Bilderpredigt am 7. Juni 2015 in der Bethlehemkirche

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1 1 Bilderpredigt am 7. Juni 2015 in der Bethlehemkirche zur Fotografie von Stefan Behr Blaues Licht, Rosette am Grabmal der Familie Mecklenburg auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee Zur Eröffnung der Ausstellung Querschnitt Fotografien von Stefan Behr. Blaues Licht ist der Titel des Bildes für diese Bilderpredigt. Ich habe es mir nicht selbst ausgewählt, sondern der Fotograf Stefan Behr hat mir dieses Bild vorgeschlagen. Ohne die anderen Bilder der Ausstellung zu kennen, habe ich zu diesem Bild sofort Ja gesagt, denn es hat mich auf Anhieb regelrecht begeistert! Zuerst sah ich nur, was Sie auch sehen: Ein Detail an einem Bauwerk, von dem man meinen könnte: es könnte eine Kirche sein. Eine Rosette aus Stein mit einem blauen Licht. Zuerst dachte ich: Das Fenster, die Rosette, ist blau verglast. Dann aber wurde mir klar: die Rosette ist offen. Das blaue Licht kommt von innen. Woher kommt dieses Licht? Das war für mich die Frage. Dazu muss man mehr über das Motiv erfahren. Am besten macht man sich auf den Weg zum Jüdischen Friedhof in Berlin- Weißensee. Der größte jüdische Friedhof in Europa, auf dem heute noch bestattet wird. Manche von Ihnen werden sich erinnern: Wir haben hier in der Bethlehemkirche den Dokumentarfilm von Britta Wauer über diesen Friedhof gezeigt: Im Himmel, unter der Erde. Ein preisgekrönter Film aus dem Jahr 2011, der den Geschichten der Menschen nachgeht, die auf diesem Friedhof bestattet sind. Für Stefan Behr war der Film eine Anregung, diesen Friedhof zu besuchen, der von Mauern umgeben ist und bedeckt von einem Urwald aus Bäumen, Rhododendron und Efeu angelegt und 42 Hektar groß. Ein Friedhof mit Grabstellen. Darunter die Grabstelle der Familie Mecklenburg: ein repräsentatives Mausoleum an der Friedhofsmauer mit antiken Säulen und einem offenen Eingang, der den Blick auf drei Gräber in massiven Steineinfassungen freigibt, bedeckt mit kleinen Steinen, die dort abgelegt sind so gedenken die Juden der Verstorbenen. Über dem Eingang die Rosette mit dem blauen Licht. Jetzt ist klar, woher das Licht kommt: Im Dach des Mausoleums befindet sich ein Fenster, das blau verglast ist. Der Architekt hat es bewusst so geplant: Über den Gräbern soll der Blick frei sein zum Himmel. Und umgekehrt: Der Himmel soll mit seinem Blau durch das Fenster auf die Grabstelle leuchten.

