Wie die Neuzeit Geld erfand Niederlande, Schweden, Schottland und England

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1 U l f H E I N S O H N Wie die Neuzeit Geld erfand Niederlande, Schweden, Schottland und England Vorlesung im Sommersemester 2008 im Studium generale der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, Leipzig Hörsaal Li 415, Karl-Liebknecht-Str. 145, Leipzig, Mittwoch, 21. Mai 2008, 17:00-19:00 h

2 Inhalt: 1. Rechengeld und Stückgeld (Geldzeichen) 2. Die Amsterdamsche Wisselbank schafft ihr eigenes Geld der Gulden Banco (bco.) 3. Die Hamburger Bank schafft ihr eigenes Geld die Mark bco. ( ) 4. Stockholms Banco schafft sein eigenes Geld und darauf lautende Noten 5. Notenbanken in Schottland 6. Die Bank von England im zweistufigen Bankensystem

3 1. Rechengeld und Stückgeld (Geldzeichen) antike Emissionsbanken gaben kreditär Geldzeichen aus, deren Materialpreis wie bei modernen Noten den aufgeprägten Nennbetrag unterschritt die Kaufkraft der Geldzeichen war durch den Emissionsbanken gestellte Sicherheiten (Kollateraleigentum) bestimmt, für deren Auslösung die Schuldner (Kollateralbesitzer) ein Marktangebot zu erreichen suchten mit dem Fortfall der römischen Rechtsordnung verschwanden die antiken Emissionsbanken und die Sicherung ihrer umlaufenden Geldzeichen seither waren umlaufende metallische Geldzeichen mangels endogener Schaffung per Kredit und Vernichtung durch Tilgung und Verzinsung kein Geld mehr, sondern bloße Münzen

4 1. Rechengeld & Stückgeld Fortsetzung I Die interpersonale Koordination des individuellen Handelns wird durch Verträge geregelt Verträge bestimmen unterschiedliche Verpflichtungen, die zwecks Vergleichbarkeit gemessen werden müssen Zur Messung der immateriellen Kategorie der Verpflichtungen sind alle physischen Maße (m 3, kg, Anzahl, Standardgut [unit of account]) ungeeignet physikalische Maße sind ungeeignet, weil sie die veränderliche Ungleichheit der physischen Erscheinung der Erfüllungen nicht widerspiegeln (1 kg Federn 1 kg Kartoffeln) Ein Standardgut ist ungeeignet, weil seine Vermehrung oder Verringerung nicht endogen mit der Begründung und Erfüllung von Verpflichtungen einhergeht

5 1. Rechengeld & Stückgeld Fortsetzung II ohne kreditär zu schaffende und per Tilgung und Verzinsung zu vernichtende Geldzeichen blieben v.a. Münzen als Zahlungsmittel Gesellschaften und Herrscher ließen Münzen prägen Münzen trugen einen Nennbetrag, der idealerweise ihren Materialpreis nur um die Prägekosten überstieg Da ihrer Schaffung kein Kollateraleigentum einer Bank zu Grunde lag, musste mit der Münze die Kollateralproprietas und die mangels rechtlicher Fassbarkeit und Identifizierbarkeit ungetrennte Naturalproprietas in Höhe des Nennbetrags minus Prägekosten zirkulieren

6 1. Rechengeld & Stückgeld - Fortsetzung III Herrscher wie Gesellschafter versuchten ihre Schuldenlast zu erleichtern, indem sie neue «leichtere» Münzen mit gleichem Nennbetrag prägen ließen v.a. Steuern, Mieten und Löhne zahlten Wirtschafter und Zahlungspflichtige mit Münzen, die durch Kippen und Wippen erleichtert waren oder mit neuen «leichteren» Münzen, die sie aus eingeschmolzenen «schwereren» prägen ließen private, frei vereinbarte Schulden (Preise) waren nur mit «schweren» Münzen zu zahlen, jede Abweichung führte zu Aufpreisen, die v.a. Lohnempfänger spürten Die Zahlungskraft unterschiedlich «schwerer» Münzen gleichen Nennbetrags sowie fremder Münzen wurde bei Bedarf auch täglich neu festgelegt (Wardierung)

7 1. Rechengeld & Stückgeld - Fortsetzung IV Wardierungen waren Gegenstand der öffentlichen Debatte wie diplomatischer Konflikte Hatte der Umlauf «schwerer» Münzen soweit abgenommen, dass sogar bei privaten, frei vereinbarten Schulden (Preise) teils oder ganz in «leichter» Münze gezahlt werden musste, stiegen auch hier die Preise und Kurse, v.a. der Devisen (Abwertung der leichten Münzwährung) Daher musste ein Maßstab für Verpflichtungen her, den J. Steuart 1767 Rechengeld (money of account) nannte in einigen Gesellschaften konnten v.a. Kaufleute für Wechselverpflichtungen ab einer bestimmten Summe einen Maßstab durchsetzen, dem Münzverschlechterung nichts anhaben konnte

8 1. Rechengeld & Stückgeld - Fortsetzung V amtlich wurde verfügt, dass alle Wechsel ab einer bestimmten Summe nur noch durch Verrechnung mit Guthaben bei einen einzigen Bank zu erfüllen waren Das Gros der Verpflichtungen war dem Wirrwarr der Münzen entzogen, die gemäß unterschiedlicher Wardierung oder davon noch abweichender privater Taxierung (Metallpreis) als Erfüllung angerechnet wurden Die eine Bank kaufte Courant-Münzen unter Marktpreis und zahlte durch Einräumung eines Guthabens in Bancowährung. Diese galt es gegen Münzverschlechterung und Metallpreisverfall abzuschirmen

