Modul Pflege im Kontext rechtlicher Rahmenbedingungen: Vorsorge/Vertretung, Lebensende, Freiheit/Sicherheit
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- Astrid Maurer
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1 Modul Pflege im Kontext rechtlicher Rahmenbedingungen: Vorsorge/Vertretung, Lebensende, Freiheit/Sicherheit GuKPS St. Pölten, WB Pflege bei Demenz im Akutkrankenhaus (1. Teil) 1
2 Themen Heute Eigene Entscheidungen treffen im Gesundheitswesen und Grenzziehung für Vertretung Möglichkeiten der Vorausplanung Vertretungsmodelle bei Entscheidungsunfähigkeit Therapie am Lebensende Schutz durch Freiheitsbeschränkung? Diskussionsrunde (stets zwischendurch) 2
3 Erwachsenenschutz Warum nun ein neues Gesetz? Personen, die ihre (Rechts-) Angelegenheiten selbst nicht ohne der Gefahr eines Nachteils besorgen können, stehen seit jeher unter dem besonderen Schutz der Gesetze. Und dieser Schutz wurde in rechtshistorischer Sicht stets unter anderen Grundüberlegungen gewährt: Entmündigungsordnung: Sachwalterrecht: Erwachsenenschutzrecht: 2018 Zukunft Start:
4 Kritik an Sachwalterschaft Anzahl der Sachwalterschaften stark gestiegen! 2003: Menschen in Österreich 2016: bereits Menschen Gründe gesteigerte Lebenserwartung gesteigerte Anforderungen im Rechtsverkehr (komplexe Welt) Gefahrenminimierung, Vermeidung ungültiger Verträge Aber: Kritik durch Betroffene und internationale Organisationen Keine Konformität mit der UN-Behindertenrechtskonvention Forderung: Vertretung soll nur mehr als letztes Mittel erfolgen! 4
5 Eigene Entscheidungen treffen im Gesundheitswesen und Grenzziehung für Vertretung
6 Behandlungsentscheidung 6
7 Entscheidungsfähigkeit Entscheidungsfähige Personen entscheiden stets selbst. Eine Vertretung ist ausgeschlossen. Patient hat auch das Recht zur Unvernunft, solange eine ernste/erhebliche Gefahr izm einer psychischen Krankheit ausgeschlossen werden kann. Entscheidungsfähigkeit nach den gesetzlichen Vorgaben ( 24 ABGB): Entscheidungsfähig ist, wer 1) die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, 2) seinen Willen danach bestimmen und 3) sich entsprechend verhalten kann. Dies wird im Zweifel bei Volljährigen vermutet. 7
8 Sonderregelung für Minderjährige Notfallsregelung (Aufschub durch Einwilligung nicht zum Wohle) Einwilligungen in medizinische Behandlungen kann das entscheidungsfähige Kind nur selbst erteilen; im Zweifel wird das Vorliegen dieser Entscheidungsfähigkeit bei mündigen Minderjährigen vermutet (= ab 14. Geburtstag). Mangelt es an der notwendigen Entscheidungsfähigkeit, so ist die Zustimmung der Person erforderlich, die mit der gesetzlichen Vertretung bei Pflege und Erziehung betraut ist. Willigt ein entscheidungsfähiges minderjähriges Kind in eine Behandlung ein, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, so darf die Behandlung nur vorgenommen werden, wenn auch die Person zustimmt, die mit der gesetzlichen Vertretung bei Pflege und Erziehung betraut ist. 8
9 Beeinträchtigungen dieser Fähigkeit Bei psychischer Krankheit oder Symptome / Verhaltensweisen, die darauf schließen lassen (ICD-10, DSM V) Intellektuelle / kognitive Beeinträchtigung Auch vorübergehende Zustände, ausgelöst durch Substanzen (Alkohol, Drogen, Medikationsüberdosierung etc.); aber auch delirante Zustandsbilder Kontrollfrage: Kann die Person durch Unterstützungsmaßnahmen zur Erlangung der Entscheidungsfähigkeit mobilisiert werden? Beispiele: Hörgerät, Piktogramme, Leichte Sprache, Apps, Tablets, Fotos und Symbole, Lauten, Gesten, Gebärden, Berührungen, Gebärdensprach- Dolmetscher 9