2 2 So ruhen die Toten unter dem blauen Himmelszelt. Ich habe so etwas noch nie auf einem Friedhof gesehen. Auf dem jüdischen Friedhof in Berlin gibt es mehrer Grabstellen dieser Art. Ein anderes Foto von Stefan Behr, das nicht zur Ausstellung gehört (Blatt), zeigt das Mausoleum der Familie Lachmann: wie oben durch das Fenster das Licht des Himmels einströmt und blaues Licht den Innenraum des Mausoleums erfüllt. Ich zitiere noch einmal die Worte von Wassily Kandinsky über die Farbe Blau: Je tiefer das Blau wird, desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels, so wie wir ihn uns vorstellen beim Klange des Wortes Himmel. Dabei kann der Himmel auch ganz andere Farben haben. Himmelrot heißt ein anderes Bild von Stefan Behr in unserer Ausstellung. Wolkensprung heißt wieder ein anderes Bild. Darin türmen sich Wolken düster in Blaugrau bis Schwarz. Der Himmel über uns ist nicht immer blau. In unserem Bild aber schon. Das Blau im Dach dieses Grabmals ist für mich ein Zeichen der Hoffnung. So jedenfalls verstehe ich das. Man könnte sich das Grab auch ganz anders vorstellen: Ohne ein Fenster, damit fester und solider gebaut als Schutz gegen Wind und Regen. Ein solcher Bau wäre zwar stabil, aber er wäre dunkel. Die Familie, die das Grab bauen ließ, wollte es anders. Sie entschied sich für ein Fenster im Dach mit blauem Glas. Auch wenn Glas zerbrechlich ist, sollte doch hier ein Fenster den Blick freigeben zum Himmel. Es kann sein, dass das Schicksal des Toten, der hier begraben ist, für diese Idee der Anlass war, das Grabmal so zu bauen: mit einem Fenster zum Himmel. Begraben ist hier der Leutnant der Reserve Fritz Mecklenburg, er war Flugzeugführer im Ersten Weltkrieg. Am 21. September 1917 starb er in Flandern drei Tage nach seinem 27. Geburtstag. Als Flieger war er dem Himmel näher als Andere. Vielleicht deshalb die Idee, das Licht des Himmels auf das Grab dieses jungen Mannes fallen zu lassen. Für den gläubigen Juden und für die Bibel ist der Himmel der Wohnsitz Gottes. Des Herrn Thron ist im Himmel. (Psalm 11, 4)

3 3 So könnte man viele Bibelstellen vom Himmel zitieren. Im Weisheitsbuch Jesus Sirach heißt es an einer Stelle: Das Bild des Himmels ist herrlich anzusehen. Hier wird die Herrlichkeit Gottes durch die Schönheit der Natur gepriesen. Wer kann sich an seiner Herrlichkeit satt sehen? Die Schönheit der Höhe ist das helle Firmament, das Bild des Himmels ist herrlich anzusehen. Das Weisheitsbuch besingt den Himmel, was man da alles sehen kann: Die hellen Sterne zieren den Himmel, ein leuchtender Schmuck an der Himmelshöhe des Herrn. [...] Sieh den Regenbogen an und lobe den, der ihn gemacht hat! Denn er hat sehr schöne Farben. Er zieht am Himmel einen glänzenden Bogen; die Hand des Höchsten hat ihn gespannt. (Jesus Sirach 43, 9-13). So schön redet die Bibel vom Himmel! Wie nimmt sich aber der Himmel über einem Friedhof aus? Das blaue Licht des Himmels leuchtet auch auf die Gräber. Wenn hier das Blau eine besondere Intensität gewinnt, ist das kein Zufall. Gerade hier, auf dem Friedhof sehen Menschen auf zum Himmel: weil sie trauern, klagen oder Gott auch diese Frage stellen: Warum? 1917 vor fast 100 Jahren malte Marc Chagall den jüdischen Friedhof von Witebsk, seiner Heimat in Weißrußland. Beeindruckend ist an diesem Bild das tiefe Blau des Himmels, in den sich aber auch das Weiß einmischt mit eckigen Formen. Das steigert die Präsenz und Kraft des Himmels in diesem Bild. Der Himmel ist nicht nur Staffage und Kulisse, er entwickelt in dem Bild eine eigenständige Kraft. Das Blau des Himmels wird hier zum Symbol für die Anwesenheit Gottes gerade an diesem Ort, wo die Toten ruhen. Was Gott zu sagen hat, steht in hebräischen Buchstaben auf dem Tor des Friedhofs geschrieben, ein Zitat aus dem Propheten Ezechiel: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israel. Der Himmel schweigt nicht, sondern auf diesem Friedhof wird mit einem starken Blau und mit einem Prophetenwort die Hoffnung auf das ewige Leben verkündet. Wenn wir heute über unsere Friedhöfe gehen, finden wir auch Zeichen und Symbole der Hoffnung. Und wir finden sie auf den jüdischen Friedhöfen, wo Stefan Behr fotografiert hat.