9 1. Rechengeld & Stückgeld - Fortsetzung VI Damit die Bancowährung Rechengeld sein kann, muss den auf Banco lautenden Guthaben (Passiva der Bank) in gleichem Maße auf Banco lautende Aktiva gegenüber stehen. Kein fester Preis darf für Waren, z.b. Edelmetall gelten, da dann die Bancowährung dessen Preisschwankungen unterliegt Stückgeld erscheint in Form von Guthaben bei der Emissionsbank oder von Geldzeichen, die auf Rechengeld-Einheiten lauten. Rechengeld : Stückgeld = Temperaturskala : Thermometer Eine Emissionsbank muss Eigenkapital vorhalten, um Verluste bei ihren Aktiva ausgleichen zu können

10 1. Rechengeld & Stückgeld - Fortsetzung VII Einlösung von Stückgeld an andere als Schuldner der Emissionsbank und gegen anderes als das von ihnen verpfändete Kollateraleigentum zerreißen die Kohärenz zwischen Aktiva und Passiva (Sprengsatz im System)

11 2. Die Wisselbank schafft den Gulden Bco In Zeiten «leichterer» Münzen, fallender Edelmetallpreise und steigender Devisenkurse veranlassen Kaufleute die Stadt Amsterdam 1609 eine Girobank zu gründen Alle Wechsel ab einer Summe von 600 fl. (300 fl. ab 1643) sind durch Guthaben bei der Amsterdamschen Wisselbank zu erfüllen Die Guthaben werden in Gulden Bco, einer physisch nicht existierenden, daher keiner Münzverschlechterung unterliegenden Einheit ausgedrückt Die Bank kaufte unterschiedliche Münzen und bezahlte ihre Kunden mit einem Guthaben (Stückgeld), das auf ihr Rechengeld lautete.

12 2. Wisselbank Fortsetzung I wechselnde Wardierungen und Marktpreise der Münzen führen dazu, dass auch der Gulden Bco schwankte, den Nutzern aber das individuelle Risiko an «leichtere» Münzen zu gelangen gegen ein gemitteltes Risiko tauscht Die Bank verteuert ab 1645 die Auflösung von Guthaben in Münzen und etabliert so ein Agio (Aufschlag) zu Gunsten des Gulden Bco gegenüber Münzen Der Gulden Bco wird so eine eigene Währung neben dem Gulden Courant (Crt) Das Agio verhindert, dass bei steigender Kaufkraft der Münzen, Kunden sich ihre Guthaben auszahlen lassen Die Bank gewährt ab 1683 Gulden-Bco-Kredite für 6 Monate gegen Beleihung von Gold und Silber

13 2. Wisselbank Fortsetzung II Wird der Kredit nicht mit Guthaben (Stückgeld) getilgt, geht der Kollateralbesitz am Edelmetall an die Bank über, das Guthaben kann dann nur zu den teuren Gebühren wieder in Münzen aufgelöst werden Guthabenauflösungen gehen ab 1683 stark zurück, da es billiger ist, kreditierte Guthaben binnen 6 Monaten zu tilgen, und diese Kreditguthaben frei handelbar sind Ende des 17. Jh.s schafft die Bank Guthabenauflösungen ab, so dass sie Banco-Guthaben nie in eine bestimmte Summe Courantmünzen einlösen muss Die so unnötig gewordenen Edelmetallbestände konnten nun ohne Gefahr der Illiquidität gegen auf Gulden Bco lautende Aktiva (mit Kollateraleigentum besicherte Kreditforderungen an die Ostindische Compagnie, den Staat) ersetzt werden. Guthaben (Passiva) wie die Aktiva der Bank lauteten nun auf gleiche Währung

14 3. Die Hamburger Bank schafft die Mark bco. Kaufleute veranlassten die Stadt 1619 eine Girobank mit Bancowährung zu gründen Wechsel ab 400 Mark Lb. und Geschäfte ab 400 Mark Bco waren über Bankgutgaben zu erfüllen Analog zu Amsterdam etablierte die Bank ein Agio, das bis zu 14% ging Die Bank zahlte Edelmetallbestände als Kredit an Schuldner gegen Forderungen in Mark Bco Guthaben aufzulösen, musste temporär ausge-setzt werden, wurde jedoch nie abgeschafft. Die Stadt half mit Moratorien und ließ Kreditkündigung zu Währungsname und Giroverkehr waren Vorbild für die 1875 einführte Reichswährung

15 Stockholms Banco schafft sein eigenes Geld und darauf lautende Noten Der Livländer Hans Wittmacher (alias Johann Palmstruch) lernte in Amsterdam die Bank kennen und wurde wegen Wirtschaftsspionage festgesetzt. Nach seiner Freilassung ging er nach Schweden und gründete 1656 den privaten Stockholms Banco Die Bank zahlt Teile ihrer Edelmetallbestände als Kredit an Schuldner aus und hielt Aktiva in Bancowährung Ohne staatliche Rückendeckung brach die Bank illiquide zusammen, war aber nicht insolvent, wie sich herausstellte Ihr folgte Sveriges Riksbank als staatliche Notenbank