10 Denn: Unterstützung vor Vertretung 239 ABGB (gilt seit ): Im rechtlichen Verkehr ist dafür Sorge zu tragen, dass volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind, möglichst selbständig, erforderlichenfalls mit entsprechender Unterstützung, ihre Angelegenheiten selbst besorgen können. Unterstützung kann insbesondere durch die Familie, andere nahe stehende Personen, Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen der Behindertenhilfe und soziale und psychosoziale Dienste, Gruppen von Gleichgestellten, Beratungsstellen oder im Rahmen eines betreuten Kontos oder eines Vorsorgedialogs geleistet werden. 10
11 Vertretung nur als letztes Mittel Nicht entscheidungsfähige Personen nehmen nur dann durch einen Vertreter am Rechtsverkehr teil, wenn 1. sie dies selbst vorsehen (Vorsorgevollmacht) oder 2. eine Vertretung zur Wahrung ihrer Rechte und Interessen unvermeidlich ist. Zudem kann eine Vertretung verhindert werden, wenn durch eine Patientenverfügung oder einen Vorsorgedialog vorgesorgt wird. 11
12 Möglichkeiten der Vorsorge
13 Vorsorgevollmacht Festlegung, wer nach Verlust der Entscheidungsfähigkeit für mich als befugter Vertreter agieren darf. Inhaltliche Freiheit des Vollmachtgebers. Entscheidungsfähigkeit im Zeitpunkt der Erstellung Errichtung bei Erwachsenenschutzverein, Rechtsanwalt, Notar Bei Aktivierung dieser Vollmacht (Vorsorgefall ist eingetreten), geht der Bevollmächtigte mit der Vollmacht und einer ärztl. Bestätigung, dass die Person die Entscheidungsfähigkeit nicht mehr hat, zur Errichtungsstelle und lässt sich die Aktivierung der Vollmacht bestätigen. Es folgt eine Eintragung im ÖZVV. Vertretung ist ab nun rechtlich erlaubt. Die Registrierungsbestätigung ist bei der Vertretung vorzuweisen. Für Detailfragen zum Umfang ist ein Blick in die Vollmacht ratsam. Umfasst die Vorsorgevollmacht auch Gesundheitsangelegenheiten, so ist der Bevollmächtigte befugt, hier Vertretungshandlungen zu setzen. 13
14 Patientenverfügung I Nur zur Ablehnung medizinischer Behandlungen. Geltung: Wenn Person selbst nicht mehr entscheidungs-/äußerungsfähig ist. Solange Entscheidungsfähigkeit des Patienten gegeben ist, hat die PatV keine Bedeutung! Abgelehnte Maßnahmen in der Praxis: Ernährung mittels Sonde / Flüssigkeitsersatz (zb Infusion) Beatmungshilfen (Intubation, Maskenbeatmung, Tracheotomie) Wiederbelebung (HDM, auch Defibrillation) Antibiotische Therpaie Medikation zur Stärkung lebenswichtiger Organe Verabreichung von Blut/Blutbestandteilen Einsatz von Geräten zur Organunterstützung / -ersatz (zb Dialyse) 14
15 Patientenverfügung II Voraussetzung für Erstellung: Entscheidungsfähigkeit! Verbindliche vs. beachtliche PatV. (klares Behandlungsveto vs. Beurteilungsspielraum für Gesundheitspersonal) Downloads kostenfrei unter: 15
16 Vorsorgedialog I Nur 4 % der Bevölkerung hat eine PatV, 2 % eine Vorsorgevollmacht Geringes Maß sorgt somit vor! Pflege- und Betreuungseinrichtungen alarmieren oftmals im lebensbedrohlich-kritischen Zustand von Bewohnern den Rettungs-/Notarztdienst, obwohl der Notfall vorhersehbar war. Lebensrettungs-Automatismus tritt ein. Oftmals auch entgegen den Willen der betroffenen Person. KH wird dann zum Ort des Sterbens. Vorausschauende Planung im Pflegeheim initiiert durch das Gesundheitspersonal soll dies verändern und ein strukturiertes Vorgehen im vorhersehbaren Notfall ermöglichen. 16
