1. Es geht um bedeutende kulturelle, soziale und wirtschaftliche Werte
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- Waldemar Zimmermann
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1 UN AVENIR POUR NOTRE PASSE A FUTURE FOR OUR PAST EINE ZUKUNFT FÜR UNSERE VERGANGENHEIT Thesen zum Umgang mit Siedlungen der 20er Jahre Berlin, 15. Mai Es geht um bedeutende kulturelle, soziale und wirtschaftliche Werte Die Siedlungen der 20er Jahre sind Dokumente einer von vielen Kräften getragenen engagierten Reformpolitik. Auf dem Gebiet des Städtebaus und der Architektur, der Wohnungspolitik und der Wohnungsfürsorge stellen diese Denkmal-Ensembles einmalige Zeitdokumente dar. Die beeinträchtigenden Veränderungen sind in vielen Siedlungen der 20er Jahre so weit fortgeschritten, dass eine Erhaltung oder gar Wiederherstellung nach Kriterien der Denkmalpflege aus vielerlei Gründen besonders im Privatisierungsfall kaum noch möglich erscheint. Umso notwendiger sind Aufklärung, gesetzlicher Schutz und die Erhaltung der noch verbliebenen Anlagen. Ein wirksamer Schutz kann nur durch das Zusammenwirken öffentlich-rechtlicher und privater Maßnahmen erreicht werden. Schutzbestimmungen müssen genügend Spielraum für Erneuerungsmaßnahmen bieten, sofern diese nicht die Gestalt- und Geschichtswerte beeinträchtigen.
2 2 2. Die Siedlungen sind gefährdet Viele Siedlungen der 20er Jahre sind von einem fortschreitenden Prozess des Verfalls, der Veränderung in ihrem Bestand und damit dem Verlust ihres geschichtlichen und künstlerischen Aussagewertes bedroht. Ihr Wohnwert kann gefährdet werden durch Verfall der Bausubstanz (die teilweise durch zeitbedingte Sparsamkeit und die Erprobung neuer Bauweisen geprägt ist) wegen mangelhafter und falscher Instandhaltung, fallweise durch hohe Fluktuation der Mieter und soziale Segregation als Folgen von Defiziten im Wohnungsangebot nach Größe und Zuschnitt, wegen bauphysikalischer Mängel und Defiziten in der technischen Ausstattung, durch Beeinträchtigung des Wohnumfeldes als Folge von Motorisierung, Nutzungswandel, Verdichtungsmaßnahmen und Vernachlässigung der Freiräume. Auch aus Unkenntnis ihrer sozialen und kulturpolitischen Bedeutung sind diese Siedlungen gefährdet durch Veränderungen der Bauten und ihres architektonischen Erscheinungsbildes durch Um- und Anbauten, sowie Einbau technischer Einrichtungen, durch Veränderungen im stadträumlichen Gefüge und in den Freiflächen infolge von Neubauten, Umnutzungen und Veränderungen im Erschließungssystem und in der Bepflanzung, durch Privatisierung und anschließende Umgestaltungen, durch sektorale staatliche Förderungsprogramme (z. B. Energieeinsparprogramm) jeweils ohne angemessene Berücksichtigung erhaltenswerter Geschichts- und Gestaltwerte.
3 3 3. Siedlungen der 20er Jahre bedürfen der Erhaltung und der Erneuerung Eine Erhaltung und Erneuerung sollte auf der Grundlage eines umfassenden Konzeptes unter Einschluss wohnungspolitischer, wohnungswirtschaftlicher, städtebaulicher und denkmalpflegerischer Ziele im Rahmen örtlicher Stadtentwicklungskonzepte erfolgen. Zielkonflikte müssen objekt- und situationsbezogen gelöst werden. Folgende Grundsätze sind zu beachten: Die systematische Erfassung und Bewertung des Bestandes bezogen auf städtebauliche, architektonische, wohnungsfunktionale, technische und wohnungswirtschaftliche Merkmale ist zwingende Voraussetzung aller Erhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen. Bei der Erneuerung ist die Siedlung als Einheit zu betrachten, deren einzelne Elemente in Wechselbeziehung zueinander stehen. Die Formulierung von Rangordnungen von Gestaltungsmerkmalen darf sich nicht auf die Bauwerke beschränken. Das Verhältnis der Baukörper zueinander und zu den Freiräumen ist besonders zu berücksichtigen. Die Freiräume haben sich im Laufe der Zeit in besonderem Maße verändert. Als prägende Elemente der zeittypischen Gestalt ist ihre Erneuerung nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Lebensgestaltung der Bewohner unverzichtbar. Die durch Typisierung und Standardisierung geprägten formal vereinheitlichten Anlagen, deren Gestaltung Ausdruck eines kollektiven Bauwillens ist, dürfen in ihrem Geschichts- und Gestaltwert nicht zerstört werden. Eine Privatisierung ist demnach nur in Anlagen vertretbar, die nach ihrer städtebaulichen Konzeption dafür geeignet sind. Vor einer etwaigen Privatisierung sollten durch Unterschutzstellung, Gestaltungssatzungen, privatrechtliche Auflagen und einen Katalog zulässiger und unzulässiger Veränderungen die für die Erwerber gültigen Bindungen und Verantwortungsspielräume unmissverständlich festgelegt werden. Eine fortlaufende gestalterische Beratung und Betreuung ist auch nach der Privatisierung nützlich und wünschenswert.