4 4 Auf einem Foto hier in der Kirche sehen wir den jüdischen Friedhof in Worms, wo die alten Grabsteine tief in die Erde eingesunken sind. Die hebräischen Worte darauf sind verwittert und kaum zu lesen, doch sind das ohne Zweifel auch Worte oder Bilder des Lebens, darunter das Bild mit den zwei segnenden Händen. So lohnt es sich, auf einem Friedhof die Augen aufzumachen für die kleinen und stillen Zeichen des Lebens. Nur wenn man die Augen aufmacht, kann man solche Details entdecken, wie sie Stefan Behr mit seiner Kamera entdeckt und festhält darunter das Blaue Licht in der Rosette. Wie entsteht beim Fotografieren ein Bild? Das Bild entsteht nicht in der Kamera, sondern es zuerst entsteht im Kopf des Fotografen. Das wird in einer Zeit exzessiven Fotografierens schnell vergessen. Wie viel wird jeden Tag fotografiert: mit dem Handy, das immer da ist. Tausende Bilddateien, die aber noch lange kein Bild sind im Sinne der Kunst. Das Bild entsteht nicht in der Kamera, sondern im Kopf des Fotografen: wie er seine Umwelt beobachtet. Mit einem Blick für das Besondere, für das Detail, für die Farben, für besondere Perspektiven. So entstehen Bilder, die wirklich Kunstwerke sind. Was mich an unserem Bild besonders fasiziniert, ist die Perspektive: Von draußen fällt der Blick des Fotografen durch die Rosette in den Raum des Grabmals, er geht jedoch weiter durch das Dach hindurch zum Blau des Himmels. Das ist die Perspektive: von draußen nach drinnen und wieder nach draußen. Das Blau des Himmels ist hier nicht nur einfach so ein Blau, sondern die Rosette aus Stein bildet dazu einen Rahmen. Kein Bild ohne Rahmen so auch hier. Die Rosette aus Kalkstein (? Herr Kaden??) so verwittert sie ist, ist sie doch in ihrer Form vollkommen. Ein vollkommener Rahmen für das Blau des Himmels! Ja, man möchte meinen: gerade erst durch diesen vollendeten Rahmen aus Stein findet das Blau Aufmersamkeit und Beachtung. So wie Chagall in seinem Bild dem Himmel kubistische Formen gibt, die ihn kraftvoll und bewegt erscheinen lassen, so erzeugt hier die Rosette für das Blau eine Form, die am Ende mehr ist als nur ein Rahmen. Die Form erinnert an eine Blüte. Eine Blüte ist ein Symbol für das Leben. So wird das gerahmte Blau durch die Rosette lebendig, markant und schön.