17 Vorsorgedialog II Vorsorgedialog ist ein Kommunikationsprozess, der verschriftlicht und regelmäßig evaluiert wird. Qualitätsgesichert durch Hospiz Österreich. Denn: Vorsorge- und Behandlungsentscheidungen stellen nicht eine einzige große und schwer zu revidierende Entscheidung dar, sondern brauchen einen fortschreitenden Dialog, ausgerichtet auf den Bedürfnissen und dem Willen der Patienten. Klärung zentraler Fragen: Nahrung / Flüssigkeit (PEG Sonde, Infusion) Reanimation (Kreislaufstillstand beobachtet / nicht beobachtet) Bedingungen für KH-Einweisung Psychosoziale, spirituelle und soziale Bedürfnisse 17
18 Rolle der Pflege in der Umsetzung: Vorsorgedialog III Nach ärztlicher Anordnung sind Ergebnisse vom VSD auch vom Pflegepersonal (DGKP, PFA,PA) umzusetzen Dies gilt auch für die Unterlassung von Reanimationsbemühungen ( 15 GuKG) z.b. Verabreichung von Arzneimitteln durch das Pflegepersonal: Delegation von anlassbezogenen Medikamenten (Einzelfall-Verordnungen) Anordnung von Medikation, genaue Umschreibung der Indikation (Verhaltensweise) durch Arzt, Dosierung, Darreichungsform, max. Gabe pro 24h inkl. Zeitabstände zwischen den Verabreichungen Wichtig: Zustände, die durch die Medikation hervorgerufen werden können, müssen vom PP auch beherrscht werden können. Im nicht beherrschbaren Notfall: Arzt / Notarzt beiziehen 18
19 Vertretungsmodelle bei Entscheidungsunfähigkeit
20 Vertretung stets ultima ratio Nicht entscheidungsfähige Personen nehmen nur dann durch einen Vertreter am Rechtsverkehr teil, wenn 1. sie dies selbst vorsehen (Vorsorgevollmacht) oder 2. eine Vertretung zur Wahrung ihrer Rechte und Interessen unvermeidlich ist. 20
21 Neue Vertretungsmodelle Selbstbestimmung Fremdbestimmung Registrierung im ÖZVV Registrierung im ÖZVV Registrierung im ÖZVV Gerichtsbeschluss ÖZVV: Österr. Zentrales Vertretungsverzeichnis 21
22 Übergang: Vom Sachwalter zum Erwachsenenvertreter Bestehende Sachwalterschaften werden ab zu gerichtlichen Erwachsenenvertretungen. Übergeleitete Sachwalterschaften müssen von den Gerichten in den nächsten Jahren von Amts wegen im Wege eines Erneuerungsverfahrens in reguläre gerichtliche Erwachsenenvertretungen umgewandelt werden. Ohne Erneuerungsverfahren erlöschen sie automatisch mit ! 22
23 Bedeutung im Berufsalltag
24 Behandlungsentscheidung 24
25 Behandlung 1. Zeitkritischer Notfall (keine Zustimmung erforderlich; indizierte Maßnahmen sind einzuleiten) 2. Entscheidungsfähiger Patient entscheidet selbst (Zustimmung/Ablehnung) 3. Patient fraglich entscheidungsfähig => Unterstützung in der Entscheidungsfindung 4. Patient nicht entscheidungsfähig => Vertreter beiziehen (Vorsorgebevollmächtigter, Erwachsenenvertreter) Sonderfall Vertretungsnot : Auch hier Gefahr-im-Verzug-Regelung anzuwenden, wenn Vertreter-Installierung erst in Gang gebracht werden muss und in dieser Zeit eine Behandlung zu erfolgen hat, weil ein Aufschub fachlich nicht vertretbar ist. Hier ist aber Anruf beim Pflegschaftsgericht (Bezirksgericht) ratsam! 25
26 Details zum Notfall I Liegt tatsächlich ein zeitkritischer Notfall vor, der unmittelbare Handlungseinleitung erfordert? Entscheidungsfähige Notfallpatienten sind auch aufzuklären und ihre Einwilligung einzuholen. Nur bei fraglich bzw. nicht entscheidungsfähigen Notfallpatienten ist eigenmächtiges therapeutisches Vorgehen erlaubt. Hier kann auch die Aufklärung entfallen. Wie lautet der Gesetzestext ( 253/3 ABGB): Die Zustimmung des Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters ist nicht erforderlich, wenn mit der damit einhergehenden Verzögerung eine Gefährdung des Lebens, die Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit oder starke Schmerzen verbunden wären. 26
