Juristische Aspekte bei der Betreuung von Personen mit Vergesslichkeit / Demenz
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- Jan Walter
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1 Juristische Aspekte bei der Betreuung von Personen mit Vergesslichkeit / Demenz Pflegekongress Herzgesundheit , Herz-Kreislauf-Zentrum Groß Gerungs 1
2 Kontext RECHT Staat hat durch das Recht die Spielregeln einer Gesellschaft festzulegen Schutzbedürftige Personen erhalten besonderen Schutz Dazu gehören u.a. Kinder und Erwachsene mit psychischen/kognitiven Einschränkungen Recht bietet einen Rahmen, gibt Antworten auf konkrete Fragestellungen, lässt aber oft auch einen Interpretationsspielraum Ethik als Reflexionsinstrument und Korrektiv, hilft bei der Suche nach einer guten Lösung im Sinne des Wohls der betroffenen Person 2
3 Rechtsthemen bei Demenzerkrankten Wie viel Rechtsfürsorge und durch wen? Wo ist der richtige Ort der Betreuung? Vertretung im Rechtsverkehr nötig? Was tun bei Verhaltensauffälligkeiten und Gefährdungen? (Schutz, Einsatz von Freiheitsbeschränkungen, Psychopharmaka) Therapie am Lebensende, Vorsorgen für ein würdevolles Sterben 3
4 Rechtsfürsorge 21 ABGB: Minderjährige und Personen, die aus einem anderen Grund als dem ihrer Minderjährigkeit alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst gehörig zu besorgen nicht vermögen, stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze. Sie heißen schutzberechtigte Personen. Wer kann Rechtsfürsorge in Gang bringen? Person selbst An-/Zugehörige bzw. Vertreter Ärzte, Pflege- und Betreuungspersonal (ÄrzteG, GuKG) Institutionen (Erwachsenenschutzvereine, Behörden, Gerichte) Spätestens Aktivwerden bei Gefährdung des Wohles der Person! 4
5 Richtige Ort der Betreuung Dies kann sein zu Hause (ggf. mit prof. Unterstützung durch mob. Pflege, 24h-Betreuung) Betreutes Wohnen / Wohngemeinschaft Tageszentrum Pflege- und Betreuungseinrichtung Krankenanstalt Rehabilitationseinrichtung Eine Aufnahme in Institutionen ist an Voraussetzungen geknüpft! Oftmals zentrale Fragestellung: Finanzierung (zb Pflegegeld, Pflege-Regress) 5
6 Pflege-Regress 2018 Auszug aus der Parlamentskorrespondenz Nr. 838 vom : [ ] Ab Anfang kommenden Jahres ist es den Ländern untersagt, auf das Vermögen von Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen betreut werden, zurückzugreifen. Gleiches gilt für das Vermögen von Angehörigen und ErbInnen. Im Gegenzug erhalten die Länder jährlich 100 Mio. zusätzlich über den Pflegefonds. [ ] Entscheidung der Höchstgerichte 2018: Seit ist ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen und Erben oder Geschenknehmern zur Abdeckung der Pflegekosten nicht mehr zulässig. Dieses Verbot kommt auch dann zum Tragen, wenn die Ersatzforderung auf einer stationären Aufnahme beruht, die zu Leistungen des Sozialhilfeträgers vor dem geführt hat (OGH 1 Ob 62/18a, VfGH E 229/2018). 6
7 Erwachsenenschutzgesetz Seit in Geltung! Soviel Eigenverantwortung wie möglich soviel Unterstützung wie nötig. Soviel Freiheit wie möglich soviel Sicherheit wie nötig. 7
8 Entscheidungsfähigkeit Ist die zentrale Fragestellung für das Gesundheitspersonal! Entscheidungsfähigkeit nach den gesetzlichen Vorgaben ( 24 ABGB): Entscheidungsfähig ist, wer 1) die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, 2) seinen Willen danach bestimmen und 3) sich entsprechend verhalten kann. Dies wird im Zweifel bei Volljährigen vermutet. 8
9 Beeinträchtigungen dieser Fähigkeit Bei psychischer Krankheit oder Symptome / Verhaltensweisen, die darauf schließen lassen (ICD-10/11, DSM V) Intellektuelle / kognitive Beeinträchtigung Auch vorübergehende Zustände, ausgelöst durch Substanzen (Alkohol, Drogen, Medikationsüberdosierung etc.); aber auch delirante / postoperative Zustandsbilder Einschätzung durch das jeweilige Gesundheitspersonal im Rahmen ihrer Berufskompetenzen! 9
10 Vertretung nötig? Grundsatz durch das neue Erwachsenenschutzgesetz (seit ): Im rechtlichen Verkehr ist dafür Sorge zu tragen, dass volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind, möglichst selbständig, erforderlichenfalls mit entsprechender Unterstützung, ihre Angelegenheiten selbst besorgen können. Unterstützung kann insbesondere durch die Familie, andere nahe stehende Personen, Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen der Behindertenhilfe und soziale und psychosoziale Dienste, Gruppen von Gleichgestellten, Beratungsstellen oder im Rahmen eines betreuten Kontos oder eines Vorsorgedialogs geleistet werden. 10
