Lessing: Nathan der Weise (1779, 1783 in Berlin uraufgeführt)
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- Ursula Solberg
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2 Lessing: Nathan der Weise (1779, 1783 in Berlin uraufgeführt) Äußere Form: Gattung: «Ein dramatisches Gedicht» Gliederung in fünf Akte Sprache: Blankverse (Shakespeare, Milton) Ort und Zeit der Handlung: Jerusalem um 1192 (3. Kreuzzug, ) Personal: Nathan, ein reicher Jude Recha, dessen Adoptivtocher Sultan Saladin Sittah, dessen Schwester Daja, eine Christin, lebt im Hause Nathans Der Tempelherr Ein Derwisch Der Patriarch von Jerusalem Ein Klosterbruder, ein Emir, verschiedene Mamelucken des Saladin
3 Nathan der Weise ein Ideendrama Thema: Idee der religiösen Toleranz als Triumpf des Humanitätsideals der Aufklärung Voraussetzung: Intensive Beschäftigung Lessings mit theologischen Fragen Entwurf einer Religionsphilosophie Die Erziehung des Menschengeschlechts (1777 verfasst, 1780 gedruckt) Identifizierung von Offenbarung (rivelazione) und Erziehung (educazione) Inserierung der Religionen in einen historischen Erziehungsprozess Unterscheidung von drei progressiven Phasen: - Kindheit = Judentum (monotheistisches Prinzip) - Jugend = Christentum (Christus als Erzieher, Unsterblichkeit der Seele) - Mannesalter = Zustand der Freiheit (gutes und vernünftiges Handeln als Selbstzweck) Anti-Goetze (April-Juli 1778) 11 polemische Manifeste in Briefform gegen die orthodoxen Thesen des Hamburger Pastors Johann Melchior Goetze (Nathan als 12. Anti-Goetze )
4 Personal = symbolische Valenz Vertreter der drei Weltreligionen Nathan = Judentum Sultan Saladin = Islam Der Patriarch von Jerusalem, Tempelherr = Christentum Handlung enthüllt Verwandtschaft der Protagonisten untereinander: NATHAN = Ziehvater Rechas RECHA = Ziehtochter Nathans, Schwester des Tempelherrn, Nichte des Sultans TEMPELHERR = Rechas Bruder, Neffe des Sultans (Kinder von dessen Bruder Assad) SULTAN SALADIN = Onkel Rechas und des Tempelherrn enge Verwandtschaft der jüdischen, christlichen und muslimischen Religion bürgerliche Familie weitet sich zur Weltfamilie Regieanweisung am Schluss: Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmung fällt der Vorhang (Mentre tutti si abbracciano ancora una volta senza parole, cadde la tela)
5 Die Ringparabel (La parabola dei tre anelli) Quelle: Boccaccio, Decameron (I, 3) Position im Drama: 3. Akt, 7. Auftritt Mittelachse des Dramas Bedeutung: Schlüsseltext der Aufklärung Höhepunkt der theologischen Disputation als Strukturmoment des Dramas Situation: Saladin lässt Nathan zu sich rufen und stellt ihm die Frage, welche der drei monotheistischen Weltreligionen er für die wahre halte. Nathan erkennt sofort die Falle, die ihm Saladin stellt: Erklärt er seine eigene Religion zur einzig wahren, muss Saladin das als Majestätsbeleidigung auffassen, erklärt er hingegen Saladins Religion zur einzig wahren, muss er sich fragen lassen, warum er noch Jude ist. Um einer klaren Antwort auszuweichen, antwortet er mit einem Gleichnis: Nicht die Kinder bloß, speist man mit einem Märchen ab. speisen = mangiare (hoher Stil); jemanden mit etwas abspeisen = accontentare qualcuno con qualcosa
6 Ein Mann besitzt einen wertvollen Ring als Familienerbstück; dieser Ring hat die Eigenschaft, seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm zu machen, wenn der Besitzer ihn in dieser Zuversicht trägt. Der Ring wurde über viele Generationen vom Vater an den Sohn vererbt, den er am meisten liebte. Eines Tages passiert es, dass ein Vater drei Söhne hat, die er alle gleich liebt und von denen er deshalb keinen dem anderen vorziehen will. Deshalb lässt er sich von einem Künstler exakte Duplikate des Rings herstellen. Er vererbt jedem der drei Söhne einen der Ringe und versichert jedem, dass sein Ring der echte sei. Nach dem Tod des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter erklärt, dass er den echten Ring nicht ermitteln könne NATHAN: Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch das nicht können! Nun, wen lieben zwei Von Euch am meisten? Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück? Und nicht Nach außen? Jeder liebt sich selber nur Am meisten? Oh, so seid ihre alle drei
7 Betrogene Betrüger! Eure Ringe Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring Vermutlich ging verloren. Den Verlust Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater Die drei für einen machen. SALADIN: Herrlich! Herrlich! NATHAN: Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr Nicht meinen Rat statt meines Spruches, wollt: Geht nur! Mein Rat ist aber der: ihr nehmt Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring Den echten. Möglich; dass der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht länger In seinem Hause dulden wollen! Und gewiss, Dass er euch alle drei geliebt, und gleich Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen Um einen zu begünstigen. Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurteilen freien Liebe nach! ( )
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