27 Details zum Notfall II Dauert die medizinische Behandlung voraussichtlich auch nach Abwendung dieser Gefahrenmomente noch an, so ist sie zu beginnen und unverzüglich die Zustimmung des Vertreters zur weiteren Behandlung einzuholen bzw. das Gericht zur Bestellung eines Vertreters oder zur Erweiterung seines Wirkungsbereichs anzurufen ( 253/3 ABGB neu). Diese Norm zielt auf Abteilungen ab, an denen eine Weiterbehandlung über die Akutbehandlung hinaus stattfindet (zb Intensivstationen). Nicht relevant im Rettungs-/ Notarztdienst, weil hier keine fortgesetzte Behandlung stattfindet. 27
28 Patientenverfügung Details zum Notfall III Verbindliche vs. beachtliche PatV. (klares Behandlungsveto vs. Beurteilungsspielraum für Gesundheitspersonal) Relevanz für Gesundheitsberufe: Bringschuld des Patienten, jedoch zumutbare Nachforschungen bei Hinweis Im Notfall: Das PatVG räumt der medizinischen Notfallversorgung den Vorrang ein, sofern der mit der Suche nach (und auch Beschäftigung mit) einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet. Grundsatz: In dubio pro vita! 28
29 Behandlung ohne Notfall I Patient fraglich entscheidungsfähig => Nachweisliche Beiziehung von Angehörigen, anderen nahe stehenden Personen, Vertrauenspersonen und im Umgang mit Menschen in solchen schwierigen Lebenslagen besonders geübten Fachleuten zur Unterstützung in der Entscheidungsfindung. Kann dadurch die Entscheidungsfähigkeit hergestellt werden, Einwilligung ausreichend. so ist die Ansonsten Vorgehen wie bei nicht-entscheidungsfähigen Patienten. 29
30 Behandlung ohne Notfall II Patient nicht entscheidungsfähig => Zustimmung ihres Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters, dessen Wirkungsbereich diese Angelegenheit umfasst. Hinweis: Vertreter muss Legitimation nachweisen können durch Ausdruck einer Registrierungsbestätigung im ÖZVV bzw. Vorweisen des Gerichtsbeschlusses. Liegt dies nicht vor, ist der Patient offiziell unvertreten. Ob der Patient einen Vertreter hat, kann bei Gericht erfragt werden. Alle Infos auch zur Registrierung sind beim Erwachsenenschutzverein (ehem. Sachwalterverein) erhältlich! Standorte in NÖ: Amstetten, Persenbeug, St. Pölten, Zwettl, Mödling, 30 Wr. Neustadt, Wolkersdorf, Klosterneuburg, Hollabrunn
31 Behandlung ohne Notfall III Der Grund und die Bedeutung der medizinischen Behandlung sind auch einer im Behandlungszeitpunkt nicht entscheidungsfähigen Person zu erläutern, soweit dies möglich und ihrem Wohl nicht abträglich ist. Gerichtskontrolle nur mehr in zwei Fällen: Behandlungsablehnung durch nicht entscheidungsfähige Person Vertreter lehnt Maßnahme ab, obwohl Person dies will (bzw. die fachlich aber als indiziert anzusehen ist) 31
32 Behandlung ohne Notfall IV Hat die im Behandlungszeitpunkt nicht entscheidungsfähige Person die medizinische Behandlung in einer verbindlichen Patientenverfügung abgelehnt und gibt es keine Hinweise auf die Unwirksamkeit der Patientenverfügung, so muss die Behandlung ohne Befassung eines Vertreters unterbleiben. 32
33 Weiterführende Literatur Download kostenfrei: Rubrik Erwachsenenschutz 33
34 Rechtliches zur Therapie am Lebensende
35 Strafbar oder erlaubt? Rechtliche Klarheit in Österreich: Verboten: Erlaubt: Sterbehilfe (Mord), Töten auf Verlangen, Mitwirkung am Suizid Nichteinleitung / Abbruch med. Behandlungen bei fehlender med. Indikation (Sterben zulassen, Schicksal freien Lauf lassen); Therapie im Rahmen palliative care (sofern leitlinienkonform!) Problemfall: palliative Sedierung!