11 Vertretung als letztes Mittel Vertreter nur dann, wenn 1. für eine Vertretung selbst vorgesorgt wurde oder 2. eine Vertretung zur Wahrung der Rechte und Interessen einer schutzberechtigten Person unvermeidlich ist. 11
12 Vertretungsmodelle seit Selbstbestimmung Fremdbestimmung Registrierung im ÖZVV Registrierung im ÖZVV Registrierung im ÖZVV Gerichtsbeschluss ÖZVV: Österr. Zentrales Vertretungsverzeichnis; Quelle Graphik: Justizministerium 12
13 Wie kommt man nun zu was? Entscheidungsfähige Person => Vorsorgevollmacht beim ErwSchV/Notar/Rechtsanw. Gemindert entscheidungsfähige Person => gewählte Erwachsenenvertretung beim ErwSchV/Notar/Rechtsanw. Nicht entscheidungsfähige Person funktionierendes Familiensystem => gesetzliche Erwachsenenvertretung aktivieren beim ErwSchV/Notar/Rechtsanw. kein funkt. Familiensystem/keine An- bzw. Zugehörigen => gerichtliche Erwachsenenvertretung (Anregung beim Bezirksgericht) 13
14 Relevantes für Gesundheitsberufe 1. Zeitkritischer Notfall (keine Zustimmung erforderlich; indizierte Maßnahmen sind einzuleiten) 2. Entscheidungsfähiger Patient entscheidet selbst (Zustimmung/Ablehnung) 3. Patient fraglich entscheidungsfähig => Unterstützung in der Entscheidungsfindung 4. Patient nicht entscheidungsfähig => Vertreter beiziehen (Vorsorgebevollmächtigter, Erwachsenenvertreter; solange kein Vertreter aktiviert / bestellt ist => unaufschiebbare Behandlungen durchführen aufgrund der Gefahr-im-Verzug-Kompetenz ) 14
15 Recht auf Freiheit und Sicherheit Ein Balanceakt Sicherheit Freiheit 15
16 Recht auf Freiheit und Sicherheit Freiheitsbeschränkungen sind nur erlaubt, wenn man dazu gesetzlich ermächtigt wurde! Bei der Anwendung ist dann das gesetzliche Prozedere einzuhalten (Begründung, Aufklärung, Verständigung, Dokumentation). Dies dient dem Patienten-/Bewohnerschutz! Befugnisse für Mitarbeiter*innen in Psychiatrien => Unterbringungsgesetz Befugnisse für päd., pflegerisches und ärztliches Personal in Pflege- u. Betreuungseinrichtungen, Behinderteneinrichtungen, Krankenanstalten außerhalb von Psychiatrien und seit auch in Einrichtungen zur Pflege und Erziehung von Minderjährigen => Heimaufenthaltsgesetz Rechtsfreier Raum: Betreuung zu Hause! 16
17 Blick in die Praxis Verhaltensauffälligkeiten z.b. im Rahmen von Demenz (BPSD) und Delir: Personal hat unter Achtung der Autonomie für ausreichenden Schutz und Sicherheit zu sorgen Zusammenspiel unterschiedlicher Professionen beim Eruieren, woher die Verhaltensauffälligkeit kommt und was man zur Gefahrenabwehr tun kann Dabei: Einhaltung fachlicher Standards (ÄrzteG, GuKG) Schutzmaßnahmen haben primär zwangslos stattzufinden Freiheitsbeschränkung als letztes Mittel (HeimAufG, UbG) 17
18 Heimaufenthaltsgesetz I 1. Gilt das Gesetz in der konkreten Einrichtung? 2. Liegt eine Freiheitsbeschränkung vor? Eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des HeimAufG liegt vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. 3. Erfüllt diese die Zulässigkeitskriterien nach 4 HeimAufG? 18
19 Heimaufenthaltsgesetz II Mechanische Freiheitsbeschränkungen: Bett: Seitenteile, Bauchgurt, Hand-/Armgurt, Bein-/Fußgurt Sitzgelegenheit: Sitzhose, Bauch-/Brust-/Extremitätengurt, Therapietisch Bereich/Raum: Tür versperrt, Barriere, Festhalten/Zurückhalten Elektronische Freiheitsbeschränkungen: Desorientiertenfürsorgesystem / GPS + Zurückhalten / Festhalten Medikamentöse Freiheitsbeschränkung (insb. Tranquilizer, Antipsychotika) Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist nur zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdranges bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung 19 anderer therapeutischer Ziele ergeben können. OGH RS
20 Bürger/Halmich, HeimAufG Kommentar (2015) S
21 Zulässigkeitskriterien nach 4 HeimAufG Eine Freiheitsbeschränkung darf nur vorgenommen werden, wenn 1. der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, 2. sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist sowie 3. diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann. 21
22 Exkurs: Medikation und Sturzrisiko Stürze sind in der Altersmedizin ein großes Thema: 33 % der über 65-Jährigen stürzt mind. einmal pro Jahr. Zahl erhöht sich auf 50 % bei den über 80-Jährigen. Hohes Mortalitätsrisiko! Professionelles Sturzmanagement durch die Pflege (GuKG) Polypharmazie kann Sturzrisiko erhöhen! Achten bei med. Therapie: Quelle: H. Thaler, Universum Innere Medizin, 04/2018 Ist das Med. noch indiziert? Langzeitiger Nutzen von der Med. zu erwarten? Gibt es sicherere Alternativen? Ist Med. wirksam? Nebenwirkungen vorhanden? Welche nichtverschreibungspflichtigen Präparate werden zusätzlich 22 eingenommen?