4 4 Am Anfang jeder Erneuerung müssen Überlegungen zu einer angemessenen Nutzungszuweisung stehen. Die Wohnungen mit ihrem spezifischen Zuschnitt sind geeigneten, interessierten Bewohnergruppen anzubieten. Für obsolete Nutzungen (Waschhäuser u. ä.) müssen geeignete Folgenutzungen gefunden werden. Entscheidend ist, dass Nutzungen ferngehalten werden, die strukturund gestaltverändernd wirken können. Zur Vermeidung von Verdrängungsprozessen ist die Beschränkung des Erneuerungsaufwandes in Hinblick auf die Miethöhe notwendig. Ziel muss demnach sein, mit begrenztem Aufwand gleichrangig wohnungswirtschaftliche und denkmalpflegerische Verbesserungen zu erreichen. 4. Zusammenarbeit ist notwendig Bei der Erhaltung, Erneuerung und Weiterentwicklung der Siedlungen der 20er Jahre muss in jedem Einzelfall in partnerschaftlicher Zusammenarbeit ein Ausgleich etwa konkurrierender Ziele und Maßnahmen gefunden werden. Die Interessen der Gemeinden an der Erhaltung von preiswertem Wohnraum für ihre leistungsschwächeren Bürger, der Wohnungsunternehmen an der Sicherung der langfristigen Vermietbarkeit und hohen Wohnzufriedenheit, der Bewohner an der Bereitstellung eines Wohnquartiers mit zeitgemäßem Wohnungszuschnitt, zeitgemäßer Ausstattung und angemessenem Freiraum, der Denkmalpflege an der Bewahrung eines kulturhistorischen Dokumentes müssen miteinander abgewogen werden. In verschiedenen Städten sind bereits erfolgreiche Kooperationsmodelle für die Erneuerung von Siedlungen der 20er Jahre entwickelt worden. Sie bedürfen der weiteren Erprobung und Fortentwicklung, die sich an den örtlichen Erfahrungen
5 5 orientiert. Dabei sind alle Formen der Selbstverwaltung und Selbsthilfe im Rahmen der gesteckten Ziele zu fördern. Folgende Wege gemeinsamen Handelns bieten sich an: Vereinbarung einer Rangordnung essentieller Geschichtswerte und Gestaltmerkmale, Formulierung von Erhaltungs- und Erneuerungszielen unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Marktes, Programmformulierung für Grundrisse, Konstruktionselemente, Architektur und Freiraumgestaltung, Planung des zeitlichen Ablaufs der Erneuerung unter Berücksichtigung der Belange der Bewohner, Dialog mit den Bewohnern entsprechend der Eigenart der Erneuerung als eines fortschreitenden Zielfindungs-, Planungs- und Durchführungsprozesses, Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerberatung. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit, der politischen Entscheidungsgremien und der Bewohner für die Geschichts- und Gestaltwerte der Siedlungen der 20er Jahre ist in der Regel wenig entwickelt und bedarf daher der Förderung. Nur so wird erreicht, dass Bürger und Bewohner sich mit "ihrer" Siedlung identifizieren und zur Mitwirkung bei der Erhaltung und Erneuerung bereit sind. Bewusstseinsfördernd sind in erster Linie exemplarische Erhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen, aber auch öffentliche Anerkennungen (Preise, Plaketten), und gemeinschaftliche Veranstaltungen (Vereinsleben, Siedlungsfeste, Projektgruppen, Initiativen). Wegen der zur Disposition stehenden hohen Gestaltwerte ist der Einsatz qualifizierter und in diesem Feld erfahrener Architekten fallweise geboten.
6 6 5. Auch der Staat ist gefordert Bund, Länder und Gemeinden sind aufgefordert, konkurrierende Erneuerungs- und Gestaltungsprogramme mit den denkmalpflegerischen Zielen im Sinne einer behutsamen qualitätsgerechten Erhaltung und Erneuerung zu harmonisieren. Rechtsvorschriften, technische Normen und Förderungsbestimmungen, die in der Regel auf Neubauten unter heutigen Bedingungen zugeschnitten sind, bedürfen der flexiblen Handhabung und der Anpassung an die Verhältnisse in den Siedlungen der 20er Jahre. Bund, Länder und Gemeinden sind aufgefordert, die Erhaltung und Erneuerungen der Siedlungen der 20er Jahre wegen ihrer kulturellen und wohnungspolitischen Bedeutung durch Bereitstellung öffentlicher Förderungsmittel zu sichern und die wissenschaftliche Erforschung der Siedlungen in ihren sozialen, ökonomischen und kulturellen Zusammenhängen zu fördern. DIE ERHALTUNG VON SIEDLUNGEN DER 20er JAHRE IST EIN PRÜFSTEIN FÜR DEN UMGANG DER GESELLSCHAFT MIT DEM KULTURELLEN UND POLITISCHEN ERBE DIESER EPOCHE.
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