36 Stopp vor unverhältnismäßiger Therapie Ursachen dafür: therapeutischer Ehrgeiz (begründete oder unbegründete) Angst vor rechtlichen Konsequenzen Logik der Leistungsabrechnung im Spital Mangelhafte Kommunikation im Behandlungsteam Mangelhafte Kommunikation mit dem Patienten Wunsch von Angehörigen Wunsch des Patienten => Eine unverhältnismäßige Therapie steht mit den ethischen Prinzipien des Nichtschadens und der Gerechtigkeit in Konflikt! Quelle: Bioethikkommission, Sterben in Würde (2015)
37 Behandlungsentscheidung 37
38 Lebensrettungsauftrag immer? Berufsgesetze verpflichten zur raschen Hilfeleistung im Notfall Aber ist eine Lebensrettung um jeden Preis überhaupt stets sinnvoll? Hier spielen rechtliche, aber vor allem ethische Überlegungen eine Rolle. 38
39 Wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist... Kuratives, also auf Heilung ausgerichtetes Behandlungsziel ist nicht mehr erreichbar. Dementsprechend müssen auch die weiteren Maßnahmen wohlüberlegt sein, damit hier keine sinnlose Therapie stattfindet. Dies gilt sowohl aus ärztlicher als auch aus pflegerischer Sicht. 39
40 Definitionen DNR = do not resuscitate (= Nichtdurchführung mechanischer, medikamentöser und elektrischer Reanimationsmaßnahmen) DNE = do not escalate (= Unterlassung definierter intensivmedizinischer Maßnahmen, wie zb Katecholamingabe, Intubation, Hämofiltration) RID = reevaluate indication and deescalate (= Beendigung laufender Maßnahmen nach Evaluierung aufgrund der Indikation je Symptom) CTC = Comfort Terminal Care (= Palliative Care; Symptomlinderung) AND = allow natural death (= Erlauben eines natürlichen Ablebens, Maßnahmen nur bei Indikation mit zb Leidensdruck beim Patienten; idr wie CTC) 40
41 Genaue Dokumentation Relevant ist eine genaue Dokumentation, um allen Beteiligten Klarheit geben zu können im Hinblick auf Maßnahmen, die zu tun sind und Maßnahmen, die nicht mehr vorgenommen werden sollen. Wichtig: Dokumentation dient auch dem Eigenschutz u. der Beweissicherung! Wichtige Punkte bei DNR/AND/CTC...: Begründung durch Arzt, warum zu bestimmten Maßnahmen keine Indikation besteht genaue Spezifizierung der nicht durchzuführenden Maßnahmen Grundlage zur Ermittlung des Patientenwillens dazu Doku bzgl. Information an Patient und befugte Vertreter Fieberkurveneintrag mit Datum und Klarstellung, wer Entscheider ist Hinweis: Doku-Blatt der ÖGARI 41
42 Bedeutung für Pflegeberufe Arzt kann Unterlassen delegieren Für Pflegeberufe dann aufgrund GuKG umzusetzen Kein Verstoß gegen die Hilfeleistungspflicht nach Berufsrecht, wenn dann bestimmte nicht-indizierte Maßnahmen auch nicht eingeleitet werden Pflicht der Pflegeperson zur eigenständigen Situationseinschätzung und Handlungspflicht, wenn keine Symptomenkontrolle besteht (zb Herzalarm...) In Zweifelsfällen gilt der Grundsatz: In dubio pro vita = Lebensrettungsauftrag! 42
43 Schutz durch Freiheitsbeschränkung? (UbG, HeimAufG)
44 Recht auf Freiheit und Sicherheit Ein Balanceakt Sicherheit Freiheit 44