23 Sonderfall: Demenz im Krankenhaus Probleme: Patienten mit Demenz nehmen im KH zu (tws. bis zu 80 % der Stationsbelegung; auch auf Psychiatrien nach dem UbG Zunahme wahrnehmbar). Geriatrische Spezialabteilungen / demenzsensible Strukturen fehlen oftmals! In vielen Fällen sind Demenzpatienten im KH von Freiheitsbeschränkungen (und somit von Gewalt) betroffen. Dies meist invasiver als in Pflege- und Betreuungseinrichtungen (Gurte, stark sedierende Medikationen). Häufige Gründe für Fixierungen: Sturzgefahr, Legen von Magensonden, Harnkathetern, Venflon/ZVK sowie Belegung im Mehrbettzimmer. 23
24 Demenzsensibles Krankenhaus Anregungen: Delirprophylaxe (Cave: delirogene Medikationen!) Umdenken: Nicht demenzkranke Person hat sich der KH-Struktur anzupassen, sondern umgekehrt! Sensibilisierung/Schulung des Personals, ehrenamtliche Demenzbegleiter, Sitzwachen für zb Sicherung einer indizierten Infusionstherapie, schonende Pflegehilfsmittel (zb Niederflurbett, Bettalarmsystem, Schutzfäustlinge) 24
25 Rechtliches zur Therapie am Lebensende
26 Strafbares und Erlaubtes Rechtliche Klarheit in Österreich: Verboten: Erlaubt: Sterbehilfe (Mord), Töten auf Verlangen, Mitwirkung am Suizid Nichteinleitung / Abbruch med. Behandlungen bei fehlender med. Indikation (Sterben zulassen, Schicksal freien Lauf lassen) Therapie im Rahmen palliative care (sofern leitlinienkonform!) Sonderfall: palliative Sedierung!
27 Stopp vor unverhältnismäßiger Therapie Ursachen dafür: therapeutischer Ehrgeiz (begründete oder unbegründete) Angst vor rechtlichen Konsequenzen Logik der Leistungsabrechnung im Spital Mangelhafte Kommunikation im Behandlungsteam Mangelhafte Kommunikation mit dem Patienten Wunsch von Angehörigen Wunsch des Patienten => Eine unverhältnismäßige Therapie steht mit den ethischen Prinzipien des Nichtschadens und der Gerechtigkeit in Konflikt! Quelle: Bioethikkommission, Sterben in Würde (2015)
28 Ärzte und Pflegepersonal bei End of life Therapiebegrenzungen / -adaptierungen liegen in der ärztlichen Verantwortung (Kuration / Palliation) Bei entsprechender Anordnung auch für das Pflegepersonal (DGKP, PFA, PA) bindend. Praxis: Einzelfallmedikamente Beiziehung Hausarzt Beiziehung mobiles Palliativteam Bedingungen für KH-Einweisung Indikation für Beiziehung Rettung/Notarzt
29 Vorsorgedialog für ein würdevolles Sterben Vorsorgedialog ist ein Kommunikationsprozess, der verschriftlicht und regelmäßig evaluiert wird. Qualitätsgesichert durch Hospiz Österreich. Dabei geht es um die Wünsche und Ziele von Personen für den Fall lebensbedrohlicher Krisensituationen ( Advance Care Planning ). Klärung zentraler Fragen + VERSCHRIFTLICHUNG: Nahrung / Flüssigkeit (PEG Sonde, Infusion) Reanimation (Kreislaufstillstand beobachtet / nicht beobachtet) Bedingungen für KH-Einweisung Psychosoziale, spirituelle und soziale Bedürfnisse
30 Dr.iur. Michael Halmich LL.M. Bücher:
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