5 5 Mitten in der Predigtarbeit erreichte mich eine aus der Gemeinde. Eine Frau, die weiß, dass ich mir Gedanken mache über dieses Fensterbild, schickt mir ein Zitat aus einem dicken Buch: "Jüdische Welt verstehen". Da werden sechshundert Fragen beantwortet, die alle mit Warum? beginnen. Warum muss eine Synagoge Fenster haben?, ist eine der Fragen. Die Antwort: Synagogenfenster sind laut Talmud deswegen unerlässlich, weil der Himmel zur Ehrfurcht anhält (Berachot 34 b). Rabbi Awraham Kook, ehemaliger Oberrabbiner von Israel, erläutert dazu, dass der Mensch beim Gebet mit dem Universum in Beziehung bleiben muss. Deshalb die Fenster. Was ist das für eine Antwort! Warum muss eine Kirche Fenster haben? Diese Frage wird von uns noch niemand gestellt haben, weil es doch klar ist: dass eine Kirche Fenster haben muss. Allerdings - wird diese Frage nicht gestellt, wird man auch niemals eine solche Antwort über den Sinn der Fenster: Dass sie unerlässlich sind, weil der Himmel zur Ehrfurcht Gottes anhält. Ich übertrage die Antwort des Rabbiners auf die Kirchen. Fenster sind unerlässlich, damit wir den Himmel sehen, damit wir zum Himmel aufsehen, damit das Licht des Himmels in unsere Kirchen und in unsere Herzen fällt. Bis vor Kurzem hätte ich niemals geglaubt, dass ich mir in einer Predigt Gedanken über die Fenster mache. Wäre da nicht das Bild von Stefan Behr in die Quere gekommen. Das ist letztlich die Aufgabe der Kunst: Mit den Bildern anzuregen und neue Perpektiven zu eröffnen. So wie die Perspektive in unserem Bild: durch die Rosette hindurch und weiter durch das Fenster hindurch zum Blau des Himmels. Weil wir uns mit dem Bild auf einem jüdischen Friedhof befinden, zum Schluss ein Text aus den jüdischen Quellen. In den Erzählungen der Chassidim erzählt der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber eine seltsame Geschichte, sie hat den Titel: Aus der Himmelsschau (S. 211). Die Geschichte geht so:

6 6 In einer Zeit großer Nöte für Israel versenkte sich Rabbi Elimelech immer tiefer in seinen Gram. Da erschien ihm sein toter Lehrer, der große Maggid von Mesritsch. Rabbi Elimelech rief ihn an: Warum schweigt Ihr zu solchen Nöten? Er antwortete: Im Himmel sehen wir: alles, was euch ein Übel dünkt, ist ein Werk der Gnade. Über diese Geschichte gäbe es viel zu sagen. Sie ist für mich eine Geschichte des Trostes. Der Rabbi, der sich in seine Traurigkeit über die Zustände in der Welt vergräbt, erfährt: Vom Himmel aus sieht das alles ganz anders aus. Was den Rabbi unten auf der Erde traurig macht, könnte aus der Perspektive des Himmels Gnade sein! An diesen Gedanken muss man sich erst einmal gewöhnen! Leicht verdaulich ist er nicht, dieser Gedanke! Bei allem, was wir hier auf der Erde erleben an Not und Traurigkeit, sollte es da auch die ganz andere Sicht geben: die Sicht des Himmels?? Das behauptet jedenfalls diese Geschichte. Wenn ich die Geschichte einmal nehme und mit ihr auf den jüdischen Friefhof in Berlin gehe und dann vor dem Grab der Familie Mecklenburg stehe. Da ist doch der erste Gedanke: Müsste man an diesem Grab nicht aufbegehren gegen die Sinnlosigkeit des Krieges, der am Ende dazu führt, dass junge Menschen ihr Leben verlieren? In Todesfliegern, die vom Himmel Anderen den Tod bringen und dann selbst in den Tod fliegen? Ein junger Mensch im Alter von 27 Jahren. Da sind Aufbegehren und Wut, am Ende bleibt Trauer. Da möchte man auch einen kleinen Stein aufheben und auf das Grab legen. Vielleicht ist so oft an diesem Grab getrauert worden. Aber vielleicht war da nicht nur Trauer, denn es gab ja dort noch etwas: die Entdeckung des Blauen Lichtes, wenn man es denn wahrnimmt in der Rosette, die so kunstvoll das Blau rahmt und lebendig macht. Stefan Behr hat es für uns mit seiner Kamera entdeckt. Wenn er es für diesen Gottesdienst ausgewählt hat, hatte er ein feines Gespür dafür, was in diesem Bild alles drinsteckt: an Trost, an Kraft, auch an Schönheit. Die stärkste Predigt in dem Bild ist und bleibt der Himmel selbst. Der Himmel mit seinem Blau, der die Sphäre Gottes spüren lässt und von dem der 19. Psalm sagt: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes (Psalm 19, 2). Amen.