45 Recht auf Freiheit und Sicherheit Freiheitsbeschränkungen sind nur erlaubt, wenn man dazu gesetzlich ermächtigt wurde! Bei der Anwendung ist dann das gesetzliche Prozedere einzuhalten (Begründung, Aufklärung, Verständigung, Dokumentation). Befugnisse für Mitarbeiter*innen in Psychiatrien => Unterbringungsgesetz Befugnisse für päd., pflegerisches und ärztliches Personal in Pflege- u. Betreuungseinrichtungen, Behinderteneinrichtungen, Krankenanstalten außerhalb von Psychiatrien und seit auch in Einrichtungen zur Pflege und Erziehung von Minderjährigen => Heimaufenthaltsgesetz 45
46 Berufsrecht Berufsrecht: Regelt Ausbildung und Handlungskompetenzen isv maximalem Dürfen (ÄrzteG, GuKP, Sozialbetreuungsberufe) Selbstschutz als wesentliche Kompetenz eines jeden Gesundheitsberufes! Aus den Einsatzorganisationen bekannt: G-A-S-Regel G = Gefahren erkennen (Gefahrenradar) A = Abstand halten, bis Bewertung der Gefahr möglich ist S = ggf. Sicherheitskräfte anfordern (Kollegen, Sicherheitsdienst, Polizei ) 46
47 ArbeitnehmerInnenschutz 3 ASchG: Arbeitgeber sind verpflichtet, für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen. Schulungen in Deeskalations- und Sicherheitsmanagement! Praxisfall: Arbeitsmediziner sprach sich aufgrund vermehrter Vorfälle eines gewaltgeneigten Bewohners in einer Pflegeeinrichtung für die Kündigung des Heimvertrages aus! Direktion musste schriftlich Stellung nehmen! Verhinderung Entlassung aufgrund Deeskalationskonzept. Achtung beim Einsatz von Sicherheitsdiensten: Kein Vordringen in Vorbehaltsbereich der Gesundheitsberufe zulässig (Festhalten bereits als Pflegemaßnahme gewertet; OGH RS ). 47
48 Eskalationsstufen Psychiaterin Adelheid Kastner im Referat beim 5. ÖGERN-Symposium zur Gefahreneinschätzung akut psychisch Erkrankter : Zunehmende emotionale Spannung und Unruhe im Umfeld Nonverbale Grenzverletzung (zb verächtliche Mimik u. Gestik) Verbale Gewalt (Drohungen) Gewalt gegen Gegenstände Gewalt gegen Personen 48
49 Blick in die Praxis Verhaltensauffälligkeiten z.b. im Rahmen von Demenz (BPSD) und Delir: Personal hat unter Achtung der Autonomie für ausreichenden Schutz und Sicherheit zu sorgen Zusammenspiel unterschiedlicher Professionen Einhaltung fachlicher Standards (ÄrzteG, GuKG) Schutzmaßnahmen haben primär zwangslos stattzufinden Ultima ratio: Freiheitsbeschränkung (HeimAufG, UbG) 49
50 Heimaufenthaltsgesetz I 1. Gilt das Gesetz in der konkreten Einrichtung? 2. Liegt eine Freiheitsbeschränkung vor? Eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des HeimAufG liegt vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. 3. Erfüllt diese die Zulässigkeitskriterien nach 4 HeimAufG? 50
51 HeimAufG in Krankenanstalten Gilt auf allen Abteilungen mit Ausnahme der Psychiatrie (dort UbG) Gesetz gilt aber nicht für alle Patienten im Krankenhaus, sondern nur für Folgende: In Krankenanstalten ist das HeimAufG nur auf Personen anzuwenden, die dort wegen ihrer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung der ständigen Pflege oder Betreuung bedürfen. 51
52 Checkliste HeimAufG in KH s 52
