte Unternehmergewinngleichung von Keynes 4 : (2) Q = I n + C u - S nu + (A St - P) + (X - M) Diese Gleichung besagt, daß die Gewinne der Unternehmen in einer Periode bestimmt sind durch: die privaten Nettoinvestitionen (I n ), den Konsum der Unternehmerhaushalte (C u ), das Sparen der Arbeitnehmerhaushalte (S nu ), die Differenz zwischen den Staatsausgaben (A St ) und Staatseinnahmen (P) und Saldo der Leistungsbilanz (X - M). Ist gleichzeitig das Sozialprodukt (Y) gegeben, so kann aus dem Verhältnis Q zu Y die Verteilung des Sozialproduktes auf Unternehmer und Arbeitnehmer abgelesen werden. Wenn nun I n, C u, (A St - P) und (X - M) konstant sind, so sinkt bei gegebenen Volkseinkommen durch die Erhöhung der Arbeitnehmerersparnisse der Anteil der Einkommen der Unternehmer und steigt der Lohnanteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen. Außerdem wird die Verteilung zugunsten der Arbeitnehmer noch dadurch verbessert, daß langfristig neben die Lohn- und Gehaltseinkünfte in vermehrtem Maße zusätzliche Einkommen in Form von Zinsen und Dividenden treten. Nun sind die Ergebnisse dieser ceteris-paribus-betrachtung nicht so ohne weiteres mit der Realität gleichzusetzen. Oben wurde schon gesagt, daß eine erhöhte Ersparnis der privaten Haushalte zu einer Verringerung der unternehmerischen Investitionen führen könnte, was wiederum eine Senkung des Volkseinkommens zur Folge hätte. Damit wäre aber nicht viel für die Arbeitnehmer gewonnen. Weitere Unbekannte in dieser Gleichung sind der Staat und das Ausland. In die Nachfragelücke, die das vermehrte Sparen der privaten Haushalte läßt, könnten der Staat mit erhöhten Ausgaben oder das Ausland mit einer verstärkten Nachfrage treten. Auch dann würde sich an der Verteilung des Volkseinkommens und des Vermögens nichts ändern. 4 Vgl. K e y n e s, John M a y n a r d, Vom Gelde, deutsche Übersetzung Carl Krämer, Berlin 1955, S
4 Vermögenspolitik als Wirtschaftspolitik 4 Diese Analyse zeigt also, daß das zusätzliche Sparen notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dafür ist, daß sich erstens überhaupt zusätzliches Vermögen bei den Arbeitnehmern bildet und zweitens sich aber gleichzeitig auch die Vermögens- und Einkommensverteilung zugunsten der Arbeitnehmer ändert. Hinreichend ist zusätzliches Sparen deswegen nicht, weil die anderen makroökonomischen Größen des Systems, die in der Gleichung vorhanden sind, durch das Sparen allein nicht in eine zielkonforme Richtung gesteuert werden. Jeder Leistungsbilanzüberschuß, jede zusätzliche Verschuldung des Staates, auch jede Investition, die nicht kompensiert wird durch eine gleich hohe Minderung der Nachfrage an anderer Stelle des volkswirtschaftlichen Kreislaufs, kann die Einkommens- und Vermögensverteilung zuungunsten der Arbeitnehmer verschlechtern. Höhere Staatsverschuldung In jüngster Zeit tritt nun wieder eine Kombination von Vermögenspolitik und verstärkter Staatsverschuldung zur Finanzierung der von allen geforderten zusätzlichen Infrastrukturausgaben in den Mittelpunkt der Diskussionen. Man geht dabei davon aus, daß durch vermögenspolitische Maßnahmen mehr gespart wird. Diese erhöhten Ersparnisse sollen aber nicht in die gewohnte Anlagerichtung gehen, sondern sollen in die öffentliche Finanzierungsmasse einfließen, um dann zur Finanzierung erhöhter Infrastrukturausgaben verwendet zu werden. Verteilungspolitisch würde das gemäß Gleichung (2) bedeuten, daß sich die Verteilung auf Unternehmer und Arbeitnehmer nicht ändern würde, da ja die erhöhte Ersparnis der Arbeitnehmerhaushalte (S nu ) durch eine Erhöhung des Saldos (A St - P) kompensiert würde. Das würde aber dazu führen, daß auf Dauer sich die Vermögensverteilung auf Kosten des Staates zugunsten der Arbeitnehmer ändern würde, während im privaten Unternehmensbereich alles beim alten bliebe. Auf der anderen Seite zeigt aber die Gleichung auch, daß bestimmte Warnungen vor einer höheren Staatsverschuldung gerade von der Seite der Unternehmer kaum Berechtigung haben. Gemäß Gleichung (2) müßten sie sogar ein Interesse an verstärkter Staatsverschuldung haben, denn dadurch würden ceteris paribus ja die Gewinne der Unternehmen steigen. Zwischen privaten und staatlichen Anleihewünschen besteht natürlich insoweit keine Konkurrenz, als der Staat die geliehenen Mittel wieder im Inland ausgibt und so den Spielraum für weitere Kapitalnachfrage schafft. 5 Die Vermögenspolitik hat somit, faßt man zusammen, je nach Zielsetzung einen unterschiedlichen instrumentalen Wert für die Wirtschaftspolitik. Während sie sich rein wachstumspolitisch wohl als unbrauchbar erwiesen hat, kann sie unter bestimmten Bedingungen durchaus eine positive Wirkung für die Preisstabilität ausüben. Auch verteilungspolitisch überwiegen die positiven Momente in der Beurteilung. Allerdings erscheint die Euphorie, mit der die Vermögenspolitik als das einzig wirksame Instrument der angestrebten Umverteilungspolitik gepriesen wird, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen bei offener außenwirtschaftlicher Flanke doch als sehr fragwürdig, da die Unternehmer am stärkeren Hebel sitzen. Eine Umverteilung gelingt nur dann, wenn die Arbeitnehmer über Beteiligungen auch an den Gewinnen teilnehmen. 6 Eine Kombination aus Vermögenspolitik und verstärkter Staatsverschuldung kann sicherlich bestimmte Probleme der Infrastrukturfinanzierung lösen, verteilungspolitisch muß sich diese Kombination allerdings einige Fragezeichen gefallen lassen. 5 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 1967/68, Tz. 521, S Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 1968/69, Tz. 316, S. 83.
5 Vermögenspolitik als Wirtschaftspolitik 5
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