53 Heimaufenthaltsgesetz II Mechanische Freiheitsbeschränkungen: Bett: Seitenteile, Bauchgurt, Hand-/Armgurt, Bein-/Fußgurt Sitzgelegenheit: Sitzhose, Bauch-/Brust-/Extremitätengurt, Therapietisch Bereich/Raum: Tür versperrt, Barriere, Festhalten/Zurückhalten Elektronische Freiheitsbeschränkungen: Desorientiertenfürsorgesystem / GPS + Zurückhalten / Festhalten Medikamentöse Freiheitsbeschränkung (insb. Tranquilizer, Antipsychotika) Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist nur zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdranges bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung 53 anderer therapeutischer Ziele ergeben können. OGH RS
54 Bürger/Halmich, HeimAufG Kommentar (2015) S
55 Judikatur zur med. Freiheitsbeschränkung I Anhand der Feststellung, der Einsatz der kombiniert verabreichten Medikamente sei therapeutisch indiziert", ist eine abschließende Beurteilung, ob eine Freiheitsbeschränkung vorliegt, keinesfalls möglich. Hiezu bedarf es vielmehr einer Aussage darüber, 1. welchen therapeutischen Zweck die Anwendung jedes einzelnen der zu überprüfenden Medikamente verfolgt, 2. ob die Medikamente, insbesondere in der dem Bewohner verabreichten Dosierung und Kombination, dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurden beziehungsweise werden und 3. welche konkrete Wirkung für den Bewohner mit dem Einsatz der Medikamente verbunden war und ist. OGH RS
56 Judikatur zur med. Freiheitsbeschränkung III Ist ein Medikament ein (reines) Sedativum, kann von einer bewegungsdämpfenden Nebenwirkung keine Rede sein. Es handelt sich daher um eine Freiheitsbeschränkung. (OGH Ob 77/08z) Die bloße ärztliche Anordnung eines eine Freiheitsbeschränkung herbeiführenden Medikaments unter bestimmten Voraussetzungen ohne dessen tatsächliche Verabreichung (Bedarfsmedikation) ist für sich allein noch keine Freiheitsbeschränkung im Sinn des 3 Abs 1 HeimAufG. (OGH Ob 205/16x) Diese Judikatur sagt nichts aus über die Zulässigkeit, sondern lediglich über die Qualifikation einer Medikation als Freiheitsbeschränkung. Die Zulässigkeit bemisst sich nach 4 HeimAufG. Medikamentöse Freiheitsbeschränkungen sind nicht per se verboten! 56
57 Zulässigkeitskriterien nach 4 HeimAufG Eine Freiheitsbeschränkung darf nur vorgenommen werden, wenn 1. der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, 2. sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist sowie 3. diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann. 57
58 Exkurs: Medikation und Sturzrisiko Stürze sind in der Altersmedizin ein großes Thema: 33 % der über 65-Jährigen stürzt mind. einmal pro Jahr. Zahl erhöht sich auf 50 % bei den über 80-Jährigen. Hohes Mortalitätsrisiko! Professionelles Sturzmanagement durch die Pflege (GuKG) Polypharmazie kann Sturzrisiko erhöhen! Achten bei med. Therapie: Quelle: H. Thaler, Universum Innere Medizin, 04/2018 Ist das Med. noch indiziert? Langzeitiger Nutzen von der Med. zu erwarten? Gibt es sicherere Alternativen? Ist Med. wirksam? Nebenwirkungen vorhanden? Welche nichtverschreibungspflichtigen Präparate werden zusätzlich 58 eingenommen?
59 Hat der Patient aber durch das HeimAufG keinen Schutz Dann gilt es in einer krisenhaften Situation zu erwägen, ob 1. Eine Akutmaßnahme zur Abwehr ernster Lebens-/Gesundheitsgefahren unbedingt erforderlich ist und eine Verlegung auf eine Psychiatrie nach den Regelungen des UbG nicht indiziert erscheint (zb aufgrund des Gesundheitszustandes oder der nötigen Versorgung, die nur vor Ort geleistet werden kann) oder 2. eine Verlegung auf die Psychiatrie nach dem UbG einzuleiten ist. 59
60 Kein HeimAufG, kein UbG Fällt der Patient zb auf einer Intensivstation nicht unter das HeimAufG und hat er auch keine Indikation für eine Verbringung auf die Psychiatrie (nach UbG), so hat das Gesundheitspersonal keine klare Handlungsbefugnis! Aber: Aus der Rechtsordnung ergeben sich hier ebenso Handlungspflichten zur Abwehr drohender Lebens- bzw. Gesundheitsgefahren (Unterlassen der Schutzmaßnahmen würde uu eine Strafe auslösen) Grundsatz dabei: Je mehr die Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt ist, desto stärker tritt die Fürsorgepflicht für Gesundheitsberufsangehörigen in den Vordergrund! Polizei hat bei diesen Krisen keine ausdrücklichen Befugnisse nach UbG / SPG (keine Aufgabe der Sicherheitsverwaltung). 60
61 Kein HeimAufG, kein UbG Ball bei den Gesundheitsberufsangehörigen : Fachliche Auseinandersetzung, ob Freiheit oder Sicherheit der Vorrang einzuräumen ist. Hierfür entscheidend: 1) Entscheidungsfähigkeit 2) Dringlichkeit der Maßnahmeneinleitung Nachvollziehbare Dokumentation ist hier notwendig! 61
62 Verlegung auf Psychiatrie - UBG UBG gilt nur in Psychiatrien! Schutz durch Anhaltungen in einem geschlossenen Bereich oder sonstige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit. Ortsveränderung nötig! In einer psychiatrischen Abteilung darf nur untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer psychiatrischen Abteilung, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. 62
63 UbG Prozedere I 8 UbG: Eine Person darf gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine psychiatrische Abteilung gebracht werden, wenn sie ein/eine im öffentlichen Sanitätsdienst stehende/r Arzt/Ärztin, ein Polizeiarzt/-ärztin oder ein Arzt/eine Ärztin einer Primärversorgungseinheit, untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im Einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet. 63
64 UbG Prozedere II 9. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt ( 8) zu bringen oder diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine psychiatrische Abteilung zu bringen oder dies zu veranlassen. Wird eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger angehalten werden. (2) Bei Gefahr im Verzug können die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person auch ohne Untersuchung und Bescheinigung in eine psychiatrische Abteilung bringen. (3) Der Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. Sie haben, soweit das möglich ist, mit psychiatrischen Einrichtungen außerhalb einer psychiatrischen Abteilung zusammenzuarbeiten und erforderlichenfalls den örtlichen Rettungsdienst beizuziehen. 64
65 Sonderfall: Demenz im Krankenhaus Probleme: Patienten mit Demenz nehmen im KH zu (tws. bis zu 80 % der Stationsbelegung; auch auf Psychiatrien nach dem UbG Zunahme wahrnehmbar). Geriatrische Spezialabteilungen / demenzsensible Strukturen fehlen oftmals! In vielen Fällen sind Demenzpatienten im KH von Freiheitsbeschränkungen (und somit von Gewalt) betroffen. Dies meist invasiver als in Pflege- und Betreuungseinrichtungen (Gurte, stark sedierende Medikationen). Häufige Gründe für Fixierungen: Sturzgefahr, Legen von Magensonden, Harnkathetern, Venflon/ZVK sowie Belegung im Mehrbettzimmer. 65
66 Demenzsensibles Krankenhaus Anregungen: Delirprophylaxe (Cave: delirogene Medikationen!) Umdenken: Nicht demenzkranke Person hat sich der KH-Struktur anzupassen, sondern umgekehrt! Sensibilisierung/Schulung des Personals, ehrenamtliche Demenzbegleiter, Sitzwachen für zb Sicherung einer indizierten Infusionstherapie, schonende Pflegehilfsmittel (zb Niederflurbett, Bettalarmsystem, Schutzfäustlinge) 66
67 Dr.iur. Michael Halmich LL.M. Bücher:
Erwachsenenschutzrecht für Gesundheitsberufe. Landesklinikum Wr. Neustadt
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